Ich trage dieses hier vor, um eine nüchterne Erwartungshaltung zu erbitten, nicht mit Bitterkeit, sondern mit der Erkenntnis, daß Kulturkonflikt zwangsläufig auch heißen muß: binnenkultureller Konflikt, unter anderem auch dazu, wie denn nun mit Kulturkonflikten umzugehen sei.
Ich bin damit schon mitten im Thema. Zunächst die Übersicht, wie ich meinen Beitrag geplant und aufgegliedert habe:
Zunächst möchte ich die historische Dimension in Form von interkulturellen Erstkontakten aufgreifen, die mich - auch im Zusammenhang mit Seminaren- zum einen als Gegenstand von sich aus beschäftigt haben. (Ich gestehe, obschon ich mich für einen einigermaßen allgemeingebildeten Menschen halte, war ich überrascht davon, wie wenig -und vor allem wie wenig Genaues- meine bisherige Bildung wußte über solche wichtigen Ereignisse auf diesem Globus, wie z.B. die Eroberung und Besiedlung Amerikas durch Europäer und über die dabei weitgehend ausgelöschten Kulturen.) Zum anderen, und dies liegt in der Frage- und Aufgabenstellung meines Faches begründet, möchte ich auf erste Erfahrungen und Überlegungen zu sprechen kommen, diesen Grundtypus von Kulturkonflikten in Form von Unterricht mit Kindern und Jugendlichen zu behandeln und zu verarbeiten.
Sodann spreche ich einen Bereich der Interkulturellen Didaktik an, der
schon längere Tradition aufweist, wenngleich es um seine Aufarbeitung
und Evaluierung durch Forschung noch recht schlecht bestellt ist, nämlich
den Internationalen/Interkulturellen Jugendaustausch.
Schließlich wird es um die u.a dort entstandenen methodischen
Ansätze zum Trainieren interkultureller Kompetenzen, also das Interkulturelle
Lernen gehen. Interkulturelles Lernen - so meine These- wandelt sich vom
“moralischen” Bildungskonzept des Verständnisses für andere Kulturen
(Völkerverständigung, Abbau von Vorurteilen gegenüber fremden
Kulturen) zur Kompetenz für einen alltäglichen Umgang mit anderen
Kulturen, also sich z.B. auf fremdes Essen und fremde Eßmanieren
einstellen zu können, auf fremde Begrüßungsformen, auf
fremde Rückmeldungsmuster, auf fremde Toiletten, aber auch auf fremde
Lehrformen etc.
“Über diese sanftmütigen, von ihrem Herrn und Schöpfer mit solcher Wesensart begabten Menschen kamen nun die Spanier, und zwar vom ersten Augenblick an, wo sie sie kennenlernten, wie grausame Wölfe, Tiger und Löwen, die man tagelang hat hungern lassen. Sie haben in diesen vierzig Jahren bis zum heutigen Tage nichts anderes getan und tun auch heutzutage nichts anderes als zerreißen, töten, ängstigen, quälen, foltern und vernichten, auf jede nur denkbare, nie gehörte, nie gesehene, nie erlebte Art äußerster Grausamkeit. [...]. Und das alles in solchem Maße, daß auf der Insel Espanola von drei Millionen Seelen, die zu unserer Zeit dort gelebt haben, heute keine 200 mehr da sind.”Ich habe nicht die Stellen zitiert, in denen die Unmenschlichkeit nicht lediglich kursorisch, sta-tistisch zum Tragen kommt, sondern solche, in denen Augenzeugen berichten, wie das Quälen und Töten geschah. Es ist müßig, an dieser Stelle in die Überlegungen einzusteigen, inwieweit auch Berichte von als Augenzeugen Genannten wahr sind oder sein können, oder gegenzuhalten, welche Grausamkeiten seitens der Eingeborenen (Bestrafungen, Menschenopfer, Kannibalismus) wiederum von den spanischen Eroberern berichtet wurden.
(LAS CASAS, zitiert nach ARENS/BRAUN 1995, S. 95)“[...] sie schnitten Nasen, Arme und Beine und den Frauen die Brüste ab, banden ihnen Kalebassen an die Füße und warfen sie in tiefe Lagunen; den Kindern versetzte man Degenstöße, weil sie nicht so schnell wie die Mütter liefen, und wenn man sie in Halseisen mitführte und sie krank wurden oder nicht so schnell wie die anderen liefen, schlug man ihnen die Köpfe ab, damit man nicht halten mußte, um sie loszumachen”
(DE LANDA 1990, S. 38)
Unser “Schulwissen” hat von diesen Ereignissen ein Schema gebildet, das etwa so aussieht:
Die Konquistadoren waren wenige, ihnen folgten weitere Glücksritter; sie modernisierten das Land, brachten viele Schätze in die Heimat, waren grausam zu den “Indios”, aber die meisten, die starben, starben an den ungewohnten Krankheiten, die die Europäer einschleppten und die für diese in der Regel nicht so gefährlich waren. Heute gibt es wohl noch Mischlinge, aber diese Kulturen sind untergegangen. Sicherlich schade, aber irgendwie auch tragisch das Ganze.
Im Zusammenhang mit Unterrichtsgestaltungen, an denen ich beteiligt bin, stellt sich die Frage, wie diese Entwicklungen differenzierter betrachtet werden können, ob man Vergleiche anstellen sollte, z.B. zu den Greueltaten von Deutschen während des NS-Reiches oder auch zum aktuellen Geschehen in Ruanda oder im früheren Jugoslawien, und besonders: ob man solche Berichte Kindern vorlegen kann und sollte. Ich denke, man muß es tun. Der größere Schock ist das Nachdenken darüber, daß “ganz normale” Menschen zu solchen Taten fähig sein können, folglich auch wir selbst. Es folgt ja dem ersten Schock, wenn man diese Berichte liest oder darüber hört, die Überlegung, wie Menschen dazu kommen, so etwas zu tun. Leicht ist man dann geneigt, sie zu dämonisieren, von sich selbst fernzustellen.
Und ich muß auch Las Casas relativieren, damit nicht der Eindruck entsteht, ich wolle mich billigerweise schnell auf die Seite “der Guten” stellen: Von eben jenem Las Casas, den man später oft den Anwalt der Indianer genannt hat, wird berichtet, daß er mit die Idee geboren habe, schwarze Sklaven in die “Neue Welt” zu bringen, da die Indianer den Strapazen der Plantagenarbeit nicht gewachsen seien.
Ich möchte Ihnen von einem der in diesem Buch dargestellten Ereignisse berichten.
Die Cooksche Flotte segelt über Kapstadt nach Neuseeland, das Cook bereits auf seiner 1. Weltumseglung besucht hatte. Auf den vorgelagerten Inseln fanden erste Versuche statt, mit Eingeborenen Kontakt aufzunehmen. Man hatte für solche Fälle Geschenke und Tauschwaren an Bord, darunter Beile und Nägel, die bei den Eingeborenen sehr begehrt waren (Eisen konnten sie nicht selbst herstellen). Die ersten Annäherungen waren vonstatten gegangen, als pötzlich die kleine Gruppe von Eingeborenen verschwunden war und die Weltreisenden darüber rätselten, warum und wohin sie gegangen waren:
“[...] allein es hieß,: der Wilde habe vor seinem Abzuge durch Zeichen zu verstehen gegeben, er wolle aufs Todtschlagen ausgehen und dazu die Beile gebrauchen. Hat man ihn recht verstandn, so war damit unsre angenehme Hoffnung, den Ackerbau und andere nützliche Arbeiten, durch Austheilung von brauchbaren Werkzeugen gewissermaßen zu befördern und zu erleichtern, auf einmahl vernichtet.”Im Rahmen eines Seminars “Fallstudien zur Interkulturellen Didaktik”, in welchem üblicherweise empirische Untersuchungen und Institutionen mit einem direkten didaktischen Bezug, etwa Projekte der GTZ, die im Bildungsbereich angesiedelt sind, von uns behandelt werden, haben die Studierenden und ich vor ca. einem halben Jahr begonnen, solche historischen Gesichtspunkte aufzugreifen. Wir sehen Parallelen und oft auch einen Entwicklungsverlauf von solchen interkulturellen Erstkontakten zu heutigen Konflikten auf verschiedenen Ebenen:
(FORSTER 1983 S, 176)“Es ist Unglücks genug, daß alle unsere Entdeckungen so viel unschuldigen Menschen haben das Leben kosten müssen. So hart das für die kleinen, ungesitteten Völkerschaften seyn mag, welche von Europäern aufgesucht worden sind, so ists doch warlich nur eine Kleinigkeit in Vergleich mit dem unersetzlichen Schaden, den ihnen diese durch den Umsturz ihrer sittlichen Grundsätze zugefügt haben. Wäre dies Übel gewissermaßen dadurch wieder gut gemacht, daß man sie wahrhaft nützliche Dinge gelehret oder irgend eine unmoralische und verderbliche Gewohnheit unter ihnen ausgerottet hätte; so könnten wir uns wenigstens mit dem Gedanken trösten, daß sie auf einer Seite wieder gewonnen hätten, was sie auf der andern verlohren haben mögten. So aber besorge ich leyder, daß unsre Bekantschaft den Einwohnern der Süd-See durchaus nachtheilig gewesen ist; und ich bin der Meinung, daß gerade diejenigen Völkerschaften am besten weggekommen sind, die sich immer von uns entfernt gehalten [...] haben.”
(FORSTER 1983, S 207 f)
Cooks Leute und andere brachten das Beil, und es wurde zur Waffe. - Industrienationen brachten vor Jahren Maschinengewehre nach Somalia und das Land stürzte ins Chaos.
Der europäische Eingriff verändert die Dimensionen des bereits vorhandenen Konfliktpotentials, er schafft sie nicht erst neu.
Der schweizer Kolonialhistoriker Urs Bitterli (man beachte: eine Professur für Kolonialgeschichte in der Schweiz!) hat 1981 eine breitangelegte Untersuchung über “Die Entdeckung und Eroberung der Welt” vorgelegt und kürzlich in einer Zusammenfassung unter dem Titel “Alte Welt - neue Welt. Formen des europäisch-überseeischen Kulturkontakts vom 15. bis zum 18. Jahrhundert” neu bearbeitet. Bitterli unterscheidet darin zwischen
“Zehntausend kampfbereite, todesmutige Indianer standen den sechshundert Spaniern gegenüber - welch eine Übermacht! Freilich, Pferde hatten sie nicht, auch nicht Pulver und Blei, keine Geschütze und Musketen. Und als sie sahen, wie ihre Kameraden reihenweise dahingerafft wurden von Blitz und Donner, die so rätselhaft aus der Front des Feindes herüberkamen, da ergriff sie die Panik. Entsetzt stoben sie in wilder Flucht davon. Unerwartet schnell war der Kampf zugunsten der Weißen entschieden.”Muß nicht ein Kind nach der Rezeption solcher Entdeckermythen von der Höherwertigkeit der eigenen Kultur oder des eigenen Kulturkontinents überzeugt sein? Solche und andere Fundstellen führten uns in dem bereits angesprochenen Seminar dazu, Überlegungen anzustellen, wie Kindern und Jugendlichen ein differenzierteres Bild über Kulturkontakte und ihre Folgen vermittelt werden könnte. Ein Ansatz hierzu kann die Entwicklung von (modellhaften) Unterrichtseinheiten sein, d.g. der Versuch, prototypische Praxis zu planen, zu erproben und zu dokumentieren. Sie können dann als Anregungen für weitere Unterrichtsgestaltungen dienen. Seit den 70er Jahren wissen wir, daß modellhafte Unterrichtseinheiten die tradierten Grenzen der Fächer überwindbar machen und zum Innovationspotential für Schulpraxis werden können. Bislang sind wir dabei noch im Stadium der Planung und ersten Erprobungen. Über einige grundsätzliche Überlegungen und Erfahrungen möchte ich hier kurz berichten:
(HERRMANN 1958, S. 79; dieses Buch ist auch heute noch zu kaufen, die Jahreszahl der neueren Auflage ist nicht angegeben)
Diederich analysiert diesen Text aus einem Geographie-Schulbuch vor allem unter dem Gesichtspunkt, was daran wahr ist (eine Betrachtung der Tabellen über Niederschlagsmengen z.B. führt zu anderen Schlußfolgerungen), welche anderen Informationen auch zur Verfügung gestanden hätten (z.B. wird etwas über die Holzverarbeitung gesagt, nichts hingegen über die fast genauso wichtige Energieerzeugung aus Wasserkraftwerken) und welchen Bezug solche Informationen für Schülerinnen und Schüler z.B. in Hessen aufweisen (oder eben nicht aufweisen).Eine in vielen Fällen mit dem interkulturellen Lernen vergleichbare Situation haben wir mit umweltorientierter Didaktik und Pädagogik vor uns liegen, für die es seit jetzt gut 20 Jahren in Deutschland Erfahrungen gibt. Ihre Erfolge und Mißerfolge mag ich nicht beurteilen; für ein solide fundiertes Urteil fehlen mir auch die erforderlichen empirischen Daten (diese müßten sich auf reales Verhalten, nicht auf Wichtigkeitseinschätzungen und Einstellungsäußerungen beziehen; ich weise nur darauf hin, daß vor ca. 5 Jahren bei Meinungsumfragen 70-80% der erwachsenen Bevölkerung die Umweltfrage als das drängendste Problem bezeichneten und seitdem diese Prozentquote auf etwa 40 % heruntergefallen ist - solche empirischen Befunde eröffnen mehr Fragen als sie beantworten). Gleichwohl erscheint mir eine große Skepsis angebracht. Was die Ökopädagogik aber zur Kenntnis nehmen muß und was auch für eine Interkulturelle Pädagogik gelten wird, sind Berichte darüber, daß die Kinder und Jugendlichen Botschaften nicht ernst nehmen, wenn sie nicht auch im Verhalten der “Botschafter” erkennbar werden. (Wenn der Lehrer mit dem Auto in die Schule kommt, glauben ihm die Kinder natürlich die Warnung vor dem bösen Umweltzerstörer Auto nicht, schrieb die Frankfurter Rundschau im letzten Jahr zu einem solchen Bericht über schwindende Neigungen von Schülerinnen und Schülern, den moralisch gefärbten “Ökoanspruch” aufzunehmen.) Die Ambiguitätstoleranz von Erwachsenen, also das Lernen, auch mit Widersprüchen zu leben, haben Kinder jedenfalls (noch) nicht. Modell-Lernen ist sicherlich die vorherrschende Lernform, ergänzt durch begründende kognitive Orientierungen. Ein zweiter Punkt ist die Methode, “falsches” Schulwissen richtig zu stellen, indem die falschen Darstellungen “gegen den Strich gebürstet” werden. Darüber hat vor Jahren Jürgen Diederich Überlegungen angestellt. Ihn ärgerte geographisches Schulwissen der folgenden Art:
“Kärnten ist das Land um das obere Drautal. Es wird auf fast allen Seiten von Bergketten umgeben. Sein Mittelpunkt ist das Klagenfurter Becken. Im Klima machen sich schon die östliche Lage und der Schutz der Hohen Tauern bemerkbar: Die Winter sind kalt, die Sommer heiß und regenarm. Im waldreichen Kärnten gibt es viele Sägewerke, Zellulose- und Papierfabriken. Die Hauptorte Kärntens sind Klagenfurt und Villach. Die Hotels und Fremdenpensionen am Wörther und Millstädter See werden besonders im Sommer und Herbst gern von Fremden aufgesucht.”
(DIEDERICH 1975, S. 297)
Die Empfehlung von Diederich: Nehmt die Texte, wenn ihr sie schon einmal habt, wie sie sind und entwickelt mit den Schülerinnen und Schülern Fragen und Überprüfungen solcher Behauptungen:
Vor 21 Jahren habe ich einen solchen Austausch begleitet und eine empirische Studie dazu angefertigt, deren Ergebnis mich seinerzeit verblüffte, das ich aber gewissermaßen liegenließ, weil ich es nicht deuten konnte. Die Jugendlichen aus einer deutschen Stadt waren für 3 Wochen zu einem Austausch in Frankreich und kamen zurück mit oftmals sehr festsitzenden Klischees über "die" Franzosen. Sie waren nun der Meinung, ihr Urteil beruhe ja auf ganz konkreten Erfahrungen; sie wüßten nun aus eigener Anschauung, wie "die" Franzosen seien. Mittlerweile finde ich Bestätigung durch die Untersuchungen von Gottfried Keller (1970, 1978) über Austauschbeziehungen von nordhessischen Schulen mit englischen Partnerschulen, bei denen ebenfalls im Vergleich vorher-nachher ein Ansteigen der nationalen Vorurteile der Jugendlichen festgestellt wurde. Ich sehe eine (einigermaßen beruhigende) Erklärung für dieses Phänomen durch ein Modell der Entwicklungsstadien des interkulturellen Lernens von David S. Hoopes (1981):
Einen m.E. sehr hilfreichen Deutungsansatz zu diesem Phänomen, der auch deutliche Handlungsperspektiven in sich trägt, hat kürzlich Alexander Thomas vorgelegt. Er stellt der in der Praxis des Jugendaustausches noch vorherrschenden “Kontakthypothese” (bringt man Jugendliche aus verschiedenen Ländern zusammen, so wird sich schon aufgrund innerer Dynamik etwas Verbindendes ereignen) die Auffassung entgegen, daß mehr Möglichkeiten der gegenseitigen “Kategorisierung” als der Gesichtspunkt der Nationalität bestehen und aufgegriffen werden sollten, so daß dann das nationale Element in den Hintergrund treten könne:
“Kategorien, die nicht zur Erhöhung oder Bestätigung der eigenen Überlegenheit herangezogen werden, die also nicht dazu dienen können, den hohen Strellenwert der Eigengruppe zu betonen, die aber im sozialen Vergleichsprozeß von Bedeutung sind, erhöhen die Chance der Individualisierung der Fremdgruppenmitglieder. So könnten z.B. französische Jugendliche ihren deutschen Partnern von Schwierigkeiten in der Schule, von Zeugnisdruck und vom Umgang mit ihren Eltern und Lehrern berichten. Dies könnte unter Umständen dazu führen, daß die Kategorisierung ´wir Deutsche´ und ´die Franzosen´ aufgelöst wird und in eine Überschneidungskategorie ´Jugendliche mit Schulproblemen´ übergeht. In diesem Fall könnte allein die Erfahrung des ´gemeinsamen Schicksals´ (unter Schulstreß leiden) interaktions- und sympathiesteigernd wirken und damit eine neue Gruppenzugehörigkeit und Identitätsfeststellung begründen. [...] In internationalen Begegnungsprogrammen hat es sich als außerordentlich günstig zur Förderung des interkulturellen Lernens und interkulturellen Verstehens erwiesen, wenn die beteiligten Partner viele gemeinsame Merkmale aufweisen, die für sie wichtig sind [...].”Mehrere Versuche sind in der BRD seit den 70er Jahren unternommen worden, diesen internationalen und interkulturellen Jugendaustausch auf seine Substanz und seinen Ertrag hin zu analysieren. Hier ist vor allem die sog. Breitenbach-Studie zu nennen, deren wesentliches Ergebnis in der Erkenntnis zu sehen ist, daß Jugendaustausch mit mangelnder Professionalität durchgeführt wird.
(THOMAS 1994, S. 233)
Wer sich mit der Praxis des Jugendaustausches befaßt, ist nach wie vor mit diesem Problem ganz schnell konfrontiert und fragt sich, warum das alles verschwiegen wird, was an Banalität und Kontraproduktivität zu verzeichnen ist. Ich berichte aus dem Praktikumsbericht einer Studentin vor 2 Jahren. Sie hatte eine dreiwöchige Reise von deutschen Jugendlichen eines Sportvereins zu den französischen Partnern und Partnerinnen begleitet. Es gab keine Vorbereitung über das hinaus, was zur unmittelbaren Organisation gehörte. Neben den sportlichen Aktivitäten gab es ein kulturelles Beiprogramm, das sich als Pflichtprogramm darstellte, um die beantragten Fördermittel zu legitimieren. Die deutschen Jugendlichen hatten in französischen Familien leben sollen; bei der Ankunft in der Partnergemeinde wurde man jedoch dahingehend informiert, daß zu gleicher Zeit auch eine italienische Gruppe anwesend sei, und da man im letzten Jahr mit dieser schlechte Erfahrungen gemacht habe, habe man umdisponiert und diese italienischen Jugendlichen nicht mehr in einer Sporteinrichtung gemeinsam untergebracht, sondern in die Obhut und Kontrolle von Familien gegeben und traue nun den deutschen Jugendlichen zu, sich in dieser Sporthalle einzurichten. Deren Reaktion war Begeisterung, mußten sie nun doch nicht mehr fürchten, sich in bilateralen Beziehungen zu bewegen und französisch zu parlieren. Der Verständigungsgedanke war damit allerdings konterkariert Wenn heute der Jugendaustausch Normalität geworden ist, so sicher auch wegen seines touristischen Charakters (bei Befragungen von Jugendlichen über ihre Motive und Beweggründe zur Teilnahme an einem Austausch mußten wir in die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten aufgrund erster offener Zusatzantworten die Kategorie “Klamotten und anderes kaufen, was hier nicht auf dem Markt ist” mit aufnehmen).
Was nach dem verlorenen 2. Weltkrieg an Kontakten von deutschen Jugendlichen mit dem Ausland geschah, hatte für diese (und ihre Familien) sicherlich einen aufregenden Hintergrund und zugleich einen Auftrag: die für den Nationalsozialismus und seine Untaten nicht verantwortlichen Jugendlichen (später prägte Kohl dafür den Begriff von der “Gnade der späten Geburt”) waren die Sühnesendboten Deutschlands; an Stelle ihrer belasteten Väter sollten sie das neue Deutschland im Ausland repräsentieren. (Ich denke, dies gilt sowohl für die Bundesrepublik als auch die DDR mit ihren unterschiedlichen Auslandspartnern.) Der Zielkomplex Völkerverständigung lag dabei auf der Hand. Im Deutsch-Französischen-Jugendwerk gewinnt dieses eine große Dimension. Wenn man heute sieht, welchen Stellenwert das nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eingerichtete Deutsch-Polnische-Jugendwerk im Vergleich dazu einnimmt (etwa 8 % des Etats bei etwa 60 % der Bevölkerung und ungleich mehr deutscher Kriegsschuld) und welche Mühen die Appetenten für ein Deutsch-Türkisches-Jugendwerk haben, ein solches überhaupt einzurichten, wird deutlich, daß Verständigung nicht mehr das wesentliche Ziel des Jugendaustausches ist.
Wenn man nämlich in Betracht zieht, wieweit (West-)Europa inzwischen integriert ist, welche neue Qualität z.B. berufliche Mobilität gewonnen hat, so wird deutlich, daß der Jugendaustausch heute primär als Beitrag zur Befähigung der Lebensgestaltung in fremd-, inter- und/oder multikulturellen Kontexten zu sehen ist.
Lernorientierte Simulationen haben in der deutschen Didaktik vor gut 20 Jahren in anderen Zusammenhängen ihren Eingang gefunden und sind in vielerlei Varianten vorhanden, z.B. als vor allem Verhaltensmuster aufbauendes Rollenspiel und als strategisch und kognitiv ausgerichtetes Planspiel. Als wir vor etwa 5 Jahren das Fach Interkulturelle Didaktik aufbauten, haben wir solchen Simulationsspielen einen hohen Stellenwert zugemessen. Eigene frühere Erfahrungen aus anderen Kontexten, so der Lehreraus- und weiterbildung, ermunterten uns dazu. Ich hatte dabei wie manch anderer die Erwartung, daß Simulationsspiele geeignet sein könnten, Änderungen in Einstellungen und Verhalten zu bewirken.
“Clues and Challenges”, entwickelt bei “Youth for Understanding” ist ein prägnantes Beispiel für solche Simulationsspiele im Kontext des interkulturellen Lernens. Die Teilnehmenden erhalten in diesem Spiel jeweils in Gruppen eine zufällige Auswahl von kurzen Beschreibungen von Schlüsselreizen (“clues”) zu Kulturmerkmalen, die jeweils Grundkategorien von Kulturen als Kulturstandards ausprägen (z. B. zum Umgang mit Zeit, Mythologie). Aufgabe der Gruppen ist es nun, aus diesen Beschreibungen eine umfassendere Kulturvorstellung zu entwickeln und ein für diese gedachte Kultur typisches Spiel mit vorgegebenen Materialien (Bällen, Seilen und Stöcken) zu erfinden. Die Gruppen spielen ihre Inszenierungen einander vor; dies gibt Gelegenheit zum Erraten der Schlüsselreize und zur Diskussion über ihre Interpretation. In einer weiteren Herausforderung (“challenge”) werden die Gruppen gemischt; die Teilnehmenden erfahren nun die Veränderung von Kulturen, aber auch die Situation von Orientierungsbedarf in fremdkulturellen Kontexten; wiederum ist aus der nun gemischten Kultur ein typisches Spiel zu erfinden und vorzuführen. Große Bedeutung -wie überhaupt bei Simulationsspielen- kommt dem gemeinsamen Abschlußgespräch zu, in dem die Erfahrungen verarbeitet und auf allgemeine Einsichten über Kulturmerkmale und -standards bezogen werden sollen.
Beim Lernen in solchen Simulationsspielen geht es darum, probeweise eine Rolle einzunehmen und auszugestalten sowie Reaktionen darauf zu erfahren. Damit soll ein Perspektivenwechsel für die Teilnehmenden möglich werden, bis hin zur Erfahrung und Betrachtung von Mehrperspektivität.
Das Ergebnis unserer Spielversuche mit Studierenden und Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe zeigte auf, daß die Teilnehmenden sich der Aufgabe, eine Kultur zu skizzieren und ein für diese typisches Spiel in Szene zu setzen, oft unter Zuhilfenahme von Kulturklischees widmeten. Zumeist wurde eine idealisierte archaische Kultur gespielt, wie man sie sich vielleicht bei den Bewohnern der Nordwestküste Amerikas vor der Ankunft der Europäer vorstellt. Dies kann ein Hinweis darauf sein, daß jenseits unserer eigenen kulturellen Prägungen und Gewohnheiten wir ein allgemeines Muster von Kultur aufgebaut haben, das besonders viel Platz bietet für (unerfüllte) Wünsche nach Alternativen zu unserer eigenen kulturellen Praxis.
Diether Breitenbach (Hrsg.), Kommunikationsbarrieren in der internationalen Jugendarbeit. Saarbrücken (Breitenbach) 1979.
Jürgen Diederich, Analyse vorhandener Unterrichtsmaterialien. In: Karl Frey u.a. (Hrsg.), Curriculum-Handbuch, Band 2. München (Piper) 1975, S. 296-301.
Georg Forster, Reise um die Welt. Frankfurt a.M. (Insel) 1983.
Stephen Greenblatt, Wunderbare Besitztümer. Die Erfindung des Fremden: Reisende und Entdecker. Berlin (Wagenbach) 1994, Lizenzausgabe für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt.
Paul Herrmann, Das große Buch der Entdeckungen. Reutlingen (Ensslin
und Laiblin) 1958.
David S. Hoopes, Intercultural Communication Concepts and the Psychology
of Intercultural Experience. In: Margaret D. Pusch (ed.), Multicultural
Education; A Cross-Cultural Training Approach. Chicago, Ill. (Intercultural
Network) 1981, S. 9-38.
Gottfried Keller, Die Änderung kognitiver Urteilsstrukturen durch einen Auslandsaufenthalt. In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts, 1970, S. 352-374.
Gottfried Keller, Werden Vorurteile durch einen Schüleraustrauch
abgebaut?. In: Horst Arndt / Franz Rudolf Weller (Hrsg.), Schule und Forschung,
Schriftenreihe für Studium und Praxis.
Landeskunde und Fremdsprachenunterricht. Frankfurt a.M. 1978, S. 130-150.
Diego de Landa, Bericht aus Yucatàn. Leipzig (Reclam) 1990.
Alexander Thomas, Können interkulturelle Begegnungen Vorurteile verstärken? In: Alexander Thomas (Hrsg.), Psychologie und multikulturelle Gesellschaft. Göttingen / Stuttgart (Verlag für Angewandte Psychologie) 1994, S. 227-238.
Tzvetan Todorov, Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen. Frankfurt
a.M (Suhrkamp), 1985.