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Phytomyza primulae
   
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Synonyme und andere Namen:
(1) Phytomyza cinerella Anonymus, 1848 (p. 185; Nomen nudum in einem kurzen Bericht eines ungenannten Autors über den Vortrag von Goureau, der dann erst 1851 als schriftlicher Beitrag publiziert wurde; siehe Punkt 2)
(2) Phytomyza cinerella Goureau, 1851 (p. 151; irrtümlich Meigen zugeschrieben, der jedoch nie ein Taxon dieses Namens beschrieben hat; Nomen oblitum, siehe Text)
(3) Phytomyza primulae Goureau, 1851 (p. 151; TL: nicht spezifiziert, Frankreich; Nomen protectum, siehe Text)
Chromatomyia primulae (Goureau, 1851)
(4) Phytomyza primula Goureau, 1851 (p. 173; Druckfehler für Phytomyza primulae, nicht verfügbar)
(4) Phytomyza primulae Robineau-Desvoidy, 1851 (p. 396; TL: nicht spezifiziert, Frankreich) (jüngeres Synonym, da erst im August 1851 publiziert, siehe Text)
Chromatomyia primulae (Robineau-Desvoidy, 1851)

Zur Nomenklatur: bei dieser Art (und einigen anderen Arten in den beiden betroffenen Publikationen) tritt das interessante Phänomen auf, dass die Art unter dem selben Namen und im selben Jahr, 1851, zweimal von zwei verschiedenen Autoren, nämlich Goureau (1851) und Robineau-Desvoidy (1851), beschrieben wurde. Damals war es durchaus üblich, dass Forscher unfertige Manuskripte untereinander austauschten und deshalb auch die Manuskriptnamen neuer Arten oft schon lange vor deren tatsächlicher Publikation kannten. Nicht selten kam es dann vor, dass Autoren solche Namen in ihren Veröffentlichungen bereits verwendeten, obwohl das Manuskript des "eigentlichen" Beschreibers noch gar nicht veröffentlicht war. Damals war dies unproblematisch, da die Prioritätsregel noch nicht existierte und die Autorenschaft einfach durch Hinweis auf den "eigentlichen" Autor kenntlich gemacht werden konnte, so wie auch hier in diesem Fall: Goureau (1851) wollte die Art gar nicht selbst beschreiben, er bezog sich lediglich auf den Manuskriptnamen, den er von Robineau-Desvoidy kannte, und hat dies auch durch das Zitat "R.-D." kenntlich gemacht und in einer Fussnote noch einmal ganz klar verdeutlicht: "Die in den vorliegenden Notizen erwähnten Dipteren wurden von Herrn Macquart begutachtet, der mir freundlicherweise mitteilte, welche er für neu hält. [...] Die gleichen kleinen Dipteren wurden 1851 von Herrn Robineau-Desvoidy untersucht, der sie freundlicherweise benannte. Dies betrifft alle, auf deren Namen die Buchstaben R.-D. folgen [übersetzt aus dem Französischen]". Allerdings haben solche "Gentlemen's Agreements" der damaligen Zeit heutzutage keine nomenklatorische Relevanz mehr, wir müssen heute die aktuellen Regeln des International Code of Zoological Nomenclature anwenden. Zunächst gilt es herauszufinden, wessen Publikation nach der Prioritätsregel zuerst erschienen ist. Hierzu gibt es die Ansicht, dass die Arbeit von Goureau bereits im Juli 1851 (angeblich am 23.07.1851) erschienen ist, die Arbeit von Robineau-Desvoidy aber erst ein paar Tage später, im August 1851 (siehe Papp (1984) und Spencer & Martinez (1987)). Danach hätte dann also die Arbeit von Goureau nach den heutigen Nomenklaturregeln Priorität. Leider erklären Papp (1984) und Spencer & Martinez (1987) die Datierung nicht. Ich habe im gesamten betreffenden Band der Annales de la Société Entomologique de France keinen Hinweis darauf entdeckt, wann die einzelnen Seiten (möglicherweise in separaten Lieferungen oder Heften) erschienen sind. Ich konnte bislang auch keine offiziell publizierte Arbeit zu diesem Thema finden, es gibt lediglich inoffizielle Internetseiten (z. B. http://hbs.bishopmuseum.org/dating/) auf denen das Erscheinen des "zweiten Heftes" auf den 23. Juli 1851 datiert wird. Da ich momentan keine Hinweise habe, der vorherrschenden Meinung zu widersprechen, schließe mich dieser vorherrschenden Meinung zunächst provisorisch an, wonach Goureau´s Arbeit dann also Priorität genießt. Wir können die Arbeit von Robineau-Desvoidy (1851) also ignorieren und uns ganz auf die Arbeit von Goureau (1851) konzentrieren. Nun wird jedoch zum Problem, dass er die vorliegende Art mit zwei Namen "gleichzeitig" beschrieben hat (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Ausschnitt aus der Originalbeschreibung der Art durch Goureau (1851). Gut zu sehen ist: der Art sind gleich zwei Namen gleichzeitig gegeben worden, nämlich Phytomyza primulae und Phytomyza cinerella, die im Layout in der gleichen Schriftgröße direkt untereinander gedruckt sind.

Beide Namen hält Goureau (1851) nicht für neu: er schreibt den Namen Phytomyza primulae dem Manuskript von Robineau-Desvoidy zu, das zu diesem Zeitpunkt jedoch noch unveröffentlich war. Und er schreibt den Namen Phytomyza cinerella dem Entomologen Meigen zu, der aber in keinem seiner Werke einen solchen Namen publiziert hat. Beides sind also nach dem International Code of Zoological Nomenclature neue Namen, die Goureau hier zum ersten Mal publiziert und beschreibt, obwohl sich Goureau dessen gar nicht bewusst ist. Aber: welcher der beiden ist nun der "richtige" Name? Leider ist diese Frage nicht so einfach zu beantworten, wie es in der Vergangenheit gemacht wurde. So haben z. B. Spencer & Martinez (1987) einfach alle Namen in Goureau (1851) hinter denen das Kürzel "R.-D." steht, zu "Nomina nuda" erklärt, weil sie sich ja zum Zeitpunkt ihrer Publikation (i.e. der 23. Juli 1851) auf das Manuskript von Robineau-Desvoidy beziehen, das aber erst in der Zukunft (August 1851) publiziert werden würde. Die Idee dahinter ist wohl eine Fehlanwendung des Konzepts der "Indication" (Article 12.2.). Ein Nomen nudum entsteht nämlich immer dann, wenn ein Name publiziert wird, dem weder eine Beschreibung noch eine Indication beigefügt ist (ein "nackter" Name, ohne jedes beschreibende Wort, zu welchem Taxon der Name eigentlich gehören soll). Eine Indication ist dabei z.B. der Hinweis auf ein anderes Werk, in dem die Art beschrieben ist, die genaue Formulierung im Code ist dabei "bibliographic reference to a previously published description"; und da wir hier ja quasi eine "bibliographische Referenz auf eine zukünftig noch zu publizierende Beschreibung" haben, sind Spencer & Martinez (1987) offenbar davon ausgegangen, dass es sich nicht um eine Indication handelt und die Namen deshalb Nomina nuda sein müssen. Was Spencer & Martinez (1987) dabei aber völlig übersehen haben ist, dass den Namen in Goureau (1851) stets eine kurze Diagnose und dann noch eine ausführliche Beschreibung folgen. Von Nomina nuda kann man hier also beim allerbesten Willen nicht sprechen.
Einen anderen Weg haben Evenhuis & Pape im Nomenclator auf ihrer Internetseite "Systema Dipterorum" gewählt (Onlinequelle derzeit (Mai 2024) aufrufbar unter http://www.diptera.org/Nomenclator (Achtung: moderne Browser kennzeichnen diese Adresse als unsichere Verbindung)). Diese Autoren gehen ebenfalls zunächst von der Priorität der Publikation von Goureau (1851) aus, wählen dann aber als validen Artnamen stets denjenigen Namen, den Goureau als allerersten erwähnt. Dies ist eine recht eigenwillige Anwendung der Prioritätsregel, denn die Prioritätsregel wird im Code durch viele Articles eingeschränkt, die Evenhuis & Pape völlig unberücksichtigt lassen. Außerdem besteht eine Priorität ausschließlich in zeitlicher Hinsicht, aber nicht im Hinblick auf die Stelle in der Publikation an der der Name "zuerst" gedruckt wird. Diese gerne als "page priority" bezeichnete Regel existiert im Code überhaupt nicht und es ist deshalb völlig egal, in welcher Reihenfolge die Namen auf dem Papier der Publikation von Goureau (1851) gedruckt sind.

Was ist also die korrekte Vorgehensweise nach dem International Code of Zoological Nomenclature? Gehen wir ebenfalls von der Priorität der Publikation von Goureau (1851) aus, so müssen wir zunächst feststellen, dass die beiden Namen ganz unzweifelhaft ordnungsgemäß publiziert worden sind, jedoch beide zu ein und derselben Artbeschreibung gehören. Beide Namen sind also das Synonym des jeweils anderen Namens. Solche Fälle, bei denen Namen von Arten "in Synonymie" publiziert wurden, regelt der Article 11.6. des International Code of Nomenclature (International Commission on Zoological Nomenclature 1999). Dort wird die "publication as a synonym" wie folgt definiert: "A name [...] when first published [...] treated as a junior synonym of a name then used as valid". Es gilt also: derjenige Name, den Goureau (1851) für die Art benutzt ("used as valid") ist also das "senior synonym", während der andere Name dann automatisch das "junior synonym" ist. Goureau (1851) nutzt in der gesamten Arbeit den Namen Phytomyza cinerella als Namen für die Art, und somit ist automatisch Phytomyza primulae nach Article 11.6. ein "junior synonym". Da der Name Phytomyza primulae vor 1961 jedoch häufig als valider Name behandelt wurde, ist der Name an sich verfügbar (available name) (Article 11.6.1.). Das ist wichtig, denn nicht verfügbare Namen (unavailable names) scheiden als valide Namen für Arten aus. Der Name Phytomyza primulae ist also noch nicht "aus dem Spiel", er verbleibt jedoch zunächst als "junior synonym" in der Synonymie von Phytomyza cinerella.

Nun da wir die sog. precedence (Präzedenz) des Namens Phytomyza cinerella herausgearbeitet haben, der Name Phytomyza primulae aber nicht "excluded" oder "unavailable" ist, müssen wir noch prüfen, ob es Gründe gibt, diese Präzedenz einzuschränken bzw. umzukehren. Hier kommt Article 23.9. zum Tragen: da das senior synonym Phytomyza cinerella nach 1899 nie als valider Name verwendet wurde und das junior synonym Phytomyza primulae häufig und kontinuierlich verwendet wurde (nach den Vorgaben von Article 23.9.1.2.), kann nach Article 23.9. die Präzedenz tatsächlich umgekehrt werden, wodurch also Phytomyza primulae Goureau, 1851 der valide Name für diese Art ist.

Das gleiche nomenklatorische Problem tritt auch bei anderen Arten auf, die in den beiden Werken von Goureau (1851) und Robineau-Desvoidy (1851) publiziert wurden; diese werden dann gesondert, aber nicht mehr in dieser Ausführlichkeit wie hier, erläutert und besprochen (siehe: Amauromyza verbasci, Phytomyza aprilina, Phytomyza marginella, Phytomyza lappae, Phytomzya ilicis, Phytomyza horticola, Cerodontha iraeos, Phytomyza scolopendri, Phytomyza plantaginis, Phytomyza ranunculi, und Phytomyza spondylii)

Quellen und Einzelnachweise
Anonymus. 1848. [Bericht über die Sitzung der Société Entomologique de France vom 8. März 1848]. Revue Zoologique par la Societe Cuvierienne 11, 184-186.

Benavent-Corai J, Martinez M, Jimenez Peydro R. 2005. Catalogue of the hosts-plants of the world Agromyzidae (Diptera). Bolletino di Zoologia Agraria e di Bachicoltura. Serie II. 37 (Supplementum), 1-97.

Goureau CC. 1851. Mémoire pour servir a l´histoire des diptères dont les larves minent les feuilles des plantes, et a celle de leurs parasites. Annales de la Société Entomologique de France. 2. Série. Tome 9. pp. 131-176.

International Commission on Zoological Nomenclature. 1999. International Code of Zoological Nomenclature. Fourth Edition. The International Trust for Zoological Nomenclature, London.

Papp L. 1984. Family Agromyzidae. In: Soos A, Papp L (Hrsg). Catalogue of the Palaearctic Diptera. Volume 9. Elsevier, Amsterdam, Oxford, New York, Tokyo. Pp 263-343.

Papp L, Cerny M. 2019. Agromyzidae (Diptera) of Hungary. Volume 4. Phytomyzinae III. Pars Ltd, Nagykovacsi.

Robineau-Desvoidy M. 1851. Description d'Agromyzes et de Phytomyzes écloses chez M. le colonel Goureau. Revue et Magasin de Zoologie Pure et Appliquee, 2. Serie, Tome 3, pp. 391-405.

Spencer KA, Martinez M. 1987. Additions and corrections to the Agromyzidae section of the Catalogue of Palaearctic Diptera (Papp, 1984). Annales de la Societe Entomologique de France (Nouvelle Serie) 23, 253-271.

Winkler IS, Scheffer SJ, Mitter C. 2009. Molecular phylogeny and systematics of leaf-mining flies (Diptera: Agromyzidae): delimitation of Phytomyza Fallen sensu lato and included species groups, with new insights on morphological and host-use evolution. Systematic Entomology 34, 260-292.

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Zoographia Germaniae wird verfasst und herausgegeben von Niko Prpic-Schäper.
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