Orientierungen zur Interkulturellen Didaktik

Wer sich im unbekannten Gelände orientieren will, braucht nicht nur eine möglichst gute Landkarte. Er muß auch seinen eigenen Standpunkt kennen. Und er muß Vorstellungen darüber haben, wohin er sich auf welchem Wege und auf welche Weise begeben könnte und möchte.
Die folgenden Texte sollen in diesem Sinne eine Orientierungshilfe in dem (noch) weitgehend unbekannten Gelände Interkultureller Didaktik sein. Sie sollen deshalb

1. Mögliche Zugänge zu einem neuen Wissensgebiet "Interkulturelle Didaktik"

1.1 Interkulturelle Didaktik: Ein Beispiel
1.2 Interkulturelle Didaktik: Was ist das?
1.3 Interkulturelle Didaktik: Wie ist das entstanden?
1.4 Interkulturelle Didaktik: Was kann man damit machen?

2. Kulturelle und didaktische Selbsterfahrung

2.1 Menschliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Universalia, Kulturstandards und individuelle Eigenschaften
2.2 Kulturelle Selbst- und Fremderfahrung
2.3 Der Umgang mit kulturellen Einflüssen
2.4 Didaktische Sozialisation

3. Vorblicke

3.1 Vorblick auf Tätigkeitsfelder Interkultureller Didaktik
3.2 Vorblick auf Wissensgrundlagen Interkultureller Didaktik
3.3 Vorblick auf Perspektiven Interkultureller Didaktik
3.4 Vorblick auf Arbeitsformen

Literatur


1. Mögliche Zugänge zu einem neuen Wissensgebiet "Interkulturelle Didaktik"

GRUNDBEGRIFFE: Es gibt im Prinzip vier Grundfragen, mit denen sich Menschen neue Wissensgebiete erschließen: Dabei unterscheiden sich Menschen in bezug auf die Frage, welchen Zugang sie bevorzugen. Wir können das beobachten, wenn Leute ein neues Gerät erhalten haben: Der eine will gleich etwas damit machen, der andere liest erst einmal die Bedienungsanleitung, der dritte interessiert sich für die Bestandteile, der vierte schließlich möchte erfahren, was andere damit bisher gemacht haben. Es gibt für den Zugang zum Wissen also nicht den einen besten "Königsweg", sondern es führen - wie in anderen Fällen auch - mehrere Wege nach Rom. Entsprechend gibt es auch mehrere Wege eines Zugangs zu dem neuen Wissensgebiet "Interkulturelle Didaktik": Die einen möchten ein Beispiel, die anderen Anwendungen, die dritten eine Begründung, warum dies, warum hier und warum jetzt. Im folgenden sollen diese verschiedenen Zugänge eröffnet werden. Beginnen wir mit einem Beispiel.

1.1 Interkulturelle Didaktik: Ein Beispiel

In den frühen 60er Jahren kamen junge Entwicklungshelfer aus den USA nach Liberia ins Stammesgebiet der Kpelle, um dort "neue Mathematik" auf mengenalgebraischer Basis zu lehren. Da sie naiv aber lernfähig waren, konnten Sie aus dem Scheitern ihrer guten Absichten vieles lernen, z. B. dies: Die jungen Entwicklungshelfer beschränkten sich aber nicht darauf, ihre Unterrichtstechnologie den Bedingungen des kulturellen Kontextes der Kpelle anzupassen. Sie stellten sich auch weitergehende Fragen wie diese: Für mich ist deshalb das Buch von GAY & COLE "New Mathematics and an Old Culture" ein Klassiker und ein exemplarischer Fall Interkultureller Didaktik. Alle oben aufgeführten Fragen lassen sich z. B. durchaus anwenden auf aktuelle Situationen westeuropäischer "Entwick-lungshelfer", die in osteuropäischen Ländern Wissen über "Marktwirtschaft" vermitteln sollen oder wollen.

1.2 Interkulturelle Didaktik: Was ist das?

Auch Definitionen ermöglichen den Zugang zu neuen Wissensgebieten. Für den Begriff "Interkulturelle Didaktik" erscheint die folgende Definition besonders geeignet, da sie die wichtigsten Aspekte umfaßt:
 
Interkulturelle Didaktik ist 
ein Fach bzw. Fachgebiet, dessen Aufgabe es ist, 
für organisiertes Lernen,  
Wissensaneignung 
und didaktisches Handeln 
in interkulturellen Kontexten 
und kulturellen Überschneidungssituationen 
wissenschaftlich begründete Empfehlungen 
zu formulieren, 
empirisch zu überprüfen und 
theoretisch zu reflektieren. 
 
Diese Definition soll Ausgangspunkt für die anschließende Erläuterung der in ihr enthaltenen zentralen Begriffe sein.

1.2.1 Organisiertes Lernen und Wissensaneignung

Unserer Definition liegt ein Lernbegriff zugrunde, dessen Kern die Erkenntnis ist, daß Menschen in der Lage sind, Störungen zu regulieren, die sich daraus ergeben, daß sich die Umwelt, die eigene Wahrnehmungsstruktur und/oder die Beziehungen zwischen beiden ändern. Lernen kann demnach als Entwicklung neuer Verhaltensweisen, neuer Kompetenzen und neuer Wahrnehmungs- und Denkweisen betrachtet werden, die geeignet sind, daß Menschen ihre Beziehungen zu ihrer Umwelt umgestalten und ins Gleichgewicht zu bringen versuchen. Häufig angeführte Beispiele hierfür sind der Spracherwerb des Kleinkinds oder die Aneignung von Rollenverhalten durch unbewußte Nachahmung von Vorbildern. Lernen findet beim Menschen kontinuierlich und "beiläufig" (incidentell) statt, sozusagen als Begleiterscheinung seines alltäglichen Lebens. Von "organisiertem" Lernen oder von "Lerntätigkeit" spricht man dann, wenn dieses Lernen

Ausgliederung aus dem alltäglichen bzw. allgemeinen Lebensprozeß vollzieht sich dabei als spezielle Ausgliederung von Der klassische Fall für organisiertes Lernen ist jene Art von Lerntätigkeit, die in Schulen institutionalisiert ist. Es gibt aber auch andere Formen der Institutionalisierung, z. B. in Form von individuellen Lernkontrakten, getragen von Massenmedien ("Bildungsfernsehen") oder als vereinbarte Lernzeit am Arbeitsplatz. In diesem Zusammenhang ist es international üblich zwischen "formaler" (schulisch organisierter) und "nonformaler" (von anderen Trägern und Einrichtungen wie z. B. Betrieben und Vereinen organisierter) Bildung zu sprechen. In beiden Fällen geht es um bewußtes und aus dem allgemeinen Lebens- bzw. Arbeitsprozeß ausgegliedertes Lernen. Lediglich die Art der Institutionalisierung ist unterschiedlich.

Wenn wir von "Wissensaneignung" sprechen, so meinen wir im Prinzip das Gleiche wie "organisiertes Lernen" und "Lerntätigkeit". Wir betonen dabei jedoch mehr den Inhalt der Tätigkeit als den Prozeß. Lerntätigkeit ist nämlich weitgehend darauf gerichtet, das in einer Kultur verfügbare Wissen in persönliches Wissen zu überführen.

1.2.2 Didaktisches Handeln

"Didaktisches Handeln" umfaßt einen Tätigkeitsbereich, der weiter reicht als das Handeln von Lernhelfern (Lehrern). Es umfaßt auch das selbsttätige (autodidaktische, selbstorganisierte) Lernen von erwachsenen und jugendlichen Lernern. Es umfaßt nicht nur die Durchführung von Lehr- und Lerntätigkeit, sondern auch die Bereitstellung eines organisatorischen Rahmens, in dem diese Tätigkeiten stattfinden können. Und es umfaßt die Planung, die Analyse, die Begründung und die Evaluierung organisierten Lernens. Tätigkeiten der Lehrplanentwicklung gehören deshalb ebenso zum didaktischen Handeln wie die Herstellung von Lehrmaterialien und Medien, Tätigkeiten der Lernberatung ebenso wie solche der Lernkontrolle. Nicht zuletzt gehört auch die Unterrichtsforschung im weiteren Sinne zum didaktischen Handeln - eingeschlossen die Dokumentation und Verbreitung von Forschungsergebnissen.

Ähnlich wie im Bereich der Wirtschaftswissenschaften ist es auch in der Didaktik sinnvoll, drei Handlungsebenen zu unterscheiden. Es sind dies

1.2.3 Interkulturelle Kontexte und kulturelle Überschneidungssituationen

Was das nächste Merkmal anbelangt, nach dem der Gegenstandsbereich Interkultureller Didaktik bestimmt wird - "interkulturelle Kontexte" - so sei auch hier zunächst eine annähernde Bestimmung versucht. Unter "interkulturellen Kontexten" sind Situationen zu verstehen, in denen Menschen unterschiedlicher kultureller Zugehörigkeit einander begegnen (BOCHNER 1982). Solche Situationen gibt es für Deutsche im Ausland wie für Ausländer in Deutschland. Sie können beruflich oder touristisch bedingt sein, der Bildung oder der Unterhaltung dienen, längere oder kürzere Zeit dauern, mündliche oder schriftliche, persönlich vermittelte oder medienvermittelte Kommunikation beinhalten und in intensiven oder oberflächlichen Kontakten zwischen den beteiligten Menschen bestehen. Ein für interkulturell-didaktisches Handeln besonders hervorzuhebender Kontext ergibt sich dann, wenn deutsche Lehrer oder Dozenten Schüler oder Studenten aus anderen Ländern bzw. unterschiedlicher kultureller Herkunft unterrichten.

Die Zahl der Tätigkeitsbereiche und Tätigkeitsfelder, die gegenwärtig Europäern und Deutschen in interkulturellen Kontexten zugänglich sind oder kulturelle Überschneidungssituationen beinhalten, ist jedoch weit größer: Kulturaustausch und Wirtschaftsbeziehungen, Betreuung ausländischer Mitarbeiter in Unternehmen, Sozialarbeit mit Ausländern im Inland, internationale Organisationen (EG, UNO etc.), nicht zuletzt auch militärische Einsätze im Rahmen der UNO gehören dazu.

In den letzten Jahren ist auch der Begriff "kulturelle Überschneidungssituation" eingeführt worden, um den Sachverhalt zu bezeichnen, daß Menschen Tätigkeiten im Ausland ausüben und/oder mit Menschen kulturverschiedener Herkunft zusammenleben, zusammenarbeiten und kommunizieren. Der Begriff enthält das Bild von zwei (oder mehr) Individuen oder Gruppen, deren kulturelle Horizonte sich überlappen. Jeder Deutsche, der sich in eine fremde Kultur begibt und jeder, der aus einer anderen Kultur in die unsere kommt, trägt zunächst - bildlich gespochen - diesen seinen kulturellen Horizont in sich und mit sich. Dieser Horizont beeinflußt immer auch, was er wahrnimmt und wie er wahrgenommen wird, was er versteht und wie er verstanden wird, was er tut und was mit ihm getan wird.

Je größer der Überlappungsbereich, desto größer die Bedeutung füreinander - im positiven wie im negativen Sinn: Größere Gemeinsamkeit und bessere Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten. Aber auch größere Betonung von Verschiedenheit und größere Konfliktpotentiale. Wer sich aus dem Weg geht, hat geringere Konflikte, aber auch weniger Begegnungsmöglichkeiten.

Daß und wie kulturelle Überschneidungssituationen im positiven Sinne genutzt werden, dazu können beide Seiten beitragen. Interkulturelles Lernen - organisiertes und beiläufiges - ist der Weg zur Aneignung interkultureller Kompetenz.

1.3 Interkulturelle Didaktik - wie ist das entstanden?

1.3.1 Integriertes und segregiertes Lernen

Schon frühe Stufen der Kulturentwicklung zeichnen sich dadurch aus, daß Lernen auf zweierlei Weise geschieht: zum einen im Leben selbst: Jagen wird bei der Jagd gelernt, Tanzen beim Tanzen und Sprechen beim Sprechen. Dabei spielen Lernen durch eigene Erfahrung (durch Versuch und Irrtum) sowie Lernen durch Beobachtung anderer (Imitation) die entscheidende Rolle. Vor allem Kulturen, die sich über die Zeit hinweg nur wenig wandeln, können auf diese Weise vor allem praktisches Wissen überliefern. Man spricht in diesem Falle von integriertem Lernen.

Aber auch bestimmte Formen segregierten Lernens sind in Stammesgesellschaften bereits bekannt. Segregiertes Lernen dient vor allem der Überlieferung von "theoretischem" Wissen, d. h. von Weltanschauungen, Menschenbildern, Erklärungsmustern und Wertvorstellungen. Es vollzieht sich in Formen und Zusammenhängen, die aus dem Alltagsleben ausgegliedert (segregiert) in speziellen Institutionen (z. B. initiationsvorbereitende Busch-Schulen) übertragen werden.

Der US-amerikanische Anthropologe C. W. M. HART (1979) hat bei einem Vergleich einer großen Zahl von Stammeskulturen festgestellt, daß in allen Kulturen zwei typisch unterschiedliche Formen der Überlieferung und des Lernens vorhanden sind.
 

Unterscheidungsmerkmale Lerntyp 1 Lerntyp 2
Art der Regulierung informell, beiläufig reglementiert
Bezugspersonen Primärgruppe, Familie andere (Beauftragte)
Atmosphäre locker traumatisierend
Inhalte Alltagswissen 
praktische Fähigkeiten
Mythen, Geschichte, 
symbolisches Wissen 
("Wissenschaft"), Kunst
Lernort integriert ausgegliedert
Lernzeit integriert ausgegliedert
Der Lerntyp 2, das segregierte Lernen, kann dabei als Grundtyp bzw. Vorläufer von "Didaktiken" gesehen werden.

1.3.2 Das Entstehen von Didaktiken

Die Formen segregierten Lernens gewinnen zunehmend an Bedeutung, wenn sich der Prozeß der Kulturentwicklung beschleunigt. Dies gilt besonders dann, wenn Kulturen in Kontakt zu anderen treten. Lernen im Leben selbst ist dann offensichtlich nicht mehr hinreichend, um die zunehmenden Wissensvorräte zu überliefern, um sich an die veränderte Umwelt und/oder die veränderten Weltanschauungen anzupassen. Es kommt zur Ausgliederung spezialisierter Formen organisierten Lernens.

In Mitteleuropa beginnt ein solcher Prozeß der Ausgliederung spezieller Formen organisierten Lernens im 9. Jahrhundert. Er geht einher mit jenem Kulturkontakt, den wir als Christianisierung bezeichnen. Es entstehen die ersten Dom- und Klosterschulen ebenso wie erste Sammlungen didaktischer Handlungsanweisungen, z. B. für den Lateinunterricht.

Im 16. und 17. Jahrhundert erhält die Kulturentwicklung neue Impulse durch die Entdeckung neuer Kontinente (Amerika), neuer Technologien (Buchdruck) und neuer Welt- und Menschenbilder (Galilei). Die Einrichtung von Schulen steigt sprunghaft an. Es entstehen umfassendere Systeme didaktischen Wissens, die Vielfalt der Formen organisierten Lernens nimmt zu. Neben diesen "Praktiker-Didaktiken" entstehen die ersten "Theoretiker-Didaktiken" (KOMENSKY).

Das Jahrhundert der Aufklärung und der französischen Revolution wie auch das Jahrhundert der Industrialisierung und des Kolonialismus bringen weltweit weitere starke Impulse für den Ausbau des organisierten Lernens. Allerdings bleibt die Formenvielfalt zunächst begrenzt: Die Suche nach der einen besten Lehrmethode bestimmt weithin die Bemühungen der Didaktiker. Dies gilt auch für die wichtigste "Theoretiker-Didaktik" des 19. Jahrhunderts, die Johann Friedrich HERBART entwickelte.

Erst im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts steigt mit der Pädagogischen Reformbewegung in Europa und den USA auch die Vielfalt der Formen organisierten Lernens erheblich an. Dieser Differenzierungsprozeß setzt sich in unsere Gegenwart hinein weltweit fort. Veränderte politische Verhältnisse (Entkolonialisierung), technologischer und ökonomischer Wandel ("Computergesellschaft") sowie Veränderungen im Bereich von Wissenschaft und Kommunikation ("Wissensexplosion") bringen eine weitere Zunahme des Umfangs und der Vielfalt organisierten Lernens mit sich: Immer mehr Menschen gehen immer längere Zeit zur Schule, immer mehr Betriebe, Behörden, Vereinigungen und Einrichtungen entwickeln neue Formen organisierten Lernens, angefangen vom Rundfunkkolleg über "Lernbüros" bis hin zu Lernnetzwerken von Bürgerinitiativen. "Unterrichtswirklichkeit" der Gegenwart ist nicht mehr nur die Schulklasse in der "kleinen roten Backsteinschule" mit den spärlich ausgestatteten Räumen. Es ist die ganze Vielfalt dessen, was Menschen erfunden haben, um Wissensüberlieferung und Wissensvermittlung nicht dem Zufall zu überlassen, sondern in möglichst systematischer, methodischer, effektiver und interessanter Weise zu gestalten.

Mit der Vielfalt der Praktiker-Didaktiken wächst auch die Zahl der Theoretiker-Didaktiken. Nahezu alle theoretischen Strömungen der Gegenwart - Behaviourismus und kognitive Theorien, Psychoanalyse und symbolischer Interaktionismus, Systemtheorie und Chaostheorie bilden heute Grundlagen für entsprechende Theoretiker-Didaktiken.

1.3.3 Endogene Entstehungsbedingungen für Interkulturelle Didaktik

Unter den endogenen Entstehungsbedingungen der Interkulturellen Didaktik, die gegenwärtig in Europa wirksam sind, ist zunächst ein beschleunigtes Wachstum des Wissens im Bereich der Allgemeinen Didaktik zu nennen, der vor allem durch folgende Umstände bedingt war:

Allein diese Erweiterung brachte es mit sich, daß innerhalb der Allgemeinen Didaktik Differenzierungen stattfanden, um eine wissenschaftlich seriöse Bearbeitung der so erweiterten Problemfelder noch zu ermöglichen. Zu diesen Differenzierungen gehört auch die Interkulturelle Didaktik, die sich besonders solchen Problemen didaktischen Handelns und organisierten (segregierten) Lernens zuwendet, die entstehen, wenn es sich um Tätigkeitsfelder mit kulturverschiedenen Bezugsgruppen handelt.

Dennoch gehen Praktiker-Didaktiken und Theoretiker-Didaktiken bis heute unausgesprochen von der Annahme aus, daß Lerner und Lernhelfer von gleicher Kulturzugehörigkeit sind oder daß Kulturverschiedenheit ohne Bedeutung ist. Auf dieser Annahme beruht das Konzept einer "Allgemeinen" Didaktik. Diese Allgemeine Didaktik ist als Disziplin gedacht, die allgemeingültige Aussagen über organisiertes Lernen und organisierte Wissensvermittlung erzeugt und dabei nach und nach Wissen erzeugt, das letztlich weltweite Geltung beansprucht.

Anerkennung haben bislang nur Unterschiede bezüglich der zu vermittelnden Wissensinhalte und bezüglich der Bildungsinstitutionen gefunden: So haben sich schon im 19. Jahrhundert "Fachdidaktiken" bzw. "Fach-Pädagogiken" entwickelt: Fremdsprachen-Didaktiken, Mathe- matik-Didaktiken, Didaktiken der Naturwissenschaften, Wirtschafts-Didaktiken (Wirtschafts- pädagogik) u. a. m. Und es haben sich institutionenspezifische Didaktiken bzw. Pädagogiken entwickelt: Grundschuldidaktik (-pädagogik), Gymnasialdidaktik (-pädagogik), Berufspäda- gogik (-didaktik), Hochschuldidaktik (-pädagogik) etc.

Daß die Kulturverschiedenheit der Lerner erst in jüngster Zeit zum Differenzierungsmerkmal für Didaktik wurde, hat zwei Gründe: Zum einen war zumindest in Deutschland die kulturverschiedene Zusammensetzung von Lerngruppen und die Tätigkeit deutscher Lernhelfer im Ausland ein relativ seltener Sachverhalt. Zum anderen - und dies gilt besonders für klassische "multikulturelle Gesellschaften" wie die USA - wurde modernen Bildungseinrichtungen ausdrücklich die Aufgabe der Anpassung, Assimilation oder Integration kultureller Minderheiten oder ausländischer (kolonisierter) zugewiesen. Deshalb war die Nichtbeachtung kultureller Verschiedenheit eine wichtige ideologische Grundlage von ausdrücklich "nationenbildender" oder "imperialistischer" Bildungspolitik.

Das Aufkommen kulturdemokratischer und kulturpluralistischer Konzepte, teilweise einhergehend mit dem Verfall der großen Imperialismen und der äußeren wie inneren Kolonisierungskonzepte hat die Lage verändert. Das Entstehen Interkultureller Didaktik (bzw. Interkultureller Pädagogik) spiegelt die Akzeptanz kultureller Vielfalt auch in bezug auf organisiertes Lernen wider.

1.3.4 Exogene Entstehungsbedingungen für Interkulturelle Didaktik

Zu den exogenen Entstehungsbedingungen Interkultureller Didaktik gehören vor allem die Folgen der weltweiten Vernetzung und Verflechtung sowie der Internationalisierung aller Lebensbeziehungen: Kolonialismus und wirtschaftliche Abhängigkeit, Migration und Vertreibung, Internationale Organisationen und multinationale Wirtschaftsunternehmen, globale Umweltkatastrophen und globale Kommunikationsnetze.
In den Anfängen sind dies

All diese Phänomene, die zumeist in Form von Krisenerscheinungen auftreten, erzeugen neue Lernbedarfe, die mit den Mitteln einer traditionellerweise intrakulturell orientierten Didaktik nicht mehr gedeckt werden können

1.4 Interkulturelle Didaktik: Was kann man damit machen?

1.4.1 Aktuelle Bezüge

In der gegenwärtigen Situation der Bundesrepublik Deutschland gibt es typische interkulturelle Konstellationen, aus denen sich Anforderungen für berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeiten ergeben, in denen interkulturell-didaktische Kompetenzen angewendet werden:

Bereits diese wenigen Hinweise auf die aktuellen internationalen - und damit interkulturellen - Konstellationen, in die Deutschland derzeit eingebunden ist, mögen genügen, um zu verdeutlichen, daß hierzulande der Bedarf an interkultureller Kompetenz und damit an interkulturellem Lernen dramatisch gewachsen ist. Die Anforderungen, die sich daraus für die Interkulturelle Didaktik ergeben, lassen sich derzeit noch kaum absehen.

1.4.2 Praktische und theoretische Zwecke

Die Frage nach den Funktionen Interkultureller Didaktik ist einfach zu formulieren: "Was kann man mit jenem Wissen machen, das von diesem Wissenschaftsgebiet erzeugt wird?" Eine erste Antwort auf diese Frage ist ebenso einfach, wenn auch nicht sehr informativ: "Man kann damit praktische und theoretische Zwecke verfolgen, d. h. Praxen und Theorien entwickeln, verbessern, anwenden und prüfen".

Um praktische Zwecke geht es im besonderen bei

Um theoretische Zwecke geht es, wenn vorhandene Theorien und Modelle überprüft und verbessert und neue Theorien und Modelle entwickelt werden, die sich auf die oben genannten Praxisbereiche und die Zusammenhänge zwischen ihnen beziehen. Insbesondere Theorien über Zusammenhänge zwischen So gehört beispielsweise die Anwendung der Erkenntnis, daß bei gleichen Ausgangsbedingungen von Lernern die für Lerntätigkeit aufgewandte aktive Lernzeit die beste Vorhersage des Lernerfolgs erlaubt, zu den praktischen Zwecken Interkultureller Didaktik.

2. Kulturelle und didaktische Selbsterfahrung

GRUNDBEGRIFFE:

2.1 Menschliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Universalia, Kulturstandards und individuelle Eigenschaften

Jeder Mensch hat Eigenschaften, die er mit allen anderen Menschen teilt, er hat Eigenschaften, die er mit vielen teilt, und er hat Eigenschaften, über die nur er selbst ganz persönlich und einmalig verfügt.

2.2 Kulturelle Selbst- und Fremdwahrnehmung

Kulturelle Selbsterfahrung vollzieht sich zumeist in der Begegnung und Auseinandersetzung mit Fremdem. Aus diesem Grunde erscheint es sinnvoll, zunächst den Begriff der "Fremdheit" einer näheren Betrachtung zu unterziehen, um uns der Frage nach unseren eigenen Kulturstandards zu nähern. Hierbei hilft uns die folgende Klärung von SCHÄFFTER (1991), der deutlich macht, daß "Fremdheit" keine Eigenschaft, sondern ein Beziehungsverhältnis bezeichnet. Das Fremde kann dabei unterschiedliche Bedeutung für mich haben, und zwar:

2.3 Der Umgang mit kulturellen Einflüssen

2.3.1 Kulturelle Selbstverständlichkeiten

Unser Leben läuft zumeist so ab, daß unsere Aufmerksamkeit und unser Interesse von dem angezogen werden, was von der Gewohnheit und von neueren Erwartungen abweicht. Selbstverständliches ist demnach uninteressant. So werden wir uns der Tatsache, daß jederzeit Wasser aus dem Wasserhahn oder Strom aus der Steckdose kommt, erst dann bewußt, wenn dies einmal nicht der Fall ist. Solange es selbstverständlich ist, denken wir nicht daran. Mit der Aufmerksamkeit, dem Interesse und dem Bewußtsein für unsere kulturellen Selbstverständlichkeiten verhält es sich ebenso: Es bedarf einer Situation, in der sie zum Problem werden. Dies kann dadurch geschehen, daß sie einmal ausbleiben. Es kann aber auch dadurch geschehen, daß wir danach gefragt werden und feststellen müssen, daß wir es so genau gar nicht wissen. Die meisten von uns sprechen ein einigermaßen ordentliches Deutsch, verwechseln Einzahl und Mehrzahl nicht, und doch können wir auf die Frage, wieviele Deklinationen es in der deutschen Sprache gibt, wahrscheinlich keine Antwort geben.

Unsere kulturellen Selbstverständlichkeiten sind selten offensichtlich und oft irreführend. Daß wir kulturellen Selbstverständlichkeiten folgen, wenn wir einander bei der Begrüßung die Hand geben oder mit Messer und Gabel essen, merken wir erst, wenn wir auf jemand treffen, der sich anders verhält, für den diese Handlung nicht selbstverständlich ist, der sich beim Grüßen ohne Körperkontakt verbeugt oder der mit Stäbchen ißt. Kulturelle Selbsterfahrung entsteht erst aus dem Kontrast.

2.3.2 Kulturelle Selbsterfahrung

Menschen tendieren dazu, die von ihnen selbst für wahr gehaltenen Vorstellungen, das für sie Selbstverständliche, ihre "Kulturstandards" für die einzige Möglichkeit zu halten, die Welt und ihre Stellung in der Welt zu sehen. Sie neigen dazu, die Vorstellungen anderer Kulturen mehr oder weniger stark abzulehnen und sie als "Humbug", "Aberglauben", Rückständigkeit oder Unwissenheit anzusehen. Bei kultureller Selbsterfahrung geht es darum, das eigene "kulturelle Selbst", die eigenen Kulturstandards zu erfahren, indem man seine - teils unklaren und unbewußten - kulturellen Selbstverständlichkeiten genauer kennenlernt.

Kulturelle Selbsterfahrung dient somit der Bewußtmachung eigener Grundannahmen und Wertüberzeugungen. Zugleich fördert sie eine Sensibilisierung für kulturelle Verschiedenheit und für das Verstehen von Grundannahmen und Wertüberzeugungen in anderen Kulturen. Beides ist wiederum eine Voraussetzung für die Entwicklung einer interkulturell kompetenten Persönlichkeit. Darüber hinaus wird durch kulturelle Selbsterfahrung auch die Kompetenz zur aufgeklärten kulturellen Selbstdarstellung gefördert. Eine gewisse Sicherheit im Umgang mit den eigenen kulturellen Selbstverständlichkeiten ist Voraussetzung für erfolgreiche interkulturelle Kommunikation. Fehlt diese Sicherheit, so besteht die Gefahr, daß bei der Begegnung mit Angehörigen anderer Kulturen verständigungsfeindliche Extremreaktionen auftreten: naiver Ethnozentrismus ("bei uns ist alles besser") ebenso wie naive Anpassung ("bei den anderen ist alles besser").

2.3.3 Möglichkeiten eines methodischen Zugangs

2.3.4 Methodische Schritte kultureller Selbsterfahrung

Welche der zahlreichen Methoden zur Vermittlung kultureller Selbsterfahrung wir auch immer wählen, stets werden alle oder fast alle der folgenden methodischen Schritte erkennbar sein:

2.4 Didaktische Sozialisation

2.4.1 Didaktische Selbstverständlichkeiten

Ebenso wie unser Leben von unseren kulturellen Selbstverständlichkeiten bestimmt wird, wird unsere Lerntätigkeit von unseren "didaktischen Selbstverständlichkeiten" bestimmt: Haben wir uns beispielsweise entschlossen, an einem Weiterbildungsprogramm oder einem Weiterbildungskurs teilzunehmen, so erwarten wir, daß

Wer in Oxford studiert oder ein Fernstudium absolviert hat, wird andere Erwartungen haben, da er von anderen Selbstverständlichkeiten geprägt ist. Und wer viel auf Sportplätzen und in Werkstätten gelernt hat, wird erwarten, daß "theoretischer Stoff" anders gelehrt und gelernt wird als praktische Fähigkeiten.

Mit unseren didaktischen Selbstverständlichkeiten verhält es sich wie mit unseren kulturellen: Solange unsere Erwartungen erfüllt werden, brauchen wir nicht lange über sie nachzudenken. Anders verhält es sich, wenn wir anderen Lernkulturen begegnen. Dann kann es passieren, daß wir so reagieren wie auf andere kulturelle Umgebungen: Mit Neugier die einen, mit Aggressionen ("was soll der neumodische Kram!") die anderen.

Entwickelt haben sich unsere didaktischen Selbstverständlichkeiten (ebenso wie unsere kulturellen) im Laufe unserer Lebensgeschichte, meistens schon sehr früh. So spielen Kinder manchmal schon "Schule" noch bevor sie in die Schule gehen. Bewußt erfahren wir unser Verhältnis zum organisierten Lernen zumeist nur in kritischen Situationen, etwa wenn wir zum ersten Mal bewußt erleben, daß wir eine neue Fähigkeit beherrschen, z. B. Schwimmen, Radfahren oder mit einem Ausländer Englisch sprechen, oder wenn wir erleben, daß wir etwas nicht gut genug gelernt haben, z. B. im Zusammenhang mit einer Prüfung.

Unsere didaktischen Selbstverständlichkeiten entwickeln sich im Laufe unserer Lebensgeschichte ebenso wie unsere übrigen Orientierungen und Verhaltensweisen im sozialen Bereich. In den Sozialwissenschaften verwendet man dafür die Bezeichnung "Sozialisation". Entsprechend soll im folgenden von "didaktischer Sozialisation" die Rede sein, wenn wir die Entstehung und das Ergebnis jener Erfahrungen bezeichnen, die sich auf unser Verhältnis zum organisierten Lernen beziehen.

2.4.2 Merkmale kulturspezifischer didaktischer Sozialisation

Ebenso wie wir unsere kulturellen Selbstverständlichkeiten durch entsprechende Methoden der Selbsterfahrung und der Selbstreflexion zum Bewußtsein bringen können, ist dies auch mit unserer didaktischen Sozialisation möglich. Doch bevor wir uns näher mit den dafür geeigneten Verfahren befassen, soll zunächst eine genauere Darstellung dessen erfolgen, was unsere didaktische Sozialisation ausmacht. Es geht also um die Frage, was im besonderen unser Verhältnis zu organisierter Lerntätigkeit bestimmt. Vier Punkte sind es, an denen unsere didaktische Sozialisation erkennbar ist:

Wir wollen uns nun diesen vier Punkten im einzelnen zuwenden.

2.4.3 Didaktische Sozialisation und "Lernkultur"

Die bisher erläuterten vier Aspekte didaktischer Sozialisation stehen offensichtlich in enger Beziehung zu den Lernkulturen, in denen Menschen aufwachsen. Als "Lernkulturen" sollen dabei diejenigen Kulturen und Lebenswelten bezeichnet werden, in denen die Organisation von Lerntätigkeit und die Überlieferung von Wissen im Mittelpunkt steht. Dies ist der Fall bei bewußt angewandten Praktiken in der Familienerziehung (wie der Großvater dem Enkel das Angeln beibringt), bei schulischen Formen organisierten Lernens und Lehrens, aber auch beim organisierten beruflichen Lernen und in der betrieblichen Weiterbildung.

Eine bestimmte Kultur zu haben, wird in neuerer Zeit nicht nur größeren Gemeinschaften wie ganzen Völkern zuerkannt, sondern kleineren Gemeinschaften und Organisationen wie z. B. einzelnen Unternehmen ("Unternehmenskultur") oder einzelnen Tätigkeitsfeldern ("Eßkultur", "Wohnkultur", "Kommunikationskultur"). Damit werden Bemühungen angesprochen, die in solchen Gemeinschaften oder in diesen Tätigkeitsfeldern darauf gerichtet sind, diese bewußt zu gestalten, ihnen eine charakteristische Ausprägung zu geben und sie qualitativ zu entwickeln. In diesem Sinne ist dann auch von Bemühungen um "Lernkultur" zu sprechen. Während didaktische Sozialisation als überwiegend unbewußt verlaufender Prozeß zu betrachten ist, geht es bei der Entwicklung und Überlieferung von Lernkultur um bewußt gestaltete Prozesse.

2.4.3.1 Merkmale neuer Lernkultur

Gründe, die einen Wandel unserer Lernkulturen nahelegen, sind :

Veränderte und neue Lernkulturen müssen sich dadurch auszeichnen, daß sie die Einseitigkeit bürokratisch-verschulter Lernkultur überwinden und neue Gleichgewichte finden zwischen Diese Entwicklung neuer Lernkulturen kann nicht einfach verordnet und mit den Instrumenten von Befehl und Gehorsam von oben nach unten durchgesetzt werden. Und wie bei jeder anderen Entwicklungsaufgabe auch, gilt es dabei, den Ausgangspunkt möglichst gut kennenzulernen. Dieser Ausgangspunkt wird vor allem bestimmt durch die didaktische Sozialisation aller Beteiligten. Deren Aufklärung und Aufarbeitung ist deshalb ein entscheidender Ansatz bei der Entwicklung neuer Lernkultur.

2.4.3.2 Didaktische Selbsterfahrung als Bewußtmachung eigener didaktischer Sozialisation

Da die meisten von uns in der "alten" Lernkultur aufgewachsen sind, müssen wir lernen, den Übergang zu bewältigen. Dieser Übergang kann nicht darin bestehen, daß man alles vergißt, was man bisher gelernt hat und daß man sich als "unbeschriebenes Blatt" definiert. Vergangenheit läßt sich nicht vergessen, sondern nur verdrängen oder verarbeiten. Und dies bedarf der Zeit. Was jedoch kurzfristig möglich ist, ist der Entschluß, die eigene didaktische Sozialisation künftig nicht mehr als Schicksal hinzunehmen, sondern aktiv zu gestalten.

Bewußtmachung und Bewußtwerdung eigener didaktische Sozialisation ist der erste Schritt auf diesem Wege des Übergangs zum neuen Lernen. Wie in anderen Lebensbereichen ist also auch hier die Aufarbeitung der Vergangenheit die Voraussetzung für die Gestaltung der Zukunft. Und wie in anderen Bereichen, so geht es bei dieser Aufarbeitung immer auch um Bewertung und kritische Auseinandersetzung, um die Feststellung von Schwächen und von Stärken. Zu den wichtigsten Erkenntnissen der Lernforschung gehört:

"Neue Erfahrungen werden stets auf dem Hintergrund früherer Erfahrungen gemacht".

2.4.4 Methoden didaktischer Selbsterfahrung

Was die Methoden des Umgangs mit der eigenen und mit fremder didaktischer Sozialisation und der didaktischen Selbsterfahrung anbelangt, so sind in unserem Zusammenhang die folgenden Ansätze sinnvoll und möglich:

3. Vorblicke

Jede Unterrichtseinheit sollte nicht nur mit einem Rückblick auf Vorerfahrungen beginnen, sondern auch einen Vorblick auf die in ihr möglichen Lerntätigkeiten und Lernerfahrungen bringen. Man spricht in diesem Zusammenhang von "vorstrukturierenden Lernhilfen" ("advance organizers"). In unserem Falle geht es darum, einen Vorblick auf die folgenden drei Unterlagen zu werfen, die sich auf drei Themen konzentrieren: Diese drei Vorblicke sollen in den folgenden Abschnitten dargestellt werden

3.1 Vorblick auf Tätigkeitsfelder Interkultureller Didaktik

Wer das Fach(gebiet) "Interkulturelle Didaktik" studiert hat, möchte die dabei erworbenen Kompetenzen gern auch anwenden. Im idealen Falle geschieht dies dadurch, daß sie/er eine berufliche Tätigkeit aufnimmt, in der dies möglich ist. In anderen Fällen können solche Tätigkeiten aber auch als nebenberufliche bzw. ehrenamtliche Tätigkeiten (z. B. als Betreuer/in von Projekten internationalen Jugendaustauschs im Rahmen des Sportvereins) stattfinden. Im Abschnitt 1 dieser Unterlage wurde bereits auf interkulturelle Kontexte, kulturelle Überschneidungssituationen, Tätigkeitsfelder und Praxisaufgaben hingewiesen, in denen interkulturell-didaktische Kompetenzen anzuwenden sind. Da in der folgenden Unterlage Tätigkeitsfelder im einzelnen ausführlich dargestellt werden, mögen diese wenigen Hinweise im Rahmen dieses Vorblicks genügen.

3.2 Vorblick auf Wissensgrundlagen Interkultureller Didaktik

Ganz generell gilt die Einsicht, daß sich im menschlichen Leben Praxisprobleme nicht danach richten, in welchen Schubladen sich das Wissen zu ihrer Lösung befindet. Dies gilt auch für Probleme interkulturell-didaktischen Handelns. Wissen zu deren Lösung ist in der Geschichte der Wissenschaft - in Europa und anderswo - schon seit langem und im Rahmen mehrerer Wissenschaften erzeugt worden. Zu diesen Wissenschaften gehören nicht nur Philosophie, Biologie, Anthropologie, Didaktik, Pädagogik, Psychologie, Ethnologie ("Völkerkunde") und Soziologie, sondern auch Philologien (Anglistik, Slawistik, Indologie, Arabistik etc.), Medienwissenschaften und Politikwissenschaft. Neuerdings liefern sogar die Wirtschaftswissenschaften Beiträge zum Thema "Interkulturelles Management", die auch für interkulturell-didaktisches Handeln interessant sind. In der Regel sind es diese Wissenschaften jedoch nicht als ganze, welche Wissen liefern können, das für interkulturell-didaktisches Handeln nützlich ist, sondern einzelne Fachgebiete innerhalb dieser Disziplinen, etwa die "Kulturphilosophie", die Humanbiologie, die international-vergleichende Erziehungswissenschaft, die Erziehungsethnologie, die "Interkulturelle Psychologie", die Kultursoziologie oder die internationale Politikwissenschaft.

Im Rahmen einer Einführung in die Grundlagen Interkultureller Didaktik ist es jedoch nicht möglich, Kernwissen aus jedem diese Fachgebiete im Überblick darzustellen. Deshalb werden die in den genannten Disziplinen bzw. in deren speziellen Fachgebieten verfügbaren Wissensbestände zu größeren thematischen Blöcken zusammengefaßt, die jeweils auf mehrere Disziplinen bzw. Fachgebiete verweisen. Es handelt sich um die Themenkomplexe

3.3 Vorblick auf Perspektiven Interkultureller Didaktik

Die vierte und letzte Unterlage zu dieser Einführung in die Grundlagen Interkultureller Didaktik bezieht sich grob gesagt auf Zukünfte, und zwar auf die Zukunft des Fachgebiets Interkulturelle Didaktik und auf die Zukunft derer, die es studieren.

Was die Zukunft des Fachgebiets "Interkulturelle Didaktik" anbelangt, so gehören zu den Faktoren, die seine Zukunft bestimmen werden, auf der einen Seite die Globalisierung und "Multikulturalisierung" unserer Lebensverhältnisse und die Bearbeitung der sich daraus ergebenden individuellen und gesellschaftlichen Lernprobleme. Auf der anderen Seite ist es das wachsende Interesse vor allem der jüngeren Generation an kultureller Horizonterweiterung, an Kulturaustausch, an interkultureller Orientierung und an der Entwicklung interkultureller Kompetenz.

Erkennbar sind aber auch Faktoren, denen eher hemmende Wirkungen zuzuordnen sind. Dazu gehören zum einen die aus der Krise der Staatshaushalte und aus dem "Rückbau" staatlicher Institutionen - insbesondere der Hochschulen - sich ergebenden Widerstände und "Verteilungskämpfe", in denen die bereits länger etablierten Fachgebiete bessere Karten haben. Sodann aber dürften auch akademische "Revierkämpfe" unter Vertretern von benachbarten Fachgebieten eher negative Einflüsse haben, da in unserer Kultur die Beziehungen zwischen Menschen weniger von wechselseitiger Unterstützung und wechselseitigem Lernen bestimmt werden, sondern von Konkurrenzdenken und von der Mehrung eigenen Besitzes.

Eine dritte Gruppe von Faktoren läßt sich in der Richtung ihrer Wirkungen schwerer einschätzen. Es handelt sich um die wachsende gesellschaftliche Nachfrage nach "interkultureller Kompetenz". Sie kann einerseits fördernd wirken, da sie auch - wie am Beispiel der Zunahme interkultureller Trainings erkennbar - Arbeitsplätze schafft. Sie kann aber auch zur Folge haben, daß die kurzfristige Befriedigung der entsprechenden Bedarfe die schnelle Improvisation, die aus dem Ärmel geschüttelten Patentrezepte bevorzugt und die Entwicklung von Handlungswissen, das durch wissenschaftliche Forschung gesichert ist, vernachlässigt oder gar verdrängt.

Was die Zukunft der Menschen anbelangt, die das Fachgebiet Interkulturelle Didaktik studieren, so lassen sich langfristige Vorhersagen in bezug auf neu entstehende Praxisfelder nur schwer machen. Deshalb kommt den kurzfristigen Perspektiven besondere Bedeutung zu. Die von dem Theologen und Erziehungstheoretiker Schleiermacher formulierte Maxime, daß weder die Gegenwart der Zukunft, noch diese jener aufgeopfert werden dürfen, gewinnt hier ihre Bedeutung: Das Studium selbst muß bereits Gewinn bringen, nicht erst der Marktwert der Examensbescheinigungen. Dieser Gewinn wird zum einen im wahrnehmbaren Zuwachs an interkultureller Kompetenz zu suchen sein, zum anderen in befriedigenden Tätigkeiten bei der Bearbeitung bedeutsamer Lernaufgaben und nicht zuletzt auch in der Stiftung positiver menschlicher Beziehungen zu Kommilitonen, Dozenten und Praktikern im In- und Ausland.

3.4 Vorblick auf Arbeitsformen

Einen wichtigen Beitrag dazu, daß bereits die Studienzeit als geistig gewinnbringend und "bildend" erfahren und gelegentlich auch als lustvoll erlebt wird, können die Arbeits- und Kommunikationsformen liefern, die es bestimmen. Damit ist nicht nur die Gestaltung der Lehrver- anstaltungen gemeint, sondern auch das Lernen an anderen Lernorten: Anders ausgedrückt: Wer damit rechnet, daß er sein Studium lustlos und minimalistisch ("dünnbrettbohrerhaft") absolviert und darauf spekuliert, später den großen Gewinn mit dem dadurch erreichten Zertifikat einzufahren, wird mit Sicherheit enttäuscht werden.

Nicht nur unsere Gesellschaft verlangt "Neues Lernen", sondern auch die Hochschule. Es gibt ein englisches Sprichwort, das besagt: "Man kann Pferde zur Quelle führen, man kann sie aber nicht trinken machen". In Abwandlung dieses Sprichworts könnte man sagen: "Man kann für Lerner gute Lernbedingungen schaffen, man kann sie aber nicht lernen machen". Dieser Philosophie entsprechend liegt die Verantwortung für das Lernbedürfnis, den "Wissensdurst" beim Lerner, die Verantwortung für die Gestaltung guter Lernbedingungen beim "Lernhelfer", in unserem Falle beim Dozenten.

Literatur:

Bochner, Stephen. Cultures in Contact. Oxford u. a., 1982.

Gay, J. & Cole, M. The New Mathematics and an old Culture. A Study of Learning among the Kpelle of Liberia. New York, 1967.

Hart, C. W. M. . Contrasts between Prepubertal and Postpubertal Education. In: Spindler, G. D. (ed.), Education and Cultural Process. New York, 1974, S. 342-360.

Schäffter, Ortfried (Hrsg.), Das Fremde. Opladen, 1991.



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