Institut für Humangenetik

Universität Göttingen

  letzte Änderung:

25.1.2000

 
       
       
   

Informationsblatt

 
   
Molekulargenetische Diagnostik der Huntington-Krankheit

Dieses Informationsblatt wurde von den Mitgliedern des Huntington Konsortiums erstellt und soll Personen, die ein Risiko für die Huntington-Krankheit (HK) tragen, über die Vorgehensweisen der molekulargenetischen Diagnostik in verständlicher Weise informieren. Dem Huntington Konsortium gehören alle Institute und Laboratorien im deutschsprachigen Raum an, die eine prädiktive molekulargenetische Diagnostik bei der HK durchführen und sich an die internationalen Richtlinien zur Durchführung der molekulargenetischen Diagnostik gebunden fühlen.

Die Huntington-Krankheit (Morbus Huntington, früher auch Chorea Huntington oder erblicher Veitstanz genannt) ist eine neurologische Erkrankung, die mit dem Abbau von Gehirnsubstanz in bestimmten Gehirnbereichen einhergeht und mit ca. 5 Erkrankten auf 100.000 Einwohner eine der häufigsten erblichen Krankheiten des Nervensystems ist. Erste Anzeichen der Erkrankung treten meist zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr auf. Es kommt jedoch auch vor, daß die Krankheit schon bei Kindern und Jugendlichen oder erst im höheren Lebensalter auftritt.

Die Erbanlage (Gen) für die HK liegt auf dem Erbträger (Chromosom) Nr. 4. Die HK wird autosomal dominant vererbt. Der menschliche Chromosomensatz besteht aus 22 Autosomen, die paarweise vorliegen (jeweils z.B. 1 Chromosom 4 vom Vater und 1 Chromosom 4 von der Mutter) und den beiden Geschlechtschromosomen X und Y. Bei einem autosomalen Erbgang muß nur die veränderte Erbanlage eines Elternteils weitergegeben werden, um bei einem Kind zur Erkrankung zu führen. Daher besteht für jeden Nachkommen eines Anlageträgers die Wahrscheinlichkeit von 50 %, das veränderte Gen zu erben oder geerbt zu haben. Als Anlageträger bezeichnet man die Person, die das veränderte Gen besitzt. Die Nachkommen eines Anlageträgers werden als Risikopersonen in Bezug auf die HK bezeichnet. Seit März 1993 ist die für die Huntington-Krankheit verantwortliche Veränderung im Erbmaterial, der DNA, bekannt. Es wurde festgestellt, daß im sog. Huntingtin-Gen bei gesunden Personen Wiederholungen einer kleinen Einheit des Erbmaterials, der Basenfolge CAG (Trinukleotid-Block, CAG-Kopien, englisch CAG-Repeat), weniger als 34 mal vorkommen. Menschen, die an der HK leiden oder noch erkranken werden, weisen zwischen 40 bis über 100 solcher CAG-Repeats auf. Im Bereich zwischen 31 und 39 CAG-Kopien, sind in einigen Fällen sichere Aussagen zur Zeit nicht möglich. In diesem "Übergangsbereich" gibt es Huntington-Kranke mit z.B. 37 CAG-Repeats und Menschen mit gleicher CAG-Repeatanzahl, die bis ins hohe Alter nicht an der HK erkrankt sind.

Prädiktive Diagnostik:

Risikopersonen können mit Hilfe eines molekulargenetischen Tests feststellen lassen, ob sie Anlageträger sind. Diese Untersuchung wird als prädiktive molekulargenetische Diagnostik bezeichnet (prädiktiv: Vorhersage; molekulargenetisch: auf der Ebene der Erbsubstanz, DNA) Bei der HK bedeutet dies die Untersuchung auf die Anzahl der CAG-Kopien bei einer Risikoperson. Für diese Untersuchung, die oft auch als "genetischer Test" bezeichnet wird, wurden schon frühzeitig von der Internationalen Vereinigung der Huntington-Selbsthilfeorganisationen (IHA) und des Weltverbandes der Neurologen (WFN) Richtlinien erarbeitet, nach denen auch die Diagnostik in der Deutschland durchgeführt wird.

Die prädiktive Diagnostik kann von jeder volljährigen Risikoperson (nach Vollendung des 18. Lebensjahres) in Anspruch genommen werden. Die Teilnahme ist absolut freiwillig und erfolgt nach den im folgenden aufgeführten Rahmenbedingungen für den Ablauf der prädiktiven DNA Diagnostik.

Rahmenbedingungen für den Ablauf der prädiktiven DNA-Diagnostik:

  1. Die prädiktive DNA-Diagnostik kann nur im Rahmen einer genetischen Beratung durch einen Facharzt für Humangenetik, einen Arzt mit der Zusatzbezeichnung Medizinische Genetik oder in einer genetischen Beratungsstelle erfolgen. Eine Adressenliste dieser Ärzte bzw. der genetischen Beratungsstellen erhalten Sie vom Berufsverband für Medizinische Genetik bzw. den Selbsthilfeorganisationen.
  2. Im Beratungsgespräch wird eine Eigen- und Familienkrankengeschichte erhoben. Die Ratsuchenden werden über die Krankheit und deren Erbgang umfassend informiert. Möglichkeiten und Konsequenzen der molekulargenetischen Diagnostik werden den Ratsuchenden erläutert. Eine "aktive Beratung", d.h. gesunde Familienmitglieder werden gegen ihren Willen über ihr Erkrankungsrisiko informiert, wird abgelehnt.
  3. Neben der genetischen Beratung führen die Ratsuchenden vor der Blutabnahme mehrere Gespräche mit Ärzten oder Psychologen, die mit der Huntington-Krankheit und ihrer Problematik und der prädiktiven Diagnostik vertraut sind. Diese psychotherapeutischen Betreuer sollten auch nach Abschluß der Diagnostik für weitere Gespräche zur Verfügung stehen. Zusätzlich können sich die Ratsuchenden eine Vertrauensperson wählen, die sie während der Vorbereitungsphase und der Diagnostik, bei der Befundmitteilung und auch danach begleitet. Dabei kann es sich z.B. um den Partner, einen guten Freund, einen Geistlichen oder einen Arzt handeln.
  4. Eine ausreichende Bedenkzeit zwischen genetischer Beratung und dem Entschluß, eine DNA-Diagnostik in Anspruch zu nehmen, sollte gewährleistet sein. Vor Untersuchung der Blutprobe der Risikoperson muß der psychotherapeutische Betreuer bestätigen, daß er sich in den geführten Gesprächen davon überzeugt hat, daß eine prädiktive Diagnostik von dem Ratsuchenden gewünscht wird. Außerdem soll er bestätigen, daß der Ratsuchende auch auf eine ungünstige Befundmitteilung vorbereitet ist.

    Die DNA (Erbsubstanz) aus einer EDTA-Blutprobe (EDTA=Zusatzstoff, der Blut ungerinnbar macht) eines an der HK bereits erkrankten Familienmitgliedes sollte nach Möglichkeit vorab oder parallel untersucht werden, um die Diagnose der Huntington-Krankheit in der Familie zu sichern, d.h., die Vermehrung des CAG-Repeats sollte bei dem Betroffenen nachgewiesen werden. Um Verwechslungen bei der Untersuchung der Blutprobe der Risikoperson auszuschließen, sollen möglichst zwei unabhängige Proben (2 x 10 ml EDTA-Blut) getestet werden.
  5. Dem Ratsuchenden wird das Ergebnis im gemeinsamen Gespräch mit dem genetischen Berater und im Beisein des psychotherapeutischen Betreuers sowie der von dem Ratsuchenden benannten Vertrauensperson mitgeteilt. Das Labor, das die Untersuchung durchführt, sollte dem Berater die DNA-Ergebnisse erst kurz vor dem Zeitpunkt mitteilen, zu dem die Risikoperson sie erfahren soll.
  6. Nach Mitteilung des Ergebnisses sollte eine Nachbetreuung durch den psychotherapeutischen Betreuer und/oder den genetischen Berater sichergestellt sein.
  7. Der Ratsuchende kann jederzeit erklären, daß er an der Fortsetzung der Untersuchung bzw. an der Befundmitteilung nicht mehr interessiert ist. Auf ausdrücklichen Wunsch des Ratsuchenden kann ihm seine DNA-Probe zurückgegeben werden.
  8. Informationen über das Beratungsgespräch und das Testergebnis werden an niemanden weitergegeben, es sei denn, der betreuende Arzt wird von der Risikoperson schriftlich von seiner Schweigepflicht entbunden.

Pränatale Diagnostik:

Eine pränatale Diagnostik aus Fruchtwasserzellen oder aus Chorionzotten kann auf Wunsch durchgeführt werden.

Bei Eintritt einer Schwangerschaft sollten Sie sich umgehend mit Ihrem humangenetischen Berater in Verbindung setzen. In einem Beratungsgespräch werden Ihnen u.a. detaillierte Informationen über die Möglichkeiten der pränatalen DNA-Diagnostik und die damit verbundenen Probleme gegeben. Ferner werden Sie umfassend über die Vorgehensweise bei der Gewinnung von fetalem Material durch Chorionzottenbiopsie (CVS) bzw. Amniocentese (AC) informiert.

Sollte vor Eintritt einer Schwangerschaft noch keine prädiktive Diagnostik für den Elternteil, der ein HK Risiko trägt, durchgeführt worden sein, so gilt: es muß vor einer pränatalen Diagnostik eine genetische Beratung erfolgen und eine psychotherapeutische Vor- und Nachbetreuung muß sichergestellt sein.

Differentialdiagnostik:

Wenn ein Arzt bei einem Patienten Symptome feststellt, die auch bei der Huntington-Krankheit vorkommen, besteht die Möglichkeit einer molekulargenetischen Diagnostik, die man dann Differentialdiagnostik nennt. Durch die DNA-Untersuchung wird festgestellt, ob bei dem Patienten tatsächlich eine Huntington-Krankheit vorliegt. Das durchführende Labor wird über die Rahmenbedingungen der Differentialdiagnostik informieren.

Weitere Fragen können durch jeden genetischen Berater beantwortet werden.

Von der Huntington-Selbsthilfeorganisation erhalten Sie weiteres Informationsmaterial über die Huntington-Krankheit. Beim Berufsverband "Medizinische Genetik" können Sie die Adressenliste der genetischen Berater und der genetischen Beratungsstellen anfordern.

Deutsche Huntington-Hilfe e.V.

47241 Duisburg, Postfach 28 12 51 (hier erhalten Sie auch Adressen für das deutschsprachige Ausland)

Tel.: 0203/788777

Fax: 0203/782504

Berufsverband Medizinische Genetik e.V.

c/o Goethestraße 29

80336 München

Dieses Informationsblatt wurde vom Konsortium zur molekulargenetischen Diagnostik bei der Huntington-Krankheit erstellt.

 
       
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