Dr. Carola Wessel, 1964 – 2004

 

Kurz vor ihrem 40. Geburtstag verstarb am 14. Februar 2004 meine Mitarbeiterin und unsere Kollegin Dr. Carola Wessel.

 

Nach ihrem Studium der Geschichte, Germanistik und Ethnologie in Göttingen erarbeitete sie sich mit ihrer Dissertation „Delaware-Indianer und Herrnhuter Missionare im Upper Ohio-Valley“ einen Forschungsschwerpunkt in der frühneuzeitlichen amerikanischen Geschichte; ihre Arbeit, die zum ersten Mal Quellen der Herrnhuter Mission zur Analyse der Familien- und Sozialstruktur der nordamerikanischen Indianer nutzte, bildete die erste Mikrostudie zur Sozialgeschichte der Delaware und der nordamerikanischen Indianern der frühen Neuzeit insgesamt. Die Dissertation wurde 1999 in der Publikationsreihe der Franckeschen Stiftungen in Halle veröffentlicht.

 

Zwischen 1990 und 1993 war Carola Wessel wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Historischen Instituts in Washington, DC. In dieser Zeit beschäftigte sie sich nicht nur mit der Geschichte der Herrnhuter Mission im Ohiogebiet während der Amerikanischen Revolution und mit der Geschichte der europäischen und atlantischen Migration – die wichtige Konferenz des Deutschen Historischen Instituts zu diesem Thema 1992 an der State University of Pennsylvania 1992 wurde von ihr konzipiert und organisiert – sondern bereitete auch mit mir eine Edition der Missionstagebücher von David Zeisberger vor, die wir 1995 unter unser beider Namen unter dem Titel Herrnhuter Indianermission in der Amerikanischen Revolution. Die Tagebücher von David Zeisberger 1772 bis 1781 beim Akademie Verlag in Berlin veröffentlichten. In der gemeinsamen Arbeit an den Tagebüchern habe ich die hohe wissenschaftliche Kompetenz, Zuverlässigkeit, Selbständigkeit, aber auch die Fähigkeit zu kritischer und fruchtbarer Zusammenarbeit von Carola Wessel kennen- und schätzen gelernt.

 

Von 1994 bis 1998 war Carola Wessel wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungszentrum für Pietismus in Halle; ihr wichtigstes Arbeitsgebiet war die Vorbereitung einer kritischen Edition der Tagebücher von August Hermann Francke. 1998 kehrte sie nach Göttingen zurück; im Rahmen ihrer Ausbildung zum höheren wissenschaftlichen Dienst an Bibliotheken begann sie das Referendariat an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek in Göttingen und an der Fachhochschule Köln. Mit dem erfolgreichen Abschluss ihrer Ausbildung war sie bis 2002 als wissenschaftliche Bibliothekarin an der SUB Göttingen im Meta-Lib-Projekt tätig. Im Herbst jenes Jahres gewann ich Carola Wessel als Projektbearbeiterin für das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte, von mir geleitete und von der SUB Göttingen mitgetragene Forschungsprojekt „Deutschsprachige Einblattdrucke in Nordamerika, 1700 – 1810“; für dieses Projekt brachte sie dank ihrer hervorragenden Kenntnis der mittelatlantischen englischen Kolonien in Nordamerika und ihrer bibliothekarischen Fachausbildung die allerbesten Voraussetzungen mit; sie konnte sich schnell national wie international hohe Anerkennung erwerben.

 

2003 übernahm Frau Wessel eine halbe Stelle als geisteswissenschaftliche Fachreferentin an der Universitätsbibliothek Bielefeld; zu der Zeit hatte sie schon im Rahmen eines längeren Forschungsaufenthaltes in den USA das DFG Projekt entscheidend vorangetrieben; im Sommer 2003 wurde sie aus ihren vielfältigen wissenschaftlichen Tätigkeiten herausgerissen; die englische Ausgabe der Tagebücher von David Zeisberger konnte sie nur noch zum Teil mitbetreuen. Die wissenschaftliche Tagung, die in State College im September 2004 aus Anlass der Veröffentlichung der Tagebücher stattfinden wird, hat sie aber noch entscheidend mitgeprägt. Die Organisatoren der Tagung haben beschlossen, die Tagung der Wissenschaftlerin Carola Wessel zu widmen.

 

Carola Wessel war eine integre, hervorragende Wissenschaftlerin; zugleich war sie so bescheiden, dass sie weniger klugen Kollegen immer den Vortritt ließ. Für die, die Carola Wessel kannten, war aber etwas anderes wichtiger: Carola Wessel war immer liebenswürdig, immer zuverlässig und immer gut gelaunt. Sie war eine selbstbewusste Wissenschaftlerin, von der wir alle profitierten und die wir schmerzlich vermissen.

 

Göttingen, Washington DC, Ende Februar 2004                                 Hermann Wellenreuther