29.10.96
Happy birthday! 75 Jahre Studentenwerk Göttingen
Stichwort: European Council for Student Affairs
Vom Kapital zum Buch: Die UB, ihre Bücher und ihre Kosten
Wer hat nicht mehr alle Tassen im Schrank?
Applaus im ZHG für Geißlers Sozialhetze
Am letzten Freitagabend war ZHG 010 vollbesetzt: doch weder Uni-Kino noch Literaturherbst sorgten dafür, sondern die Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Parteistiftung der CDU hatte zu einer Diskussion über die "Zukunft des Sozialstaats" geladen: Rita Süßmuth und Heiner Geißler vertraten die Kanzlerpartei und hatten sich dazu Rita Grießhaber, Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Villingen-Schwenningen, eingeladen. Letztere hatte es nicht leicht, eigene Positionen zu behaupten gegen die konservative Vormacht im Saal. Denn der Einladung schien der CDU-Kreisverband ebenso vollzählig gefolgt zu sein wie der konservative Teil der Studierenden (darunter RCDS- und ADF-Vertreter des rechten AStA) und Lehrenden der Universität. Die sorgten dann auch für großen Applaus, wenn insbesondere Geißler den Erwartungen gerecht wurde.Alle Teile des letzten "Sparpakets" verteidigte er offensiv (früher hatte der CDU-Arbeitnehmerflügel wenigstens Bauchschmerzen beim Sozialabbau). Weniger Kündigungsschutzrechte brächten bis zu 400.000 Arbeitsplätze und bei der Lohnfortzahlung sei die "Selbstbeteiligung" notwendig. Die Gewerkschaften hätten dabei "nicht mehr alle Tassen im Schrank". Donnernder Applaus. Als Grund für den Sozialabbau kam die bekannte Standortlitanei: die Vermögenssteuer sei ein "Standortnachteil" und bringe zuwenig Ertrag bei zuviel Verwaltungsaufwand. Dagegen solle die Mehrwertsteuer erhöht werden, um die Lasten des Sozialstaats "auf breitere Schultern zu verteilen" - eine schöne Bezeichnung für die Umverteilung der Steuererhebung von den wenigen Vermögenden zu den vielen Konsumenten. Wie der von Geißler geforderte "geordnete Wettbewerb" international herzustellen sei - die Schlüsselfrage aktueller Sozialstaatsdiskussionen - war nicht zu erfahren. Denn hier könne man "nichts erzwingen". Warten wir also auf Geschenke barmherziger Samariter, wie weiland Bismarck (Sozialversicherung), der auch durch nichts und niemanden "gezwungen" wurde.
Die eingeladene Grüne Rita Grießhaber hatte dem nicht viel entgegenzusetzen. Ihre "Reformen" des Sozialstaats ("nicht mehr oder weniger vom selben!") waren bei Renten- und Arbeitsmarktpolitik viel zu unscharf gezeichnet. Der einzige "linke" Gegenvorschlag war eine steuerfinanzierte soziale Grundsicherung als Ersatz für die unwürdige Sozialhilfe mit Brücken in den ersten Arbeitsmarkt (Anspruch auf Fördermaßnahmen). Dieser wurde von Geißler mit dem Politiker-Lieblingswort "unfinanzierbar" abgetan. Schwarz-grünes Subsidaritätsprinzip
Ebenso negativ reagierte auch das Publikum, das aber aufhorchte, als Grießhaber ausführte, wo sich christlich-soziale und grüne Ansätze treffen: beim "Subsidiaritätsprinzip", also jenem Grundsatz, wonach der Staat nicht alles regeln müsse, sondern "die Gesellschaft von unten" soziale Selbsthilfe leisten könne. Diese gemeinsame Kritik am sozialdemokratischen Wohlfahrts- und Regulierungssystem ist tatsächlich die Melodie, die viele Grüne (aber auch SPD-Ministerpräsidenten) mit den Liberal-Konservativen singen.Und Rita Süßmuth? Sie hatte sich auf die Rolle der Moderatorin zurückgezogen, als Geißler mit der Demagogie begann. Nur in ihrem Einstiegsreferat waren ganz andere Töne zu hören: Die tragenden Säulen des Sozialstaats seien nicht nur Hilfe für Bedürftige und Sicherung der Lebensrisiken, sondern dazu: Bildung für alle, Mitbestimmung und gerechte Verteilung. Von diesen Ausflügen in sozialdemokratische Programmatik war später nichts mehr zu hören: Der Kontrast zur Politik der Regierung Kohl/ Rexrodt, die auch Frau Süßmuth zur "Kanzlermehrheit" schleppt, war schlichtweg untergegangen. Über mehr Mitbestimmung und Umverteilung der Vermögen zu reden, hätte dem Publikum mehrheitlich mißfallen. KritikerInnen wie der "Runde Tisch Armes Göttingen" oder die Sozialdezernentin Dagmar Schlapeit-Beck (SPD) waren in der Minderheit. Dagegen führten neben Wirrköpfen ("Die Kinderlosen verweigern sich dem Sozialstaat!") der Göttinger Arbeitgeberfunktionär Freiherr von Wendt ("Wir brauchen die Entlastung der Unternehmen!") oder CDU-Landratskandidat und Schwarz-Grün-Kokettierer Harald Noack das Wort. Letzterer hatte auch einen Vorschlag, wie die Gesellschaft die Aufgaben des Staates übernehmen könne: "zum Beispiel durch die Kirche!" Ob das die Grünen auch wollen...?
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