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Schwank in 1 Act
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Personen
Baron Falten, genannt Sonnenstein
ein dramatischer Dichter.
Eduard, sein Freund.
Trimborn, ein Schiffs=Capitain.
Petit, Marqueur in einem Kaffeehause.
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Die Szene ist in dem Kaffeehause einer grossen Stadt. Ein Zimmer mit Mittelthür und Seitenthür.
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Erste Szene
Baron Falten und Eduard treten durch die Mittelthür auf.
Eduard
Sage mir nur, was Dir fehlt? Du gehst ja umher, wie von allen Göttern verlassen.
Falten
Ich bitte Dich, Eduard, laß mich mit mir allein.
Eduard
Verdrießt Dich die schlechte Rezension im Morgenblatte?
Falten
Mich verdrießen? Eine Rezension? Nein, mein Freund. Der Dichter wandelt auf so seliger Höhe, daß das Gekläff da unten sein Ohr nicht erreicht. (Er spricht das folgende immer hastiger) Diese kleinen Beller, diese armseligen Neider, das verächtliche Gewürm, diese Feinde des Schönen, weil es das Schöne ist - diese ganze erbärmliche Rotte - -
Eduard (lächelnd)
Stört Dich nicht auf Deiner seligen Höhe, man sieht es. - Nun also, was ist es denn? Ärgerst Du Dich über unsern neuen PolizeiDirector Sonnenstein ?
Falten.
Weil der Mann zufälligerweise so heißt, wie ich in poetischer Laune mich nannte, um en Gala auf dem Parnaß zu erscheinen? Wie könnte mich das ärgern?
Eduard.
Ei, ich sage Dir: Die Polizei frißt, seit der Mann hier angekommen ist, die Hälfte deiner Lorbern auf. Viele Fremde kennen bloß den romantischen Sonnenstein, und wissen vom Falten nichts. Wenn sie in Deinen vortrefflichen Stücken, wie sich's gebührt, geschluchzt haben, mit dem PolizeiDirector darauf zusammentreffen, und seinen Namen hören, so bedanken sie sich bei dem für allen Genuß, den sie gehabt. Der bezieht den Dank auf seine Verdienste, nämlich den vielen Straßenschmutz, die schlechte Erleuchtung, und unser Bettler=Heer, verbeugt sich lächelnd, und schnarrt: Nichts als Schuldigkeit! Auf Ehre, nur Pflicht und Schuldigkeit! - Siehst Du, so kommst Du um den besten Theil Deines Ruhms.
Falten.
Wie der alte Hamlet um seine Krone. Ich finde das eher amüsant.
Eduard.
Hast Du etwa Chagrin in der Liebe gehabt? Ja, ja, ich merke. Das Entsetzliche ist geschehen. Die schöne Eveline hat sich von einem Andern den Fächer reichen lassen, und Du, Mann des Jammers, standest dabei, und mußtest das Gräßliche schauen!
Falten.
Dein Witz jagt noch immer auf falscher Fährte. Ich liebe, u habe die beglückende Gewißheit wieder geliebt zu werden. Unser Verhältniß ist - ein seltner Fall! - ohne Stürme geblieben.
Eduard.
Auch ohne Wolken? Mich dünkt aus der Ferne droht denn doch so ein graues Ungewitter. Der alte Seebär von Vater, der Evelinen in ihrem vierten Jahre zur Tante nach Brochwitz schickte, der sie nachher nie wieder gesehen hat; kann er nicht jeden Tag einmal unvermuthet von seinen Kreuz= und Irrfahrten in Dein Arcadien hineinplumpen? Da wäre also der Wolf zu Deinem Schäferspiel!
Falten.
Wir wissen nichts von ihm. Er schwimmt unstät auf den Meeren umher. Unser letzter Brief, den wir nach Bogota addressirten, ist unbeantwortet geblieben. - Ich fürchte ihn nicht - Evelina ist fest in ihren Gefühlen, die Tante begünstigt mich, mein Stand, mein Vermögen, mein Talent spricht für mich. Und zu Allem diesen: Capitain Trimborn wird die Dienste nicht vergessen haben, die ihm mein Vater als Resident in Rio Janeiro einst leistete, als er sich durch einen seiner verwegnen Seemannsstreiche in die größte Verlegenheit gebracht hatte.
Eduard.
Weder in Journalen, noch in der Liebe hast Du Unglück? Das muß ja etwas ganz Absonderliches seyn!
Falten.
Höre! Das Schrecklichste, was einem Dichter begegnen kann, begegnet mir. Ich muß dichten, soll dichten, ich will dichten, aber - ich kann nicht dichten.
Eduard.
Also das poetische Geschütz total vernagelt! Ein originelles Malheur!
Falten.
Spotte nicht! Der Staatsmann sinnt und sorgt, wenn ihm eine politische Conjunctur nicht klar wird. Der General, der aus der Stellung des Feindes sich nicht vernehmen kann, sinnt und sorgt. Warum soll der Dichter nicht sinnen und sorgen dürfen, wenn ihn Apollo im Stiche läßt. Es begegnet mir zum erstenmale. Ich bin in Verzweiflung!
Eduard.
Der deutsche will alles deutlich haben, auch die Verzweiflung. Also: mache Dich deutlich!
Falten.
Ich war vorgestern in Brochwitz, in großer Gesellschaft, der Kreis war der gewählteste, Alles, war unsre Residenz Geistreiches besitzt, umflatterte Evelinen; ich sonnte mich in den Strahlen ihrer Liebenswürdigkeit. Es wurde viel gescherzt, wir kamen auf GesellschaftsTheater; man beklagte, daß so selten etwas aus dieser hübschen Unterhaltung werde, weil die Damen, so gern sie auch, wie Göthe sagt, ohne Gage mitspielen, doch in der Regel sich zu dem harmlosen Spiel in einer dramatischen Kleinigkeit nicht bequemen wollen. Eveline war in der rosenfarbensten Laune. Sie rief: An der Verlegenheit seid Ihr Schuld, Ihr Herrn Poeten! Schadenfroh, wie Euer ganzes Geschlecht, fühlt Ihr Euch nur begeistert, wenn Ihr ein armes Frauenzimmer in närrische Situationen verwickeln könnt. Schreibt Lustspiele ohne Damen, dann braucht Ihr bei der Aufführung keine. Ich versetzte: Dramen ohne Damen seyen undenkbar, schon der Reim beweise es. Im Gegentheile - scherzte sie - die besten Komödien spielen die Männer bloß unter einander. Sie setzte einen Trumpf darauf; sie wollte nicht mehr an mein Talent glauben, wenn ich nicht ein solches Opus zu Stande bringe. Nichts half es, daß ich sagte: es werde so langweilig werden, wie ein Mönchskloster. Die Gesellschaft stand ihr bei, meine poetische Ehre war angegriffen, ich versprach das Lustspiel ohne Dame. Aus dem Stegereif gab Eveline die Fabel auf, Alles klatschte Beifall, heute soll das Stück fertig seyn, heute Abend ist derselbe Kreis wieder eingeladen, um es zu hören; ich bin drei Tage umhergegangen, habe den Kopf mir zerbrochen, und es ist nicht fertig geworden.
Eduard
Ja, ja!
(recitirend)
"Gebt Ihr Euch einmal für Poeten,
So commandirt die Poesie!"
Falten
Entweder mag sie auf Commando nicht scherzen, oder ein Dämon hat mein Gehirn verdüstert. Übrigens bedenke nur selbst Das Stück soll die Entführung heißen, das Ganze dreht sich um die Entführung eines Mädchens, der Vater, ein gewöhnlicher ComödienVater wird beseitigt, es kommt endlich zur Entführung - wie ist das möglich zu machen, ohne das Mädchen auf das Theater zu bringen?
Eduard
Erzähle mir die Geschichte von A. bis Z. Ich will Dir helfen.
Falten
Du?
Eduard
Ja, ich. - Es ist ein Schwank. Zu einem Schwanke gehört nichts als ein Bischen Mutterwitz. Den habe ich, Gott sei Dank. - Sieh mich nicht so vornehm und mitleidig an! Du kommst mir vor, wie der Abt von Sanct Gallen, und ich bin Dein Schäfer Hans Bendix. Komm, Du betrübter Poet!
Falten
Wohin?
Eduard
Dorthin, zu jenem Tisch! Wir wollen uns durch Chokolade zum Werke stärken.
(ruft)
Garçon!
Zweite Szene
Petit (durch die Seitenthür) Vorige.
Petit.
Wat für'n Ton schlägt an meine Gehörwerkzeuge?
Eduard
Zwei Tassen Chocolade!
(Petit ab)
Falten
Der Junge wird alle Tage toller.
Eduard
Weißt Du, daß er Dir in's Handwerk pfuscht? Er hört bei Hegel Aesthetik, und dichtet im Stillen für den Beobachter an der Spree.
(Petit kommt mit 2 Tassen Chocolade und einem Journale. Falten und Eduard haben sich an einen Tisch seitwärts im Vordergrunde gesetzt.)
Petit.
Hier is des Getränke der Cacaobohne, vermengt mit dem Duft der Vanille!
(Er setzt die Chocolade auf den Tisch.)
Nu, kucken Se mal hier det neue Mitternachtsblatt. Da is Tieck wieder ungeheuer 'runter gemacht von Müllern.
Falten.
Mein Sohn, kein Verdienst ist so groß, daß die Gemeinheit nicht wagen sollte, sich daran zu reiben.
Petit.
Eine recht schöne Redensart in so weit uns was diesesjenige anbetrifft. Wissen Se't schonst? Ik werde Tiecken verdefendiren!
Eduard (lachend)
Bravo! Du bist ein rechtschaffner Jüngling.
Petit.
O, wenn ik nur mehr Zeit hätte! Aber, hier de Ufwartung, un des Geschäfte an't Billard, un denn schreib' ik och enen großen historischen Roman: der heeßt Der verstellte Todte. Da seh' ik mir Alles zu ab in de Wirklichkeit, wie Walter Scott. Na 't heeßt enmal: Begasus im Joche!
(Ab).
Falten.
Seltsames Zeitalter!
Eduard.
Nur keine Philosophie! Dieß Jahrhundert ist um keinen Gran närrischer als alle früheren.
Zu unsrer Comödie! Erzähle mir!
(beide sprechen von nun an leise und eifrig mit einander.)
Dritte Szene.
Capitain Trimborn (durch die Mittelthür) Vorige.
Trimborn.
Da wären wir! - Hinter uns das Meer mit seinen Klippen und Stürmen, vor uns das Land mit seinen Gruben und Fallstricken! Alter Trimborn, hast's auch wohl erwogen? Was suchst du unter den Europäischen Landratzen? - Vier und zwanzig Jahre lang habe ich mein Vaterland nicht gesehen, ich wandre durch unbekannte Strassen, neue Gesichter gucken mich an. Ja, hätte ich nicht Dich hier, Eveline, mein Töchterchen, dann möchte mir immerhin mein Grab gemacht worden seyn in den Fluthen des Ozeans! - Alter Narr, tritt Dir doch das Wasser gleich in's Auge, wenn Du nur des Mädchens gedenkst. Sie hat mir geschrieben, daß sie einen gewissen Falten liebe; der Junge bat mich um den Consens - der Brief hatte Hände und Füsse. Er ist ein Sohn des braven Falten, der mich vor 12 Jahren in Rio aus den Klauen des spitzbübischen Rhederers rettete. - Der Junge soll sie haben. Ich werde ihn aufsuchen - die Ladung visitiren, und hat das Schiff keine verbotene Waaren, und keine Pest an Bord, nehm' ich's am Schleppthau, und bringe nach Brochwitz den Bräutigam auf. - Doch jetzt heißt's: erst ein wenig das Wrack flicken!
(Er setzt sich an einen Tisch seitwärts im Hintergrunde)
Drei Tage und zwei Nächte bin ich gefahren. Mir ist zu Muthe, als hätte ich einen Sturm durchgemacht. / ruft / Schiffs Junge! - Muß mir auch noch allerhand seidne Lappen und Lumpen anschaffen, die Frau Schwester Eusebia war immer aus dem Feinen - fiele in Ohnmacht, glaube ich, wenn ich so mit meinem Theergeruch bei ihr ankäme. / Er sieht sich um / Faule Wirthschaft, das hier! Nachläßige Equipage! / lauter rufend / Schiffs Junge!
Petit (tritt auf)
Na, wat is denn dat für'n Gebrülle hier? I, mein Gott, da sitzt ja Einer, der sieht aus wie'n natürlicher Sohn vom seligen Caliban!
Trimborn.
Kannst nicht die Ohren aufsperren, wenn ich rufe, Schiffs Junge!
Petit.
Hören Se mal; hier is kein Schiff, un kein Junge, sondern, des hier is det große Kaffeehaus, un ik bin der Herr Ober-Marqueur.
Trimborn.
So! - Nun, Herr Ober-Hanswurst, so bring' Er mir einmal ein Glas Punsch, aber starken, hört Er?
Petit.
Na, der kommt recta aus det frische Haff. Ik will diesenjenigen doch studiren für meinen Roman, denn so Eener is noch niemals nich vorgekommen.
(Ab).
Trimborn (allein)
Seehund! - Narren und Affengesichter um mich her! Nichts, als schnatternde Papagaien! Mir gefällt das Klima nicht, die Luft auf dem Continent versetzt mir den Athem. Da habe ich auch noch so eine saubre Commißion. (Er sieht sich scheu um, dann zieht er Papiere aus der Tasche.) Bolivar will geschickte Ingenieuroffiziere in seinen Dienst ziehn, und das hier ist so ein Stückchen geheime Instruction an seinen EmißörOberst Pizarro, wie das mit Geld und Versprechungen auszurichten. Ich wollte die Fracht nicht; es bleibt immer was von Spitzbüberei, was geht mich Columbien an? Ich will mich zur Ruhe setzen. Aber sie haben mir dort so viel zu Gefallen gethan, ich konnte nicht abschlagen. Wollt', der Präsident Befreier hätte sich einen andern Boten ausgesucht! Wenn die Schreibereie hier den Herrn Polizeispürhunde witterte, hussa! Capitain Trimborn, dann könnt' Dir's übel gehn! Hier sind sie rasch bei der Hand mit demagogischen Umtrieben und Hochverrath, wie sie's nennen. Capitain Trimborn! Capitain Trimborn, das wird ein feister Tag! Einen Schwiegersohn ausprobiren, eine geheime Depesche abmachen: Denk an Deinen Wahlspruch: Alles mit Manier! -
Petit (kommt mit einem Glase Punsch.)
Na, da haben Se
"Vier Elemente,
Innig gesellt."
So 'nen Punsch trinken de Götter nich mal.
(Er setzt das Glas auf den Tisch.)
Trimborn.
Seebär! - Setzt der Esel das Glas nicht so ungestüm hin, daß die Hälfte verschüttet wird! Alles mit Manier! Das bitte ich mir aus. Grobe Kerls kann ich nicht leiden, ich bin manierlich und höflich gegen Jedermann, Schlingel, und drum verlang' ich's auch so von Jedermann. Merke Er sich sich das Hanswurst, Und lerne Er Lebensart von mir, Er grünschürziger Hasenfuß!
Petit (b. S.)
So wie ik de Gläser gespült habe, fange ik an, diesenjenigen abzucopiren. Denn derselbige is en Charakter, der partoutement vielen Effect machen muß. (Ab).
Trimborn (trinkt)
Hölle und Teufel! Welch Geschäft! Meinen die LandRatzen, ich sey ein schwindsüchtiges Mädchen von 16 Jahren? Holla! Mehr Pulver in die Kanone! (Er zieht eine Rumflasche hervor, und leert dieselbe im Glase aus. So, nun bekommt die Sache Farbe!
Eduard (in seinem Gespräche mit Falten.)
Nun wahrlich! Eine Nuß, schwer aufzuknacken! Das ist ja eine zweite Turandot, eine wahre Prinzessin Kieselherz, diese Evelina Trimborn!
Trimborn (wird aufmerksam)
Wie? Was? Evelina Trimborn? Was giebt's mit meiner Tochter da?
Falten.
Du siehst, wie schwer sie mir die Ausführung des Plans gemacht hat.
Trimborn.
Plan? Plan? Welchen Plan hat der mit meiner Tochter?
Eduard.
Nun man muß nicht verzweifeln. Sprechen wir's noch einmal durch. Also: das Mädchen liebt einen Mann, den der Vater ihr auch bestimmt hat.
Trimborn.
Richtig. Der gute Falten. Aber woher wissen diese Zeisige das schon?
Falten.
Ein andrer, ein leidenschaftlicher Charakter, verfolgt sie mit verzehrender Glut.
Trimborn.
Nichts da! Falten kriegt sie.
Falten.
Ich lasse sie entführen.
Trimborn.
Entführen? Alle Teufel! Ein Kaper! Kanonen geladen, Jeder auf seinen Posten! Meine Tochter entführen! Verfluchter Corsar!
Eduard.
Die Kühnheit siegt. Die frühere blöde Liebe erbleicht, in Angst und Schreck läßt Du das Mädchen sich dem wilden Räuber zuwenden. Ein hübscher Gedanke!
Trimborn.
Eine Satans Idee! Wo sind meine Pistolen?
Falten.
Alles recht schön, wenn man nur das Mädchen zeigen dürfte. Aber sie muß ja unsichtbar bleiben.
Trimborn.
So. In welche Spelunke steckt Ihr sie denn?
Eduard.
Ei, so bleibt sie unsichtbar, und die Intrigue wird auf die hergebrachte Weise mit Briefen und Meldungen abgemacht.
Falten.
Halt! Halt! Mir dämmert ein Licht. Der Vater tritt auf.
Trimborn.
Ja, hier sitzt er, Ihr Seeräuber! Aber woher wissen die Hallunken, daß Capitain Trimborn angekommen ist?
Falten.
Und mit ihm will ich das Spiel spielen.
Trimborn.
Nun, so laß doch einmal hören. Ich bin sehr begierig, die Karten zu schaun.
Falten.
Er ist eine Comische Figur.
Trimborn.
Donner und Hagel! Ich eine komische Figur? Wo sitzt bei mir das Komische?
Falten.
Er hat allerlei Dinge vor, die ihn in's Unglück stürzen, wenn sie bekannt werden.
Trimborn (kleinlaut, steckt die Papiere ein)
Hat der Spitzbube einen Spiritus familiaris? Nun wird die Sache bedenklich.
Falten.
Man droht ihm, die Geschichte zu entdecken.
Trimborn.
Droht man ihm das?
Falten.
Man macht Anstalten zu einem HalsProzeße.
Trimborn (an den Hals fassend)
Alle Wetter! Geht das hier so hoch her?
Falten.
Ihm wird bange.
Trimborn.
Wirklich! Ihm wird einigermaßen bange.
Eduard.
Aber das nimmt eine zu tragische Wendung.
Falten.
Nicht doch, ich halte es heiter und lustig. Der Alte wird in toller Furcht hinweggehetzt, und unterdessen gelingt die Entführung.
Eduard.
Bravo! Sonnenstein rechtfertigt seinen Ruhm.
Trimborn.
Also Sonnenstein heißt die Bestie?
Falten. (steht auf.)
Adieu! Ich gehe an's Werk.
Eduard.
Und ich muß heute Abend auch dabei seyn. Um 6 Uhr hole ich Dich mit meinem Cabriolet ab, wir fahren zusammen hinaus, Vivat Brochwitz, und die schöne Eveline Trimborn!
Trimborn. (springt in höchster Wuth auf)
Der Teufel soll Euch kielholen, Ihr Seehunde!
Eduard u. Falten.
Was ist das?
Falten.
Mein Herr, sind Sie bei Sinnen?
Eduard.
Warum beschimpfen Sie uns?
Trimborn (b. S.)
Holla! Verfahren, total verfahren! Ehe ich die verdammten Papiere nicht los bin, dürfen sie nicht wissen, wer vor Ihnen kreuzt. Spiegel verhangen, Flagge herunter! Alles mit Manier, alles mit Manier, Capitain Trimborn!
Falten.
Nun mein Herr, sollen wir Antwort haben?
Eduard.
Warum fuhren Sie so grimmig auf?
Trimborn.
Eine Krankheit, meine Herrn!
Eduard.
Wie?
Falten.
Eine Krankheit?
Trimborn.
Ja, meine Herrn, so eine Art von Seitenstechen, oder wenn Sie wollen, ein Überbleibsel der Migraine. Wirkung der Landluft! Wenn mich das Übel befällt, so muß ich vor Schmerzen fluchen und schimpfen, es trifft den, wen es trifft.
Falten.
Nun mein Herr, so gehn Sie künftig in's Freie, wenn der Paroxismus wiederkehrt. Ich will aus der Sache nichts machen, aber - das Seitenstechen verbitte ich mir in der Folge in meiner Gegenwart.
(Ab durch die Mittelthür).
Vierte Szene
Vorige ohne Falten.
Trimborn (Falten halblaut nachrufend.)
So! Du Landmann! Ich soll Dir wohl meine Tochter noch gar auf dem Präsentirteller bringen! Was fang' ich an, den Schimpf und die Schande meines Hauses zu verhüten? Soll ich die Polizey? Nein, dann giebt es ein Geträtsch, was noch schlimmer ist, als die Sache. - Da steht der Spießgeselle des Entführers. Ich will versuchen, ihm Incognito zu imponiren. (Er fixirt Eduard.)
Eduard (b. S.).
Das ist ein origineller Kauz. Warum er nur grade, als ich Evelinens Namen nannte, so auffuhr? Und jetzt sieht er mich an, als wollte er mich verspeisen. Sollte er - - hm, der Mann kommt mir ganz sonderbar vor, ich muß ihn doch sondiren. - (laut) Vermuthlich nicht hier aus der Stadt?
Trimborn (sehr barsch)
Nein!
Eduard.
Wahrscheinlich ein pensionirter ArtillerieOffizir?
Trimborn.
Nein!
Eduard.
Oder ein Gutsbesitzer aus Panama?
Trimborn
Nein.
Eduard.
So müßen Sie ein Seemann seyn.
Trimborn.
Ja.
Eduard.
( 's trifft zu!) Eure Rede sey Ja, Ja, Nein, Nein. Sie scheinen die Umschweife nicht zu lieben. Ohne Umschweif von meiner Seite: Wie heißen Sie?
Trimborn. (b. S.)
So fragt man einen Narren, wart, ich will Dich abführen. (laut) Ins Teufels Namen, Herr, was geht es Sie an, wie ich heiße?
Eduard.
Der Zufall von vorhin war gar zu sonderbar. Er hat meine Aufmerksamkeit erregt. Grade, als ich die schöne Eveline Trimborn leben ließ, beliebten Sie in Wuth zu gerathen. Da meinte ich -
Trimborn.
Nun, was meinten Sie denn?
Eduard.
Es sey Ihnen unangenehm gewesen, den Namen dieser Dame laut in einer Kaffeestube ausrufen zu hören.
Trimborn.
So.
Eduard.
Und Sie seyen zu dem Wunsche berechtigt, ihn frei von jeder öffentlichen Berührung zu sehn.
Trimborn.
Ja allerdings. Ich wünsche, daß Eveline Trimborn weder öffentlich noch privatim berührt werde. - ( b. S.) Das heißt, nichts verrathen, aber Alles andeuten!
Eduard.
Freilich ist der Name eines Frauenzimmers so zarter Natur, daß er leicht einen Flecken bekommt.
Trimborn.
Ja, besonders von Entführungen.
Eduard.
Aha! Hörten Sie von diesem Scherze?
Trimborn.
Scherz? Tod und Teufel! Ein saubrer Scherz!
Eduard.
Ihre Heftigkeit bestärkt mich in meiner Vermuthung. Sie sind ein Fremder, kennen unsre gesellschaftlichen Vergnügungen nicht.
Trimborn (b. S.)
Nun reißt mir bald die Geduld! Einen JungfernRaub nennt der Kerl ein gesellschaftliches Vergnügen.
Eduard.
Sind vermuthlich nicht für dergleichen ?
Trimborn.
Nein, in der That, ich bin nicht für dergleichen.
Eduard.
Freilich wird meines Freundes Verhältniß, wird unser Aller Verhältniß zum brochwitzer Hause künftig von Ihrer Approbation abhängig werden, wenn Sie der sind, für den ich Sie halte. Denn kurz und gut, ich meine, Sie sind, den wir lange erwarten: Evelinens Vater!
Trimborn (b. S.)
Nun heißt's: übergesegelt! - (laut) Herr, wie können Sie sich unterstehn, mir so etwas in's Gesicht zu sagen?
Eduard.
Mein Gott, es wird Sie doch nicht beleidigen, wenn ich Sie für den Vater eines reizenden Mädchens halte?
Trimborn.
Ja, mein Herr, es beleidigt mich. Ich bin kein Vater, war kein Vater, werde nie ein Vater seyn. Seh' ich aus nach einem Vater? Ich hasse die Väter, ich war niemals verheirathet, und mein Vater war's auch nicht. Muß ich über's WeltMeer auf Euren verrotteten Continent kommen, um mich für einen Vater ansehen zu lassen?
Eduard (mit einem Gestus an die Stirn.)
Herr!
Trimborn.
Überhaupt muß ich Ihnen sagen, gab sich Capitain Trimborn nie mit Staatsverbrechen ab. (b. S.) Da hast Du Deine Ladung!
Eduard.
Wie?
Trimborn.
Und ob Bolivar gute oder schlechte Ingenieuroffiziere hat, das war meinem Freunde Trimborn nun vollends ganz gleichgültig. (b. S.) So, das war mit Manier abgeführt!
Eduard. (b. S.)
Der hat entweder unter der Linie den Verstand verloren, oder - - (laut) Ihren Freund nannten Sie den Capitain Trimborn? Kannten ihn also?
Trimborn.
Eine sehr intime Bekanntschaft. Wir sind SchulCamaraden gewesen.
Eduard.
Wird er bald kommen?
Trimborn.
Kommen? Was verstehn Sie unter: Kommen Als - Geist kommt er vielleicht.
Eduard.
Als Geist? Ist er denn -
Trimborn
Ja. Er ist - todt.
Eduard.
Todt?
Trimborn.
Todt! Der Mann wäre denn nun hinüber. Alle Menschen sind sterblich. Untergegangen mit Mann und Maus in der Bai von VeraCruz. Sie werden wohl von dem großen Sturme in den Westindischen Gewässern gehört haben.
Eduard.
O weh! O weh!
Trimborn.
Ja, dem spielt man nun keine Streiche mehr. Na, Friede seiner Asche!
Eduard.
Und Sie kommen -
Trimborn.
Komme statt seiner aus - aus Mexico. Ja, mein Herr, ich werde gewissen Leuten im Wege stehn.
Eduard. (b. S.)
Gewißen Leuten - Im Wege stehn - meine Ahnung - Freund des Vaters - die gewaltige Entrüstung - es ist, so wahr ich lebe, ein Nebenbuhler!
Trimborn (b. S.)
Er ist bestürzt! Nun, Bürschchen, fürchtet Ihr Euch? Ihr wißt nun, daß der Hafen nicht ohne Deckung ist. (laut) Also, mein Herr, Ihr Kumpan und Sie, Sie brauchen sich gar nicht zu incommodiren!
Eduard.
Sie gehn nach Brochwitz?
Trimborn.
Ja wohl.
Eduard.
Bleiben vermuthlich dort?
Trimborn.
O ja! Gedenke sogar, mich dort niederzulassen.
Eduard.
Sie scheinen ein sehr lebhaftes Interesse an dem Fräulein zu nehmen.
Trimborn.
Getroffen! Ihr Vater könnte kein lebhafteres an ihr nehmen. Wissen nun hoffentlich genug.
Eduard.
Ach ja freilich. (b. S.) Verdammte abgedroschne Geschichte. Der eine Alte hat dem andren Alten seine Tochter drüben überm Meere verhandelt. Nun kommt der Störenfried und holt uns das Mädchen weg!
Trimborn.
Aus der Sache heute Abend in Brochwitz, wird also, wie Sie sehen, nichts.
Eduard.
Nein; leider! Statt der Comödie bringen wir ein Trauerspiel.
Trimborn.
Wie so?
Eduard.
Mein Freund wird sich mit Ihnen schlagen!
Trimborn.
Kann geschehn.
Eduard.
Und mit mir müssen Sie sich schießen!
Trimborn.
Kann auch geschehn.
Eduard.
Denn er ist Romeo und ich bin sein Mercutio!
(Ab durch die Mittelthür).
Fünfte Szene.
Trimborn (allein)
Seid Ihr meinetwegen Romulus und Mercurius! Vor Euren Degen und Pistolen fürchte ich mich nicht. Capitain Trimborn, Capitain Trimborn! Das war ein Meisterstück in der Manier, sich zu benehmen! Die saubern Zeisige sind erschreckt, und alles geht ohne Eclat ab. Dafür warst Du aber auch immer bekannt, eine Sache so hübsch sauber, sachtsam und sanft abzuthun. - Aber welch ein Glück, daß ich grade hier im rechten Augenblicke eintreffen muß. Kam ich später, so hatten wir heute Abend die Entführung, und an meinem Mädchen klebte der Schmutzfleck. Wer weiß, ob sie Falten noch genommen hätte, wenn sie einmal in Sonnensteins Händen gewesen wäre. - Potz Krokodile und MeerOtter, Potz Bogspriet und Fockmast, welche Zucht in dem alten Europa! Das geht ja hier zu, wie in Sodom und Gomorrha. Im Kaffeehause, vor aller Welt sprechen die Wüstlinge von Sünde und Schande, wie von einer TanzParthie, oder von einem Rubber Whist. Nichtswürdige Wirthschaft, verderbte Welt! - Nun, alter Schwätzer, laß das Schwätzen! Bring Alles mit Manier auch nun zu Ende! Die Galgenvögel sind von der rechten Fährte ab, unterdessen schaffe ich (er zieht die Papiere heraus) das hier in Sicherheit. Dann ist mein Herz frei, und Ihr sollt den Vater kennen lernen!
(die Papiere betrachtend)
Hm! Hm! Wohin bringe ich Euch denn? Pizarro ist verreist, und keine Menschenseele habe ich zum Freunde in dem großen weitläuftigen Neste. - Hm! habe ich keinen Freund, so habe ich ja einen Schwiegersohn in spe. - Hm! Sonderbar ist's freilich, mit solchen Confidencen die Bekanntschaft zu beginnen; aber was hilft's? Ich muß den Ballast über Bord werfen, und habe nur eine Luke dazu! Also: die Anker gelichtet, und zu Falten gesteuert! Er soll die Papiere mir aufheben.
(Ab durch die Mittelthüre.)
Sechste Szene.
Petit (tritt auf mit einem Buche, und einem Bleistifte.)
Na, de Gläser wären gespült, de Tassen reene gemacht, jetzo werf ik mir den Musen in de Arme. Nun wollen wir uns uf de Menschenbeobachtung legen. Ik weiß schon, dieser Mann soll in meinem Roman der verstellte Todte seyn, denn er hat auch so eenige Züge von 'n Vampyr.
(Er sieht sich um.)
Ach Gott! Wo is er? Weg is er. Ach Gott, wo blieb er? Diesesjenige wissen de Götter. - Weene Betit, Du bist zum Unglück geboren! Es führt Dir Gott denselbigen Mann her, und nu kann ik ihn nich ufschreiben hier in mein Skizzenbuch, denn weg is er. Weene Petit! Aus Dir wird zeitlebens keen Washington Irving, Dein Schicksal unterdrückt Dir zu sehr.
(Er sieht sich um)
O Freude, schöner Götterfunken! Da kommt ja der Mann wieder!
(Er setzt sich an einen Tisch seitwärts im Hintergrunde, beobachtet während der folgenden Szene den Cap. Trimborn, und schreibt in seinem Buche.)
Siebente Szene.
Capitain Trimborn. Petit.
Trimborn.
Verdammter Streich! Falten nicht zu Hause. Bleibt denn der Wind heute den ganzen Tag contrair? Potz Bogspriet und Fockmast! Werde ich die vertrackten Papiere nicht los werden?
Petit (schreibend)
"Potz Bogspriet und Fockmast!" Das ist ein ganz neumodigter Fluch! Den bring' ik an.
Trimborn.
Hätte ich nur Jemand, den ich schicken könnte, Falten zu benachrichtigen. Mein Jack ist zu dumm.
Petit. (schreibend)
"Sein Jack ist zu dumm!" Dat bring' ik auch an.
Trimborn.
Unterdessen plaudert er, und die Rotte erfährt, daß Capitain Trimborn, aus seinem Grabe erstiegen, hier umherwandelt.
Petit.
Na, da haben wir det liebe Gut. (schreibend) Ein verstellter Todter, mit Fleisch und Knochen, wie er leibt und lebt. Der paßt ja wie gegossen in meinen Roman. Und wie er so trätschelbeinig geht, det bring' ik Alles an.
Trimborn.
Das Beste ist, ich fahre auf der Stelle nach Brochwitz, dort verstecke ich die Papiere in einem hohlen Baume, und lasse Pizarro heimlich hinkommen.
Petit (schreibt)
"Unse Pudel, der Pizarro soll ihn besuchen in Brochwitz." Dat is so wat Geheimnißvolles, dasjenige giebt erst de rechte Sauce zu so 'ner Sache.
Trimborn
So will ich denn -
( Er wendet sich um, sieht Petit schreiben, und erschrickt.)
Ha! Du da? Was machst Du da?
Petit.
Ik beobachte Se.
Trimborn.
Du beobachtest mich?
Petit.
Ja, un ik weeß Alles. Un Se sind mein verstellter Todter.
Trimborn.
Donner!
Petit.
Un Se haben Papiere bei sich.
Trimborn.
Wetter!
Petit.
Un unse Pudel holt dieselbigen aus dem hohlen Baum. Un et wird 'nen rasenden Effect machen, un ik bringe Alles an.
Trimborn (b. S.)
Der Seehund hat mich behorcht. Er bringt Alles an. - Sollte er ein Aufpasser seyn? Freilich! freilich! Kellner, Marqueure und Cafebediente sind ja die gewöhnlichen Spione solcher Vögel. Eine neue Gefahr, Capitain Trimborn! Die Gefahren reißen heute nicht ab. Doch ich will erst meiner Sache sicher seyn. - (laut) Sage einmal, Du Seekalb, kennst Du einen gewißen Herrn von Sonnenstein?
Petit.
Ach Du meine Güte, die Einfalt! O Gott, wo sind Se denn jung geworden? Ik werde doch diesenjenigen kennen! Er kommt ja alle Mittage und trinkt hier sein Schnäpsken. Un ik muß ihm Alles erzählen, wat passirt. Sollte ik denn unsern PolizeiDirector nich kennen?
Trimborn.
Was!? Sonnenstein PolizeiDirector?
Petit.
Mit 2000 Thaler Traitament.
Trimborn.
Nein, das geht zu weit! O Europa, Europa, wohin ist es mit Dir gediehen! Die Polizei giebt sich damit ab, Mädchen zu entführen! -
Petit.
Thut sie diesesjenige? O Götter, wat en Schicksal! Des bring' ik auch an! (schreibt wieder)
Trimborn.
Bringt der Seehund an, was er gehört hat, so bin ich verloren! (Er wirft sich in einen Stuhl.)
Petit.
Mir dauern Se, un ik weeß nich, warum?
Trimborn.
Der Junge scheint nicht ganz ohne menschliches Gefühl zu seyn. Capitain Trimborn, wie machtest Du's, als Du in die Hände der Botocuden gefallen warst? Du gingst zu dem Häuptlinge Ma-to-ha-hi, d. h. Sohn des großen Bären, und sprachst: Der Weiße kam zum Haupte der Rothen, um Frieden und Schutz zu suchen. Und das Mordmesser sank, und Du warst gerettet. Was Dir dort gelang, versuche hier wieder. - Ich will den Jungen durch Vertrauen und Güte gewinnen. - Seehund!
Petit.
Wat befehlen Se?
Trimborn.
Eigentlich Seekrabbe, hast Du 50 mit dem Schiffstau verdient!
Petit. (schreibend)
"Funfzig mit'n Schiffstau sind den verstellten Todten seine Güte." Dat bringe ik auch an.
Trimborn (zerrt Petit bei'm Arme vom Buche weg.)
Komm her, Du Seespinne, laß das Spioniren, Annotiren, Signalisiren! - Hör mich an, Junge, Du hast ein so braves, offnes Gesicht.
Petit. (geschmeichelt.)
Meenen Se? Nu, man is nich ohne seine Gaben.
Trimborn.
Du bist zu gut für solch ein Gewerbe.
Petit.
Ja, det sage ik auch. Ik bin für wat Höheres geboren. Aber wat hilft mir dasjenige?
Trimborn.
Hör mich an. Beherzige, was ich sage. Solltest Du einen FamilienVater, einen Mann, der nach 20 Jahren Unruhe ein Stündchen Ruhe sucht, unglücklich machen können?
Petit (wird gerührt.)
Hören Se mal, kommen Se mir nich so. Sprechen Se keinem Berliner wat von FamilienVater, un Ruhe, un Unruhe, und so 'ne Sachen durcheinander, un det Unglück!
Trimborn.
Du weinst! Bewegt's Dich?
Petit.
Ein Berliner, sehn Se, der is uf de Rührung, wie unse Pudelhund uf's Stöcksken, un det greift an, wie der Stockschnuppen.
Trimborn.
Nein, Du wirst mich nicht unglücklich machen!
Petit. (schluchzend)
Ne, gute Seele! Ik werde niemals nich einen unruhigen FamilienVater in't Malheur bringen.
Trimborn (der auch in eine Art von Rührung geräth.)
Guter Junge! (Er küßt ihn auf die Stirne) Närrischer Seehund! - Du verräthst also den alten Trimborn nicht?
Petit (außer sich)
O Gott! Da kehrte sich ja unse selige Iffland im Grabe um! Ne, ik verrathe den alten Trimborn nich! Wie sollte ik den Mann verrathen können!
Trimborn.
Du weißt doch, was ich meine?
Petit.
Ik habe de Sache mehr in't Gefühl.
Trimborn.
Was gehn Dich die Ingenieuroffizire an?
Petit.
Gar nischt gehn mir dieselbigen an, die gehn Alle uf det andre Kaffeehaus - keenen Groschen hab' ik von die Menschen.
Trimborn.
Und Bolivar braucht auch Leute, das glaube mir.
Petit (b. S.)
(O Gott! Er sucht einen Marqueur für Bolivar, und mir will er anbringen bei demjenigen!) (laut, Trimborn die Hand küssend) Ach Männeken, wie habe ik Ihnen verkannt!
Trimborn.
Es soll auch Dein Schade nicht seyn. (Er zieht eine Börse.)
Petit.
Warten Se. Se suchen ein Biergeld. De Sache wird accurat wie der Uftritt zwischen Egmont und Klärchen. Laßen Se mir erst knien, und denn nehmen Se meinen Kopf uf den Schooß.
(Er kniet vor Trimborn, die angegebne Attitüde wird auf groteske Art gemacht.)
Trimborn.
Verrückter Junge! - Aber er meint's ehrlich, das seh' ich ihm an.
Petit.
So. Nu geben Se man't Geld her. (Trimborn giebt ihm Geld) Un jetzo sage ik wie Clara: So laß mir sterben, die Welt hat keine Freuden uf diese!
Trimborn (aufstehend)
Kannst Du wohl den Baron Falten ausfindig machen?
Petit.
Warum dieses nich?
Trimborn
Willst Du ihm selbst, ohne Beiseyn eines Dritten, diese Papiere einhändigen?
Petit.
Allemal derjenige, welcher.
Trimborn.
Mit einem Billett von mir?
Petit.
Nie ohne dieses!
Trimborn.
In der Billiardstube will ich's schreiben. Komm, Du sollst es dort von mir empfangen. - Der Botocude hat mein Zutraun gerechtfertigt; Du wirst mich ja nicht betrügen - Seehund!
(Ab durch die Seitenthür)
Achte Szene. Petit (allein)
Ik schwöre ewiges Verstummen Dir!
O ihr Götter! Wenn ik weiß, was hier vorgegangen is, so will ik gleich mir in meinen Sarg legen. Ik bin gerührt, nu, warum bin ik't denn? Er is gerührt, nu warum is er't denn? Wir sind gerührt, nu, warum sind wir't denn? Aber dieses is eben dat Große von de Affecten un de Leidenschaften, un alle die Sachen - man weiß nich, wo't herkommt, man weiß nich wo't hingeht. Dat größte Plaisir is, wenn de Thränen so laufen um nischt un wieder nischt. - Un Billetter soll ik bestellen, un Papiere abgeben, un Marqueur soll ik werden bei Bolivar! Wo wohnt denn nur dieser Mann? Ik habe nie wat von ihm gehört.
Trimborns Stimme (aus dem Seitenzimmer)
Schiffs Junge!
Petit.
Ja doch, ik komme! Na Müllner hat Recht, wenn er sagt, wo die Schuld aus is:
Fragst Du nach de Ursach, wann
Wat Confuses is geschehen?
Nur det Wie;na des is klar.
Det Warum wird offenbar,
Wenn die Todten auferstehen!
(Ab ins Seitenzimmer)
Neunte Szene
Falten (mit einem Briefe) Eduard.
Falten.
Wo ist er? Wo ist dieser Störer meines Glücks?
Eduard.
Falten, laß Dir rathen!
Falten.
Mein Gefühl hat entschieden! Nein! Evelina's Leben soll nicht im Widerstreit der Empfindungen zerrißen werden! Erwartest Du etwas Kleineres von Deinem Freunde? Nur das Größte ist meiner würdig! Kennst Du mein Trauerspiel: Das gebrochne Herz? Da habe ich mir mein Unglück geweissagt!
Eduard.
Zum Teufel! Sey vernünftig, oder ich gieße Dir kalt Wasser über den Kopf! Sieht der Knasterbart danach aus, ein Mädchen glücklich zu machen?
Falten.
Immerhin! Sie soll durch mich wenigstens nicht unglücklich werden. Ich höre seine Stimme, ich eile zu ihm, aus zu führen, was ich beschlossen!
(Ab durch die Seitenthür)
Zehnte Szene
Eduard (allein)
Falten! Falten! Er hört nicht. - Nun so ganz Unrecht hat die Welt nicht, wenn sie die Poeten für etwas toll hält. Ich will nicht grade sagen, daß sie complett übergeschnappt sind, aber einen kleinen Strich haben sie weg, das ist sicher. Kaum vernimmt mein hyperboräischer Freund von mir, daß uns der ersoffne Vater aus der Bai von VeraCruz einen Mexicanischen Bräutigam herschickt, als es bei ihm zu rappeln beginnt. Ich sage zu ihm: laß uns den Kerl zum Teufel jagen! Nein, sagt er, des Vaters Rechte sind heilig, Grausamkeit nur verlangt von einem weiblichen Wesen die fürchterliche Wahl zwischen Pflicht und Liebe! Mensch, sey vernünftig! sage ich. Störe mich nicht, in dem, was ich vorhabe, sagt er. Und setzt sich hin, und schreibt unter Händeringen, Schluchzen, Seufzen, einen herzbrechenden Brief an Evelinen: Sie solle sich nur gar nicht geniren, solle nur dem Vater folgen, er wolle sich aus ihrer Augen Lichte verbannen! und was dergleichen Siebensachen mehr sind. Ach Gott, wie das groß wäre und rührend, wenn es nicht so närrisch wäre! Ich glaube, er spielt die Szene auch nur, um sie in einem Trauerspiele zu gebrauchen, und wenn Eveline die Sache annehmen sollte, dann würde erst der Haupt= und Mordspectakel sich erheben. Die erhabnen Gefühle der Dichter gleichen dem Champagnerschaume: (er bläst über die Hand) hui! sind sie weg. - Ich höre sie kommen. Nun müßte der Andre auch das Großmuthsfieber kriegen, dann wäre der Spaß vollkommen.
Eilfte Szene
Falten und Trimborn aus der Seitenthür.
Trimborn.
Sie stehen also von Allem ab, mein Herr, was Sie mit Evelinen Trimborn vorhatten?
Falten.
Bringen Sie ihr meiner Liebe letzten Seufzer!
(Er reicht Trimborn seinen Brief)
Eduard.
(parodirend)
"Und diese Thränen aus den Niederlanden!"
Don Carlos Act I. Szene 5.
Falten.
Ich habe gekämpft den schweren Kampf! Ich habe den Kampf bestanden!
Eduard.
"Ich habe gelebt und geliebet!"
Schillers Gedichte, Bd. 2 Seite 198 Einzige rechtmässige Ausgabe, Stuttgart und Tübingen.
Falten.
Wir wollen die Manen ihres theuren Vaters ehren durch Dulden!
Eduard.
Ja, der Geist des wackren Trimborn soll Ruhe haben in der Bai von VeraCruz!
Trimborn.
Gehorsamer Diener! Verstehe die Redensarten nicht ganz, aber ich sehe auf die Gesinnung.
(Falten mit Wohlgefallen betrachtend)
Ist doch so übel nicht! Wackrer Junge! Ist ihm leid geworden, das Schelmenstück!
(laut)
Patron! Ich versichre Sie meiner Achtung.
Falten (Trimborns Rechte ergreifend)
Machen Sie Evelinen glücklich! Ich werde dann nicht ganz unglücklich seyn.
Trimborn
Was?
Eduard (Trimborns Linke ergreifend)
Ja Bester! Werden Sie ein zärtlicher Bräutigam, ein liebender Gatte! Das wird uns trösten.
Trimborn (reißt sich los.)
Liebender Gatte? Zärtlicher Bräutigam? Ist's im Deck bei Euch nicht richtig?
Eduard.
Mein Gott, haben Sie denn dagegen auch eine Aversion, wie gegen den Vater?
Falten.
Mein Herr, Sie wollen Evelinen nicht heirathen?
Trimborn.
Nein mein Herr, ganz und gar nicht!
Falten.
Aber was wollen Sie denn -
Trimborn.
Sie verheirathen. Und Niemand kriegt sie als - Falten, wenn er die Probe besteht.
Falten.
O Himmel! Was hör' ich?
Eduard.
Na, da haben wir's ja! Edelmuth über Edelmuth!
Falten (Trimborn umarmend)
O großherziger Mann!
Eduard (Trimborn gleichfalls umarmend)
Kommen Sie her, alter Schatz, ich muß Sie gleichfalls umhalsen!
Trimborn (sich ihrer erwehrend)
Kerls! Laßt mich los! Keine Sylbe verstehe ich von Eurem verwetterten Mischmasch!
Letzte Szene
Petit (mit einem Billett und den Papieren Trimborns) Vorige.
Petit. (zu Falten)
Dasjenige soll ik abgeben von 'nem unruhigen FamilienVater!
(Er giebt Papiere und Billett an Falten.)
Trimborn.
Ha Verräther! Also dennoch getäuscht! O Europa, du Abgrund voll Schändlichkeit!
Petit.
Wat is denn nu des wieder für'n Getöse?
Falten (der das Billett betrachtet hat)
Mein Herr, diese Papiere sind für mich.
Trimborn.
Nein, mein Herr, das sind sie nicht. Sie haben gesiegt durch ihre Spione, sie haben mich überlistet durch diesen Jungen! Freuen Sie sich, freuen Sie sich, Herr PolizeiDirector!
Falten.
PolizeiDirector!?
Eduard.
Herrlich! Er schreibt ja Deine Tragödien. Nichts als Revange, Freund!
Trimborn.
Pfui! Pfui! Und Dreimal Pfui! Ja, ihr habt ihn nun, den ihr haben wolltet. Freut Euch, die Hölle siegt! Wo sind die Büttel? Wo sind die Fesseln für den Capitain Trimborn?
Falten.
Trimborn? Sie, Capitain Trimborn?
Eduard.
Nun bekommen wir noch das jüngste Gericht, und die Auferstehung der Todten!
Petit.
Dann wird Alles klar! sagt Müllner.
Falten.
Welche sonderbare Verkennung! Herr Capitain, Ihr gütiges Wort von vorhin! Ich glaube, wir haben uns unnützerweise umhergehetzt. Ich bin der Baron Falten.
Trimborn.
Sie? Du? Falten? Wie ist das möglich?
Eduard.
Auf meine Ehre, Herr Capitain, er heißt Falten.
Petit.
So wahr ik Marqueur werde, bei Bolivar, 't is unse große Falten, nach dem ik mir bilde.
Trimborn.
Sie heißen ja Sonnenstein!
Falten.
Nur, wenn ich mit den Göttern zu Tisch sitze.
Trimborn.
Aber der PolizeiDirector -
Eduard.
Ist der irrdische Sonnenstein.
Trimborn
Aber die Entführung -
Eduard.
Die dort
(nach dem Tische deutend, wo er mit Falten gesessen)
gesponnen ward; nicht?
Trimborn.
Ja wohl.
Eduard.
War eine Komödie.
Trimborn (sich den Kopf haltend.)
Komödie - Entführung - irrdischer Sonnenstein - Sonnenstein am Tische der Götter - mein Kopf schwindelt - ich bin seekrank! (Nach einer Pause) Aber Eins bleibt gewiß, da ich Dich (zu Falten) näher betrachte. Du trägst die Züge Deines braven Vaters! Du trägst die Züge meines Retters. - Ich wollte Dich ausprobiren: Du hast die Tochter mit dem Andenken an ihren Vater nicht entzweien mögen. Die Probe ist geschehn. (Falten herzlich die Hand schüttelnd) Schwiegersohn, Du hast die Probe bestanden!
Falten.
Vater meiner Eveline!
Eduard.
Lohn der Tugend; Schauspiel in fünf Aufzügen! - Aber sagen Sie nun, Sie alte Rechtschaffenheit, warum liegen Sie denn begraben in der Bai von VeraCruz?
Trimborn.
Das hatte seine Ursachen.
Eduard.
So. Und warum fürchteten Sie sich eben so gewaltig vor der Polizey?
Trimborn.
Das hatte auch seine Ursachen;
(Er nimmt Falten die Papiere weg.)
die ich hiermit vernichte. (Er zerreißt die Papiere) Ich sehe, confus geht's unter Euch zu, Ihr Landratzen, sehr confus! Aber so böse ist's doch nicht, als ich gedacht habe. Und ich will nicht der erste Schelm seyn, der mir hier begegnet. Präsident Befreier, vergieb mir! Die Fetzen haben mir Angst genug gemacht, und ich merke - ich merke - es war GewissensAngst.
Eduard.
Nun, das Lustspiel ohne Dame ist fertig! Wir sprachen drüber, da kam der Zufall, und machte Eins. Er gab: Irrthum an allen Ecken; die Mißverständnisse; der Teufel ist los; Sorgen ohne Noth; Viel Lärmens um nichts;; kurz, was man nur verlangen kann. Vivat der Zufall! Er ist der beste Komödiendichter!
Trimborn.
Versteh' von allem dem kein Sterbenswort.
(zu Eduard)
Patron!
bestellen Sie Post nach Brochwitz - mich verlangt, meine Tochter zu sehn! (Eduard ab) - (zu Falten) Komm, Schwiegersohn, der Wind ist günstig, alles ist mit der größten Manier hier abgemacht. Die Flotte sticht in See, und das Signal heißt: Heute Abend Verlobung. (Er hat Falten bei der Hand gefaßt)
Falten (im Abgehn)
Das ist das hohe Lustspiel des Lebens; und dazu gehört die Dame!
Trimborn mit Falten durch die Mittelthüre ab)
Petit (der schon lange wie verduzt da gestanden hatte.)
(an das Publikum)
Sagen Se, wat war des Alles?
Wat bedeutet diese Suite?
Dunkel is mir im Gemüthe
Des Bedenkliche des Falles.
Werde ik bei Bolivar
Noch die grüne Schürze tragen,
Als der oberste Marqueur?
Oder werd' ik - Ingenieur?
Denn von Beidem war die Rede?
Ach, des Alles ward nich klar
Wenn der Todt' auch auferstanden -
Möchten Se mit Ihren Patschen,
Darum bitt' ik scheu und blöde,
Sagen uns durch Händeklatschen,
Dat Se diesen Spaß verstanden!
Klatschen Se, ik bitte drum,
Un' ik weiß auch wohl, warum,
Denn det Klatschen bring' ik an,
In der Sache, die ik treibe,
In dem Buche, dat ik schreibe:
Im historischen Roman!
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Das Lustspiel ohne Dame, das auf den folgenden Seiten erstmalig im Druck erscheint, ist eine der kleineren dramatischen Arbeiten Karl Immermanns. Über seine Entstehung sind keine Aussagen des Dichters erhalten; lediglich eine Aufführung ist für den 18. Januar 1829 belegt. Der im Oktober 1829 erwogene Plan, das Lustspiel in eine Werkausgabe Immermanns aufzunehmen, wurde nicht verwirklicht. Offenbar gelangte das Manuskript zwischenzeitlich zur Familie nach Magdeburg, denn in einem Brief an Ferdinand Immermann vom 4. 9. 1830 bittet der Dichter seinen Bruder um eine Abschrift des Manuskriptes; das Original könne "als Autographen behalten, wer Lust hat". Weder in den erhaltenen Briefen noch in den Tagebüchern Immermanns wird das Lustspiel anschließend noch erwähnt.
Es ist denkbar, daß sich in der offensichtlichen Geringschätzung, die der Autor seinem Werk in den späteren Jahren entgegenbrachte, die Entstehungsgeschichte dieses Lustspiels spiegelt. Immermann, der im Juni 1826 seine dritte juristische Prüfung abgelegt hatte, zog im Frühjahr 1827 nach Düsseldorf, wohin er als Landgerichtsrat berufen worden war. Bald kam er in engen Kontakt mit dem Kreis um den Maler Schadow. In einem Brief Immermanns an seinen Bruder Ferdinand vom 24./25. April 1829 beschreibt er die "gesellige Unterhaltung" des vergangenen Winters in Düsseldorf: "Vorlesungen, dramatische Leistungen, lebende Bilder, drängten sich am Hofe u in Privathäusern." In diesem Rahmen erlebte auch Die Entführung ihre Aufführung; möglicherweise wurde das Stück für eine solche Geselligkeit eigens angefertigt. Der auf die Entstehungszeit und das besondere Publikum bezogene Anspielungsreichtum des Stückes ließ es in den späteren Jahren wahrscheinlich als weniger zur Veröffentlichung geeignet erscheinen, ähnlich wie andere kleinere dramatische Arbeiten Immermanns, die erst posthum veröffentlicht wurden
Der von Immermann als solcher bezeichnete "Schwank" ist beinahe überladen mit Anspielungen auf die zeitgenössische Gesellschaft, insbesondere auf deren Literaturrezeption. Drei der vier Protagonisten streuen in ihre Äußerungen häufig Zitate und Erwähnungen zeitgenössischer oder klassischer Literatur; auch die Verwechslungen, von denen die Handlung der Entführung lebt, werden mittelbar durch die unaufhörlich präsenten literarischen Muster hervorgebracht: Der Capitain Trimborn erkennt als Außenstehender nicht den literarischen Charakter der geplanten Entführung und glaubt an eine wirkliche; Eduard, der Trimborn zunächst richtig einschätzt, interpretiert das Verhalten des Capitains erkennbar nach dem Vorbild der in den zeitgenössischen Rührstücken häufigen Verwicklung durch den vom Vater bestimmten Nebenbuhler; er reagiert mit einer ausdrücklich literarisch fundierten Duellforderung: "Denn er ist Romeo und ich bin sein Mercutio!". Schließlich wird auch des Dichters Falten tränenreicher Verzicht auf Eveline von seinem Freund treffend charakterisiert: "Ich glaube, er spielt die Szene auch nur, um sie in einem Trauerspiel zu gebrauchen".
Auch die Literaturproduktion ist als Thema des Stückes unaufhörlich präsent. Faltens Aufgabe, ein "Lustspiel ohne Dame" zu schreiben, bringt die Verwicklungen ebenso hervor wie der Wunsch des Kellners Petit, einen Historischen Roman in der Manier Walter Scotts zu schreiben. Damit wird ein weiteres Mal bei Immermann das Werk, mehr noch die Wirkung Walter Scotts thematisiert. In der Rezeption durch Petit reduziert sich das Beispiel Scotts auf einen platten Detailrealismus, der vom Autor verlangt, mit einem Notizbuch in der Hand interessante Charaktere zu belauschen und deren Reden wörtlich mitzuschreiben; nicht zufällig hält Trimborn den Kellner für einen Polizeispitzel.
Es ist hier nicht der Ort, die zahlreichen Anspielungen auf zeitgenössische Literatur aufzuschlüsseln, soweit sie sich denn aufschlüsseln lassen. Ein Beispiel sei indessen näher behandelt:
Der unzureichend inspirierte Dichter Falten, der eine von der Geliebten gestellte dichterische Aufgabe nicht zu vollbringen vermag, wird von seinem Freund Eduard beschieden: "Ich will Dir helfen." Falten äußert seine Bedenken, worauf Eduard antwortet: "Es ist ein Schwank. Zu einem Schwanke gehört nichts als ein Bischen Mutterwitz. Den habe ich, Gott sei Dank. - Sieh mich nicht so vornehm und mitleidig an! Du kommst mir vor, wie der Abt von Sanct Gallen, und ich bin Dein Schäfer Hans Bendix." Die Anspielung wird nicht weiter erläutert, so daß beim Publikum eine Kenntnis der literarischen Vorlage, die vom Abt und vom Schäfer spricht, vorausgesetzt wird. Die Rede ist von einem Gedicht Gottfried August Bürgers, das erstmalig im Göttinger Musenalmanach auf das Jahr 1785 veröffentlicht wurde. Der Kaiser und der Abt schildert nach einer englischen Quelle die Nöte, in die der Abt von Sankt Gallen gerät, als ihm der Kaiser bei empfindlicher Strafe drei Fragen zur Lösung aufgibt. Der Schäfer Hans Bendix erlöst den Abt, indem er im geistlichen Gewand für ihn zum Kaiser geht und die Fragen beantwortet. In der Erstausgabe trägt das Gedicht den Untertitel: "Ein Schwank"; nach vollbrachter Tat erhält Hans Bendix vom Kaiser die versöhnliche Botschaft: "Sehr hat mich ergötzet dein lustiger Schwank". So stellt in Immermanns Stück bereits Eduards Hinweis, es gehe in Faltens geplanter Dichtung um einen Schwank, einen ersten Bezug zu Bürgers Gedicht her. Ein weiterer entsteht mit Eduards Erwähnung des dazu nötigen "Bischen Mutterwitz"; der Schäfer Hans Bendix versichert dem Abt, er werde, anders als der geistliche Herr, die Aufgaben des Kaiser bestehen können: "Was Ihr Euch, Gelehrte, für Geld nicht erwerbt,/ Das hab' ich von meiner Mutter geerbt." Am deutlichsten wird die Bezugnahme auf das Gedicht Bürgers in der Nennung der beiden Protagonisten durch Eduard. In diesem Fall bleibt es bei dem Vergleich von Eduard und Falten mit Hans Bendix und dem Abt; im anschließenden Gespräch zwischen Eduard und Trimborn kommt es sogar zu einer Identifikation der Freunde mit den Protagonisten Romeo und Mercutio aus Shakespeares Romeo und Julia.
Die Anspielung auf Der Kaiser und der Abt geschieht also nicht unmotiviert; darüber hinaus wird durch die Erwähnung von Bürgers Gedicht auf das auch in Immermanns Schwank zentrale Thema der Verwechslung der Protagonisten verwiesen: während im Gedicht das Lösen der vom Kaiser gestellten Aufgabe einzig durch das Austauschen der Protagonisten zu bewerkstelligen ist, verhelfen die zahlreichen Verwechslungen in Immermanns Schwank letztlich dazu, den Capitain Trimborn von den Qualitäten des potentiellen Schwiegersohnes zu überzeugen, so daß er die zuvor für nötig gehaltene Erprobung Faltens am Ende für bestanden erklärt.
Über den gesamten Verlauf des Stückes hindurch wird die Rolle deutlich, die Werke populärer Autoren vom Schlage des mehrfach erwähnten Adolf Müllner spielen; auch die literarische Produktion Faltens scheint sich in ihrer Wirkung auf das Publikum nicht allzusehr von den beliebten "Schicksalsdramen" zu unterscheiden, wenn man Eduard glauben kann, der Falten gegenüber hervorhebt, das Publikum habe "in Deinen vortrefflichen Stücken, wie sich's gebührt, geschluchzt". Der berliner Kellner Petit, der sich Falten zum Vorbild nimmt, charakterisiert dieses Rezeptionsverhalten als typisch für sich und seine Heimatstadt:
"Hören Se mal, kommen Se mir nich so. Sprechen Se keinem Berliner wat von FamilienVater, un Ruhe, un Unruhe, und so 'ne Sachen durcheinander, un det Unglück! [...] Ein Berliner, sehn Se, der is uf de Rührung, wie unse Pudelhund uf's Stöcksken, un det greift an, wie der Stockschnuppen."
Interessant wird das Stück darüberhinaus durch die deutliche Hinwendung des Autors zu seiner Gegenwart, die sich auch auf außerliterarischem Terrain zeigt. So wird in der Gestalt des Capitain Trimborn ein geheimer Gesandter des südamerikanischen Befreiungskämpfers Simon Bolivar auf die Bühne gebracht, was eine der ersten Thematisierungen Bolivars in der deutschen Belletristik bedeutet. Außerdem stellt sie einen frühen Beleg für Immermanns Interesse an Mittel- und Südamerika dar, das bis in die dreißiger Jahre hineinreicht. Die häufig geäußerte Verachtung, die Capitain Trimborn dem "verrotteten Continent" gegenüber empfindet, hat ihr Pendant in der Auswandererbewegung nach Amerika, die in Deutschland zwar schon bald literarischer Topos wird, in der Realität allerdings erst Jahrzehnte später ihren Höhepunkt erreicht. Die Demagogenfurcht der Restaurationszeit wird ebenso angesprochen wie biedermeierliche Geselligkeit.
Der Schwank Die Entführung, oder Das Lustspiel ohne Dame ist kaum geeignet, dem Bild, das üblicherweise vom Werk Karl Immermanns besteht, wirklich neue Facetten hinzuzufügen. Bemerkenswert ist aber der Anspielungsreichtum des Stückes, der, wie beim oben untersuchten Verweis auf Bürgers Gedicht, durchaus als motiviert erscheint und Die Entführung möglicherweise für intertextuell orientierte Immermann-Forschung interessant macht; bemerkenswert ist ferner, daß mit diesem "liebenswürdigen Schwank" (Manfred Windfuhr) der Autor der "Epigonen" ein Gegenwartsstück schreibt, das bei aller Harmlosigkeit nicht frei von kritischen und voll von satirischen Elementen ist.
Der Text ist nach der Handschrift Immermanns abgedruckt. Lateinische Schrift im Manuskript wird kursiv wiedergegeben.
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