Wie hat man sich diese Schemata vorzustellen ? Eine Analogie möge uns weiterhelfen: Man stelle sich einen sehr sehr großen Schrank mit sehr sehr vielen in sich gefächerten Schubladen vor, die mit Etiketten versehen sind, auf denen die Bezeichnungen der Dinge stehen, die in die Schubladen bzw. Fächer einzuordnen sind. Schemata als etikettierte und gefächerte Schubladen, damit endet jedoch schon unsere Analogie, denn Schubladen sind relativ starre Gebilde, während Schemata sich entwickeln, anpassen, verändern und untereinander kommunizieren.
Hier hilft vielleicht eine andere Analogie weiter: Wir stellen uns unsere Schubladen als kleine Computer vor, auf deren Festplatten Wissen gespeichert und geordnet ist und die untereinander in Verbindung stehen. Wenn sie Wissen haben, das für andere Computer interessant sein könnte, reichen sie es an diese weiter, damit sie es mit ihren eigenen Schemata verknüpfen. Und wenn sie Probleme haben, eingehende Information zu interpretieren und zu verstehen, können sie bei anderen Computern zurückfragen. Jeder dieser Computer ist dann für Schemata einer bestimmten Art bzw. eines bestimmten Bereichs zuständig.
Schemata steuern aber nicht nur unsere Wahrnehmung und unsere Informationsverarbeitung, sondern auch unser Handeln. Als "klassisches" Beispiel für Schema-Anwendung wird in mehreren Publikationen das Schema für "Restaurant-Besuch" erwähnt. Es umfaßt eine Anzahl von Merkmalen, z. B. woran man Restaurants erkennt und von Bahnhöfen unterscheiden kann, es umfaßt aber auch Merkmale von Prozessen, die in Restaurants stattfinden, z. B. Speisekarte lesen, bestellen, konsumieren, Rechnung erbitten, bezahlen etc. Ein solches Restaurant-Schema steuert unsere Erwartungen und lenkt unsere Wahrnehmung, es steuert aber auch unsere Handlungen und Interaktionen. Das Schema wird von einem Kind zunächst vielleicht nur für den eigenen Dorfgasthof entwickelt und später auf eine große Vielfalt in- und ausländischer Restaurants ausdifferenziert. Dabei lernt man dann z. B., daß man in einigen Restaurants warten muß, bis man einen Platz zugewiesen bekommt, während man in anderen sich seinen Tisch selbst aussuchen kann.
In erster Annäherung können wir Schemata somit als Vernetzungen
einer begrenzten Menge von Leerstellen (auch als „slots", „default values",
„frames" oder „chunks" bezeichnet) betrachten, in die jedoch jeweils nur
eine bestimmte Art von Information "hineinpaßt". Schemata können
nicht nur Information aufnehmen, interpretieren und in Wissen "umwandeln".
Sie können auch als Instrumente systematischer Suche nach passender
Information funktionieren. Wenn ich beispielsweise die Vermutung habe,
daß dies ein Restaurant sein könnte, so suche ich vielleicht
nach einer Speisekarte im Aushang, um meine Vermutung zu prüfen.
Für Schemata allgemein oder aber auch für Schemata einer bestimmten Art werden auch Begriffe wie "Skripte", "Modelle", "Muster", "Szenarios", "Kontext-Moduln" oder "Prototypen" verwendet. Einen gewissen Konsens gibt es zwischen den verschiedenen Richtungen jedoch dahingehend, daß es sinnvoll ist, zwischen mehreren Stufen bzw. Ebenen der Schemabildung zu unterscheiden, wobei in bezug auf deren Anzahl unterschiedliche Aussagen gemacht werden. Allerdings gehen die meisten Autoren davon aus, daß zwischen diesen Ebenen und Stufen wie auch innerhalb Verbindungen und Vernetzungen bestehen, so daß Information sowohl von oben nach unten als auch von unten nach oben, aber auch zwischen Schemata der gleichen Stufe fließen und so zu Wissen werden kann.
Unter Bezugnahme auf andere Autoren führen MANDL u. a. 6 Merkmale an, die für Schemata charakteristisch sind:
"(1) Schemata sind kognitive Strukturen, in denen allgemeines Wissen im Gedächtnis repräsentiert ist. Das Wissen über typische Zusammenhänge in einem Realitätsbereich ist in Schemata organisiert. .....
(2) Schemata weisen Leerstellen auf, ..... die unterschiedliche Werte annehmen können: .....
(3) Schemata können ineinander eingebettet sein: .....
(4) Schemata enthalten sowohl episodisches als auch generisches Wissen: .....
(5) Schemata haben nicht nur eine Struktur-, sondern auch eine ausgeprägte Prozeßkomponente: .....
(6) Schemata repräsentieren Wissen unterschiedlichster Inhaltsbereiche: ...." (MANDL u. a., S. 125 f.)
Der hier verwendete Begriff der "Repräsentation" bzw. „Wissens-Repräsentation"
bedarf ebenfalls einer Erläuterung. Unter der "Repräsentation"
eines Ereignisses bzw. einer Ereignisfolge versteht man seine Abbildung
und Speicherung im menschlichen Gedächtnis. Die über die Sinnesorgane
empfangenen Informationen werden (mit Hilfe von Schemata) im Gehirn so
umgeformt (codiert), daß sie assimiliert, verstanden (interpretiert)
und gespeichert werden können. Speichermedium ist das menschliche
Gehirn, dessen Zellen in hochkomplexer Weise über Synapsen vernetzt
sind.
Das Schaubild zeigt ein Modell, das zwischen einer Ereignis-Ebene und vier Ebenen der Wissens-Repräsentation unterscheidet. Auf der Ereignis-Ebene erhalten Menschen aktuell Information, durch eigene Erfahrungen oder aber durch Erzählungen (im weiteren Sinne, d. h. auch über Medien sprachlich und bildlich vermittelte). Der in beide Richtungen weisende Pfeil besagt, daß Wahrnehmungsschemata die eingehende Information steuern wie umgekehrt eingehende Information wahrgenommen und zu den Ebenen der Wissens-Repräsentation weitergeleitet wird.
Die auf der ersten Repräsentationsebene der episodischen Repräsentation verfügbaren und relativ einfachen und konkrete Sachverhalte fassenden Schemata beziehen sich auf einfache Ereignisse, Wahrnehmungen und Tätigkeiten wie z. B. das Eingießen von Tee in eine Tasse. Sie sind sozusagen die erste Anlaufstelle für die eingehende Information. Wer entscheidet jedoch, welches der vielen Schemata auf dieser Ebene für die Repräsentation "zuständig" ist ? Wir müssen annehmen, daß diese Entscheidung von den oberen Repräsentationsebenen her erfolgt.
Auf der zweiten Repräsentationsebene der kategorischen Repräsentation finden sich dann abstraktere Schemata, die mit den Schemata "benachbarter" (höherer und niederer) Stufen verknüpft sind. Wenn wir unser Restaurant-Skript auf der ersten Ebene ansiedeln, dann könnte es auf der zweiten Repräsentationsebene beispielsweise mit abstrakteren Schemata wie "Gebäude", "Nahrungsaufnahme", "Dienstleistung" oder "Gütertausch/ Kauf/ Verkauf" verknüpft sein. Auch hier haben Schemata sowohl die Funktion von abstrakten Szenarios ("mental images", geistigen Bildern) als auch von handlungsleitenden Plänen ("plans", "propositions").
Die dritte Repräsentationsebene der "einfachen" kulturellen Modelle zeichnet sich dadurch aus, daß diese Schemata noch abstrakter und noch komplexer sind. Als "kulturelle Modelle" ("cultural models") werden sie bezeichnet, weil sie Bereiche kulturspezifischer Lebenswelten repräsentieren wie z. B. "Krankheit", "Eigentum" oder die in verschiedenen Kulturgemeinschaften nicht nur unterschiedliche empirische Ausformungen haben, sondern in diesen auch unterschiedlich interpretiert und mit unterschiedlichen Maßnahmen verknüpft werden.
Die vierte Repräsentationsebene der komplexen kulturellen Modelle schließlich zeichnet sich dadurch aus, daß auf ihr Werte und Normen, Menschenbilder und Weltbilder, Mythen und Lebensmuster in ganzheitlich-hochkomplexen Verbindungen die Schemata ausmachen. Modelle dieser Repräsentationsebene bilden somit den Bezugsrahmen, in den die einfachen und bereichsspezifischen kulturellen Modelle Schemata eingebettet sind, und die von da her "verstanden" werden können.
"Oberhalb" dieser vierten Repräsentationsebene weist unser Schaubild
noch auf die allen Menschen angeborenen Schemata hin. Dazu gehören
nicht nur Lidreflex und Sprachkompetenz, sondern auch Grundschemata wie
hell-dunkel, angenehm-unangenehm oder schnell-langsam. Insofern erlaubt
unser Modell noch weitere Hypothesen, die das "nature-nurture"-Problem
("was ist beim Menschen angeboren und was durch Erfahrung gelernt ?") in
ein neues Licht rücken. Zunächst, d.h. bei der Geburt oder schon
im vorgeburtlichen Zustand des Embryos, können Informationen nur mit
Hilfe der wenigen angeborenen Schemata verarbeitet und somit Erfahrungen
gemacht werden. Mit wachsender Lebenserfahrung und Wissensaneignung bilden
sich dann zunehmend mehr erlernte Schemata auf immer mehr Ebenen aus. Das
so entstehende mehrdimensionale und hochkomplexe Netz von Verknüpfungen
ist unsere geistige Persönlichkeit, die in den Synapsen des Hirns
seine physiologische Grundlage hat.
Auch QUINN & HOLLAND unterscheiden zwischen „representational" und „operational" knowledge, zwischen Deutungs- bzw. Erklärungswissen und Handlungs- bzw. Problemlösungswissen, zwischen „Modellen von der Welt" und „Modellen für die Welt" („models of" und „models for"): „Sometimes these cultural models serve to set goals for action, sometimes to plan the attainment of said goals, sometimes to direct the actualization of these goals, sometimes to make sense of the actions and fathom the goals of others, and sometimes to produce verbalizatios that may play various parts in all these projects as well as in the subsequent interpretation of what has happeneded" (a. a. O., S. 6 f.). Daß zwischen beiden Arten von Schemata bzw. beiden Arten von Wissen Beziehungen bestehen, ist im Schaubild durch gestrichelte Linien angedeutet. Daß zwischen Erkennen und Handeln, zwischen Moralvorstellungen und Moralverhalten oder zwischen Gesellschaftstheorien und sozialem Verhalten keine eindeutigen und konsequenten Beziehungen bestehen, weist auf Probleme hin, die in der Geschichte der Philosophie eine lange Tradition haben.
Wir haben es jedoch bei dieser Unterscheidung zwischen erklärungs-
und handlungssteuernden Funktionen von Schemata mit einer sehr viel grundsätzlicheren
Grundentscheidung zu tun, nämlich mit der kulturellen Bedingtheit
dieser Unterscheidung selbst. Ist die Unterscheidung zwischen Erkennen
und Handeln nicht selbst Ausdruck eines dualistischen Weltbildes, das charakteristisch
für westlich-abendländisches Denken ist, eines Dualismus, der
auch in anderen kulturellen Modellen dieser Tradition seinen Niederschlag
findet: Leib-Seele, Materie-Geist, Subjekt-Objekt, Form-Inhalt, Ursache-Wir-kung,
Zweck-Mittel? Wenn Wissenschaftler über die kulturelle Bedingtheit
von Schemata nachdenken, müssen sie dabei notwendigerweise auch an
die von ihnen selbst entwickelten oder verwendeten Modelle und Theorien
denken, denn auch bei ihnen handelt es sich letztlich um kulturelle Modelle,
auch dann, wenn deren Autoren von deren Allgemeingültigkeit überzeugt
sind.
"Cultural models are presupposed, taken-for-granted models of the world that are widely shared (although not necessarily to the exclusion of other, alternative models) by the members of a society and that play an enormous role in their understanding of that world and their behavior in it" (QUINN & HOLLAND, a. a. O., S. 4). Was für "kulturelle Modelle" - in unserem Schaubild sind es die Repräsentationsebenen 3 und 4 - gilt, gilt für alle Schemata:
Zum ersten Punkt: Gesellschaften, vor allem moderne Gesellschaften, sind nicht mehr homogen, sondern haben sich nach einer Vielzahl von Aspekten (regional, generationsmäßig, professionell, religiös etc.) kulturell ausdifferenziert. Sie bestehen somit aus einer Vielzahl von "Kulturgemeinschaften", von denen einzelne gesellschaftsübergreifend sind (europäische Kultur, Weltkultur, Religionsgemeinschaften etc.). Und jedes Mitglied dieser Gesellschaften kann zugleich mehreren dieser Kulturgemeinschaften gegenüber Zugehörigkeit empfinden und/oder sich ihnen zuordnen.
Zum zweiten Punkt, den kulturellen Selbstverständlichkeiten: Als selbstverständlich werden diese solange empfunden, solange Menschen nicht mit Alternativen konfrontiert werden. Geschieht dies jedoch, so werden diese alternativen Deutungsmuster und Verhaltensweisen zunächst als "fremd" wahrgenommen. Gleichzeitig wird das Bewußtsein dafür entwickelt, daß das Selbstverständliche das "Eigene" ist. In der Regel geschieht dies durch Kulturkontrast-Erfahrungen in Begegnungen mit Mitgliedern anderer Kulturgemeinschaften (der eigenen Gesellschaft oder aus anderen Gesellschaften). Was den Charakter solcher Kulturkontrast-Erfahrungen, im besonderen deren emotionale Aspekte anbelangt, so reichen diese von Neugier und Imitationsversuchen über Verstörungen und Überbetonung, von Differenz bis hin zum sogenannten "Kulturschock".
Zum dritten Punkt, der zentralen Bedeutung kultureller Modelle für
das Weltverstehen und das Verhalten bzw. Handeln in der Welt. Hier geht
es um kulturelle Grundorientierungen, die sich im besonderen auf den Umgang
mit Zeit und Raum, mit der Natur und mit sozialer Organisation, mit Transzendalität
und mit Vorstellungen von dem, was wir „Selbst" nennen, beziehen. Sie finden
sich angelegt als komplexes System kultureller Schemata, die sich jeder
Mensch im Laufe seines Lebens aneignet und mit denen er seine Beziehungen
zur natürlichen und sozio-kulturellen Außenwelt gestaltet.
Was den Aspekt "Schemata als Voraussetzung von Wissenserwerb" anbelangt, so kann Information, die nicht interpretiert werden kann, auch nicht assimiliert und damit nicht verstanden werden. Sie kann nicht zu Wissen werden, das im Gedächtnis gespeichert wird. Was den zweiten Aspekt "Schemata als Ergebnis von Wissenserwerb" anbelangt, so ist festzustellen, daß Schemata nicht gebildet, entwickelt und verändert werden, wenn entsprechende Information fehlt. Es handelt sich also um einen Wechselprozeß, bei dem eingehende Information durch Schemata interpretiert und verstanden wird, bei dem gleichzeitig vorhandene Schemata verstärkt und verändert werden können.
Durch diesen Wechselprozeß werden zugleich vorhandene Schemata bestätigt und verstärkt, indem sozusagen neue Belege für die Zweckmäßigkeit eines vorhandenen Schemas eingehen. Dieser Prozeß wird auch als "Wissenszuwachs" (accretion) bezeichnet. "Wissenszuwachs ist ein assimilativer Prozeß, bei dem das Schema, unter das neue Information subsumiert wird, selbst nicht verändert wird" (MANDL U. A., a. a. O., S. 127).
Feinabstimmung (tuning) ist demgegenüber "jene Lernform, bei der ein Schema kleinere Änderungen erfährt, um seine Anwendbarkeit zu optimieren. ..... (sie) kann zur Generalisierung oder Differenzierung eines bestehenden Schemas führen, indem die Wertebereiche von Variablen dieses Schemas erweitert oder eingeschränkt werden. Metaphorische Erweiterung von Schemata ..... und Lernen durch Analogiebildung sind ..... Formen der Feinabstimmung" (MANDL U. A., a. a. O., S. 128).
Die Umstrukturierung von Schemata (restructuring) kann auf zweierlei
Weise geschehen, durch Schemainduktion und durch Mustervergleich. Schemainduktion
findet dann statt, wenn Menschen (oder Computerprogramme) bei Ereignisabfolgen
Regelmäßigkeiten feststellen und so ein Schema bilden, das die
beobachteten Merkmale zu Variablen abstrahiert und auch die Beziehungen
zwischen diesen Variablen abbildet. Beim Mustervergleich wird neue Information
mit Hilfe eines bereits vorhandenen Schemas erfaßt, wobei die übereinstimmenden
Elemente dieses Schemas beibehalten werden, während es in bezug auf
die abweichenden Elemente modifiziert wird. MANDL. U. A. weisen unter Bezugnahme
auf Rumelhart & Nelson darauf hin, daß es sich bei der Umstrukturierung
um relativ seltene und langfristige Prozesse handelt (a. a. O., S. 127
f.), ein auch für interkulturelles Lernen wichtiger Befund.
Die Passung von neuer Information zu vorhandenen Schemata besagt aber lediglich, daß sie individuell verfügbar sind, nicht aber, daß sie mit kollektiven Vorstellungen der eigenen Kulturgemeinschaft oder denen anderer Kulturgemeinschaften, im besonderen deren "Selbstbild", übereinstimmen. Wie aus Untersuchungen im Zusammenhang sogenannter "Nationalstereotype" hervorgeht, können auch solche Schemata wahrnehmungs- und handlungssteuernd sein, die eher mit Feindbildern als mit den Selbstbildern anderer Kulturgemeinschaften verknüpft sind. Aber auch durchaus wohlwollende "Erzählungen" von (positiven) Nationaleigenschaften anderer ändern an dieser Grundsituation wenig. Sie können die Repräsentationsebenen 3 und 4, also die Ebenen der einfachen und komplexen kulturellen Modelle nicht erreichen, sondern bilden allenfalls auf der Repräsentationsebene 2 konkurrierende generische Schemata, die dann wiederum mit den auf den Ebenen 3 und 4 vorhandenen kulturellen Modellen eigener Kultur in Beziehung gesetzt und interpretiert werden. Sofern solche generischen Schemata fremder Nationen in Form von Eigenschafts-Schemata vom anderen Kollektiv gebildet werden und nicht in Form von Beziehungs-Schemata zwischen eigenem und anderem, können sie eher kontraproduktiv wirken, weil später zusätzliche Lernzeit für ihren Abbau erforderlich ist.
Auf der Ebene episodischer und generischer Schemata findet interkulturelles
Lernen dann statt, wenn bereits entsprechende episodische oder generische
Schemata verfügbar sind, die in einer anderen Kulturgemeinschaft gelten
(z. B. für Handeln im Bazar). In diesem Fall kann die Information,
die durch jedes weitere Ereignis der entsprechenden Kategorie gewonnen
wird, zur Verstärkung und Bestätigung des vorhandenen Schemas
führen. Auf der Ebene einfacher und komplexer kultureller Modelle
sollte man eher mißtrauisch sein, wenn zu häufig Erfahrungen
der Bestätigung von Schemata gemacht werden. Es könnte dann sein,
daß man in die Falle der Stereotypenbildung geraten ist.
Die nun neu aufgenommene Information kann auf die nächste Repräsentationsebene weitergeleitet und mit dieser verknüpft werden, auf der sich beispielsweise ein einfaches kulturelles Modell "englisches Verkehrssystem" entwickelt, das vielleicht bereits mit anderen generischen Schemata wie "Fahrkartenkauf", "Fahrplanlesen" oder "Schlangestehen" verknüpft ist. Hier könnte man nun die Frage stellen, ob dieses kulturelle Modell dem "der" Engländer entspricht, oder ob es eines (von Deutschen) "über" die Engländer ist. Unseren bisherigen Überlegungen zufolge ist diese Frage nicht sinnvoll zu stellen, denn kognitive Schemata sind stets Schemata in den Köpfen von Individuen. Welche davon von Mitgliedern einer Kulturgemeinschaft geteilt werden, ist letztlich eine Frage der Empirie und der Statistik.
Auch für die metaphorische Erweiterung und Analogiebildung lassen
sich Beispiele im Bereich interkulturellen Lernens finden. Eine Reihe von
Analogien, die wir in unserer eigenen Kultur antreffen, sind auch in anderen
Kulturgemeinschaften verfügbar. Dazu gehören im besonderen Vergleiche
mit dem menschlichen Körper (Kopf, Herz, Hand), mit Pflanzenwachstum
(Samenkorn, Stamm, Zweige, Blüten etc.), mit Gestirnen (Sonne, Mond
etc.), mit Jahreszeiten oder mit menschlichen Tätigkeiten (Jagen,
Bauen, Fischen, Richten, Kriegführen etc.).
Dabei generieren induktive Inferenzen ausgehend von Einzelaussagen (oder Einzelerfahrungen) allgemeine Aussagen, d. h. zunächst episodische Schemata (Skripte). Im Zusammenhang interkulturellen Lernens ist dies z. B. der Fall, wenn man ein einheimisches Wort und damit einen neuen Begriff für eine bis dahin unbekannte Frucht erlernt, den man nun auf jeden Einzelfall anwenden kann, bei dem diese Frucht eine Rolle spielt. Oder wenn man lernt, mit einem neuen kulturspezifischen Werkzeug umzugehen, z. B. mit Stäbchen als Eßwerkzeug, und dieses episodische Handlungsschema künftig so beherrscht, daß man es routinemäßig anwenden kann.
Um deduktive Inferenzen handelt es sich, wenn Schlußfolgerungen von einer allgemeinen Aussage auf einen Einzelfall gezogen werden. Bezogen auf interkulturelles Lernen heißt dies beispielsweise: wenn jemand z. B. das generative Schema gelernt hat, daß in einem bestimmten kulturellen Kontext Körperkontakt zwischen Menschen unterschiedlichen sozialen Rangs zu vermeiden ist und wenn er gleichzeitig weiß, daß in diesem Kontext ältere Menschen grundsätzlich einen höheren sozialen Rang haben als jüngere, dann kann er schlußfolgern, daß dort zwischen älteren und jüngeren Menschen Körperkontakte zu vermeiden sind, entsprechende singuläre Ereignisse also nicht erwartet werden dürfen bzw. eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit haben.
Analoge Schlüsse "zählen zu den komplexen Inferenzen. Sie gelten als effektive Methode zur Nutzung vorhandenen Wissens für die Erschließung und Bewältigung neuer bzw. nur partiell bekannter Realitätsbereiche. ..... Im Unterschied zur Induktion fordert analoges Schließen nicht, eine Menge beobachteter oder konstatierter Einzelfälle zu verallgemeinern, sondern ein Ähnlichkeitsurteil über zwei Strukturpaare zu treffen bzw. diese Ähnlichkeit herzustellen" (VAN DER MEER, a. a. O., S. 237).
Beispiele für Schemabildung durch analoges Schlußfolgern kennen wir vor allem aus der Entwicklungsgeschichte von Kultur und Technik. Der Wechsel vom Scheiben-Schema der Erde zum Kugel-Schema der Erde hat die frühen Seefahrer zu der analogen Schlußfolgerung geführt: Wenn die Erde eine Kugel ist und ich fahre nach Westen, dann muß ich vom Osten her wieder zurückkommen (und umgekehrt).
Im Zusammenhang interkulturellen Lernens sind analoge Schlüsse jedoch eher Quellen für Fehlinterpretationen, dann nämlich, wenn Analogieschlüsse von Schemata, die für den eigenen kulturellen Kontext gelten, auf fremde kulturelle Kontexte bezogen werden. So darf man beispielsweise aus der Tatsache, daß Menschen in einem fremden kulturellen Kontext vermeiden, "nein" zu sagen, nicht - durch Anwendung von Analogien aus dem eigenen kulturellen Kontext - folgern, daß diese der eigenen Auffassung zustimmen. Solches Verhalten kann durch kulturelle Modelle bestimmt sein, in denen "Höflichkeit" einen höheren Wert hat als "Ehrlichkeit". In diesem Falle ist die Verwendung von (generischen) Schemata der gleichen Repräsentationsebene unzulässig. Es bedarf vielmehr einer Interpretation mit Hilfe von kulturellen Modellen der oberen Repräsentationsebenen. Wenn man so will, besteht ein wesentliches Element interkultureller Kompetenz darin, bei der Aneignung von Wissenselementen aus fremden kulturellen Kontexten voreilige Analogien zu Schemata zu vermeiden, die für den eigenen kulturellen Kontext gelten und stattdessen zu versuchen, durch Anwendung von Schemata der oberen Repräsentationsebenen solches Verhalten zutreffender zu interpretieren.
Im besonderen gilt solche Vorsicht auch für vergleichende empirische
Untersuchungen, bei denen Fragebogen verwendet werden, die auf kulturspezifische
Sachverhalte (z. B. "Familienbeziehungen") bezogen sind, die in unterschiedlichen
kulturellen Kontexten mit dem gleichen Begriff (z. B. "Familie") unterschiedliche
Schemata verknüpfen. In diesem Falle kann die Verwendung des gleichen
oder ähnlichen Begriffs zu falschen Analogiebildungen (und entsprechend
falschen Ergebnissen) führen.
Könnte es daher sinnvoll sein, eine fünfte Ebene der Wisssensrepräsentation einzuführen, die es erlaubt, kulturelle Modelle der Repräsentationsebenen 3 und 4 sozusagen "von oben her" zu entwickeln ? Wenn ja, um welche Schemata müßte es sich dabei handeln ?
Eine erste Überlegung geht dahin, auf dieser fünften Repräsentationsebene kultur-theoretische Schemata anzusiedeln, wie sie beispielsweise von KLUCKHOHN & STRODT- BECK, von MURDOCK, von HOFSTEDE, von HALL und von THOMPSON angeboten werden. In diesen kulturtheoretischen Schemata finden wir Systeme von Kategorien, denen die Autoren die Eigenschaft zuschreiben, auf prinzipiell alle Kulturen anwendbar zu sein. Kategorien der Art wären dann etwa: „Umgang mit Raum", „Umgang mit Zeit", „Umgang mit grundlegenden Sozialbeziehungen", „Umgang mit übernatürlichen Erscheinungen" oder „Umgang mit der Natur". In unserem Falle würde dies die Behauptung einschließen, daß kulturelle Modelle durch diese Schemata und Kategorien der 5. Ebene interpretierbar sind und daß die Kenntnis dieser Kategorien zur Entwicklung von kulturellen Modellen führen kann.
Die Konsequenzen für Methoden interkulturellen Lernens wären erheblich: Die Vermittlung kulturtheoretischer Schemata müßte eine wesentliche Komponente entsprechender Bildungsmaßnahmen sein.
Andererseits würde dies - ausgesprochen oder unausgesprochen -
auf eine "etische" Position der Kulturbetrachtung hinauslaufen. Dies wäre
jedoch kein zusätzliches Problem, denn die Annahme, daß Menschen
außer den Schemata ihrer eigenen, auch noch die anderer Kulturen
erlernen können, läuft ohnehin auf eine etische Position hinaus,
während bekanntlich Vertreter fundamental emischer Positionen davon
ausgehen, daß "das andere" letztlich nicht verstanden werden kann,
ja daß jeder Aneignungsversuch als eine Art imperialistischer Akt
zu werten ist.
1. Es gilt zu akzeptieren, daß die Aneignung neuer und bis dahin fremder Schemata stets auf der Grundlage vorhandener eigener Schemata stattfindet, die durch die eigene Enkulturation gebildet wurden. Fremdes wird auf dem Hintergrund von Eigenem angeeignet. Es ist daher nicht sinnvoll, vorhandene Schemata als "Vorurteile" zu diffamieren. Vielmehr gilt es, sie als notwendige Voraussetzungen und Anknüpfungspunkte für die Entwicklung interkultureller Kompetenz zu akzeptieren.
2. Länderunspezifisches interkulturelles Training macht in zweierlei Hinsicht Sinn: einerseits führt es zur Erweiterung und Ausdifferenzierung von Schemata auf allen Repräsentationsebenen und bildet somit eine breite Grundlage für weitere länder- und kulturspezifische Schemata. Zum anderen aber bildet es die Grundlage für die Entwicklung neuer "transkultureller" Schemata.
3. Die Entwicklung und Erweiterung von Schemata wird nicht nur über eigene Erfahrungen, sondern auch über "Erzählungen" vermittelt. Die Einbeziehung von Fallbeschreibungen, von kritischen Ereignissen anderer und von landes- und kulturkundlichen Informationen stellt deshalb eine wichtige Ergänzung zu realen und simulierten Erfahrungen (Kontrasterfahrungen, Fremderfahrungen, Interaktionserfahrungen) dar.
4. Schematheorie spricht dafür, daß Prozesse der Reflexion, im besonderen der kulturellen Selbstreflexion, Sinn machen, denn erst jenseits unserer durch Akkulturation und Sozialisation und Erziehung erworbenen kulturellen Selbstverständlichkeiten kann interkulturelles Lernen stattfinden. Ohne die Bewußtmachung eigener kultureller Schemata kann die Einsicht nicht vermittelt werden, daß die Vorstellung vom "Fremden" sich nicht auf Eigenschaften anderer beziehen, sondern auf Beziehungsverhältnisse von Eigenem und Fremdem. Die Entdeckung und Bewußtmachung der eigenen Schemata, im besonderen auch der eigenen kulturellen Modelle, durch geeignete Methoden ist für interkulturelle Trainings unabdingbar.
5. Es erscheint nützlich, schematheoretische (ebenso wie kulturtheoretische) Erkenntnisse in geeigneter Form selbst zum Thema von interkulturellen Trainings zu machen. Sie bilden ein Reflexionspotential zur Interpretation eigener und fremder kultureller Modelle sowie zur Interpretation eigener Lerntätigkeit.
6. Schema-Theorie hebt den Umstand hervor, daß es letztlich die in den Köpfen von Einzelpersonen verfügbaren Formen kulturspezifischer und individueller Wissensrepräsentation sind, welche die Qualität von Kulturkontakten beeinflussen. Schemata, die Kollektiveigenschaften ("Kulturstandards") zum Inhalt haben, sind - und nur wenn sie eine seriöse empirisch-statistische Grundlage haben - für die Interpretation individueller kognitiver Strukturen stets nur als generative Schemata in den Köpfen von Individuen (als Selbstbilder oder Fremdbilder) wirksam, haben aber keineswegs die Qualität kultureller Modelle.
7. Die von der Schematheorie betonte Unterscheidung von Wahrnehmungs-Schemata
und Handlungs-Schemata hat für interkulturelles Training in zweierlei
Hinsicht Bedeutung: Zum einen macht sie deutlich, daß mit der Aneignung
von Schemata zur Wahrnehmung und zum Verstehen kulturverschiedenen Verhaltens
nicht automatisch eigene Schemata für eigenes Verhalten in kulturverschiedenen
Kontexten verbunden ist. Zum anderen weist sie auf Wechselbeziehungen zwischen
"deklarativem" und "proceduralem" Wissen hin und damit auf die Notwendigkeit,
im interkulturellen Training jeweils beide Aspekte zu berücksichtigen,
wie dies im besonderen bei Simulationen der Fall ist.
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