Wissensgrundlagen Interkultureller Didaktik
Woher kommt das Wissen, das zur Begründung didaktischen Handelns
in den verschiedenen Tätigkeitsfeldern geeignet ist? Abgesehen von
Alltagserfahrungen (dem sogenannten "gesunden Menschenverstand") und spontanen
Einfällen kreativer Menschen, stehen im wesentlichen zwei Wissensquellen
zur Verfügung:
a) die von professionell Tätigen in den jeweiligen Tätigkeitsfeldern
erzeugten und weitervermittelten Praxisroutinen und Problemlösungen
("Zunftwissen"),
b) und in bestimmten wissenschaftlichen Disziplinen erzeugtes Grundlagenwissen,
das als Hintergrundwissen in Problemlösungen didaktischen Handelns
eingebracht werden kann.
Um dieses Grundlagenwissen geht es in den folgenden Texten. Es ist
entstanden im Zusammenhang philosophischer, anthropologischer, kulturtheoretischer,
psychologischer, didaktischer, vergleichend-erziehungswissen- schaftlicher
und linguistisch-kommunikationswissen- schaftlicher Forschung. Die in diesen
Disziplinen entwickelten Theorien, Modelle, Hypothesen und Befunde entstanden
und entstehen jedoch nicht - auf jeden Fall aber nicht in erster Linie
- wegen ihrer Bedeutung für interkulturell-didaktisches Handeln. Deshalb
lassen sich aus ihnen Empfehlungen für interkulturell-didaktisches
Handeln auch nicht einfach "ableiten". Solche Theorien, Modelle, Hypothesen
und Befunde dienen jedoch zum einen als Anregung, zum anderen als Ausgangsmaterial
für kritische Reflexion von Praxis.
1.1 Zur Geschichte des Natur-Kultur-Problems
1.2 Kulturbegriffe
1.3 Zur Geschichte des Kulturbegriffs
1.4 Kategoriale Bestimmungen von "Kultur"
1.5 Objektive und subjektive Aspekte von Kultur
1.6 Kulturelle Orientierungen von Menschen
1.7 Kulturrelativismus und Universalismus
1.8 Anthropologien wissenschaftlicher Disziplinen
1.9 Folgerungen für interkulturelle Didaktik
2.1 Das Wolfskind von Aveyron
2.2 Was ist der Mensch "von Natur aus" und "von Kultur
aus"?
2.3 Das genetische Programm des Menschen
2.4 Deterministische und nicht-deterministische Auffassungen
vom Menschen: Fremdbestimmung und Selbstbestimmung
2.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kulturen ("Invarianten")
2.6 Individuelle Unterschiede aufgrund von Erbanlagen
2.7 Das Erkenntnisparadox
2.8 Konsequenzen für Interkulturelle Didaktik
3.1 "Etische" und "Emische" Positionen
3.2 Kulturbegriff
3.3 Die Charakterisierung von Kulturen nach ihrer Artikulation
von Raum und Zeit (nach HALL & HALL 1990)
3.4 Die vier Kulturdimensionen von HOFSTEDE
3.5 Die fünf Lebensstile nach THOMPSON u. a.
3.6 Theoretischer Bezugsrahmen (Abstraktionsebenen)
für Wertvorstellungen nach TRIANDIS (1972, S. 18)
3.7 Kulturtransfer
3.8 Kulturentwicklung
3.9 Folgerungen
4.1 Grundannahmen
4.2 Unterschiede zwischen Kulturen
4.3 Kulturelle Bedingtheit der Wahrnehmung
4.4 Kulturelle Bedingtheit der Begriffs- und Modellbildung
4.5 Kulturelle Bedingtheit des Gedächtnisses
4.6 Kulturelle Bedingtheit von Persönlichkeitsmerkmalen
4.7 Folgerungen für die Interkulturelle Didaktik
5.1 Die gattungsbedingt "ethnozentrische" Grundorientierung
des Menschen
5.2 Kulturelle Identität
5.3 Die gattungsbedingte Möglichkeit, Ethnozentrismus
zu überwinden
5.4 Notwendige Lernprozesse
5.5 Stufen der Moralentwicklung nach KOHLBERG (1973)
5.6 Formen der Akkulturation an interkulturelle Kontexte
5.7 Entwicklungsstadien (Entwicklungsstufen)
6.1 Vorgeschichte
6.2 Philologien als Sprach- und Kulturwissenschaften
6.3 Fremdsprachendidaktiken
6.4 Medienwissenschaften
6.5 Semiotik(en)
7.1 Didaktiken als Formen segregierten Lernens
7.2 Vielfalt der Didaktiken
7.3 Praktiker-Didaktiken
7.4 Theoretiker-Didaktiken
7.5 Rekonstruktionsstufen
7.6 Rekonstruktionsbereiche bzw. Rekonstruktionsebenen
7.7 Kategorialmodelle der Didaktik
7.8 Der Göttinger Katalog Didaktischer Modelle
8.1 Überlieferung didaktischer Rollen und didaktische
Sozialisation
8.2 Ebenen didaktischen Handelns in ausdifferenzierten
Bildungssystemen
8.3 Kulturelle Bedingtheit von traditioneller Schul-
und Unterrichtspraxis (nach HOFSTEDE 1991)
8.4 Kulturell "angepaßtes" didaktisches Handeln
1. "Natur" und "Kultur" des Menschen (philosophische Wissensgrundlagen)
GRUNDBEGRIFFE:
-
Natur
-
Kultur
-
Weltoffenheit
-
Determinismus
-
Anthropologien
1.1 Zur Geschichte des Natur-Kultur-Problems
Die Frage nach der "Natur" und nach der "Kultur" des Menschen gehört
zu den geistesgeschichtlichen Langzeitproblemen in Europa. Sie wurde zunächst
und wird noch im Kontext von Religion behandelt (Genesis, Erbsünde).
Später wird sie zum Erkenntnisgegenstand mehrerer Disziplinen. Auch
die Interkulturelle Didaktik muß hierzu ihre Optionen klären
(STEINBACHER).
Die Interpretation der Welt (des Kosmos) in "Dualismen" bzw. Polaritäten
(Materie und Geist, Leib und Seele, Natur und Kultur), ist eine starke
Tradition in der europäischen Ideengeschichte, die auch in unsere
Alltagstheorien hineinwirkt.
Die Bemühungen, die "Menschheit" ("Humanität") als ein einheitliches
Gebilde (als Idee und/oder als Realität) zu sehen und bedeutsame,
das Wesen des Menschen definierende, gattungsbedingte Eigenschaften von
homo sapiens herauszustellen, verdichten sich im 18. Jahrhundert (HERDER;
ROUSSEAU). Mit dem Ausbau ethnologischer Forschung erweisen sich zunehmend
ehemals als "natürlich" angesehene Wesensmerkmale als "kultürlich"
verschieden. Mit dem "Wildkind vom Aveyron" (ITARD 1800) erhält die
empirische Erforschung des Natur-Kultur-Problems eine neue Qualität.
Gleichzeitig entwickelte sich in Europa ein Menschenbild, das der Individualität
gleichen oder höheren Wert als Kollektividealen einräumte (W.
v. HUMBOLDT). Mit zunehmender Individualismus-Lastigkeit der europäischen
Kultur im 20. Jahrhundert nimmt das populäre Interesse an der Bestimmung
von Gattungsmerkmalen von homo sapiens zunächst ab.
Deterministische Vorstellungen (z. B. in Form des Erbe-Umwelt-Streits)
prägten die Auseinandersetzung von der 2. Hälfte des 19.Jahrhunderts
bis in unsere Gegenwart. Ethiken, welche die Idee der transzendentalen
Freiheit als Alternative zum Determinismus betonten (z. B. SCHELER und
SARTRE) blieben demgegenüber wenig populär.
Es scheint ein Erkenntnisparadox dahingehend zu bestehen, daß
wir über die Begriffe "Natur" und "Kultur" immer nur "systemimmanent"
kommunizieren können, d. h. mit Hilfe unserer biologischen Ausstattung
und in kulturspezifischen Sprachen, die dasjenige bereits voraussetzen,
was sie zu ihrem Erkenntnisgegenstand machen.
1.2 Kulturbegriffe
Die bisherigen Ausführungen lassen die Notwendigkeit erkennen, daß
wir unseren Kulturbegriff weiterentwickeln müssen, um die Besonderheiten
des "Inter-Kulturellen" (und damit auch der Interkulturellen Didaktik)
besser verstehen zu können. Dabei dürfen wir den Alltagsbegriff
von "Kultur" nicht außer acht lassen, der in Deutschland verbreitet
ist. Wenn jemand in der Alltagssprache von "Kultur" spricht, dann beziehen
sich seine Vorstellungen zumeist auf Dinge, die etwas mit Kunst, Wissenschaft
und Bildung zu tun haben und die vom Kulturreferenten der Stadt oder vom
Minister für Kultur (Kunst und Wissenschaft) verwaltet werden. Manchmal
wird der Begriff auch in einem eingeschränkteren Sinne verwendet,
wenn jemand sagt, daß ein anderer ein Mensch "ohne Kultur" sei, um
dessen Umgangsstil, dessen Eßmanieren oder dessen Hygieneverhalten
zu kritisieren. Schließlich ist von "Kulturen" die Rede, wenn es
um die Züchtung von Bakterien oder Pflanzen geht ("Aquakulturen").
In den Humanwissenschaften hat sich demgegenüber eine große
Vielfalt von Kulturbegriffen entwickelt, die jeweils verschiedene Aspekte
besonders hervorheben. Gemeinsam ist diesen humanwissenschaftlichen Ansätzen
jedoch, daß sie den Begriff "Kultur" in einem weiteren Sinne verwenden.
KROEBER & KLUCKHOHN (1952) haben insgsamt 160 solcher Definitionen
untersucht und versucht, daraus eine Definition zu entwickeln, die möglichst
viele dieser Definitionen umfaßt.
Die folgende, als "Eisberg-Modell" von Kultur bezeichnete Darstellung
faßt diese Überlegungen auf anschauliche Weise zusammen:
Das "Eisberg-Modell" von Kultur
(in Anlehnung an AFS Orientation Handbook, Vol. IV, 1984
1.3 Zur Geschichte des Kulturbegriffs
Wie andere Begriffe, die abstrakte Sachverhalte bezeichnen, so hat auch
der Begriff "Kultur" seinen Ursprung in einem konkreten Sachverhalt, in
diesem Falle im Ackerbau. Die alten Römer verwendeten ihn im Zusammenhang
mit der Kultivierung einer Naturfläche und bezeichneten damit auch
das Ergebnis dieses Prozesses der Kultivierung. Im Mittelalter wurde der
Begriff dann im übertragenen Sinne auf den Menschen bezogen: Der Mensch
in seinem Natur- oder Rohzustand bedurfte der Kultivierung ebenso wie der
Boden, um Früchte zu tragen. Seit dem 18. Jahrhundert wird dann "Kultur"
ganz allgemein im Gegensatz zu "Natur" definiert: Bezogen auf den Menschen
wird unterschieden zwischen dem, was er "von Natur aus" ist, und dem, was
er durch die Kultur (bzw. Zivilisation) geworden ist, also durch Erziehungs-
und Bildungsprozesse.
Zur gleichen Zeit wird die Unterscheidung "Mensch im Naturzustand" und
"Mensch im Kulturzustand" nicht nur auf Individuen, sondern auf ganze Völker
bezogen ("Naturvölker" und "Kulturvölker"). Dem liegt die Auffassung
zugrunde, daß sich die Menschheit aus einem frühen "Naturzustand"
kontinuierlich zu einem "zivilisierten" Zustand hin entwickelt. Dabei zeichneten
sich drei Positionen ab:
-
Eine "kulturkritische" Position, die diesen Zivilisationsprozeß
als "Verfall der Sitten" ansah, und eine konservative Orientierung an früheren
Zuständen vertrat,
-
eine kulturoptimistische Position, die diesen Prozeß als "Fortschritt"
hin zu einer höheren Einheitskultur, hin zur schönen neuen Welt
und hin zum neuen und besseren Menschen betrachtete und
-
eine kulturpluralistische Position, die allen Völkern das Prädikat
"Kultur" zuerkannte, die eine Gleichwertigkeit aller Kulturen betonte und
die in der Vielfalt und in der Wechselbeziehung von Kulturen einen positiven
Wert erkannte.
Es war die dritte Position, in deren Rahmen sich ein Kulturbegriff entwickelte,
der nicht nur die "höheren" Kulturleistungen einer Gesellschaft umfaßte,
also Kunst, Wissenschaft, Religion und Bildung, sondern alle Bereiche menschlicher
Tätigkeit, im besonderen auch Alltagskultur, Technologie, Handwerk,
Wirtschaft, Handel, Kommunuikation etc. Im Rahmen dieses erweiterten Kulturbegriffs
entstand dann auch die Vorstellung, daß sich eine Kultur dadurch
auszeichnet, daß die in ihr wirksamen Prinzipien, Werte und Normen
("Kulturstandards") all diese Lebensbereiche durchdringen und ihren Einheitscharakter
erzeugen.
In neuerer Zeit hat sich dieser erweiterte Kulturbegriff in den Wissenschaften,
vor allem in der Ethnologie und in der Soziologie durchgesetzt, während
unser Alltagsbegriff von "Kultur" zumeist noch der engeren Variante folgt.
Besondere Erwähnung verdienen Überlappungen und Angrenzungen
zwischen dem Begriff "Kultur" und drei anderen Begriffen: "Gesellschaft",
"Zivilisation" und "Kunst". Vor allem für den alltäglichen Sprachgebrauch
dürfte es hilfreich sein, hier größere Klarheit zu schaffen.
Zunächst zur Abgrenzung der Begriffe "Kultur" und "Gesellschaft".
Auch hierbei können wir auf KLUCKHOHN zurückgreifen, der eine
Präzisierung mit Hilfe des folgenden Gedankenganges liefert:
Da "Kultur" eine Abstraktion ist, ist es wichtig, Kultur nicht
mit "Gesellschaft" zu verwechseln. Eine "Gesellschaft" ist eine
Gruppe von Menschen, die miteinander mehr Berührung haben als mit
anderen Individuen - die zur Erreichung gewisser Zwecke zusammenarbeiten.
Man kann die Individuen, die eine Gesellschaft bilden, sehen und auch wirklich
zählen. Eine "Kultur" umfaßt die bestimmte Lebensart einer solchen
Gruppe von Menschen. Nicht alle sozialen Ereignisse haben eine kulturelle
Schablone. Es entstehen neue Arten von Typen, für die noch keine kulturellen
Lösungen gefunden worden sind.
Was die Unterscheidung von "Kultur" und "Zivilisation"
anbelangt, so hat sie vor allem im deutschen Sprachraum im 19. Jahrhundert
eine gewisse Rolle gespielt. Dabei wurde "Kultur" eher auf "innere Werte",
d. h. auf Gebiete moralisch-religiöser und ästhetisch-künstlerischer
Tätigkeit angewendet, während "Zivilisation" sich eher auf "äußere
Werte", d. h. technische und juristische Sachverhalte und Fortschritte
bezog.
Die Gleichsetzung von "Kultur" und "Kunst" ist demgegenüber
noch in unserer Alltagssprache aktuell, worauf bereits hingewiesen wurde.
Wie das oben dargestellte "Eisberg-Modell" der Kultur deutlich macht, wird
"Kunst" einschließlich "Volkskunst" als "höhere Kultur" verstan-
den, während die Alltagskultur in den darunterliegenden Schichten
des Eisbergs angesiedelt wird. Im Englischen hat sich in jüngerer
Zeit die Unterscheidung von "surface structure" und "deep structure" eingebürgert,
eine Unterscheidung, die allerdings eine andere Sichtweise beinhaltet:
Die "höheren" Schichten einer Kultur sind nicht die wertvolleren,
sondern die besser sichtbaren sichtbaren "Oberflächen-Merkmale"; die
darunterliegenden Tiefen-Schichten sind die eigentlich tragenden, die jedoch
nicht so leicht erkennbar sind, weil sie unter der Wasseroberfläche
liegen, d.h. weil sie als kulturelle Selbstverständlichkeiten unterunterhalb
der Schwelle unseres Bewußtseins liegen.
1.4 Kategoriale Bestimmungen von "Kultur"
Im folgenden sollen verschiedene Aspekte von Kultur behandelt
werden, die für die Bearbeitung interkulturell-didaktischer Problemstellungen
von besonderer Bedeutung sind:
-
Kultur als kollektives Gedächtnis ("Überlieferung"),
-
Kultur als sozialer Bezugsrahmen ("Identität"),
-
Kultur als System von Wissen und Werten und
-
Kultur als selbstregulatives System.
1.4.1 Kultur als kollektives Gedächtnis ("Überlieferung")
Ausgehend von unseren anthropologischen Grundüberlegungen können
wir das genetische Programm des Menschen als "Langzeitgedächtnis"
der Gattung bezeichnen, in dem alle Erfahrungen der Vorgänger unserer
Evolutionsgeschichte gespeichert sind, die das Überleben der Art sichern
helfen. Entsprechend lassen sich Kulturen als darüberliegende Langzeitgedächtnisse
einzelner Kollektive verstehen, die darin Erfahrungen ihres Überlebens
unter spezifischen Umweltbedingungen gespeichert haben. Jedes Mitglied
des Kollektivs erhält auf diese Weise im Laufe seines "Enkulturationsprozesses"
das für seinen Kontext wichtige Wissen überliefert, so daß
er es sich nicht erst durch Versuch und Irrtum neu aneignen muß.
1.4.2 Kultur als sozialer Bezugsrahmen ("Identität")
Kultur kann auch gesehen werden als sozialer Bezugsrahmen, d. h. als
ein abgegrenztes Spielfeld, auf dem festgelegte Spielregeln gelten und
in dem jedem Mitspieler die Mitgliedschaft (und damit eine kulturelle bzw.
kollektive Identität) zuerkannt und eine bestimmte Rolle zugewiesen
wird. Aus der Perspektive des Mitglieds ergibt sich so die Möglichkeit,
diese Zugehörigkeit nicht nur rational, sondern auch emotional zu
akzeptieren und sich mit einem Kollektiv (z. B. einem Stamm, einer Nation,
einem Staat) zu identifizieren. In traditionalen Gesellschaften spielt
diese Identifikation eine größere Rolle als in modernen, in
denen man nicht nur ein möglichst angepaßtes Mitglied eines
Kollektivs (z. B. ein richtiger Bayer) sein möchte, sondern auch eine
individuelle Persönlichkeit, deren Selbstwert nicht ausschließlich
von der Identifikation mit dem Kollektiv abhängt.
Diese Identifizierung ist in modernen Gesellschaften deshalb nicht unproblematisch:
Gerade in Krisenzeiten neigen Menschen, denen es an Selbstbewußtsein
mangelt, dazu, ihre Kollektivzugehörigkeit besonders zu betonen und
- im Falle zusätzlicher Dümmlichkeit - als eigene Leistung zu
interpretieren, die mangels anderer individueller Leistungen - zumeist
aggressiv - hervorgekehrt wird. Auf der anderen Seite neigen Menschen mit
hoher individualistischer Orientierung in modernen Gesellschaften dazu,
ihre kulturelle Identität herunterzuspielen oder zu verleugnen, eine
besonders bei Intellektuellen verbreitete Neigung ("Ich bin eigentlich
gar kein Deutscher, ich bin nur ich"). Bei interkulturellen Begegnungen
kann solche Verleugnung (ebenso wie demonstrativer Nationalismus) beim
Partner Irritationen und Ängste auslösen - vor allem wenn er
Mitglied einer eher traditionalen Kultur ist -, weil jemand, der sein Herkommen
und seine Zugehörigkeit nicht zu erkennen geben will, leicht als jemand
gilt, der etwas zu verbergen hat.
1.4.3 Kultur als System von Wissen und Werten
Kultur existiert unabhängig von menschlichen Subjekten in "objektiven"
Formen. Dazu gehören so konkrete Sachverhalte wie Kleidung und Schmuck,
Werkzeuge und Technologien, gestaltete Landschaften und Siedlungsformen.
Dazu gehören aber auch abstraktere Gebilde wie Zeichen und Bedeutungen,
Symbole und Gebärden. Und es gehören dazu so hochkomplexe Sachverhalte
wie Institutionen und Organisationsformen, Weltbilder und Menschenbilder.
Wichtig ist dabei die Erkenntnis, daß diese objektiven Formen
von Kultur nicht bloße Anhäufungen der einzelnen Elemente sind,
sondern daß sie in einem "systemischen" Zusammenhang, d. h. in regelmäßigen
und regelhaft beschreibbaren Beziehungen stehen. So ist beispielsweise
der Sachverhalt "Onkel" keine Eigenschaft eines Menschen, sondern ein Beziehungsverhältnis.
Und auch die sprachlichen Zeichen erhalten ihren Sinn nicht aus sich selbst
heraus, sondern aus den Beziehungen in denen sie stehen, etwa in Beziehungen
zu Dingen und in Beziehungen zu anderen Zeichen.
Es ist nun sinnvoll, den systemischen Zusammenhang einer Kultur unter
den Gesichtspunkten von "Wissen" und "Werten" zu gliedern. Wissen ist dabei
zu verstehen als jede Art von Information die eine kulturelle Bedeutung
hat, sozusagen die Baupläne zur Herstellung der materiellen und symbolischen
Gebilde, die eine "objektive" Kultur ausmachen. Werte sind dabei die von
den Mitgliedern eines Kollektivs akzeptierten und kollektiven Beurteilungen
von Dingen und Sachverhalten.
"Was ist wahr, gut, schön, gerecht etc." Je einheitlicher eine
Kultur, desto größer sind die Übereinstimmungen ihrer Mitglieder
in bezug auf diese Werte, je differenzierter eine Gesellschaft, desto größere
Abweichungen der "Subkulturen" und der Individuen werden toleriert.
Im Begriff des "kulturellen Skripts" werden solche kleinen Einheiten
von Wissen und Bedeutungen zusammengefaßt. So gibt es bei uns z.
B. ein "kulturelles Skript" für Restaurantbesuch, das sowohl das Wissen
über die dabei bedeutsamen Personen und Gegenstände enthält
als auch Wissen über akzeptierte Regeln der Qualitätsbewertung,
der Kommunikation, des Verhaltens etc. Bewußt wird die Existenz solcher
Skripten erst wahrgenommen, wenn bei den Beteiligten unterschiedliche Auffassungen
existieren, z.B. darüber, ob man sich einfach selbst an einen freien
Tisch setzen darf oder warten muß, bis der Kellner einem einen Tisch
zuweist.
1.4.4 Kultur als selbstregulatives System
In neuerer Zeit hat sich vor allem unter dem Einfluß von Theorien
komplexer und dynamischer Systeme und von Evolutionstheorien eine Sichtweise
herausgebildet, die Kultur als selbstregulatives System begreift (LASZLO
1988). Damit ist gemeint, daß Kulturen keine von außen, d.
h. von einem übergeordneten Bezugssystem (etwa von den Sternen) gesteuerten
Systeme sind; Vielmehr sind es komplexe (d. h. aus vielen Subsystemen bzw.
Elementen bestehende) Gebilde, die nach innen den Zusammenhang der Elemente
und nach außen die Wechselbeziehungen zu ihrer Umgebung regulieren.
Wie weit sie dabei einem inneren Plan oder Zweck folgen ("teleologische"
Auffassung) oder lediglich ihre Überlebenssicherung durch Herstellung
aktueller Gleichgewichte (zwischen der Aufrechterhaltung ihres "Selbst"
und der Anpassung an neue Außenanforderungen) betreiben, ist ein
offenes Problem.
Als dynamisch gelten solche Systeme deshalb, weil sie sich bei dieser
Wechselwirkung mit ihren Umgebungen und bei diesem Bemühen um aktuelles
Gleichgewicht weiterentwickeln, d.h. ihren Zustand ändern. Dies kann
allmählich in evolutionärer oder sprunghaft in revolutionärer
Weise geschehen. Es kann jedoch auch in Devolution und Katastrophe, d.h.
im Absterben enden. Autoren wie z.B. Oswald SPENGLER haben solche Kulturzyklen
des Aufsteigs und des Absterbens am Beispiel der Antike beschrieben.
Kulturentwicklung und kultureller Wandel sind somit Prozesse, die sich
aus dieser systemischen Betrachtungsweise heraus besonders gut interpretieren
lassen. Drei Aspekte sind es, unter denen sich Kulturentwicklung beschreiben
und begründen läßt:
-
Wechselbeziehungen zur Außenwelt, etwa Veränderungen der Umwelt
durch Klimaänderungen, (Völker-)Wanderung oder durch demographische,
politische oder technologische Entwicklungen (selbst-)verursachte Verän-
derungen,
-
Endogene Veränderungen, die sich aus quantitativem Wachstum, innerer
Differenzierung oder Wandel des "Zeitgeists" ergeben und
-
Kulturkontakte, d. h. Begegnungen mit anderen Kulturen, die als Folge erwünschter
oder unerwünschter persönlicher Kontakte oder als Folge medienvermittelter
Kontakte (Literatur, Massenmedien etc.) entstehen.
Was den letzten Punkt anbelangt, so liegt hier ein wichtiger Ansatz für
die Entwicklung von Formen interkulturellen Lernens, die beide Aspekte
berücksichtigen, die Wirkungen nach außen und die Rückwirkungen
nach innen.
1.5 Objektive und subjektive Aspekte von Kultur
Die vier vorstehend aufgeführten Sichtweisen lassen sich dahingehend
zusammenfassen, daß der Sachverhalt "Kultur" in zwei Welten angesiedelt
ist, in der Außenwelt und in der Innenwelt eines jeden Menschen.
Er hat eine doppelte Gestalt, als Objekt und als Repräsentation des
Objekts im Bewußtsein von Menschen. Und er ist ein Gebäude ebenso
wie ein Bauplan davon. Je nachdem, welche dieser beiden Sichtweisen man
wählt, läßt sich der Erkentnisgegenstand "Kultur" erforschen,
indem man primär die Erscheinungen in der Außenwelt oder primär
Erscheinungen "in den Köpfen von Menschen" beobachtet und analysiert.
Entsprechend sind es auch verschiedene wissenschaftliche Disziplinen,
die ihr Hauptinteresse auf diese beiden Aspekte von Kultur richten: Ethnologie
und Soziologie sind es, die sich vorwiegend mit den objektiven Aspekten
von Kultur befassen, während sich die Interkulturelle Psychologie
besonders den subjektiven Aspekten von Kultur zuwendet. Lediglich die Linguistik
verküpft beide Aspekte, indem sie zum einen Sprache als objektives
System, zum anderen Sprache als Sprachvollzug von Subjekten zu ihrem Gegenstand
macht. Die Interkulturelle Didaktik wird beide Aspekte zu bearbeiten haben,
da das jeweils anzueignende und zu vermittelnde Wissen und die Kontexte,
in denen Wissensaneignung stattfindet die objektive Seite von Kultur repräsentieren,
während Aneignungsprozesse und Lerntätigkeiten die subjektive
Seite betreffen.
1.6 Kulturelle Orientierungen von Menschen
Wenn wir davon ausgehen, daß Kultur nicht nur in Außenwelten,
sondern auch in Innenwelten, d.h. "in den Köpfen" von Menschen existiert,
so stellt sich zum einen die Frage, wie sie da hineingekommen ist. Zum
anderen ist zu fragen, woher das kam, was da hineingekommen ist. Die Frage
nach dem "wie" wird im allgemeinen so beantwortet: durch "Enkulturation",
d.h. durch Lernprozesse, die zum einen durch bewußt oder unbewußt
gemachte Alltagserfahrungen und Sozialisationsprozesse, zum anderen durch
Erziehungsprozesse vermittelt sind. In solchen Enkulturationprozessen werden
vor allem Weltbilder und Menschenbilder ("Deutungs- und Erklärungsmuster"),
Werte und Normen sowie Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt bzw. übernommen,
wird "kulturelle Identität" begründet.
Die Frage nach dem "woher" zielt auf den für einen Menschen jeweils
bedeutsamen kulturellen Bezugsrahmen. Sie wurde und wird auch heute noch
oft mit dem Hinweis auf "Volk", "Nation" oder "(National-)Gesellschaft"
beantwortet. Diese Antwort ist jedoch irreführend, denn es gibt zumindest
für die Epoche der Moderne und auf jeden Fall für heutige Europäer
mehr als nur einen und auch andere als diesen Bezugsrahmen. In unserem
Lande können sich Menschen in ihren kulturellen Orientierungen gleichermaßen
als Weltbürger, als Europäer, als Deutsche und als Hessen begreifen.
Der Versuch, eine systematische Antwort auf diese Frage nach den verschiedenen
für einen Menschen bedeutsame Bezugsrahmen zu geben verweist auf mehrere
Ebenen kultureller Orientierung:
-
Da ist zunächst die Ebene von Weltkultur. Wir haben bereits
darauf verwiesen, daß Ethnologen davon ausgehen, daß es gewisse,
für alle Stämme und Völker gemeinsame Problemstellungen
gibt, die sie mit kulturellen Optionen beantworten ("Invarianten"). In
neuerer Zeit kommen jedoch noch historisch in Europa entstandene Vorstellungen
menschlicher Gemeinsamkeit ("Humanität", "Menschheit") hinzu, die
in Vorstellungen von "Menschenrechten" und "Weltorganisationen" (UNO) konkrete
Gestalt angenommen haben.
-
Auf der Ebene der - territorial gegliederten - Kulturkreise lassen
sich weitere Alternativen eines kulturellen Bezugsrahmens aufweisen: Neben
dem europäisch-mediterranen ("abendländischen") Kulturkreis lassen
sich nach BURTON u.a. (1992) mindestens 5 weitere solcher Kulturkreise
erkennen:
-
Afrika südlich der Sahara,
-
Ostasien (Japan/China) und Südasien (Indien),
-
Pazifikinseln und Eingeborene Australier,
-
Nordamerikanische Indianer
-
Südamerikanische Indianer
-
Stamm ("Ethnie"), Volk, Nation und Sprachgemeinschaft
bilden die dritte Ebene kultureller Orientierung. Sie ist ebenfalls im
wesentlichen (noch) territorial definierbar. Die Zahl der hier festzustellenden
kulturellen Einheiten wird unterschiedlich hoch eingeschätzt. Sie
dürfte jedoch in der Größenordnung von 1000 liegen. Bemerkenswert
ist hier, daß gegenwärtig auf dieser Ebene sowohl "Artensterben"
stattfindet als auch "Reethnisierungen", d.h. Neubetonung von teilweise
abgeschwächtem Bewußtsein für kulturelle Identität
auf dieser Ebene.
-
Milieus, Lebensstile, "Habitus" bilden die vierte Ebene, auf denen
Menschen ihren kulturellen Bezugsrahmen finden können. Beispiele hierfür
sind neoliberale, konservative, hedonistische Lebensstile, traditionelle
und nicht-traditionelle Arbeitermilieus oder Sie spielt für moderne
Menschen eine zunehmend größere Rolle und ist angesichts zunehmender
Globalisierung nicht mehr territorial festzumachen.
-
Auf der fünften Ebene finden wir schließlich den kulturellen
Bezugsrahmen der Generationen, Professionen, Regionen, und Konfessionen.
Für Menschen unserer Gegenwart gilt, daß sich nicht nur hinsichtlich
der von ihnen auf jeder dieser Ebenen vorhandenen Alternativen unterscheiden,
sondern insbesondere hinsichtlich der "Rangreihe", in der diese Ebenen
für die bedeutsam sind. Dabei lassen sich gegenwärtig Tendenzen
hinzu einer "Partikularisierung" erkennen, d.h. die beiden "subnationalen"
Ebenen spielen eine zunehmend größere Rolle für die kulturelle
Orientierung von heutigen Menschen.
1.7 Kulturrelativismus und Universalismus
Wir hatten bereitsauf die einfache Formel verwiesen, daß jeder Mensch
in bestimmter Hinsicht
-
allen anderen Menschen,
-
einigen anderen Menschen (nämlich denen seiner Kultur) sowie
-
keinem anderen Menschen gleicht.
Ausgehend von dieser einfachen Erkenntnis lassen sich in der europäischen
Geistesgeschichte und in den entsprechenden wissenschaftlichen Disziplinen
zwei vorfindbare Grundpositionen charakterisieren, je nachdem, welchen
dieser Gesichtspunkte sie betonen. Sie werden zumeist mit den Begriffen
"Universalismus" und "Kulturrelativismus" bezeichnet.
Universalistische Positionen betonen die Gemeinsamkeit aller Menschen
und die Möglichkeit allgemeingültigen Erkennens. Sie sind eng
verbunden mit dem Weltbild der Moderne, mit dem Fortschrittsdenken und
mit dem Paradigma naturwissenschaftlichen Erkennens ("Die Naturgesetze
gelten überall und zu jeder Zeit"). Im Bereich der Naturwissenschaften
und in den auf sie aufbauenden Technologien können sich universalistische
Positionen daher auch auf erhebliche Erfolge in ihrem Sinne berufen. Angewendet
auf moralische und gesellschaftliche Sachverhalte, zeichnen sich universalistische
Positionen dadurch aus, daß sie "allgemeine Tugenden" und "Menschenrechte"
betonen und für alle Menschen einfordern, sei es als aktuelle Aufgabe
internationaler Organisationen ("Menschenrechtskommission"), sei es als
Zukunftsaufgabe. Auch wenn sich leicht nachweisen läßt, daß
diese "universalistischen" Positionen ein Produkt europäischer Kultur
sind, das letztlich auf Ideen der Französischen Revolution zurückführbar
ist, finden sie heute weltweit Anerkennung, nicht zuletzt auch als Bewußtsein
von der globalen wechselseitigen Abhängigkeit aller Menschen.
Universalistische Positionen haben aber auch ihre Schattenseite: Wer
sich im Besitz allgemeingültiger Wahrheiten glaubt, fühlt sich
nämlich oft auch im Recht, andere - notfalls auch gegen ihren Willen
- mit dem zu beglücken, was ihm selbst lieb und teuer ist. Und so
sind universalistische Positionen nicht nur Grundlage humanistischer und
humanitärer Orientierungen gewesen (und sind es bis heute noch), sondern
konnten und können auch zur Begründung von Missionsdenken, Kolonialismus
und Imperialismus dienen. In besondere Widersprüche sind deshalb gerade
solche Imperialismen geraten, die das "Selbstbestimmungsrecht der Völker"
als allgemeines Menschenrecht proklamierten und bereit waren, es mit Gewalt
von außen (!) durchzusetzen.
Kulturrelativistische Positionen haben sich im 19.Jahrhundert vor allem
unter dem Einfluß des Historismus entwickelt, der jede Epoche und
jede Kultur als "unmittelbar zu Gott" (HEGEL) ansah, ihr also einen besonderen
Eigenwert zusprach, der nicht an einem von außen herangetragenen
Maßstab gemessen werden sollte. Im Bereich des Erkennens, vor allem
in den Ethnologie, hat dies Methoden der "Binnenperspektive" entstehen
lassen, bei denen die Forscher sich bemühen, eine Kultur von innen
her zu erkennen und mit ihren eigenen Begriffen und in ihren eigenen Denkweisen
zu analysieren. Damit verbunden ist die Anerkennung prinzipieller Gleichwertigkeit
und Gleichberechtigung aller Einzelkulturen, das Prinzip der Nichteinmischung
und gegebenfalls - und hier liegt der innere Widerspruch dieser Position
- die Konservierung von Traditionen durch Hilfen von außen.
1.8 Anthropologien wissenschaftlicher Disziplinen
Im 20. Jahrhundert entstehen im Rahmen von immer mehr Wissenschaften "Anthropologien",
im besonderen philosophische, biologische, medizinische, pädagogische,
theologische und Kultur-Anthro-pologien, (Ethnologie).
-
Die Antworten der biologischen Anthropologie (einschließlich
der Gehirnforschung) auf die Frage nach dem Wesen des Menschen heben die
biologische Sonderstellung der Gattung "homo sapiens" hervor, wobei den
Merkmalen "Weltoffenheit", "Instinktarmut", "Frühgeburt", "Erziehungsbedürftigkeit",
"Erfahrungsbedürftigkeit" und "Lernbedürftigkeit" besondere Bedeutung
zukommt (PORTMANN). Parallel dazu weisen sie auf die relative Offenheit
des genetischen Programms von homo sapiens hin (VESTER 1984).
-
Die philosophische Anthropologie (SCHELER, PLESSNER, GEHLEN)
weist demgegenüber vor allem auf Sachverhalte von "Erfahrung", "Entlastung",
"Organersatz" und "Ethos" hin, wenn sie sie "homine" Eigenschaften behandelt.
-
Die Kulturanthropologie schließlich bemüht sich
in diesem Zusammenhang um Antworten auf zwei Fragen:
"Welche Lösungen finden abgrenzbare menschliche Kollektive, um bei
gegebener Instinktausstattung und unter gegebenen Umweltbedingungen in
evolutionärer Weise zu überleben und Identität zu bilden?"
Und: "Lassen sich im Vergleich verschiedener Kulturen Eigenschaften feststellen,
die allen Kulturen gemeinsam sind (sog. "Invarianten")?"
1.9 Folgerungen für interkulturelle Didaktik
Wer in interkulturellen Kontexten didaktisch Handelnder ist, gerät
regelmäßig in Ausein-andersetzungen um moralische, politische
und ideologische Positionen und muß seine eigene Position klären.
Diesen Auseinandersetzungen liegen letzten Endes immer auch unterschiedliche
Annahmen über die Natur und die Kultur des Menschen zugrunde, die
in politischen Optionen, z. B. in bezug auf Gleichheit und Ungleichheit,
Anlage und Umwelteinfluß, Eingriff und Schonung ihren Niederschlag
finden.
Aus unseren bisherigen Überlegungen lassen sich vor allem diese
Folgerungen für die Interkulturelle Didaktik ziehen:
-
Interkulturelle Didaktik sollte sich auf den erweiterten Begriff von Kultur
stützen, da nicht nur Wissenschaft und Kunst, sondern prinzipiell
alle Lebensbereiche Gegenstand organisierten Lernens in interkulturellen
Kontexten sind oder sein können.
-
Interkulturelle Didaktik sollte eine "gemäßigt kulturrelativistische
Position" beziehen, d.h. sie sollte die Anerkennung von Eigenwert, Vielfalt
und Gleichberechtigung aller Kulturen zu ihrer "Berufsmoral" machen, weil
nur so Kulturaustausch sinnvoll ist; andererseits sollte sie die Möglichkeit
eines alle Kulturen umfassenden kommunikativen Bezugsrahmens nicht ablehnen,
da dieser die Grundlage für Verstehen und Verständigung sowie
interkulturelles Lernen ist.
-
Interkulturelle Didaktik sollte deterministische Auffassungen sowohl in
bezug auf Individuen als auch in bezug auf Kulturen abwehren, da sie Quelle
ethnozentrischer und rassistischer Vorurteile sind ("Neger sind als solche
weniger intelligent") und damit Prozesse interkulturellen Lernens verhindern;
vor allem aber, weil sie den Sinn von Lerntätigkeit und damit das
zentrale Motiv dieser Disziplin zerstören.
-
Interkulturelle Didaktik sollte bei der Entwicklung von Methoden der Landes-
und Kulturkunde nicht nur die Oberflächenstruktur in Form von praktischen
Sprachkenntnissen und Faktenwissen einbeziehen, sondern die "Tiefenstruktur"
von Kultur, also Sinngebungen, Wissensstrukturen und Wertvorstellungen
zu erreichen versuchen.
Schließlich sind Didaktiken selbst immer auch kulturelle Antworten
auf die vorgegebene Erziehungs- und Lernbedürftigkeit des Menschen.
Ferner sind Didaktiken geistige Werkzeuge, mit denen Einzelkulturen und
Wissenschaften ihre kollektive Erfahrung als "kulturelles Erbe" speichern
und überliefern.
2. Homine Eigenschaften (anthropologische Grundlagen)
GRUNDBEGRIFFE:
-
Anthropologie
-
Homine Eigenschaften
-
Invarianten/Universalien
-
Deterministisch/nicht-deterministisch
-
Selbstentwurf
Den folgenden Ausführungen zum Thema "anthropologische Grundlagen
Interkultureller Didaktik" sei die folgende Definition zur Vorstrukturierung
der anschließenden Darstellung vorangestellt:
"Unter den anthropologischen Grundlagen Interkultureller Didaktik sind
wissenschaftliche Erkenntnisse über den Menschen als Gattung zu verstehen,
insbesondere solche über das Verhältnis seiner natürlichen
und "kultürlichen" Eigenschaften, wie sie vor allem von der biologischen
Anthroplogie, der philosophischen Anthropologie und der Kulturanthropologie
gewonnen wurden."
Kernfrage ist demnach die Frage nach dem Verhältnis der Eigenschaften,
die der Mensch "von Natur aus" und "von Kultur aus" hat. Deshalb wäre
es sinnvoll, auch hierzu einleitende Definitionen voranzustellen. Auf einen
solchen Versuch wird jedoch verzichtet, denn allein bei KROEBER & KLUCKHOHN
(1952) ca. 160 Definitionen des Begriffs "Kultur" bzw. "culture". Stattdessen
sei empfohlen, im "Grimmschen Wörterbuch der Deutschen Sprache" unter
den Begriffen "Natur", "Kultur", "Geist", oder "Seele" nachzuschlagen.
Dort lernt man nicht nur die Vielfalt, sondern auch die Evolution dieser
Begriffe im deutschen Sprachraum kennen.
2.1 Das Wolfskind von Aveyron
Um 1800 wird in Südwestfrankreich ein Kind gefunden, das offenbar
ausgesetzt und von Wölfen aufgezogen worden war. Ein Arzt, Itard,
nimmt sich seiner an, versucht sein Verhalten zu erkennen und zu analysieren
und führt die verschiedensten Ansätze und Versuche durch, um
aus diesem Kinde "einen Menschen" zu machen", denn offenbar erinnert das
Verhalten des Kindes eher an das eines Tieres.
Mit diesem Vorfall wird die bis dahin eher mit theologischen und philosophischen
Argumenten geführte Diskussion um das Wesen des Menschen auf eine
empirisch-naturwissenschaftliche Basis gestellt. Aus dem Vorfall, der einige
Jahrzehnte später durch den in völliger Isolation aufgewachsenen
"Kaspar Hauser" eine Art Wiederholung fand, ergaben sich bestimmte, für
die Epoche wichtige Erkenntnisse:
-
Ein menschliches Individuum, isoliert von der menschlichen Gesellschaft
aufwachsend, entwickelt sich keineswegs - wie einige naive Rousseauisten
meinten - zu einem besonders edlen Geschöpf (weil nicht durch die
schlechte Gesellschaft verdorben), sondern zu einem unglücklichen
und nur unter besonderen Bedingungen lebensfähigen Zwitterwesen zwischen
Mensch und Tier.
-
Die Entwicklung menschlichen Verhaltens vollzieht sich nicht nach einem
festgelegten Programm, sondern nach einem eher offenen Programm, das genügend
Raum für den Einfluß der verschiedensten natürlichen und
sozialen Umwelten läßt.
-
Was in frühen Entwicklungsphasen des Säuglings und Kleinkindes
nicht gelernt wird, kann später nur mit erheblich größerem
Aufwand und nur bis zu einem geringeren Grad entwickelt werden; das betrifft
vor allem die Entwicklung von Sprache und Intelligenz.
-
Mit vorurteilsfreien Vorstellungen über die Natur des Menschen, mit
kluger Beobachtungsgabe, mit Einfühlung und Sympathie sowie mit pädagogischer
Kreativität lassen sich auch in ihrer Entwicklung dramatisch behinderte
Kinder zu lebenstüchtigen Menschen erziehen.
2.2 Was ist der Mensch "von Natur aus" und "von Kultur
aus"?
Die Frage nach dem, was der Mensch als Gattungswesen ("homo sapiens, sapiens")
denn sei, wird in wohl allen Kulturen gestellt; in der europäisch-abendländischen
Kultur wurde und wird sie zunächst im Rahmen christlich-theologischer
und philosophischer Bezugssysteme beantwortet. Dabei spielten dualistische
Vorstellungen vom "Leib"-Seele"-Wesen bzw. vom "Materie"-"Geist"-Wesen
eine zentrale Rolle.
Seit dem 18. Jahrhundert konzentrierten sich die Philosophen dann auf
die Fragestellung, was denn der Mensch "von Natur aus" sei und was die
Kultur bzw. die Gesellschaft für ihn bedeutet. Dabei wurde "Naturzustand"
zum einen als früher Zustand des Menschseins angesehen - wobei der
"edle Wilde" oder das "reine Kind" typische Projektionsfiguren für
dieses Idel waren. Sodann wurden darunter historisch frühere Stufen
der Menschheitsentwicklung ("Urgesellschaft", "Urhorde") verstanden. Drittens
wurde die Eigenschaft des "Naturzustands" auf konkrete außereuropäische
Stammesgesellschaften ("Naturvölker", "Primitive") bezogen.
Im 19. Jahrhundert treten naturwissenschaftliche "Anthroplogien" und
Theorien, so etwa Darwins Abstammungslehre hinzu. Sie führte vor allem
Vertreter naiv-materialistischer Auffassungen dazu, den Menschen nicht
nur der biologischen Spezies der höheren Primaten zuzurechnen - was
wohl auch heute noch unbestritten ist - sondern sein Verhalten als biologisch
determiniert zu betrachten, als Produkt angeborener Instinkte und Reflexe.
Diese Auffassungen stießen vor allem in religiösen Kreisen auf
Ablehnung, die den Menschen als das Geschöpf des siebten Tages, den
mit Geist begabten Herrn der anderen Geschöpfe ansahen und ihm von
seinem Geist, nicht von seiner Materie her definierten. Dieser Streit,
der in eingen Staaten der USA, in denen die Lehre Darwins bis heute nicht
verbreitet werden darf, fortdauert, wurde erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts
auf eine neue Ebene gehoben, als der Biologe Adolf PORTMANN, die biologische
Sonderstellung des Menschen in der Gruppe der höheren Primaten mit
naturwissenschaftlichen Argumenten belegte.
Sodann weist PORTMANN darauf hin, daß die neuere Biologie bei
der Bestimmung einer Art sich nicht mehr nur an deren physiologischen Merkmalen
orientiert, sondern auch an deren Verhalten, und auch in dieser Hinsicht
lassen sich deutliche Unterschiede zu höheren Primaten aufweisen,
insbesondere sind es die besonderen "hominen" Eigenschaften der Sprache
und des umfassenden Werkzeuggebrauchs.
Schließlich aber nennt PORTMANN als eine wesentliche Gattungseigenschaft
des Menschen dessen "Selbst-Bewußtsein", d. h. seine Fähigkeit,
"sich selbst" zum Gegenstand zu machen. Der Mensch hat also die Eigenschaft,
ein "Selbst" sein zu können, das sich - reflexiv, reflektierend und
bewußt - zu sich selbst verhalten kann ebenso wie zu seiner Umwelt.
Diese biologische Sonder-Eigenschaft des Menschen, eine biologische
Frühgeburt zu sein, macht seine Schwäche und Stärke zugleich
aus: Er bedarf nach seiner Geburt einer intensiven Pflege durch die soziale
Gruppe und eine kulturelle Umwelt und verfügt erst am Ende des ersten
Lebensjahres (des "extrauterinen Frühjahres") über die für
ihn charakteristischen Eigenschaften: den aufrechten Gang und die Fähigkeit
zum Umgang mit Werkzeugen und Symbolen. Auf der anderen Seite verfügt
er über die Möglichkeit, als "biologischer Nichtspezialist" sich
einem breiten Spektrum natürlicher und kultürlicher Umwelten
nicht nur anzupassen, sondern durch deren Gestaltung und Veränderungen
diese an seine eigenen Bedürfnisse anzupassen.
Diese Auffassung erhielt eine weitere Stütze aus dem Bereich der
philosophischen Anthropo-logie. Hier war es Arnold GEHLEN, der die Auffassung
vom Menschen als "biologisches Mängelwesen" und als "biologisch-physiologische
Frühgeburt" aufgriff und "Kultur" als die für den Menschen spezifische
(zweite) natürliche Umgebung charakterisierte.
GEHLEN bringt die Charakterisierung der Gattunge Mensch auf den Begriff
von der "Natürlichkeit des Kulturellen", d. h. der Mensch ist von
Natur aus ein Kulturwesen.
Dies leitet dann über zu jener von GEHLEN entwickelten Bestimmung
von "Kultur" als der "vom Menschen handelnd veränderten Natur".
2.3 Das genetische Programm des Menschen
Die besonderen Eigenschaften des Menschen, vor allem seine "Weltoffenheit",
seine "Lernbedürftigkeit" und seine "Selbst-Bewußtheit" wird
jedoch nicht nur durch makrobiologische Analysen seiner Eigenschaften und
seines Verhaltens gestützt, sondern auch durch mikrobiologische Analysen
seiner Entwicklung und seines Denkapparats. In seinem Buch "Neuland des
Denkens" hat der Biochemiker, Genforscher und Ökologe Frederic VESTER
bemerkenswerte Erkentnisse dargestellt, die die oben dargestellten Auffassungen
stützen und erweitern.
Was den Aufbau eines lebenden Organismus aus den Genmolekülen anbelangt,
so geht die Natur hier nicht wie ein Architekt vor, der den Plan für
das schlüsselfertige Haus herstellt, von dem beim Bauen nicht im geringsten
abgewichen werden darf, sondern wie ein "Entwicklungs- architekt", der
zwar die Grundregeln seines Faches beherrscht und der über einen Grundplan
verfügt, der jedoch beim Bauen noch Anregungen und Probleme verarbeiten
kann, bevor und während er die endgültigen Schritte ausführt.
Warum diese Offenheit des genetischen Programms eine weise Einrichtung
der Schöpfung ist, geht aus der folgenden Stelle hervor:
Beim Aufbau eines menschlichen (wie auch anderen) Organismus kommt es
so zu einem Wechselspiel zwischen den durch das offene genetische Programm
vorgegebenen Spielregeln, dem zu dem jeweiligen Zeitpunkt bereits gegebenen
Zustand des Organismus und der Außenwelt.
Dieses Prinzip der Wechselwirkung von offenem genetischen Programm,
Entwicklungsstand und kybernetischer Rückkopplung mit Außenreizen
gilt jedoch nicht nur für die Zeit vor der Geburt, sondern auch für
die ersten Lebensmonate, in denen sich die Grundstruktur des menschlichen
Gehirns aufbaut.
VESTER faßt diesen mikrobiologisch-gentheoretischen Ansatz wie
folgt zusammen.
2.4 Deterministische und nicht-deterministische Auffassungen
vom Menschen: Fremdbestimmung und Selbstbestimmung
Diese auf mikrobiologischen Erkenntnissen beruhende Argumentation VESTERs
weist ebenso wie das von PORTMANN und GEHLEN formulierte Prinzip von der
Weltoffenheit des Menschen auf eine von naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher
Seite begründete anthropologische Grundauffassung hin, der wir uns
in unseren folgenden Überlegungen anschließen werden. Sie besagt,
daß die Entwicklung des Menschen von den Genzellen bis ins Erwachsenenalter
weder durch einen genetisch im einzelnen festgelegten Bauplan, noch durch
äußere (kulturelle) Einflüsse festgelegt (determiniert)
ist. Er ist vielmehr in jeder seiner Entwicklungsphasen als ein komplexes
und dynamisches System - ein "Selbst" - anzusehen, das nach dem Prinzip
der Rückkopplung zwischen seinen inneren Tendenzen und den jeweils
wirkenden äußeren Bedingungen sein Gleichgewicht sucht.
Bei dieser Option für ein nicht-deterministisches Menschenbild
geht es um nicht weniger als eine Antwort auf die von Philosophen und Theologen
seit jeher gestellte Grundfrage nach der Natur des Menschen: "Wie weit
ist der Mensch frei und in welchem Umfang ist sein Handeln und Verhalten
festgelegt, sei es biologisch, sei es kulturell ?" Auffassungen, nach denen
der Mensch in seinem Verhalten als ganz oder weitgehend festgelegt betrachtet
wird, bezeichnet man als "deterministisch". Auffassungen, nach denen er
in erheblichem Maße über seine Persönlichkeit, über
sein Verhalten und sein Schicksal selbst bestimmen kann, bezeichnet man
als "nicht-deterministisch". Für sie werden Bezeichnungen verwendet,
in denen die Begriffe "Selbsttätigkeit", "Freiheit", "Autonomie",
"Spontaneität", "Selbstbestimmung" und "Eigen-verantwortlichkeit"
eine zentrale Funktion einnehmen.
Was deterministische Auffassungen vom Menschen anbelangt, so spielen
zwei Arten des Determinismus bis in unsere Gegenwart hinein eine wichtige
Rolle: Bio-Determinismus und Sozio-Determinismus. Im einen Falle wird der
Mensch angesehen als festgelegt durch seine (individuellen oder kollektiven)
Erbanlagen, im anderen Falle als festgelegt durch Wirkungen seiner "Umwelt".
Besonders in der "Begabungsdebatte" und in der Frage um schulische Auslese,
um Gesamtschule und um die Zuteilung von Bildungschancen treten beide Positionen
oft in einen sehr unfruchtbaren und in aller Regel wissenschaftlich wenig
begründeten Schlagab- tausch.
Der französische Philosoph Jean-Paul SARTRE hat die Vertreter beider
Varianten - des Biodeterminismus und des Soziodeterminis-mus -, die sich
wie Erbfeinde gebärden, eines heimlichen Verschwörertums angeklagt.
Indem sie den Menschen einredeten, daß sie nur die Wahl hätten
zwischen Bio- und Sozio-Determinismus, lenkten sie sie von der Einsicht
ab, daß es eine Alternative zum Determinsmus selbst gibt: das Prinzip
der Selbstbestimmung.
Vertreter von nichtdeterministischen Positionen betonen demgegenüber
stets, daß der Mensch (im Unterschied zum Tier) auf Grund seiner
Nichtfestgelegtheit durch Instinkte und seiner "Weltoffenheit" nicht nur
wählen und entscheiden kann, sondern entscheiden muß, auch wenn
die Entscheidung darin besteht, die Entscheidung anderen, dem Zufall oder
den Augenblicksstimmungen zu überlassen. Dies gilt im besonderen für
die Entscheidung über seine eigene Persönlichkeit. Diese Positionen
muten dem Menschen zu, ein Selbstbild, einen "Selbstentwurf" zu entwickeln
und sich selbst nach diesem Entwurf zu gestalten. Er wird damit als selbstverantwortlich
und schuldfähig charakterisiert, ihm erwächst aus dieser Eigenschaft
jedoch auch seine besondere Würde.
Vor allem die Konsequenzen für die Moral sind deutlich: Während
Anhänger deterministischer Auffassungen im Falle von Fehlverhalten
"Triebe" oder "äußere Umstände" ins Feld führen können,
können Anhänger des Prinzips der Selbstbestimmung auf diese Entlastungsgründe
nicht zurückgreifen.
Anzumerken ist jedoch, daß nicht-deterministische Positionen ein
Kind der modernen europäischen Kultur zu sein scheinen und in anderen
Kulturen in dieser Form nicht vorkommen. Aber auch in der europäischen
Moderne haben sie sich erst relativ spät herausgebildet.
2.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kulturen ("Invarianten")
Die bisherigen Überlegungen haben ergeben, daß der Mensch als
Gattungswesen weltoffen, "kulturbedürftig" und mit Selbstbewußtsein
ausgestattet ist. Es stellt sich nun die Frage, wie weit es über diese
biologisch bedingten Gemeinsamkeiten aller Menschen weitere Gemeinsamkeiten
gibt, welche die Art und Weise betrifft, wie Menschen Kultur verwirklichen.
Oder vom Ergebnis her gefragt: Was haben alle Kulturen gemeinsam und worin
unterscheiden sie sich?
Im Kurs 2 sind wir bereits im Zusammenhang mit dem Kultur-Fragebogen
von KLUCKHOHN & STRODTBECK auf diese Frage gestoßen. Wir fanden
dort 5 große Fragenkomplexe, auf die jede Kultur in irgendeiner Weise
Antworten zu geben hat. Andere Ethnologen haben differenziertere Klassifikationen
vorgelegt. So hat z.B. Bronislaw MALINOWSKI (1944) das folgende Modell
vorgelegt, welches sieben "Grundbedürfnisse" mit sieben "kulturellen
Antwortbereichen" koppelt:
Grundbedürfnis |
Kulturelle Antwort |
1. Grundumsatz (Mitabolisms) |
1. Versorgung |
2. Fortpflanzung |
2. Verwandtschaft |
3. Körperliches Wohlbefinden |
3. Bedeckung |
4. Sicherheit |
4. Schutz |
5. Bewegungsbedürfnis |
5. Tätigkeit |
6. Entwicklung |
6. Erziehung |
7. Gesundheit |
7. Hygiene |
Etwa gleichzeitig entwickelte MURDOCK (1945) eine Liste kultureller Universalien,
die 73 Elemente enthält, welche nach 5 Kategorien gegliedert sind:
Individuelles Verhalten |
Körperschmuck
Gestik und Mimik
Haartracht
Personennamen etc. |
Sozialverhalten |
Tanz
Begräbnis
Gastfreundschaft
Scherz etc. |
Soziale Kontrolle und Erziehung |
Altershierarchie
Arbeitsteilung
Nahrungstabus
Bestrafung
Sexuelle Beschränkungen
Regierung etc. |
Technologie |
Kalender
Kochen
Medizin
Handel
Meteorologie etc. |
Kollektive Glaubensüberzeugung |
Kosmologie (Weltbild)
Wahrsagen / Vorhersagen
Religion
Traumdeutung etc. |
Die Auffassung, daß es sich dabei um "kulturelle Universalien" handelt,
d. h. um Sachverhalte, die in allen Kulturen feststellbar sind - wenn auch
in verschiedener Form und Qualität - ebenso wie die Annahme daß
diese Liste vollständig ist, wurde von anderen Autoren bestritten.
Wichtig ist für uns lediglich die Erkenntnis, daß es offenbar
- bedingt durch die Natur des Menschen - in allen Kulturen zur Ausbildung
bestimmter Funktionen und Bereiche gekommen ist, wobei die Gemeinsamkeit
im "daß" besteht, während die Verschiedenheit im "wie" zum Ausdruck
kommt.
2.6 Individuelle Unterschiede aufgrund von Erbanlangen
Gehen wir nun von den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Kulturen
zu den Unterschieden zwischen einzelnen Menschen über. Was allen Menschen
gemeinsam ist, haben wir bereits erörtert, ebenso daß sie ihrem
Aussehen und ihrem Verhalten nach verschieden sind. Bei der Suche nach
den Gründen für solche Verschiedenheit stoßen wir in unser
Kultur auf unterschiedliche Deutungsmuster: Verschiedenheit auf Grund von
göttlicher Gnade ("begnadeter Künstler"), von Familienherkunft,
von eigner Tüchtigkeit oder von blindem Zufall.
Im Zusammenhang von Didaktik spielt schon seit langem das biologische
Deutungsmuster der "Begabung" eine besondere Rolle, d. h. die Frage, wie
"bildsam", lernfähig und leistungsfähig die einzelnen Menschen
- besonders in geistiger Hinsicht - auf Grund ihrer individuellen Erbanlagen
bestimmt sind. Dabei werden "Erbanlagen" oft als Fortschreibung von Familieneigen-
schaften verstanden. Einer Argumentation von RITTER & ENGEL (1969)
folgend läßt sich diese Frage derzeit wie folgt beantworten:
-
Die genspezifischen Grundlagen intellektueller Eigenschaften werden über
die Genmoleküle ebenso vererbt wie physische Eigenschaften.
-
Unbekannt ist derzeit jedoch noch, an welchen Stellen eines Genoms die
Grundlagen für diese Eigenschaften (nicht die Eigenschaften selbst
!) angesiedelt sind.
-
Bei der Vererbung treibt die Natur jedoch ein buntes Spiel, so daß
bei der Kombination einer männlichen und einer weiblichen Genzelle
eine Riesenzahl von Kombinationen möglich ist.
-
Für den (wahrscheinlichen) Fall, daß die Grundlagen intellektueller
Eigenschaften ebenso komplex sind wie die serologischen Eigenschaften (Blutgruppen,
Rhesus-Faktor etc.), darf man schlußfolgern, daß fast jeder
Mensch seine eigene Kombination von Erbanlagen hat.
-
Abgesehen von Fällen feststellbarer, auf Gen-Anomalien beruhender
pathologischer Besonderheiten, lassen sich im Normalfall daher keine Rückschlüsse
von individueller genetischer Ausstattung auf individuelle intellektuelle
Eigenschaften ziehen.
Diese Argumentation bestätigt zwar den trivialen Sachverhalt, daß
die Grundlagen für menschliche Eigenschaften vererbt werden. Sie untermauert
jedoch den Befund, daß in Bezug auf die geistigen Eigenschaften des
Menschen über den Inhalt des Vererbten und über seine Beziehungen
zu beobachtbaren intellektuellen Eigenschaften und Leistungen derzeit keine
wissenschaftlich begründeten Aussagen gemacht werden können.
Sie läßt sich durch die folgenden weiteren Erkenntnisse ergänzen:
-
Die Grundlagen für intellektuelle Eigenschaften sind bereits bei Neugeborenen
durch eine Reihe von intrauterinen Umweltfaktoren der verschiedesten Art
(Unterernährung, Medikamente, Strahlung etc.) beeinflußt.
-
Das erste Lebensjahr spielt bei der Herausbildung der Gehirnstruktur eine
ganz wesentliche Rolle.
-
Mit zunehmendem Alter festigen sich die intellektuellen Strukturen, mit
zunehmendem Aufwand sind Umstrukturierungen jedoch lebenslang möglich.
-
Zwischen einzelnen didaktischen und pädagogischen Bemühungen
und intellektuellen Leistungen lassen sich keine einfachen kausalen Beziehungen
herstellen.
Daraus lassen sich dann drei wesentliche Schlußfolgerungen für
didaktisches Handeln ziehen:
-
Es gibt niemand, der die kulturelle und geistige Leistungsfähigkeit
eines neugeborenen Individuums vorhersagen kann.
-
Es gibt keinen Grund, unter Berufung auf "mangelnde Begabung" didaktische
Anstrengungen zu unterlassen.
-
Es gibt daher auch keinen Grund, didaktische Inkompetenz zu entschuldigen.
2.7 Das Erkenntnisparadox
Wer sich mit anthropologischen Grundfragen beschäftigt, befindet sich
notwendigerweise in einem "Erkenntnisparadox": Er muß mit Hilfe seine
Denkapparats, also mit Hilfe seines Gehirns, Aussagen über sein Gehirn
machen. Und er muß auf der Grundlage seines kulturellen Selbstverständnisses
und seines Kulturbegriffs über Kultur nachdenken. Dieses Paradox ist
prinzipiell nur dadurch lösbar, daß man die dem Menschen gegebene
Fähigkeit zur Selbstreflexion nutzt und damit einen Weg findet, wie
man sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf zieht, eine Möglichkeit,
die in der physikalischen Welt nicht besteht, die allerdings auch für
die Welt des Geistes von verschiedener Seite bestritten wird.
2.8 Konsequenzen für Interkulturelle Didaktik
Die hier dargestellten Erkenntnisse zur Anthropologie sind für Interkulturelle
Didaktik auf mehrfache Weise bedeutsam. Zum einen dienen sie dazu, populäre
und eigene Auffassungen vom Menschen aufzuklären. Insbesondere betroffen
hiervon sind die Auffassungen von dem, was allen Menschen gemeinsam ist
und was sie trennt:
-
Wer in interkulturellen Kontexten didaktisch Handelnder ist, gerät
regelmäßig in Auseinandersetzungen um moralische, politische
und ideologische Positionen und muß selbst seine eigene Position
klären. Diesen Auseinandersetzungen liegen letzten Endes immer auch
unterschiedliche Annahmen über die Natur und die Kultur des Menschen
zugrunde, z.B. über Gleichheit und Ungleichheit, Anlage und Umwelteinfluß,
Eingriff und Schonung.
-
Wirksame interkulturelle Kommunikation setzt Verstehen und Sich-Verständlich-Machen
vor allem in bezug auf eigene und fremde kulturelle Schlüsselbegriffe
voraus; und hierzu gehören ganz sicher die Begriffe "Natur" und "Kultur"
ebenso wie ihre fremdsprachlichen Entsprechungen.
-
Die beiden Begriffe und ihre Geschichte bilden auch eine wichtige Grundlage
für das Verständnis interkulturell-psychologischer Forschung,
die sich mit der kulturellen Bedingtheit der Wahrnehmung, des Denkens und
des Lernens befaßt.
-
Wer Menschen schon in ihrer biologisch-physiologischen Grundstruktur als
grundverschieden ansieht, wird dazu neigen, diese Unterschiede mit ideologischem
Rassismus zu verbinden und sich selbst als zur höherwertigen Rasse
zugehörig zu erklären. Wer hingegen die Gemeinsamkeiten der anthropologischen
Grundbedingungen ernstnimmt, wird eher humanistischen Auffassungen zuneigen.
-
Wer zu einem bio-deterministischen Welt- und Menschenbild neigt und die
Bedeutung von Kultur geringschätzt, wird der Lernfähigkeit des
Menschen und damit der Möglichkeit von Bildung und Erziehung geringe
Chancen einräumen; er verfügt außerdem über eine hervorragende
Ausrede für mangelnde didaktische Anstrengungen seinerseits: Gegen
die Gene kann man halt nichts machen.
-
Wer zu einem sozio-deterministischen Weltbild neigt und dem Einfluß
der Umwelt alle Verhaltensweisen zuschreibt, wird zwar für Erziehung
und Lernen große Chancen sehen, aufgrund von einfachen Ursachen-Wirkungs-Modellen
jedoch die "Machbarkeit des Menschen" über- und seine Selbständigkeit
unterschätzen.
-
Schließlich sind Didaktiken immer auch kulturelle Lösungsversuche
und Antworten angesichts von "Weltoffenheit", jener "hominen" Eigenschaft,
die Erziehungs- und Lernbedürftigkeit des Menschen einschließt.
Zugleich gehören Didaktiken selbst jener Kultursphäre an, in
der Einzelkulturen und Wissenschaften ihre kollektive Erfahrung als "kulturelles
Erbe" speichern und weiterreichen.
3. Kulturtheorien
GRUNDBEGRIFFE:
-
Emische/etische Positionen
-
Kulturdimensionen
-
Lebensstile
-
Wertvorstellungen
-
Kulturtransfer
-
Kulturentwicklung
3.1 "Etische" und "emische" Positionen
Es gibt eine Vielzahl von Autoren, die sich in den vergangenen 200 Jahren
darum bemüht haben, nicht nur zu bestimmen, was Kultur sein soll,
sondern auch darum, wie man Kulturen unterscheiden kann. Im Gegensatz dazu
gibt es Autoren, die eine Charakterisierung von Kulturen nach externen
Maßstäben mit Ansprüchen auf Allgemeingültigkeit ablehnen
und behaupten, daß sich jede Kultur nur aus sich selbst heraus erfassen
läßt, nicht "von außen". Dieser Prinzipienstreit zwischen
"etischen" (außenorientierten) und "emischen" (binnenorientierten)
Positionen, der vor allem in der Ethnologie geführt wird, kann an
dieser Stelle nicht näher erläutert werden. Er soll jedoch bewußt
bleiben, wenn im folgenden Klassifikationsvorschläge von drei neueren
Autoren erwähnt werden, die für die Interkulturelle Didaktik
wichtige Erkenntnisse liefern.
3.2 Kulturbegriff
-
Kultur: Aufgrund einer Analyse von 160 Definitionen von "Kultur"
schlugen KROEBER & KLUCKHOHN (1952) die folgende eigene Definition
vor: "Kultur besteht aus bewußten und unbewußten Verhaltensmustern,
die durch Symbole erworben und überliefert werden, welche die jeweils
besonderen Leistungen einer Gruppe von Menschen ausmachen wie auch deren
Verkörperungen in Produkten; der wesentliche Kern von Kultur besteht
aus überlieferten (d. h. historisch entstandenen und ausgewählten)
Ideen und besonders den ihnen zugewiesenen Bewertungen; Kultursysteme können
somit einerseits betrachtet werden als Produkte früherer menschlicher
Tätigkeit, andererseits als bedingende Faktoren künftiger Tätigkeit."
-
"Wissen" ist - vereinfacht gesprochen - die gespeicherte bedeutsame
Erfahrung von Individuen und Kollektiven. Man bezeichnet es auch als "Inhalte",
"Informationen", "Kenntnisse", "Fertigkeiten", "Kompetenzen" oder "Fähigkeiten".
-
Wertvorstellungen sind Eigenschaften von Individuen und Kollektiven
und zeichnen sich aus "durch eine allgemeine Tendenz, bestimmte Zustände
der Dinge gegenüber anderen zu bevorzugen" (HOFSTEDE 1980). Nach KLUCKHOHN
(1951) "ist ein Wert eine explizit oder implizit bei Individuen oder Kollektiven
vorhandene Auffassung des Erstrebenswerten, welche die Auswahl von Handlungszwecken
und Handlungsformen unter vorhandenen Alternativen bestimmt".
-
Kulturelle Überlieferung ist die Übertragung von Wissen
("knowledge"), Wertvorstellungen ("values") und Verhaltensnormen, die in
diesem System als selbstverständlich gelten, von früheren auf
spätere Generationen SPINDLER (1967).
-
Kulturentwicklung (kultureller Wandel) ist die Veränderung
einer Kultur durch Wechselwirkugen zwischen endogenen Prozessen und exogenen
Einflüssen, insbesondere von Prozessen des Kulturtransfers und des
Kulturaustauschs.
3.2.1 Kulturelle Überlieferung
Kulturelle Überlieferung vollzieht sich dadurch, daß
-
Subjekte lernen, d. h., daß sie sich Wissen und Wertvorstellungen
und damit (technische und kommunikative) Handlungskompetenz aneignen.
-
Objekte, Symbole (vor allem die Sprache), Medien und Institutionen kollektive
Erfahrungen früherer Generationen speichern, so daß sie von
Subjekten späterer Generationen neu angeeignet werden können.
Wechselwirkungen vermitteln diesen Prozeß, wobei die Vermittlung
von Bedeutungen
-
über symbolisch bedeutsame Orte und Zeitpunkte,
-
über symbolisch bedeutsame Objekte und Werkzeuge,
-
über symbolische Handlungen und Interaktionen (Rituale) und
-
im Rahmen von Rollen und Institutionen erfolgt. (Beispiel: Weihnachtsüberlieferung)
Auch kulturelle Überlieferung folgt dabei dem (bereits für die
biologisch-genetische Überlieferung festgestellten) Prinzip der relativen
Offenheit, das sowohl die Anpassung an neue Zustände der Außenwelt
als auch die Ausdifferenzierung endogener Zustände vorsieht und somit
Kulturtransfer und Kulturentwicklung ermöglicht.
3.2.2 Wissensarten
Wissensvorräte, die überliefert werden, umfassen
Orientierungswissen ("gewußt, daß" - "knowthat"):
Wissen, das jemand erwirbt, um sich in der Welt, bzw. auf einem Gebiet
zurechtzufinden, ohne schon in spezifischer Weise tätig zu werden.
Wer Orientierungswissen hat, weiß, daß es den betreffenden
Sachverhalt gibt. Er hat meistens auch eine erste Einstellung dazu und
kann den Sachverhalt in eine geistige Schublade einordnen. Orientierungswissen
läßt sich gliedern in
-
Einzeltatsachen (Namen, Ereignisse, Befunde, Eigenschaften, Daten),
-
Begriffe (Bezeichnungen für geordnete Mengen von Einzeltatsachen),
-
Schemata (Ordnungen und Ordnungsprinzipien) und
-
Einstellungen (Wertvorstellungen und Beurteilungsweisen)
Handlungswissen ("gewußt, wie" - "knowhow"):
Wissen, das sich auf reales Handeln von Menschen, also Praktiken, Techniken,
Methoden, Strategien etc., bezieht. Handlungswissen kann sich auf traditionales
Handeln beziehen, das durch kulturelle Überlieferung vermittelt und
hinterfragt angewendet wird. Es kann sich aber auch auf zweckrationales
Handeln beziehen, bei dem Praxis aus rationalen Einsichten (z. B. wissenschaftlichen
Erkenntnissen) abgeleitet oder begründet wird. Handlungslungswissen
beinhaltet Wissen über:
-
sinnvolle Zweck- und Zielsetzungen,
-
Bedingungen, unter denen ein bestimmtes Handeln sinnvoll ist,
-
Verfahrensweisen und Operationen,
-
Hilfsmittel und Werkzeuge,
-
Kontrollverfahren und Gütekriterien
-
Gefahrenquellen
Erklärungs- oder Deutungswissen ("gewußt, warum" - "knowwhy"):
Deutungs- und Erklärungswissen ist Wissen darüber, wie man
sich selbst oder anderen eigenen fremde Erfahrung deutet oder erklärt.
Erklärungswissen setzt deshalb stets Erfahrung voraus. Dies muß
nicht notwendigerweise äußere Erfahrung sein, es kann sich auch
um "innere" Erfahrung handeln. Erklärungswissen entsteht aus der Reflexion,
dem "Nach-Denken" über Wahrnehmungen, Handlungen und Ereignisse. Deutungs-
und Erklärunswissen ist allgemein verfügbar in Form von
-
ganzheitlichen Deutungsmustern (Weltbildern, Weltanschauungen, Menschenbildern
etc.)
-
elementaren Deutungsmustern (Begriffen, Modellen, Theorien, Typologien,
Klassifika- tionen etc.)
Quellenwissen ("gewußt, wo" - "knowwhere"):
Wissen über Informationsquellen. "Gewußt wo" ist oft ebenso
wichtig wie "gewußt was" oder "gewußt wie". Die Aneignung von
Quellenwissen umfaßt insbesondere das Kennenlernen von
-
Personen (Kontaktpersonen, Experten, Betroffene)
-
Institutionen (Firmen, Vereinigungen, Verbände, Schulen, etc.)
-
Dokumentationen (Archive, Bibliotheken)
-
Konferenzen und Tagungen,
-
Neztwerken (Erfahrungsaustausch-Ringe)
-
Handbücher, Lexika und Nachschlagewerke,
-
Lehrbücher und Spezialliteratur,
-
AV-Medien (Filme, Video-Aufzeichnungen, Tonbandaufzeichnungen),
-
Software, Datenbänke und Expertensysteme,
-
laufende Forschungsprojekte,
-
Zeitschriften und Reihen und - "graue Materialien" (z. B.
interne Geschäftsberichte und unveröffentlichte Manuskripte).
3.2.3 Wertvorstellungen
Die überlieferten Wertvorstellungen umfassen Sachverhalte, die
wir in der deutschen Umgangssprache bezeichnen als "Bedeutungen",
"Weltanschauungen", "Bewertungen" ("Valenzen"), "Einstellungen"
("Attituden"), "Stereotypen", "Verhaltenserwartungen", "Rollenvorschriften",
"Normen" und "Ideale".
3.3 Die Charakterisierung von Kulturen nach ihrer Artikulation
von Raum und Zeit (nach HALL & HALL 1990)
HALL & HALL (1990) weisen darauf hin, daß sich Kulturen vor allem
dadurch erschließen, daß man analysiert, wie sie mit Raum und
Zeit umgehen bzw. welche Vorstellung von Raum und Zeit sie haben:
Raum |
Zeit |
- Territorialität |
- Monochronische u. polychronische Zeit |
- Persönlicher Raum |
- Zeit-Raum-Beziehung(Geschwindigkeit) |
- Sinnliche Raumerfahrung |
- Informationsgeschwindigkeit |
- Unbewußte Reaktion auf Entfernungen |
- Vergangenheits-/Zukunftsorientierung |
|
- Tempo, Rythmus, Synchronie |
|
- Zeitplanung |
|
- Pünktlichkeit |
|
- Zeitvereinbarungen |
3.4 Die vier Kulturdimensionen von HOFSTEDE
Für die Interkulturelle Didaktik, insbesondere für die Entwicklung
von Methoden des interkulturellen Trainings, spielt gegenwärtig die
Klassifikation von HOFSTEDE (1980) eine besondere Rolle, da sie sich auf
Wertvorstellungen bezieht, die im modernen (industriellen) Sektor unterschiedliche
Qualitäten (z. B. von Unternehmenskultur) bestimmen. HOFSTEDE unterscheidet
vier "Dimensionen", nach denen sich Wertvorstellungen von Kulturen (bzw.
Subkulturen) unterscheiden lassen, und zwar
-
Machtdistanz ("power distance") = Gleichheit / Ungleichheit: Das
Ausmaß, in dem die Macht unter den Mitgliedern einer Gemeinschaft
ungleich verteilt ist.
-
Ungewißheitsvermeidung ("uncertainty avoidance") / Akzeptanz
von Ungewißheit: Das Ausmaß in welchem sich Menschen von
uneindeutigen Situationen bedroht fühlen und Anschauungen und Institutionen
geschaffen haben, um diese zu vermeiden.
-
Individualismus - Kollektivismus: Individualismus:
Jeder hat die Aufgabe nur für sich selbst und seine engsten Familienmitglieder
zu sorgen. Kollektivismus: Jeder gehört zu einer Innen-Gruppe
oder einem Kollektiv, die die Aufgabe haben, für ihre Mitglieder im
Austausch für Loyalität zu sorgen.
-
Maskulinität / Femininität = Feldsensibilität / Feldunabhängigkeit.
Maskulinität: Die vorherrschenden Werte in der Gesellschaft
sind Leistung und Erfolg. Femininität: Die vorherrschenden
Werte in der Gesellschaft sind Fürsorge und Lebensqualität
3.5 Die fünf Lebensstile nach THOMPSON, ELLIS und
WILDAVSKY
Einen wichtigen Beitrag zur Klassifikation von Wertvorstellungen haben
THOMPSON u. a. (1990) geliefert. Sie unterscheiden zwischen fünf global
verbreiteten "Lebensstilen", und zwar:
-
Hierarchsich
-
egalitär
-
individualistisch
-
fatalistisch
-
"eremitenhaft".
Diese Klassifizierung ergibt sich durch die Einstellung zu den beiden Kriterien
Gruppenzugehörigkeit und Rangordnung:
3.6 Theoretischer Bezugsrahmen (Abstraktionsebenen) für
Wertvorstellungen nach TRIANDIS (1972, S. 18)
Bei kulturspezifischen Wertvorstellungen bzw. Kulturstandards handelt es
sich um komplexe Sachverhalte. Triandis (1972) hat hierfür ein Mehrebenen-Modell
entwickelt, das wie folgt zwischen niederen und höheren Ebenen von
Wertvorstellungen unterscheidet.
LOW LEVEL OF ABSTRACTION |
HIGH LEVEL OF ABSTRACTION |
3.7 Kulturtransfer
Kulturtransfer findet statt, wenn sich eine Kulturgemeinschaft Wissen und
Wertvorstellungen einer anderen aneignet (z. B. Christianisierung, Modernisierung,
Amerikanisierung). In der europäischen Geschichte hat Kulturautausch
eine lange Tradition: Römer und Griechen, Römer und Germanen,
Germanen und Kelten, Araber und Südeuropäer, Westeuropäer
und Osteuropäer lernten voneinander, teils in friedlichen, teils in
kriegerischen Kontakten. Dabei gab es immer auch "Modewellen": Der englische
Park, der Webstuhl und die Akupunktur sind Beispiele für eine große
Vielzahl von Fällen wechselseitigen Lernens und "Kulturtransfers"
bzw. "Wissenstransfers".
3.8 Kulturentwicklung
Kulturentwicklung findet statt, wenn es einer Kulturgemeinschaft gelingt,
sowohl ihre Identität zu wahren und weiterzuentwickeln, als auch sich
neuen Anforderungen (vor allem solchen, die sich aus Kulturkontakt ergeben)
zuzuwenden und anzupassen.
3.9 Folgerungen
Für interkulturelle Didaktik ergeben sich aus diesen Überlegungen
folgende Handlungsperspektiven:
-
Sie muß Rahmen von Lernzustandsdiagnosen auch "Kulturanalysen" bzw.
Wissens- und Wertvorstellungsanalysen durchführen, um Informationen
über wissensmäßige und motivierende Lernvoraussetzungen
von Lernern zu gewinnen.
-
Sie muß Kategorien und Instrumente für diese Analysen kennen
und aufarbeiten, die von anderen Disziplinen bereitgestellt werden.
-
Und sie muß Methoden entwickeln und anwenden, mit denen Lerner sich
ihrer Wertvorstellungen bewußt werden, so daß sie diese ggf.
auch verändern können.
4. Die kulturelle Bedingtheit psychischer Funktionen, insbesondere
des Denkens und Lernens
GRUNDBEGRIFFE:
-
Wahrnehmung kognitiver Stil
-
Handlung
-
kognitive Entwicklung
-
Gedächtnis
-
Sprache
-
äußere Tätigkeit
-
Regulierung
-
innere Tätigkeit (Operation)
-
Lernen
-
(äußere und innere) Erfahrung
-
Enkulturation
-
Kognition (Denken)
4.1 Grundannahmen
Anknüpfend an unsere These vom "Erkenntnisparadox" können wir
davon ausgehen, daß die Erkenntnisse der "modernen" (anglo-europäischen)
Psychologie mit Denkapparaten gewonnen wurden, die von der anglo-europäischen
Kultur geprägt wurden. Aussagen über das Denken und Lernen in
anderen Kulturen sind deshalb nicht "objektiv", sondern "kontrastiv". Sie
beruhen in der Regel auf folgenden Grundannahmen:
-
Die Vorstellung vom tätigen Subjekt: Entsprechend dem modernen
europäischen Weltbild und entsprechend dem Weltbild der modernen kognitiven
Psychologie wird der Mensch verstanden als ein mit Bewußtsein ausgestattetes
Subjekt ("Selbst"), das mit einer Außenwelt ("Umwelt") in Wechselbeziehungen
steht. Diese Wechselbeziehungen werden je nach Forschungsrichtung als "Tätigkeiten"
oder "Interaktionen" bezeichnet. Ziel solcher (Lern-) Tätigkeit ist
die Herstellung eines Gleichgewichtszustandes (Homöostase) auf zunehmend
höheren Ebenen kognitiver Entwicklung.
-
Wahrnehmung und Handeln als "Gegenrichtungsverkehr": Tätigkeiten
(Interaktionen) des Menschen lassen sich nach Wahrnehmungen und Handlungen
unterscheiden. Beide haben stets eine doppelte Richtung - vom Subjekt zur
Umwelt und von der Umwelt zum Subjekt.
-
Angeborene Wahrnehmungsschemata (AAM) und Handlungsschemata: Bei
der Geburt sind Menschen mit einem begrenzten Inventar angeborener Wahrnehmungsschemata
und angeborener Handlungsschemata ("Reflexe") ausgestattet. Auf Grund von
Tätigkeiten, deren Ergebnisse bewertet und im Gedächtnis gespeichert
werden, finden Lernprozesse statt und entwickeln aus diesen angeborenen
Schemata individuelle Erfahrungen von zunehmender Komplexität.
-
Neue Erfahrung hängt von früheren Erfahrungen ab: Im Gehirn
werden einkommende Informationen mit gespeicherten Mustern früherer
Erfahrungen verglichen, bevor neue Wahrnehumgen entstehen können.
Da die Qualität der Wahrnehmungen und der Handlungen in erheblichem
Umfang vom kulturellen Kontext abhängt, in dem ein Mensch aufwächst,
entwickeln sich seine Wahrnehmungsschemata, seine Handlungsschemata und
somit seine Erfahrungen in kulturspezifischer Weise. Dies gilt in verstärktem
Maße für alle Tätigkeiten, die immer auch Symbol- (Sprach-)
und Werkzeuggebrauch - die beiden wichtigsten Vermittler von Kultur - beinhalten.
-
Denken als "innere Tätigkeit": Neueren kognitiven Theorien
zufolge ist Denken als "innere" Tätigkeit zu verstehen, bei der (konkrete
oder formale) Operationen ablaufen. Konkrete Operationen sind dabei innere
Repräsentationen ("Widerspiegelungen") äußerer Handlungen,
die auch als reversibel vorgestellt werden können - Voraussetzung
für viele Denkprozesse. Damit ist ein Zusammenhang von kulturellen
Bedingungen und Denken gegeben.
-
Identitätssicherung und Anpassung als Ziele von Tätigkeit:
Daraus ergibt sich, daß äußere Erfahrungen (und somit
die Kultur) das Denken nicht einseitig determinieren. Die sich entwickelnden
kulturellen Subjekte (und das gilt analog auch für Kollektive) bemühen
sich bei ihren Interaktionen mit der Umwelt nämlich nicht nur darum,
diese zu bewältigen. Sie sind auch um die Aufrechterhaltung von Identität
und Kontinuität bemüht.
-
Kulturelle Bedingheit im nicht-deterministischen Sinn: "Kulturelle
Bedingtheit" psychischer Funktionen ist demnach nicht in dem Sinne zu verstehen,
daß einseitig und ausschließlich äußere Einflusse
darüber entscheiden, was und wie wahrgenommen wird, was und wie gedacht
wird oder was und wie gelernt wird. Das "kulturelle Selbst" in seinem jeweiligen
biologischen und psychischen Entwicklungszustand entscheidet immer auch
darüber mit.
4.2 Unterschiede zwischen Kulturen
Die interkulturell-psychologische Forschung (kulturvergleichende Psychologie,
cross-cultural Psychology) hat eine lange Tradition, die bis ins 19. Jahrhundert
reicht. Sie bemüht sich vor allem darum, psychische Eigenschaften
von Mitgliedern einer Kultur festzustellen und sie mit denen von Mitgliedern
anderer Kulturen zu vergleichen, um so Aussagen über die kulturelle
Bedingtheit psychischer Eigenschaften zu machen. Dabei konzentrierte sie
sich vor allem auf die folgenden vier Aspekte:
-
die kulturelle Bedingtheit der Wahrnehmung,
-
die kulturelle Bedingtheit der Begriffs- und Modellbildung,
-
die kulturelle Bedingtheit des Gedächtnisses und
-
die kulturelle Bedingtheit von Persönlichkeitsmerkmalen.
4.3 Kulturelle Bedingtheit der Wahrnehmung
Festzustellen ist zunächst, daß jeder Mensch die Außenwelt
selektiv wahrnimmt, wobei dasjenige, was für ihn größere
Bedeutung hat, eher, besser, schneller etc. wahrgenommen wird. Da solche
Bedeutungen immer auch kulturell und sprachlich vermittelt werden, sind
Wahrnehumgen kulturell beeinflußt. So unterliegen beispielsweise
Angehörige von Kulturen, in denen zweidimensionale Abbildungen dreidimensionaler
Objekte nicht üblich sind, der sog. Müller-Lyerschen Täuschung
weniger stark:
4.4 Kulturelle Bedingtheit der Begriffs- und Modellbildung
Da die Bildung von Begriffen und Modellen (Deutungsmustern) eng mit der
Sprache verbunden ist, ist ihre kulturelle Bedingt-heit plausibel. So bilden
z.B. Eskimos differenziertere Begriffe als einfach "Schnee", um dasjenige
begrifflich zu fassen, was Flachlanddeutsche als Schnee sehen (Alpenländer
jedoch als "Harsch", "Firn" oder "Sulz"). Diese Begriffsbildung schlägt
jedoch nicht notwendigerweise auf die unterscheidende Wahrnehmung durch.
Wie Untersuchungen mit Farbadjektiven zeigen, können auch Angehörige
von Kulturen, die über keine oder andere Farbadjektive verfügen,
Farbunterschiede ebensogut wahrnehmen.
4.5 Kulturelle Bedingtheit des Gedächtnisses
Die von der älteren Ethnologie gelegentlich verbreitete Auffassung,
daß Angehörige schriftloser Kulturen über ein besseres
Gedächtnis verfügen, weil sie alles "im Kopf behalten" müssen,
hat sich nicht bestätigt. Beim Erlernen sinnloser Silben zeigen sie
eher schwächere Behaltensleistungen, da offenbar die Fähigkeit,
sinn-entkoppeltes Wissen zu behalten, ein Ergebnis des Modernisierungsprozesses
ist. Wohl aber läßt sich feststellen, daß in jeder Kultur
die Dinge besonders gut behalten werden, die für das Leben in ihr
von Bedeutung sind: für nomadische Viehzüchter Eigenschaften
ihrer Tiere, für Mitteleuropäer Eigenschaften von Autos.
4.6 Kulturelle Bedingtheit von Persönlichkeitsmerkmalen
Die interkulturell-psychologische Forschung hat darüber hinaus weitere
Aspekte untersucht, im besonderen Intelligenz, kognitive Stile, Lernstile,
Problemlösungsfähigkeit und Wertvorstellungen. Dabei erweisen
sich Untersuchungen, die das Persönlichkeitsmerkmal "Feldsensi- bilität"-"Feldunabhängigkeit"
in den Mittelpunkt stellen, als ein offensichtlich ergiebiger Forschungsansatz.
4.7 Folgerungen für die Interkulturelle Didaktik
Auf Grund der oben genannten Erkenntnisse sollte des halb jeder, der in
interkulturell-didaktischen Kontexten verstehend und handelnd tätig
sein will,
-
nach Möglichkeit den aktuellen Stand der interkulturell-psychologischen
Forschung zur Kenntnis nehmen, bevor er Aussagen über psychische Funktionen
oder gar Handlungsempfehlungen macht;
-
in jedem Einzelfall die Eigentümlichkeit der betreffenden Kultur zur
Kenntnis nehmen und auf typisierende Vorurteile etwa über "die" Europäer,
"die" Indianer oder "die" Asiaten verzichten - auch auf positive;
-
die Annahme einer generellen Überlegenheit von Angehörigen einer
Kultur in bezug auf einzelne psychische Funktionen zurückweisen bzw.
aufgeben;
-
stets gründlich prüfen, wie weit im Einzelfall kollektiv-kulturelle
oder individuelle Charakteristika dominieren und
-
keine generellen, sondern nur fallbezogene Handlungsempfehlungen
abgeben
5. Die Entwicklung der "interkulturellen Persönlichkeit"
GRUNDBEGRIFFE:
-
Persönlichkeit
-
Identität
-
Akkulturation
-
Assimilation
-
Adaptation
-
Bikulturalismus
-
Multikulturalismus
-
Ethnozentrismus (primär/sekundär)
5.1 Die gattungsbedingt "ethnozentrische" Grundorientierung
des Menschen
Der Mensch ist von Hause aus "ethnozentrisch", d. h. er betrachtet die
Gesellschaft, in der er aufwächst, als die beste aller möglichen.
Dies ist ein an sich sinnvoller Überlebensmechanismus, der dem Überleben
der Art Vorrang einräumt vor dem Überleben des Individuums. Er
schließt beispielsweise auch die Möglichkeit ein, daß
einzelne sich für andere zu opfern bereit sind. Andererseits kann
er dazu mißbraucht werden, Menschen, die nicht zur eigenen Bezugsgruppe
gehören, zu Feinden zu erklären und ihnen sogar die Eigenschaft
abzusprechen, überhaupt Mensch zu sein.
5.2 Kulturelle Identität
Nach ADLER (1974) ist kulturelle Identität eine Bezeichnung für
die Selbsterfahrung und das Selbstbewußtsein eines Menschen, insofern
es die Weltanschauung, das Wertsystem, die Einstellungen und Überzeugungen
jener Gruppe zum Inhalt hat, mit der er diese Eigenschaften teilt.
Von "Kultureller Identität" eines Menschen wird somit gesprochen,
wenn für diesen Menschen Werte und Normen (s)einer Bezugskultur selbstverständlich
sind und/oder wenn er sie gewohnheitsmäßig akzeptiert.
Der Begriff der kulturellen Identität gehört zu den schwierigsten
Begriffen interkultureller Didaktik, weil er in modernen Gesellschaften
mehrfach gebrochen ist. Zum einen deshalb, weil es zur Eigentümlichkeit
moderner Kultur gehört, der (individuellen) personalen Identität
Vorrang zu geben vor kollektiver Identität. Und zum anderen, weil
das Kultursystem in sich in hohem Maße ausdifferenziert ist: Abendländische
Kultur, Nationalkultur, Regionalkultur, sowie Generations-, Schicht-, religiöse
und politische Zugehörigkeit stellen in ihren mannigfaltigen Verbindungen
ein vielfältiges Angebot an kulturellen Identitäten dar, das
mit der personalen Identität in Wechselbeziehungen tritt und somit
verbietet, "saubere" Trennlinien zu ziehen. Hinzu kommt, daß Patriotismus
(wie auch sein klei-nerer Bruder, der Lokalpatriotismus) häufig nicht
das Ergebnis primärer kultureller Identität sind, sondern eine
sekundäre und übersteigerte Ab- und Unart (sekundärer
Ethnozentrismus"). Ihm gegenüber sind vor allem Individuen mit
schwach ausgeprägter personaler Identität häufig anfällig,
so daß dieser "sekundäre Ethnozentrismus" von interessierten
Demagogen für Herrschaftszwecke mobilisierbar ist.
5.3 Die gattungsbedingte Möglichkeit, Ethnozentrismus
zu überwinden
Die "Plastizität der Anlagen des Menschen", sein biologisches
Nicht-Festgelegtsein, schließt aber auch die Möglichkeit ein,
den ursprünglichen Ethnozentrismus zu überwinden. Da sich der
Mensch der sich verändernden Umwelt in hohem Maße anpassen kann,
ist er auf Grund seiner biologischen Anlagen nicht nur in der Lage, sich
jeder kulturellen Umwelt, in die er hineingeboren wird, anzupassen. Er
ist auch in der Lage, sich Umwelten anzupassen, die nicht monokulturell,
sondern multikulturell beschaffen sind.
5.4 Notwendige Lernprozesse
Anpassung an neue Verhältnisse und Vorwegnahme von Veränderungen
der Umwelt setzt Lernen voraus. Wenn Menschen, die in sehr frühen
Jahren die Erfahrung einer multikulturell geprägten Umwelt machen
(z. B. Kinder von kulturverschiedenen Ehepartnern), verlaufen diese Lernprozesse
anders, als wenn sie erst in relativ späten Jahren solche Anpassungsaufgaben
bewältigen müssen. Der jeweils altersbedingte (emotionale, moralische
und intellektuelle) Entwicklungsstand eines Menschen beeinflußt auch
die Art des Lernens, durch das er seinen ursprünglichen Ethnozentrismus
überwindet.
5.5 Stufen der Moralentwicklung nach KOHLBERG (1973)
Der US-amerikanische Entwicklungspsychologe Lawrence KOHLBERG hat im Anschluß
an die Theorie Jean PIAGETs zur Entwicklung des moralischen Urteils bei
Kindern und Jugendlichen die folgenden 6 Stufen der Moralentwicklung unterschieden:
Stufe |
Moralisches Urteil nach |
Differenzierung |
1 |
äußeren Ereignissen und Folgen |
Gehorsam/Strafe |
2 |
" |
naiver Egoismus/Hedonismus |
3 |
sozialen Anforderungen |
Konformismus |
4 |
" |
Pflichterfüllung |
5 |
inneren (Selbst-)Anforderungen |
Gesetzlichkeit |
6 |
" |
Gewissen |
Dieser Ansatz wurde und wird vor allem unter dem Gesichtspunkt seiner kulturellen
Bedingtheit (als westlich-europäisch) diskutiert und kritisiert.
5.6 Formen der Akkulturation an interkulturelle Kontexte
Als "Akkulturation an interkulturelle Kontexte" wird ein Zustand bezeichnet,
in dem ein Individuum in der Lage ist, in interkulturellen Kontexten zu
leben, d. h. zu kommunizieren, zu arbeiten, zu fühlen und zu denken.
Aber auch die Prozesse, die zu diesem Zustand führen, werden darunter
gefaßt. Je nach der Beschaffenheit dieser Kontexte kann es sich dabei
handeln um
-
Assimilation, d. h. vollständiges Aufgehen in der neuen und
Verlassen der al ten Kultur, Gewinnung einer neuen kulturellen Identität,
-
Anpassung (Adaptation), d. h. bei Bewahrung einer bestehenden kulturellen
Identität Er reichen der Fähigkeit, sich in einer zweiten Kultur
situationsge- recht zu verhalten,
-
Bikulturalismus, d. h. Gewinnung einer doppelten kulturellen Identität
und situa- tionsgerechtes Sich-Verhalten-Können in zwei Kulturen,
-
Multikulturalismus, d. h. situationsgerechtes Sich-Verhalten-Können
in mehr als zwei Kulturen.
5.7 Entwicklungsstadien (Entwicklungsstufen)
Diese Entwicklung weg von der ethnozentrischen Persönlichkeit verläuft
- wie andere Prozesse der geistig-seelischen Entwicklung des Menschen -
nicht stetig, sondern in "Schüben", von Stufe zu Stufe. Man spricht
in diesem Zusammenhang auch von Entwicklungsstadien. HOOPES
hat sieben solcher Stufen interkultureller Entwicklung herausgearbeitet,
die das folgende Schema darstellt:
Individuelle (interne) Bedingungen |
Externe (Umwelt-) Bedingungen |
- Intelligenzentwicklung |
- Herrschafts- und Machtverhältnisse |
- Moralische Entwicklung |
- "Kommunikationsordnung" |
- Interkulturelle Erfahrungen |
- (Nationale) Vorurteile und Stereotypen |
- Sprachentwicklung und (Fremd-)Sprachenkenntnis |
- Interkulturelle Erfahrungsmöglichkeiten |
- Auslands- und kulturkundliches Wissen über die eigene Kultur |
- Implizite kulturelle Annahmen |
Wie das Schema zeigt, beeinflussen eine Reihe von internen und externen
Bedingungen die Entwicklung (oder Nichtentwicklung) einer interkulturellen
Persönlichkeit.
6. Kommunikationswissenschaftliche Grundlagen
GRUNDBEGRIFFE:
-
Medien
-
Semiotik
-
Massenmedien
-
Non-verbale Kommunikation
-
Kulturelle Äquivalenz
6.1 Vorgeschichte
Bis in die Neuzeit vollzog sich die Beschäftigung mit fremden Sprachen
und Kulturen im Zusammenhang christlicher Theologie. Die in verschiedenen
Sprachen verfügbaren Schriften der Bibel und der Kirchenväter
mußten übersetzt und interpretiert werden. Und spätestens
am Beispiel von Luthers Bibelübersetzung wurde deutlich, daß
"Übersetzen" als Tätigkeit interkultureller Kommunikation nicht
"wörtlich" erfolgen kann, sondern kulturell "äquivalente" Bedeutungen
zu vermitteln hat.
6.2 Philologien als Sprach- und Kulturwissenschaften
In Europa erwachte mit der Renaissance das Interesse an der griechischen
und römischen Antike. Abgesehen von materiellen Objekten (Bauwerken,
Skulpturen etc.) waren es vor allem Texte, die das Wissen über diese
Kulturen vermittelten. Das Studium dieser Texte wurde vom 18. Jahrhundert
Gegenstand spezieller "Philologien" . Im 19. Jahrhundert entstanden dann
weitere Philologien, die sich zum einen mit modernen europäischen
Sprachen befaßten (Germa- nistik, Romanistik, Anglistik etc.). Es
entstanden jedoch auch Philologien, die außereuropäische Sprachen
zu ihrem Gegenstand machten (z. B. Indologie).
Diese Philologien bzw. ihre Vertreter befaßten sich schwerpunktmäßig
sowohl mit der Schriftform und der Lautform von Sprachen als auch mit den
literarisch-belletristischen Inhalten, die sie vermittelten. Kulturkundliche
Orientierungen im Sinne von "Auslandskunde" entwickelten sich gegen Ende
des 19. Jahrhunderts in den einzelnen Philologien.
6.3 Fremdsprachendidaktiken
Da die Fremdsprachenlehrer in Europa lange Zeit nicht als Gelehrte betrachtet
wurden, sondern an Höfen und in Städten eher den Rang von Reit-,
Fecht- und Tanzlehrern hatten, entwickelten sich Fremdsprachendidaktiken
zunächst nicht als Wissenschaften, sondern als "Praxeologien". Hinweise
darauf finden sich zunächst in Vorworten von Sprachlehrbüchern.
Bereits die frühen Sprachlehrbücher, die sich pragmatisch auf
Alltagsbewältigung im Ausland richteten, vermittelten jedoch nicht
nur Sprache, sondern eröffneten auch kleinere Einblicke in die Lebenswelten
derer, die diese Sprache sprachen. Sie waren insofern ein erster Beitrag
zum interkulturellen Lernen.
6.4 Medienwissenschaften
Mit der Entwicklung der Massenmedien (Presse, Rundfunk, Fernsehen) änderten
sich weltweit Kommunikationsstrukturen in zweierlei Hinsicht:
-
Zum einen trat neben die überwiegend inter-personale Alltagskommunikation,
die im wesentlichen wechselseitig funktioniert, eine weitere Kommunikationsform,
bei der Information einseitig von einem "Sender" an eine Vielzahl
von "Empfängern" fließt.
-
Zum anderen ging mit der Entwicklung der Massenmedien eine sprunghafte
Zunahme internationaler und interkultureller Kommunikation einher, bei
der allerdings mächtige Zentren mit ihren weltweit operierenden Nachrichtenagenturen
(z. B. Reutter) dominierten und dabei auch ihre eigenen "kulturellen Botschaften"
massiv verbreiteten.
In neuerer Zeit entstehen in immer schnellerer Folge neue Kommunikationsnetze
(z. B. Internet), die es erlauben, gleichzeitig Massenkommunikation und
interpersonale Kommunikation zu vermitteln, diese weltweit und damit kulturübergreifend
zu gestalten und dabei dem Prinzip der Wechselseitigkeit gerecht zu werden.
Für interkulturell-didaktisches Handeln ergeben sich hieraus neue
Möglichkeiten, die derzeit noch kaum abzusehen sind oder gar ausgeschöpft
werden.
Aufgabe der Medienwissenschaften war und ist es, die Bedingungen, Funtkionen
und Wirkungen der Massenmedien und der Massenkommunikation zu analysieren.
Dabei liefern sie auch wichtige Erkenntnisse für die Interkulturelle
Didaktik:
-
Sie liefern Theorien und Modelle, die es erlauben, spezifische Aspekte
auch interkultureller Massenkommunikation zu analysieren
und zu interpretieren.
-
Und sie liefern empirische Befunde darüber, welche Information über
welche Kanäle von welchen Kulturen an welche anderen fließen.
Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Verbreitung "kultureller
Botschaften" mit Werten und Normen US-amerikanischer Mittelschichten über
weltweit ausgesendete Werbesendungen auch in entfernte Länder der
Dritten Welt.
6.5 Semiotik(en)
Die Semiotik ist eine Wissenschaft (oder Semiotiken sind Wissenschaften),
die Systeme von Zeichen und deren Bedeutungen erforscht (bzw. erforschen).
Anders als Philologien beschränken sich Semiotiken jedoch nicht auf
sprachliche Zeichen und damit auf sprachliche (verbale) Kommunikation,
sondern beziehen auch nicht-sprachliche (nonverbale) Zeichen und Zeichensysteme
ein, denen Menschen Bedeutungen zuschreiben. Auch diese sind wie verbale
Sprachen weitgehend kulturspezifisch und werden deshalb zunächst
nur von Angehörigen der gleichen Kultur richtig verstanden.
Bekannte Formen kulturspezifischer non-verbaler Kommunikation sind Mimik
(Gesichtsaus- druck) und Gestik (Körperausdruck). Kulturell bedeutsame
Zeichen werden jedoch auch bei Formen der paralingualen Kommunikation verwendet,
zu der z. B. Lautstärke, Betonung, Geräusche (Schnalzen, Kichern,
Schreien etc.) gehören. In einem weiteren Sinne kann non-verbale Kommunikation
auch über Kleidung und Schmuck erfolgen, mit denen Informationen über
deren Träger vermittelt werden. Ferner gehört dazu ein bestimmter
Objektgebrauch (z. B. das Halten einer Zigarette oder die Art des Aufsteigens
aufs Pferd). Und schließlich kann auch der Umgang mit Raum (z. B.
Körperkontakt, Distanz) und mit Zeit (z. B. Länge der Sprechpausen)
Funktionen non-verbaler interkulteller Kommunikation erfüllen.
Da interkulturelle Kommunikation immer auch non-verbale Kommunikation
ist und da interkulturelles Lernen immer auch das Erlernen von kulturspezifischen
Formen non-verbaler Kommunikation beinhaltet, spielen Erkenntnisse der
Semiotik (bzw. von Semiotiken) für inter- kulturell-didaktisches Handeln
eine wichtige Rolle.
7. Theorien und Modelle interkultureller Didaktik
Grundbegriffe:
-
Praktiker-Didaktiken
-
Theoretiker-Didaktiken
-
Praxisbeschreibungen
-
Modelle
-
Arbeitsmodell
-
Kategorialmodell
-
Rekonstruktion
-
Rekonstruktionsstufen
7.1 Didaktiken als Formen segregierten Lernens
Als zoologisches Wesen ist der Mensch (homo sapiens sapiens) nicht nur
besonders lernfähig, sondern auch besonders lernbedürftig. Und
so verwundert es nicht, daß die Menschheit seit ihren Anfängen
eine große Formenvielfalt des Lernens ausgebildet hat. Sie hat nicht
nur Lernformen entwickelt, die in andere Tätigkeiten integriert sind
(integriertes Lernen), sondern auch Lernformen, die aus dem Zusammenhang
dieser Tätigkeiten ausgegliedert und als eigenständige Formen
organisierten Lernens gestaltet wurden (segregiertes Lernen).
7.2 Vielfalt der Didaktiken
In Europa waren es sowohl Zünfte und Berufsgruppen als auch Weltanschauungsgemeinschaften,
die solche Didaktiken entwickelten. So entstanden beispielsweise
-
Priesterdidaktiken und Ritterdidaktiken,
-
Gelehrtendidaktiken und Handwerkerdidaktiken,
-
Schulmeisterdidaktiken und Sprachmeisterdidaktiken,
-
Sportlerdidaktiken und Medizinerdidaktiken,
-
Militär-Didaktiken und Piloten-Didaktiken,
-
Industrie-Didaktiken und Handels-Didaktiken,
-
Therapeutendidaktiken und Managerdidaktiken,
um nur einige zu nennen. Bezogen auf geistige Strömungen und Weltanschauungen
waren es in Europa sehr unterschiedliche Gemeinschaften, die eigene oder
spezifische Didaktiken entwickelten und oder förderten:
-
Die Sophisten und Sokratiker in der griechischen Antike,
-
die Humanisten und die Reformatoren des 16. Jahrhunderts,
-
die Jesuiten und die Böhmischen Brüder,
-
die Pietisten und die Philanthropen,
-
die Neuhumanisten und die Positivisten,
-
die Pestalozzianer und die Herbartianer,
-
die Marxisten und die Freudianer,
-
die Pragmatisten und die Anthroposophen,
-
die behaviouristischen und die "humanistischen" Psychologen,
um auch hier wieder nur eine Auswahl zu erwähnen.
7.3 Praktiker-Didaktiken
Insofern diese Didaktiken Praktiker-Didaktiken sind, zeichnen sie sich
durch einen methodischen Kern aus, d. h. durch von ihr bevorzugte spezielle
Lernumgebungen, Lernaufgaben, Rollen und Tätigkeiten aus. Sie sind
jedoch nie ausschließlich Unterrichtsmethoden in einem nur technischen
Sinn, sondern haben immer auch einen für sie bedeutsamen kulturellen
Hintergrund. Und sie sind jeweils eingebunden in einen historischen Bezugsrahmen,
in "Weltbilder" und "Menschenbilder".
Praktiker-Didaktiken lassen sich insofern beschreiben nach
-
ihrem unterrichtsmethodischen "Kern",
-
ihrem bedeutsamen kulturellen Hintergrund und
-
ihrem historischen Bezugsrahmen.
Der "unterrichtsmethodische Kern" läßt sich erkennen an Lernumgebungen,
Lernaufgaben, Rollen und Tätigkeiten.
Der bedeutsame kulturelle Hintergrund von Praktiker-Didaktiken wird
gebildet von Zeit-strukturen, Raumstrukturen, Objekten, Symbolen, Körperhaltungen,
Tätigkeiten, Kommunikation, Rollen, Wissensvorräten, Wertvorstellungen,
"Helden", Mythen und Ritualen.
7.4 Theoretiker-Didaktiken
Theoretiker-Didaktiken (wissenschaftliche Didaktiken) haben im besonderen
zwei Aufgaben:
-
Didaktiken der Praktiker zu rekonstruieren und zu analysieren, indem sie
deren Voraussetzungen, Tätigkeiten, Begründungen und Wirkungen
mit Hilfe kategorialer Begriffssysteme "auf den Begriff bringen" und prüfen
(-> Erkenntnisfunktionen).
-
Arbeitsmodelle für die Erstellung von (neuen) Praxisentwürfen
zu entwickeln, indem sie aus Einzelpraxisbeschreibungen mit Hilfe von "Kategorialmodellen"
typische und verallgemeinerungsfähige Handlungsempfehlungen gewinnen
und begründen (-> handlungsempfehlende Funktionen).
Weltweit gibt es eine Vielzahl wissenschaftlicher Didaktiken, die untereinander
in allenfalls loser Verbindung stehen. Sie unterscheiden sich zum einen
dadurch, daß sie - ebenso wie die Praktiker-Didaktiken - von unterschiedlichen
Menschen- und Weltbildern getragen sind, zum anderen dadurch, daß
sie unterschiedliche Bezugsdisziplinen bevorzugen. Auf der übernächsten
Seite sind die wichtigeren Grundrichtungen wissenschaftlicher Didaktik
("Schulen", "Lehrmeinungen", Autoren) aufgeführt, die sich nach den
von ihnen bevorzugten KATEGORIALMODELLEN unterscheiden lassen.
7.5 Rekonstruktionsstufen
-
Praxisbeschreibungen: Dies sind sprachliche und/oder audiovisuelle Aufzeichnungen
einzelner Praxisdurchführungen (z. B. von Unterrichtseinheiten), die
mit Hilfe der Umgangssprache oder einer speziellen Protokollsprache festgehalten
werden.
-
Didaktische (Arbeits-)Modelle: Dies sind typische und verallgemeinerungsfähige
Lehr-Lernstrategien. Der "Göttinger Katalog Didaktischer Modelle"
hat 20 solcher Grundtypen ausgearbeitet.
-
Kategorialmodelle der Didaktik: Dies sind in der Regel 3 - 7 Grundbegriffe
und ihre mehr oder weniger klar ausgewiesenen Beziehungen, mit deren Hilfe
festgelegt wird, was als Unterricht gelten soll; sie werden häufig
aus anderen Disziplinen und/oder Meta-Theorien (wie z. B. Behaviourismus,
Systemtheorie, Tätigkeitstheorie ) abgeleitet.
7.6 Rekonstruktionsbereiche bzw. Rekonstruktionsebenen
-
System-Ebene: Auf dieser Ebene werden bestimmte "systemische" Fragen
diskutiert und entschieden. Dabei geht es um private und/oder öffentliche
Trägerschaft, zentrale und/oder dezentrale Organisation, formale (schulische)
oder non-formale Konzeption, Selbstfinanzierung und/oder Fremdfinanzierung,
Integration in das gesamte Bildungssystem und/oder Eigenständigkeit;
Integration der Weiterbildung in andere Projekte kultureller, wirtschaftlicher
und gesellschaftlicher Entwicklung und/oder Ausgliederung in relativ eigenständige
Organisationen.
-
Programm-Ebene: Unter "Programmen" sind größere Vorhaben
zu verstehen, die einen auch zeitlich größeren Umfang von Lerntätigkeit
abdecken sollen. Dazu gehören beispielsweise "Alphabetisierungsprogramme",
Programme zur Einführung in die neuen Informationstechnologien, Programme
der "Altersbildung", Programme für Frauen, die sich auf den Wiedereintritt
in den Beruf vorbereiten oder Programme der Elternbildung. Häufig
sind solche Weiterbildungsprogramme in sozialpolitische, gesundheitspolitische
und entwicklungspolitische Maßnahmen integriert.
-
Kurs- (Veranstaltungs-)Ebene: Diese Ebene didaktischen Handelns
umfaßt Regelungen über Kurse im engeren Sinne, d. h. über
Einheiten, die eine Lernzeit in der Regel von 20 - 50 Stunden umfassen
und deren Gestaltung die ausschließliche Domäne des Lehrers/Dozenten/Trainers
und seiner Lerner/Schüler/Hörer ist. Vor allem für nichtformelle
(non-formale) Bildung und selbsttätiges Lernen muß diese Ebene
allgemeiner formuliert werden. Neben dem zeitlichen Rahmen sind andere
Punkte zu berücksichtigen, wie etwa die Einheit des Wissens und seiner
Gliederung, die Einheit des Lernortes, die Einheit der sozialen Organisation,
die Einheit der Lerntätigkeit sowie die Einheit der Arbeitsteilung.
-
Block-Ebene: Die Blockebene ist kurzgesprochen diejenige Ebene didaktischen
Handelns, auf der die Vielfalt der historisch entstandenen Formen organisierten
Lernens und systematischer Wissensaneignung zur Geltung kommt. Die Sicherung
didaktischer Vielfalt und damit auch die Sicherung "angepaßter" Lernmöglichkeiten
- angepaßt an Lernstile, an kulturelle und moralische Kontexte und
an ökonomische und ökologische Verhältnisse - setzt entfaltetes
didaktisches Handeln auf der Blockebene voraus. Hierbei geht es insbesondere
um die Gestaltung der konkreten Lernumgebung, die Formulierung sinnvoller
Lernaufgaben, die bewußte Gestaltung von Lerntätigkeit und um
didaktisches Handeln, daß insbesondere auch von den Lernern selbst
gesteuert wird.
-
Phasen-Ebene: Mit dieser Ebene didaktischen Handelns erreichen wir
den Bereich der Mikrodidaktik, jenen Bereich also, der vor allem von Erkenntnissen
der Psychologie und der Unterrichtsmethodik erfaßt wird und der die
Gestaltung von Lerntätigkeit auf der Ebene von 20-Minuten-Einheiten
umfaßt. Handlungsträger sind hier wie auf den anderen Ebenen
in erster Linie die Lerner, doch können auch die sie unterstützenden
Personen wichtige Beiträge zu den hier ins Spiel kommenden didaktischen
Handlungen leisten.
-
Situations-Ebene: Auf dieser untersten aber auch konkretesten Ebene
didaktischen Handelns bestimmen Spontanität, Routine und auch Zufälligkeit
die Lehr-Lerntätigkeiten mehr als auf den anderen Ebenen, da sie sich
der Planung und Reflexion in höherem Maße entzieht. Erfahrung
und intensives Training der Lerner (in bezug auf ihre "Lerntechniken")
und der Lernhelfer (in bezug auf ihre "Lehrtechniken") hat deshalb hier
seinen besonderen Bezug.
7.7 Kategorialmodelle der Didaktik
Verbreitete Kategorialmodelle der (Theoretiker-)Didaktik greifen zurück
auf Theorien anderer Disziplinen bzw. auf disziplinen-übergreifende
"Meta-Theorien. Dies sind im besonderen:
-
Verhaltenstheoretische bzw. behavioristische Theorien, die vor allem
Verhaltensweisen von Lehrenden und Lernenden mit den Grundkategorien "Reiz",
"Reaktion" und "Verstär-kung" abbilden.
-
Systemtheoretische bzw. kybernetische Theorien, die verschiedene
Aspekte von Unterricht als "System" bzw. "Subsystem", "Außenwelt",
"Element", "Steuerung", Regulierung", "Input", "Output", "Rückmeldung"
und "Beziehung" abbilden.
-
Handlungs- bzw. tätigkeitstheoretische Theorien, die den Gegenstandsbereich
mit den Begriffen "Subjekt", "Objekt", "Tätigkeit", "Handlung" bzw.
"Operation", "Bedeutung", "Ziel", "Wirkung", "Kontrolle", "Orientierung",
"Planung" und "Bewertung" abbilden.
-
Ökologische Theorien, die bei ihrer Abbildung von Unterricht
vor allem die Begriffe "Organismus", "Umwelt", "Gleichgewicht", "Komplexe
Wechselwirkung" und "Katastrophe" verwenden.
-
Entwicklungstheorien, die vor allem die Entwicklung menschlicher
Individuen über ihre Lebenphasen hin oder aber die Entwicklung von
Bildungssystemen im historischen Prozeß erfassen.
-
Wissenstheorien, die vor allem die Auswahl und Ordnung von Lerninhalten
hervorheben und dabei Begriffe wie "Wissen", "Wissenssynthese", "Bezugsrahmen"
und "Kommensurabilität" verwenden.
-
Informations- und Kommunikationstheorien, deren Kernbegriffe "Sender",
"Empfänger", "Kanal", "Nachricht", "Information" und "Redundanz" sind.
7.8 Der Göttinger Katalog Didaktischer Modelle
Er besteht aus Beschreibungen von 20 didaktischen Arbeitsmodellen und ihren
Varianten, Praxisbeschreibungen und einer umfangreichen Dokumentation.
Die 20 Arbeitsmodelle sind:
-
Arbeitsunterricht: Hierbei bearbeiten Lerner individuell
oder in kleinen Gruppen Aufgaben, die meist schriftlich formuliert sind
und nach Möglichkeit mehrere Aspekte - handwerkliche, intellektuelle,
soziale - integrieren, um Kenntnisse und Fertigkeiten zu üben und
anzuwenden.
-
Disputation: Hierbei eignen sich Lerner in öffentlicher und
geordneter Rede und Gegenrede vor allem Argumentations- und Urteilsfähigkeit
an.
-
Erkundung : Hier begeben sich Lerner in natürliche Umwelten
und Institutionen zur Beobachtung und Datenerhebung, um Zusammenhänge
zu überschauen sowie Interessen und Standpunkte zu gewinnen.
-
Fallmethode: Hierbei bearbeiten Lerner einzeln oder in Gruppen in
Akten rekonstruierte Praxisfälle, um sich Wissen über die betreffende
Praxis anzueignen und ihre Urteils- und Entscheidungsfähigkeit auszubilden.
-
Famulatur: Hierbei eignen sich zumeist jüngere Praktiker
(Ärzte, Künstler, Wissenschaftler) spezielles oder seltenes Wissen
von hoher Qualität an, indem sie einem "Meister ihres Faches" bei
dessen Arbeit über einen längeren Zeitraum helfen.
-
Fernunterricht: Hierbei eignen sich Lerner durch Lektüre
von speziell aufbereiteten schriftlichen Unterrichtsmaterialien sowie durch
Bearbeiten von schriftlich gestellten Aufgaben überwiegend theoretisches
Wissen an (Fakten, Begriffe, Modelle, etc.).
-
Frontalunterricht: Bei dieser in Schulen vorherrschenden
Unterrichtspraxis stehen lehrergesteuerte Gespräche im Mittelpunkt,
die durch Anschauungsmittel unterstützt werden und vor allem der Vermittlung
fachspezifischen Orientierungswissens dienen.
-
Individueller programmierter Unterricht: Hierbei eignen sich
Lerner mit Hilfe programmierter Lehrtexte in kleinen Lernschritten selbständig
und individuell Kenntnisse und Fertigkeiten an, die genau festgelegt sind.
-
Individueller Lernplatz: Hierbei eignen sich Lerner mit Hilfe
von ausgewählten und systematisch geordneten Texten und AV-Medien
selbständig Begriffs- und Faktenwissen an, das zu vorher erarbeiteten
Fragestellungen in Beziehung steht.
-
Kleingruppen-Lerngespräch: Hierbei eignen sich Lerner
durch strukturierten Informations- und Meinungsaustausch vorwiegend Wissen
über persönliche Erfahrungen, Bewertungen und Einstellungen an.
-
Lernausstellung: Hierbei eignen sich Lerner an offenen Lernorten
(z. B. Museen und Messen) Wissen an, indem sie ausgestellte und zumeist
auch kommentierte Objekte oder Abbildungen in bestimmter Reihenfolge betrachten
und gegebenenfalls handhaben.
-
Lerndialog: Hierbei führen Lerner mit anderen Personen
ausführliche und geordnete Zwiegepräche, um Erkenntnisse über
sich selbst und ihre Beziehung zur Umwelt zu erlangen.
-
Lernkabinett: Hierbei eignen sich Lerner durch reale Tätigkeit
in speziell eingerichteten und didaktisch besonders aufbereiteten Lernumwelten
theoretisches und praktisches Wissen aus mehreren Handlungsperspektiven
an.
-
Lernkonferenz: Hierbei kommen Lerner mit anderen zu ein-
oder mehrtägigen Treffen zusammen, um sich gegenseitig in Vorträgen,
Diskussionen und anderen vorbereiteten Beiträgen aktuelles Deutungs-
und Problemlösungswissen zu vermitteln.
-
Lernnetzwerk: Hierbei erzeugen Lerner neues Wissen, insbesondere
über innovative Praxisbereiche, und vermitteln es sich wechselseitig
und uneigennützig mit Hilfe von zumeist schriftlichen Mitteilungen.
-
Lernprojekt: Hierbei wirken Lerner an Projekten innovativer
Praxis mit, um die Anwendung erworbenen Wissens in realen Situationen und
Institutionen zu erlernen und zur Verbesserung von Lebensqualität
beizutragen.
-
Simulation: Hierbei übernehmen Lerner - oft spielerisch
- Rollen und/oder betätigen sich in simulierten Umwelten, um vor allem
Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit in lebensnahen, jedoch entlasteten
Situationen zu entwickeln und zu trainieren.
-
Tutorium: Hierbei eignen sich Lerner, die gegenüber
Lernern in gleicher Lage begrenzte Funktionen übernehmen, Wissen an,
um es an diese weiterzuvermittteln.
-
Vorlesung: Hierbei nehmen Lerner als Zuhörer und/oder
Zuschauer an mündlichen und teilweise durch Medien unterstützten
Informationsdarbietungen eines Redners teil, um sich Wissen und Wertvorstellungen
anzueignen.
-
Werkstattseminar: Hierbei eignen sich erfahrene Praktiker,
Theoretiker oder Künstler in einer zumeist mehrtägigen Kompaktveranstaltung
überwiegend aktuelles Wissen an, das entweder von einzelnen Teilnehmern
eingebracht oder aber gemeinsam erzeugt wird.
8. Kulturelle Bedingtheit didaktischen Handelns
GRUNDBEGRIFFE:
-
Integriertes/segregiertes Lernen Lernumgebung
-
Didaktisches Handeln Lernaufgabe
-
Ebenen didaktischen Handelns Lernstrategie
8.1 Überlieferung didaktischer Rollen und didaktische
Sozialisation
Wenn die Persönlichkeit der didaktisch (heterodidaktisch wie autodidaktisch)
Handelnden (Lerner, Lehrer etc.) kulturell bedingt ist, dann ergeben sich
von daher auch Einflüsse auf deren didaktisches Handeln. Zum anderen
sind Formen didaktischen Handelns ebenso Gegenstand kultureller Überlieferung
wie andere menschliche Tätigkeiten auch. Wer deshalb in interkulturellen
Kontexten (als Lerner oder als Lehrer) didaktisch handelt, muß sich
der eigenen kulturellen Prägung und Überlieferung ebenso bewußt
werden wie der seiner Partner.
"Lernerrollen" und "Lehrerrollen" werden in ähnlicher Weise erlernt
wie Geschlechtsrollen und sind deshalb auch kulturspezifisch ausgeprägt.
Will jemand in einem kulturellen Kontext lernen und lehren, der verschieden
von seinem eigenen ist, muß er sich deshalb bemühen, Informationen
über die didaktische Sozialisation seiner Partner zu beschaffen.
8.2 Ebenen didaktischen Handelns in ausdifferenzierten
Bildungssystemen
Ausdifferenzierte, moderne Systeme der Grund-, Aus- und Weiterbildung erfordern
didaktisches Handeln auf makro-, meso- und mikrodidaktischen Ebenen.
|
HANDLUNGSEBENE |
HANDLUNGSALTERNATIVEN |
M
A
K |
Systemebene |
formale (schulische, non-formale (außerschulische),
informelle (tätigkeitsintegrierte) Bildung in öffentlicher oder
privater Trägerschaft |
R
O |
Programmebene
(ca. 300 Std. ALZ) |
gefächerte (fachbezogene), anforderungsbezogene (interdisziplinär-problembezogene)
oder persönlichkeitsbezogene Programme |
M
E |
Kursebene
(ca. 30 Std. ALZ) |
Verteilte oder Blockveranstaltungen an festen oder wechselnden
Lernorten in festen oder variablen Lerngruppen |
S
O |
Block-Ebene
(ca. 3 Std. ALZ) |
Arbeitsunterricht, Disputation, Erkundung, Fallmethode,
Famulatur, Fernunterricht, Frontalunterricht, IPU, Individueller Lernplatz,
Kleingruppen-Lerngespräch, Lernausstellung, Lerndialog, Lernkabinett,
Lernkonferenz, Lernnetzwerk, Lernprojekt, Simulation, Tutorium, Vorlesung,
Werkstattseminar |
M
I |
Phasen-Ebene
(ca. 0,3 Std. ALZ) |
Einrichtungsphasen, Vorbereitungsphasen, Orientierungsphasen,
Planungsphasen, Interaktionsphasen, Präsentationsphasen, Evaluierungsphasen,
Festigungsphasen |
K
R
O |
Situative Ebene
(ca. 0,03 Std. ALZ) |
ca. 200 didaktische Handlungen bzw. Interaktionsweisen:
technische, kommunikative, metakommunikative Handlungen; reale und symbolische
Handlungen |
8.3 Kulturelle Bedingtheit von traditioneller Schul-
und Unterrichtspraxis (nach HOFSTEDE 1991)
Nach HOFSTEDE (1991) lassen sich Unterschiede von Schul- und Unterrichtspraxis
in verschiedenen Kulturen nach den von ihm erarbeiteten 4 Dimensionen der
Kulturbeschreibung wie folgt charakterisieren:
Maskulinität
- Leistungsbeste bestimmen Standards
- Offene Konkurrenz im Klassenraum
- Schulversagen als Katastrophe
- Je älter die Kinder, desto mehr männliche Lehrer
- Lob für ausgezeichnete Leistung |
Femininität
- Leistungsdurchschnitt bestimmt Standards
- Solidarität im Klassenraum
- Schulversagen als kleiner "Unfall"
- Männliche und weibliche Lehrer auf allen Stufen des Bildungssystems
- Weniger offenes Lob |
hohe Unsicherheitsabwehr
- Bevorzugung gut geplanter Programme und Kurse
- Belohnung nach Zielerreichung
- Spezifische Lernaufgaben
- Lehrer als Experte
- Bereitschaft, Lehrerposition anzuerkennen
- Lehrer darf Wissenslücken nicht zeigen
- Nichteinbeziehung von Eltern in den Unterricht |
geringe Unsicherheitsabwehr
- Vorliebe für weniger strukturierte Programme und Kurse
- Belohnung auch kreativer Lösungen
- Offene Lernaufgaben
- Lehrer als "Lernhelfer"
- Bereitschaft Lehrerposition zu diskutieren
- Lehrer darf Wissenslücken eingestehen
- Einbeziehung von Eltern in den Unterricht |
hohe Machtdistanz
- Kürzere Bildungsdauer für die meisten
- Lehrer-/(autoritäts-)zentrierter Unterricht
- Einweg-Kommunikation
- Körperstrafen
- Eltern stützen Lehrer-Autorität |
geringe Machtdistanz
- Längere Bildungsdauer für viele
- Sachbezogener und schülerzentrierter Unterricht
- "Symmetrische" Kommunikation
- Symbolische Strafen / keine Strafen
- Eltern problematisieren Lehrerautorität |
Kollektivismus
- Schüler als Gruppenmitglied
- Schüler melden sich nicht, wenn nicht persönlich aufgefordert
- Untergruppenbildung nach Familienzugehörigkeit
- Bildung als Vorbereitung auf Positionen
- Leistungsbewertung nach Kollektivzugehörigkeit
- Bevorzugung traditioneller Lerninhalte
- Zeugnisse als Dokumente sozialen Aufstiegs |
Individualismus
- Schüler als Individuum
- Schüler melden sich auch, wenn nicht persönlich aufgefordert
- Untergruppenbildung nach persönlichen Interessen oder Sachproblemen
- Bildung als Vorbereitung auf offene Situationen
- Individuelle Leistungsbewertung
- Einbeziehung innovativer Inhalte
- Zeugnisse als Dokumente von "Marktwert" und "Selbstwert" |
Weitere Unterschiede
- Streng gefächerter vs. fachübergreifender Unterricht (Ungewißheitsvermeidung)
- Vielfalt der Lehr-/Lernformen (Ungewißheitsvermeidung)
- Benotete vs. unbenotete Leistungsnachweise (Maskulinität/Femininität) |
|
8.4 Kulturell "angepaßtes" didaktisches Handeln
Wer in interkulturellen Kontexten didaktisch handeln will, muß darauf
achten, daß er sich "kulturell angepaßt" verhält. Die
folgenden 11 Gesichtspunkte verdienen dabei besondere Aufmerksamkeit:
1. |
Angepaßtheit der Lernumgebung |
- Lernzeit
- Lernraum
- sozialer Kontext |
2. |
Angepaßtheit der Wissensordnungen und
Wissensarten |
- einheimisches Wissen
- problembezogen / fächerbezogen |
3. |
Angepaßtheit der Lehr- und Lernmittel |
- kulturell
- ökonomisch
- curricular |
4. |
Angepaßtheit der Lernaufgaben |
- kultureller Sinn
- Inhalte
- reproduktiv / konstruktiv |
5. |
Berücksichtigung der didaktischen Sozialisation |
- traditionell
- "modern" |
6. |
Berücksichtigung der Motivationsstrukturen |
- leistungsmotiviert
- zugehörigkeitsmotiviert
- statusmotiviert |
7. |
Berücksichtigung der Schwerpunktsetzung
auf Einzelleistung oder Kollektivleistung |
|
8. |
Angepaßtheit der Curricula |
- "Afrikanisierung"
- "Ruralisierung" |
9. |
Berücksichtigung der einheimischen Lernstrategien |
|
10. |
Berücksichtigung der
Interaktions- und Kommunikationsstrukturen |
|
11. |
Berücksichtigung der
Einstellungen zu Hierarchie und Disziplin |
|
Literatur:
Gehlen, Arnold, Der Mensch: Seine Natur und seine Stellung in der Welt.
6. unveränderte Aufl., Bonn, 1958.
Gehlen, Arnold, Ein Bild vom Menschen. In: ders., Anthropologische Forschung.
Zur Selbstbegegnung und Selbstentdeckung des Menschen. Reinbek bei Hamburg,
1961, S. 44-54.
Hall, Edward T./Hall, Mildred Reed, Understanding Cultural Differences.
Yarmouth, Maine 1990, S. 3-31.
Hofstede, Geert, Values and Culture. In: ders., Culture's Consequences.
International Differences in Work-Related Values. Beverly Hills u. a. 1980,
S.13-53.
Kluckhohn, F. R./Strodtbeck, F. L., Variations in Value Orientations.
Westport C. T., 1961.
Kroeber, A. L./Kluckhohn, Clyde, Culture - Conclusions. In: dies., Culture.
A Critical Review of Concepts and Definitions. New York, 1952, S. 355-376.
Portmann, Adolf, Die Rolle der Biologie in der anthropologischen Arbeit
unserer Zeit. In: ders., Zoologie und das neue Bild des Menschen. Hamburg,1956,
S. 7-28.
Thompson, Michael u. a., Cultural Theory. Boulder u. a., 1990.
Vester, Frederic, Neuland des Denkens: Vom Technokratischen zum Kybernetischen
Zeitalter. München, 1984.
Wichtige Zeitschriften für den Bereich Wissensgrundlagen:
Anthropology & Education Quarterly. Herausgegeben von der American
Anthropological Association.
Education. A Biannual Collection of Recent German Contributions to the
Field of Educational Research. Herausgegeben vom Institut für wissenschaftliche
Zusammenarbeit Tübingen.
International Education. A Biannual Journal. University of Tennessee,
College of Education.
International Journal of Intercultural Relations. Official Publication
of SIETAR. Pergamon Press.
Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaften. Herausgegeben
vom UNESCO-Institut für Pädagogik, Hamburg.
Journal of Cross-cultural Psychology. Sage Periodical Press.
ZEP. Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik.
Herausgegeben von der Gesellschaft für interkulturelle Bildungsforschung
und Entwicklungspädagogik e. V.
Orientierungen
zur Interkulturellen Didaktik --- Tätigkeitsfelder
--- Perspektiven
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