Institut für Humangenetik

Universität Göttingen

  letzte Änderung:

8.3.2000

 
       
       
   

Informationsblatt

 
   
Das Martin-Bell-Syndrom (MBS, Fragile X-Syndrom)


Klinik

Das Martin-Bell-Syndrom (MBS) oder Fragiles-X-Syndrom ist eine X-chromosomal vererbte Erkrankung. Mit einer Prävalenz von 1 auf 4000 bei Knaben und 1 auf 6000 bei Mädchen stellt es nach dem Down-Syndrom die häufigste diagnostizierbare Ursache geistiger Behinderung dar.

Die klinische Symptomatik ist sehr variabel und mit zunehmendem Alter oft deutlicher ausgeprägt. Kinder mit MBS sind meist leicht-bis mittelgradig geistig retardiert, häufig hyperaktiv und zeigen gelegentlich autistische Verhaltenszüge weisen. Weitere phänotypische Manifestationen umfassen faziale Dysmorphien wie hohe Stirn, prominentes Kinn und große, oftmals abstehende Ohren. Bei betroffenen Knaben findet man präpubertär gelegentlich eine Makrogenitosomie, postpubertär ist eine Makroorchidie typisch. Im weiblichen Geschlecht sind die fazialen Dysmorphien und die geistige Behinderung zumeist geringer ausgeprägt oder liegen gar nicht vor.

Zytogenetische und molekulargenetische Befunde

Die Bezeichnung der Erkrankung als Fragiles X-Syndrom leitet sich aus einer erhöhten Chromosomenbrüchigkeit im langen Arm des X-Chromosoms ab, die unter Folsäure- Mangelbedingungen in der Zellkultur Betroffener zu beobachten ist. Als zytogenetisch positiv gelten Patienten, die in mehr als 0 4 % ihrer Metaphasen diese fragile Stelle in der Bande 27.3 des X-Chromosoms (fra-Xq27.3) aufweisen.

Der zytogenetische Nachweis ist jedoch oft unsicher und in der genetischen Beratung mittlerweile von begrenztem Wert, nachdem es 1991 gelang, die Indentifizierung des FMR1- Gens (Fragile-X Mental Retardation Gene) auf dem X-Chromosom. Dieses Gen enthält in seinem ersten Exon eine repetitive Sequenz von 3 Basen (CGG)n, die bei den Probanden in mehr oder weniger großer Kopienzahl vorkommt. In der normalen Bevölkerung beträgt die Anzahl dieser Kopien zwischen 6 bis 50, wobei eine Anzahl von 29-30 offensichtlich am stabilsten ist und am häufigsten gefunden wird.

Eine Repeatvermehrung auf 50-200 wird als sog. Prämutation bezeichnt. Prämutationsträger sind klinisch unauffällig, nach neueren Literaturangaben scheint aber bei Frauen das Risiko für einen vorzeitigen Eintritt der Menopause erhöht zu sein.

Eine Prämutation kann zu einer Vollmutation mit einer Repeatzahl von > 200 expandieren, allerdings nur bei Vererbung durch die Frau. Eine Vollmutation führt durch eine Hypermethylierung zur Inaktivierung des FMR1-Gens und damit zur Manifestation des MBS. Beim männlichen Patienten hat dies in nahezu 100% der Fälle eine geistige Behinderung zur Folge, im weiblichen Geschlecht ist in ca. 50-70 % mit einer Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung zu rechnen.

Genetische Beratung und Pränanaldiagnostik

Bei Vorliegen einer (Prä-) Mutation beträgt die Wahrscheinlichkeit, 50 %, daß das entsprechende X-Chromosom an ein Kind vererbt wird. Für Kinder von männlichen Prämutationsträgern (stillen Überträgern) ist das Risiko für ein MBS nicht erhöht.

Wenn die Mutter Trägerin einer Prämutation ist, ist es schwierig vorherzusagen, ob es zu einer Repeatexpansion kommen wird, wobei das Risiko hierfür allerdings größer ist, wenn die Repeatzahl bereits in einem höheren Bereich liegt. Die Expansion kann in mehreren Schritten erfolgen und im ersten Trimenon der Schwangerschaft beim Embryo/Feten weiter fortschreiten. Eine molekulargenetische Diagnostik des Fragilen X-Syndroms ist bereits im ersten Trimenon der Schwangerschaft aus Chorionzotten (nach CVSI) möglich, jedoch mit einer gewissen Unsicherheit behaftet, da z.B. die Methylisierung noch nicht abeschlossen ist.

Demgegenüber bietet eine Amniozentese zu einem späteren Zeitpunkt (in der ca. 15.-16. Schwangerschaftwoche) eine sicherere Möglichkeit der molekulargenetischen Diagnostik.

Im Einzelfall sollte das optimale Vorgehen mit den Ratsuchenden besprochen werden.

Für die molekulargenetische Untersuchung benötigt man ca. 10 ml EDTA-Blut des Probanden und seiner Mutter. Pränatale Untersuchungen können an DNA aus kultivierten Amnionzellen, ggf. auch an DNA aus Chorionzottengewebe erfolgen.


Weitere Informationen erteilen:

Dr. med. (I) Franco Laccone Tel. 0551-399019 flaccon@gwdg.de
PD Dr. med. Barbara Zoll Tel. 0551-399011 bzoll@gwdg.de
Prof. Dr. med. Wolfgang Engel Tel. 0551-397589 wengel@gwdg-de

 
       
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