Kulturelles, interkulturelles und transkulturelles Lernen als Aneignung
kultureller Skripte
Inhalt:
Der Begriff "kulturelle Skripte" ("cultural scripts") wurde von Schank
& Childers (1984) im Rahmen der Erforschung künstlicher Intelligenz
entwickelt. Kulturelle Skripte sind Wissensstrukturen, die aus kulturtypischen
Assoziationen zu einer Situation bzw. Tätigkeit gebildet werden und
"Fertigpackungen" von
-
Erwartungen (in bezug auf das, was passieren wird),
-
Schlußfolgerungen (wenn - dann - Verknüpfungen) und
-
Wissenselementen enthalten, die in Alltagssituationen als Einheit verfügbar
sind, "wie eine Handlungsanweisung ohne ausgefüllte Details".
Skripte sind mentale Repräsentationen (Modelle, Schemata) der ursächlich
verknüpften Tätigkeiten, Anhaltspunkte und Rollen, die in häufig
auftretenden Situationen vorkommen.
Skripte haben drei Funktionen in kognitiven Prozessen:
-
Speicherung,
-
Verständnis und
-
Wiedererinnerung.
Wie die folgende Definition zeigt, sind (nach Schank & Abelson) Skripte
Bausteine unseres Alltagsverständnisses. Sie sind standardisierte
Abfolgen von Ereignissen, die sich in unser Verständnis von häufig
wiederkehrenden Ereignissen einpassen. Sie werden demnach aus Alltagsroutinen
abgeleitet.
"In näherungsweiser Definition ist ein Skript eine stereotypisierte
Ereignisfolge, die einer Person vertraut ist. In dieser Definition sind
zwei wichtige Quellen der Einschränkung enthalten. Zum einen ist dies
die Annahme einer Ereignisfolge. Dies impliziert eine kausale Verknüpfung
von Bedingungen und Folgen von physikalischen Ereignissen auf der einen
mit Initiationen und Gründen für mentale Ereignisse auf der anderen
Seite. ..... Die andere Einschränkung ergibt sich aus den Ideen
von Stereotypie und Vertrautheit. Die Tatsache, daß eine Ereignisfolge
stereotypisiert wird, impliziert das Fehlen zufälliger Ereignisse.
Außerdem impliziert die häufige Wiederholung von Ereignissen,
daß es eine Menge individueller und institutioneller Zielsetzungen
gibt, welche die Wiederholung bedingen" (a. a. O., S. 3).
Als Beispiel wird gern das sogenannte "Restaurant-Manuskript" genannt.
Mit Hilfe des folgenden Formulars lassen sich solche Skripte rekonstruieren:
-
Skript für: (z. B. Restaurantbesuch),
-
Typus: (z. B. Selbstbedienungsrestaurant),
-
Anhaltspunkte: (z. B. Tische, Speisekarte, Essen, Rechnung, Geld etc.),
-
Rollen: (z. B. Kellner, Koch, Kunde, Besitzer),
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Eingangssituation: (z. B. Kunde ist hungrig und hat Geld),
-
Ergebnis: (z. B. Kunde hat Hunger gestillt und weniger Geld, Besitzer hat
mehr Geld),
-
Handlungsabläufe: (z. B. betreten, bestellen, essen, bezahlen, verlassen).
Um letztere weiter zu differenzieren, empfiehlt es sich auf weitere Theorieansätze
zurückzugreifen, die in eine ähnliche Richtung gehen und die
- zwar in veränderter Begrifflichkeit, jedoch in gleicher Richtung
- diese Vorstellung stützen. Hierzu gehören
-
der von Quinn & Holland entwickelte Begriff des "kulturellen Modells",
-
der Begriff des Kontextmoduls, wie er beispielsweise von Carl Bereiter
entwickelt wurde,
-
der Begriff des "Schemas" (Mandl u. a. 1988),
-
und Theorien "eingebetteten" oder "situierten" Lernens (Brown u. a. 1989).
Die Gemeinsamkeit dieser Ansätze ist darin zu sehen, daß sie
ausgehen von der Idee kognitiver Komplexität bzw. kognitiver Komplexe:
Insofern setzen sie sich ab, von mikrostrukturellen Reiz-Reaktions-Ketten
einerseits und von bloßem Begriffslernen andererseits.
Interpretiert man kulturelle Skripte als "Kontextmoduln" nach Bereiter
(1990), so können sie verschiedene Wissens- und Handlungsbezüge
haben, im besonderen
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zielbezogene (wie man zu einer Wohnung kommt),
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themenbezogene (wie man über Arbeitslosigkeit redet),
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rollenbezogene (wie man sich als Lehrer im Klassenraum verhält),
-
werkzeugbezogene (wie man mit einem Hammer umgeht),
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ortsbezogene (wie man sich auf einem Friedhof verhält),
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institutionenbezogene (wie man sich in einer Behörde verhält),
-
personenbezogene (wie man sich Tante Berta gegenüber verhält),
-
verfahrensbezogene Skripte (wie man die Zähne putzt),
-
affektbezogene Skripte (wie man sich im Zorn verhält).
Dabei bildet dann jeweils einer dieser Bezüge den Schwerpunkt oder
Einstiegspunkt, von dem her sich die jeweils anderen erschließen,
die im gleichen Skript ebenfalls enthalten sind oder aber enthalten sein
können.
Kulturelle Skripte können spezifischeren oder allgemeineren Charakter
haben, d.h. sie können sich auf sehr spezifische Ereignisbereiche
und Situationen beziehen oder auf eine ganze Klasse. Im letzteren Falle
ermöglichen sie es, neue Situationen, deren Ähnlichkeit vermutet
wird, zu verstehen und entsprechende Handlungspläne zu entwerfen.
Kulturelle Skripte schweben jedoch nicht unverbunden nebeneinander im
gesellschaftlich-kulturellen Vakuum, sondern sind eingebettet in übergeordnete
Einheiten, die gelegentlich als "Weltbilder" und "Lebensstile" bezeichnet
werden. Sie heben sich also als "Figuren" vor einem "Hintergrund" ab, wobei
dieser tragende Hintergrund zugleich die Bedingung für Sinngebung
und Verstehen ist. Diese Erkenntnis wurde in neuerer Zeit vor allem im
Zusammenhang mit der Entwicklung von Expertensystemen und künstlicher
Intelligenz bestätigt. Computer lassen sich mit hochkomplexen Skripten
programmieren, die jedoch nur in jeweils eng vorgegebenen Kontexten funktionieren.
So würde ein Expertensystem zur Flugzeugerkennung zu Fehlschlüssen
gelangen, wenn es mit einem durch die Luft geschleuderten Bohrturm konfrontiert
wäre. Offensichtlich ist jeweils Hintergrundwissen erforderlich, um
feststellen zu können, "was überhaupt läuft".
Zu ganz ähnlichen Fehlschlüssen würde ein Marsmensch
gelangen, der auf die Erde käme mit dem Programm, das Paarungsverhalten
von Menschen zu untersuchen und in eine Apotheke geriete. Wenn man kulturelle
Skripte als Routinen bezeichnet, so kann man solches Hintergrundwissen,
mit dessen Hilfe man herausfindet, "was da läuft", als Metaroutinen
bzw. Heuristiken bezeichnen. Im Zusammenhang interkulturellen Lernens kommt
dem Aufbau solchen Hintergrundwissens ebensolche Bedeutung zu wie den kulturellen
Skripten selbst.
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Der Begriff des "kulturellen" Skripts erlaubt es, die in Erziehungs-, Sozialisations-
und Enkulturationstheorien enthaltenen Makro-Konzepte menschlicher Kultur-Aneignung
und Personwerdung auf der Meso-Ebene zu konkretisieren und zu operationalisieren.
Im besonderen ermöglicht er eine Beschreibung der kulturspezifischen
Angebote auf der einen und der von Individuen ausgewählten, in sein
Wissen integrierten und ggf. modifizierten Muster und Schemata.
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Der Begriff des "kulturellen Skripts" erleichtert aber auch die Entscheidung
darüber, welche der vielen psychologischen Lerntheorien sinnvoll zur
Begründung interkulturell-didaktischer Praxis herangezogen werden
sollten. Bereiter hat dies mit der Frage verbunden "Wieviel Außenwelt
sollte in pädagogischen Lerntheorien enthalten sein?" Damit wendet
er sich gegen inhaltsleere bzw. inhaltsbeliebige Lerntheorien, die davon
absehen, was unter welchen Bedingungen auf welche Weise und zu welchem
Zweck gelernt wird. Gefragt sind demgegenüber Lerntheorien, die auch
Aussagen über (kulturspezifisches) Wissen und (kulturspezifische)
Wissensstrukturen sowie über (kulturspezifische) Erwartungs- und Handlungsmuster
erlauben.
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Der Begriff des "kulturellen Skripts" ist in besonderer Weise geeignet,
die Praxis kulturellen, interkulturellen und transkulturellen Lernens zu
gestalten. Im besonderen geht es dabei um die Entscheidung, welche der
vielen verfügbaren Trainingsmethoden und Trainingsinstrumente an welcher
Stelle zur Unterstützung welcher Phasen des Entwicklungs- und Lernprozesses
geeignet sind.
An diese dritte Begründung knüpfen sich die folgenden Überlegungen
an.
Kinder werden in einen kulturellen Kontext hineingeboren und erlernen dort
ihre ersten kulturellen Skripte, z.B. wie Vater und Mutter miteinander
umgehen, wie man mit Messer und Gabel ißt oder wie man Konflikte
mit Geschwistern löst. Diese kulturellen Skripte haben eine wichtige
Entlastungsfunktion, denn man braucht nicht in jeder Situation immer wieder
neue Interpretations- und Verhaltensmuster zu entwickeln - was ohnehin
nicht geleistet werden könnte - sondern man kann so auf Routinen zurückgreifen.
Da sich mit den Ereignissen, in denen die Routinen jeweils angewandt (und
ggf. leicht abgewandelt) werden, immer auch mannigfaches Hintergrundwissen
aufbaut, wird zugleich gelernt, Situationen daraufhin zu interpretieren,
welche Routinen / Skripte sinnvollerweise angesagt sind ("Meta-Routinen").
Und schließlich baut sich allmählich ein "Weltbild" auf, ein
kultureller Bezugsrahmen, der es erlaubt, Ereignisse und Routinen, Hintergrundwissen
und Meta-Routinen zu ordnen.
Diese Routinen, Meta-Routinen und Weltbilder werden zunächst als
"kulturelle Selbstverständlichkeiten" behandelt und entziehen sich
weitgehend dem Bewußtsein. Bewußt werden sie in der Regel erst,
wenn Kontrasterfahrungen gemacht werden, d.h. wenn eine Person feststellt,
daß sie oder andere mit den erlernten kulturellen Skripten nicht
mehr weiterkommt.
Dies erzeugt oft Verhaltensunsicherheit mit entsprechenden emotionalen
Begleitumständen (Unsicherheit, Angst, aggressive Abwehr etc.).
Bei dieser Kontrast- und Konflikterfahrung geht es nun nicht einfach
darum, neue kulturelle Skripte zu erlernen. Es geht gleichzeitig auch darum
zu lernen, daß es eigene und "fremde" Skripte gibt, daß also
die "eigenen" nicht allgemeingültig sind, sondern daß sie ihre
Gültigkeit nur in bestimmten Kontexten haben, nichtsdestoweniger aber
dort ihre Gültigkeit besitzen. Es entsteht das Bewußtsein von
kultureller Identität, genauer, kulturelle Identität wird so
von der selbstverständlich er- und gelebten kulturellen Praxis zur
einer bewußten.
Nun entstehen in der modernen Lebenswelt zahlreiche Situationen, in
denen solche Kontrasterfahrungen sozusagen "naturwüchsig" zustandekommen,
bei Begegnungen mit Ausländern im eigenen Land, bei Ferienaufenthalten
im Ausland, oder auch durch Vermittlung der Massenmedien. Wie weit
dabei Prozesse kulturellen Lernens stattfinden oder (emotional) abgewehrt
werden, hängt vom Einzelfall ab.
Dieser Prozeß kulturellen Lernens kann nun durch Trainingsmethoden
unterstützt werden, die Kulturkontrasterfahrungen vermitteln und deren
emotionale und kognitive Verarbeitung sichern. Dazu gehören
-
Erzeugung und Diskussion von "kritischen" Kontrastereignissen ("critical
incidents"),
-
Kulturfragebogen als Instrumente kultureller "Selbstbefragung",
-
Kulturkontrast-Übungen (bei denen "kulturelle Antipoden" konstruiert
werden) oder
-
Erkundungen von Situationen der eigenen Lebenswelt auf der Grundlage "falscher"
Skripte ("Verfremdungs-Übungen").
Als zentrale Aufgabe interkulturellen Trainings gilt wohl nach wie vor
die Aneignung neuer kultureller Skripte, die in kulturell unterschiedlichen
Kontexten Gültigkeit besitzen. Im einfachen Falle geht es dabei um
neue Skripte des Begrüßens und der "Etikette", die Respekt vor
und Akzeptanz von anderen Lebensgewohnheiten ebenso beinhalten wie die
Aneignung neuer Wissenselemente und Verhaltensmuster. Im komplexeren Fall
ist interkulturelles Training integriert mit längerfristiger Sprachaneignung
und ausführlichen landes- und kulturkundlichen Studien. Dabei werden
die zunächst "oberflächlich" angeeigneten kulturellen Skripte
in der gleichen Weise mit kulturspezifischem Hintergrundwissen angereichert
und zur Konstruktion eines (zweiten) Weltbildes herangezogen wie dies im
Falle des kulturellen Lernens geschieht.
Dieser Prozeß der Aneignung kultureller Skripte in kulturverschiedenen
Kontexten führt zu Beginn verständlicherweise zunächst zum
Aufbau von wenig differenzierten Skripten, da noch wenig Information verarbeitet
wurde. Wird er nicht weitergeführt, so kommt es zur (Hetero-)Stereotypenbildung
(z.B. National- oder Milieu-Stereotypen). Wird er jedoch weitergeführt,
werden also ständig neue Informationen verarbeitet, so wird zum einen
das Inventar kultureller Skripte erweitert und die einzelnen Skripte werden
ausdifferenziert. Zum anderen wird das Hintergrundwissen und das Verständnis
für "fremde" Weltbilder oft bis zu dem Grad erweitert, daß es
man in diesem zweiten kulturellen Bezugsrahmen ebenso denken und leben
kann wie im ersten.
Damit wird auch eine höhere Stufe interkulturellen Lernens verfügbar,
die auf die Erweiterung nicht nur der kulturellen Skripte, sondern auch
der Meta-Routinen gerichtet ist. Diese erlauben es einer Person, sich in
neuen kulturverschiedenen und/oder interkulturellen Kontexten rasch zu
orientieren, Hypothesen zu bilden, um herauszufinden, welche Bedeutung
ein Ereignis haben könnte und wie man sich verhalten sollte, um möglichst
wenige Fehler zu machen.
Interkulturelles Lernen ist jedoch auch mit Risiken und Gefahren verbunden.
Auf die Gefahr von Hetero-Stereotypenbildung wurde bereits hingewiesen.
Darüber hinaus kann es jedoch auch zu "Totalrelativismus" und damit
zu Verhaltensunsicherheit und Verhaltensbeliebigkeit führen, wenn
(vor allem naive Menschen) dabei zu dem Schluß kommen: "Alles ist
irgendwie erlaubt". Der gegenteilige Schluß sollte vielmehr erreicht
werden: "In jeder Kultur sind bestimmte Dinge erlaubt oder erwünscht,
andere hingegen nicht". Interkulturelles Lernen dient nicht zuletzt auch
dazu herauszufinden, welches diese Dinge sind.
Eine zweite Gefahr, ein zweites Risiko ist die Überbetonung von
Unterschieden und das Vergessen von Gemeinsamkeiten. Interkulturelles Lernen
sollte das Inventar kultureller Skripte um neue Skripte erweitern, ohne
daß vorhandene Skripte aufgegeben werden; d.h. einige Skripte gelten
auch im kulturverschiedenen Kontext, sei es weil sie auf den gemeinsamen
(z.B. europäischen) Kulturkreis verweisen, sei es, weil sie mit global
verbreiteten Lebensstilen zusammenhängen.
Trainingsmethoden, die Lernprozesse der genannten Art unterstützen,
lassen sich in zwei große Gruppen gliedern, solche die sich auf das
Erlernen von bevorzugten Deutungsmustern und Handlungsformen einer spezifischen
anderen Kultur (eines bestimmten anderen Landes) beziehen, und solche,
bei denen Deutungsmuster, Attribuierungen und Handlungsformen einer oder
mehrerer fiktiver oder "typischer" anderer Kulturen zu erlernen und anzuwenden
sind. Dies geschieht im besonderen durch
-
die Kulturassimilator-Methode, bei der Ereignisse vorgestellt werden, für
deren Interpretation mehrere Hypothesen angeboten werden, von denen es
die wahrscheinlichste herauszufinden gilt;
-
Fallstudien, in denen ("kritische") Ereignisse in fremdkulturellen Kontexten
analysiert werden,
-
Simulation (fremd-)kulturspezifischer Ereignisse mit Verhaltensaufforderungen
und Konfrontationen (Rollenspiele etc.),
-
Erkundungsaufträge zur Beobachtung von Ereignissen und Befragung von
Personen, die Mitglieder einer anderen Kultur sind und
-
nicht zuletzt auch durch Inhaltsanalyse von Literatur und Produkten der
Massenmedien.
Es ist das Verdienst von W. Welsch, mit dem Begriff "Transkulturalität"
auf einen Sachverhalt aufmerksam gemacht zu haben, der im Zusammenhang
mit weltweit stattfindenden neueren Entwicklungen zunehmend Bedeutung erlangt.
Welsch weist darauf hin, daß unser Kulturbegriff, der im 18. Jahrhundert
entstand und seit dem 19. Jahr- hundert bis in unsere Gegenwart vorherrschend
ist. Dieser meint letztlich noch immer Einheiten, in denen biologische
("Rasse"), geographisch-territoriale ("Land"), ethnische ("Volk"), historische
("Tradition"), linguistische ("Sprache"), moralische ("Werte und Normen")
und politische ("Staat") Grenzen zusammenfallen. Dieser Kulturbegriff legte
und legt die Unterscheidung von "eigener" und "fremder" Kultur nahe, von
denen die eine innerhalb des eigenen Territoriums, die anderen außerhalb
angesiedelt waren. Abweichende Verhältnisse konnten so als Anomalien
gelten, die es abzuwehren galt und gilt, mit gesetzgeberischen Maßnahmen
bis hin zu Maßnahmen "ethnischer Säuberung". Doch "die Kulturen
haben de facto nicht mehr die unterstellte Form der Homogenität und
Separiertheit" (Welsch, a.a.O.,S. 40).
Soweit wir - wie in Deutschland - nicht schon von der Geschichte her
eher als "kulturelle Mischlinge" denn als kulturell homogene Population
zu sehen sind, haben Entwicklungen in neuerer Zeit dazu geführt, daß
"kulturelle Reinheit" auf diesem Globus nur noch auf ganz wenigen kleinen
Territorien zu finden ist, die eher den Charakter von Reservaten als den
von Gesellschaften haben. Zu diesen Entwicklungen gehören im besonderen
-
Migrationsbewegungen, die aus unterschiedlichen Gründen entstanden,
-
die Bildung neuer Staaten quer zu traditionellen Gemeinschaften, wie sie
beim Zerfall von Imperien entstanden,
-
die Zunahme regionaler und globaler Vernetzung auch auf politischer Ebene
(UNO, EG),
-
der Einfluß der Massenmedien, die eine medienvermittelte "Weltkultur"
verbreiten,
-
sowie - und dies gilt es besonders hervorzuheben - die Binnendifferenzierung
moderner Gesellschaften in Partikularkulturen (von "Milieus", Professionen,
Generationen und Institutionen) die verbunden ist mit der Möglichkeit,
daß in modernen Gesellschaften Menschen Lebensstile individuell wählen
und entwickeln zu können.
Als Konsequenz dieser Entwicklungen fordert Welsch: "Es kommt künftig
darauf an, die Kulturen jenseits des Gegensatzes von Eigenkultur und Fremdkultur
zu denken" (S.39) und das Konzept der "Transkulturalität" ernst zu
nehmen. Dieses "zielt auf ein vielmaschiges und inklusives, nicht
auf ein separatistisches und exklusives Verständnis von Kultur. Es
intendiert eine Kultur, deren pragmatische Leistung nicht in Ausgrenzung,
sondern in Integration besteht. Stets gibt es im Zusammentreffen mit anderen
Lebensformen nicht nur Differenzen, sondern auch Anschlußmöglichkeiten.
Solche Erweiterungen, die auf die gleichzeitige Anerkennung unterschiedlicher
Identitätsformen innerhalb einer Gesellschaft zielen, stellen heute
eine vordringliche Aufgabe dar" (a. a. O., S. 43).
Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei unterstrichen, daß
Transkulturalität nicht mit (globaler) Monokultur verwechselt werden
darf.. Eher ist das Gegenteil der Fall: Wenn auf den einzelnen Territorien
wie auch auf dem Globus insgesamt die Vielfalt der Kulturen nicht nur erhalten
bleiben, sondern auch weiterentwickelt werden soll, bedarf es bestimmter
übergeordneter Regulative. Solche Regulative dürfen sich jedoch
nicht auf Vereinbarungen bloßer "Toleranz" von Verschiedenheit beschränken.
Sie müssen vielmehr wechselseitige Akzeptanz und intensive Kommunikation
ebenso wie Kooperation an Aufgaben von gemeinsamer Bedeutung und Erzeugung
neuer kultureller Entwürfe einschließen.
Transkulturelles Lernen wird somit zum dritten Element einer großen
pädagogischen Gegenwartsaufgabe. Es zielt ab auf die Entwicklung von
Kompetenzen, die Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund
befähigen, auf lokaler wie auf globaler Ebene Aufgaben zu bearbeiten
und Lösungen zu finden, die sowohl auf die Erhaltung und Weiterentwicklung
eigener kultureller Identität als auch der Ermöglichung gemeinsamer
Lebens- und Überlebensleistungen gerichtet sind. Transkulturelles
Lernen ist somit eine Absage sowohl an Kulturseparatismus und Fundamentalismus
jeder Art als auch an Tendenzen globaler Monokultur.
Angesichts des relativ jungen Konzepts von "transkulturellem Lernen"
ist verständlich, daß spezifische didaktische Konzeptionen und
Trainingsmethoden noch kaum verfügbar sind. Vorerst wird man sich
damit begnügen müssen, die auch für kulturelles und interkulturelles
Lernen entwickelten Verfahren auf ihre Eignung zu prüfen. Möglicherweise
lassen sich auch aus Methoden der Konfliktbearbeitung und der Mediation
wie sie im Rahmen von Friedenssicherung und Friedenspädagogik entwickelt
wurden, Anregungen beziehen.
Für die Interkulturelle Didaktik gilt es noch einen Sonderfall näher
zu untersuchen, und zwar diejenigen kulturellen Skripte, die jeweils mit
organisiertem Lernen und Lehren, mit Schulen und Prüfungen verbunden
sind. Es war vor allem C. Bereiter, der darauf hingewiesen hat, daß
und welche Funktionen "schoolwork modules" und "unintentional learning
modules" haben. Wir lernen solche "didaktischen Skripte" ebenso wie wir
andere kulturelle Skripte (etwa das für Restaurantbesuch). Sie bestimmen
unsere Erwartungen in bezug auf Rollen von Lehrern und Dozenten, Schülern
und Lernern, Prüfern und Verwaltern. Sie bestimmen unsere Erwartungen
in bezug auf räumliche, zeitliche und kommunikative Verhältnisse,
die beim organisierten Lernen vorherrschend sind. Sie bestimmen die Körperhaltungen,
die wir dabei einnehmen und die Medien und Werkzeuge, die wir dabei verwenden.
Und sie prägen unsere Art und Weise, mit diesen Verhältnissen
umzugehen - passiv-hinnehmend oder aktiv-mitwirkend.
Wie andere kulturelle Skripte so sind auch didaktische Skripte eingebettet
und eingebunden in übergreifende Welt- und Menschenbilder. Ob und
wie weit wir Menschen für bildungs- und lernfähig halten, ob
wir der Meinung sind, daß der Zufall, eine Gottheit oder unsere Tüchtigkeit
für unser Schicksal verantwortlich sind, ob Menschen die Schöpfung
beherrschen und verändern oder ob sie sich ihr anpassen sollten, diese
und andere Optionen in bezug auf Welt- und Menschenbilder wirken auch in
unsere didaktischen Skripte hinein. Dabei spielen vor allem unsere Vorstellungen
von Begabung und Lernen, wie sie uns beispielsweise über Sprichwörter
und Alltagstheorien vermittelt werden, eine erhebliche Rolle.
Und wie andere kulturelle Skripte so läßt sich auch das Inventar
unserer didaktischen Skripte erweitern um solche aus anderen bereits entwickelten
"Lernkulturen". Und es lassen sich im Sinne von Transkulturalität
neue didaktische Skripte entwickeln, die den Rahmen unserer Wahrnehmungs-
und Handlungsmöglichkeiten erweitern.
Literatur:
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Kohls, L.R. &Knight, J.M, Developing Inercultural Awareness. A Cross-Cultural
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Welsch, W., Transkulturalität, In: Zeitschrift für Kulturaustausch,
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