AfR-Tagung in Zürich vom 13.9.-15.9.2002

"Appelle sind nicht die Hauptsache. Alltag und Evangelium im Religionsunterricht"

 

Einleitungsreferat (Freitag, den 13.9.2002, 16.00 Uhr)

Prof. Dr. Christoph Bizer: "Der evangelische Religionsunterricht auf dem (konzeptionellen) Hintergrund der dialektischen Spannung von Alltag und Evangelium."

Evangelium ist alltagssprachlich und religionspädagogisch ein Unwort: entweder Sprache Kanaans (dann löst es heftige Abwehrreaktionen aus) oder ein theologischer Begriff (dann gehen vor der Wahrnehmung die Jalousien herunter). -
Alltag ist begrifflich ein fressendes Ungeheuer, dem keine Grenzen gesetzt sind. Feten und Feiern werden in Alltäglichkeit verschlungen. Der Alltag selbst reklamiert in Konsum und Kommerz Festlichkeit für sich. - Das mit dem Begriff „Evangelium" Gemeinte ist für den evangelisch-christlichen Religionsunterricht von zentraler Bedeutung. Es fokussiert, was das Christentum in seinem Kern ausmacht und – auch unterrichtlich – bringt. Der evangelisch-christliche Religionsunterricht verludert inhaltlich, wenn er sein Verhältnis zu Evangelium konzeptionell nicht in immer neuen Anläufen bestimmt.


Prof. Dr. Jürgen Zinnecker:
(Samstag, den 14.9.2002, 9.30 Uhr): "Alltag von Kindern und Jugendlichen. Was erleben sie täglich? Empirische Untersuchungen zu einem aktuellen Problem in der Kinder- und Jugendforschung."

Alltag und Alltagserfahrungen von Kindern und Jugendlichen sind immer stärker in den Mittelpunkt von Forschungsinteressen und -projekten gerückt. In welchen Milieus wachsen sie auf?  Welches sind die täglichen Eindrücke, mit denen sie leben? - Wie gehen sie damit um? - Forschungsprozesse zu diesen Fragen dürften von steigendem Interesse für eine Religionspädagogik sein, die auf konkrete Lebenssituationen und Lebenswelten von Schülerinnen und Schülern einzugehen versucht und sie konstitutiv in ihre Ansätze aufnimmt.


Für den Samstagnachmittag sind „Werkstattberichte" (90 Min.) bzw. „Workshops" (2x90 Min.) geplant
von KollegInnen, die uns sozusagen über die Schulter schauen lassen, wie sie im schulischen oder auch gemeindlichem Unterricht (mit oder ohne Studierende) oder aber in Seminaren Evangelium und Alltag in einen fruchtbaren Dialog bringen.


Dr. Annegret Freund: "Alltag und Übergang. Die rituelle Begehung des Endes der Kindheit mit einem Evangelium i, Pianissimo"

Der Kirche gegenüber hegen und pflegen Heranwachsende im Osten Deutschlands mindestens Skepsis – oder doch größere Distanz. Das gilt auch für die, die am Religionsunterricht teilnehmen (wenn auch nicht für alle unter ihnen). Jugendlicher Alltag und kirchlicher Feiertag liegen scheinbar meilenweit auseinander. Zeigt sich Kirche jedoch – in Personen – konzessionsbereit, empathisch und biografisch interessiert, so entstehen qualitativ neue Kontakte. Versuchsweise und auf Probe vollzieht sich eine gegenseitige Annäherung, gleichsam im Bereich von "Prä-Evangelium". Innerhalb eines vorgegeben Rahmens werden die Selbstaussagen Jugendlicher zum konstitutiven Faktor des Geschehens. Sie dienen dem Reflexivwerden der eigenen Lebensgestaltung und werden eingebettet in die feiernde Vergegenwärtigung von Zurückliegendem und Bevorstehendem. Wie sieht das konkret aus? Im Workshop wird ein einschlägiges Projekt vorgestellt und interaktional erschlossen.


Dr. Michael Fricke: "Alltagsblicke auf das Evangelium. Kinder lesen die Bibel"

In meinem Forschungsprojekt kommen Schulkinder nachmittags freiwillig zusammen und setzen sich fünf Wochen lang in einer Kleingruppe mit biblischen Erzählungen (z.B. Schöpfungserzählungen, Sintfluterzählung) auseinander. In der Gruppendiskussion regen sie sich zu freimütigen, offenherzigen, ja auch sehr kontroversen und kritischen Beiträgen an und streifen dabei viele Themen-Aspekte, nicht nur die des jeweiligen Bibeltextes, sondern auch ihres Alltags. Der Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Erheben und Verstehen der Kinderwahrnehmungen und -äußerungen und der Art der Auseinandersetzung mit dem Text und seiner Aneignung in der Gruppe: Die Kinder zeichnen zum einen Bilder und unterhalten sich dabei unzensiert in ihrer Alltagssprache, und zum anderen stellen sie viele Fragen, bearbeiten sie in der Gruppe und teilen dadurch ihre Gefühls- und Denkprozesse mit.
 In der Workshop-Arbeitsgruppe stelle ich Theorie, Methode und Praxis der Erhebungen vor. Darüber hinaus werden wir uns anhand einer oder mehreren Tonband-Transkriptionen sowie Kinderbildern in die Denk- und Ausdruckswelt der Kinder hineinarbeiten, Typen von Äußerungen und Meinungen erkunden und das komplexe Gruppengeschehen zu verstehen suchen.


Dr. Thorsten Knauth: "Evangelischer RU und multireligiöser Alltag. Beispiele problemorientierten interreligiösen Lernens"

Vielleicht zeichnet sich ein guter, dem Evangelium gemäßer RU gerade durch seine Fähigkeit aus, sich dem gar nicht so evangelischen Alltag von Schülerinnen und Schülern zuzuwenden. Ohne Zweifel aber sollte ev. RU die gesellschaftliche Dimension des mit dem Evangelium
Gemeinten in klar konturierten pädagogischen, theologischen und sozialethischen Optionen zur Geltung bringen. Für meine rp  Praxis bedeutet dieser  Ansatz, gesellschaftliche Schlüsselthemen in das Spannungsfeld von eigenen und fremden Perspektiven religiöser Sinndeutung und Weltgestaltung zu stellen. Wo diese Verbindung gelingt, kann leuchtet  etwas von evangelischer Praxis des Umgangs mit anderen aufleuchten. In meinem Bericht möchte ich  Beispiele für ein - wie ich es nenne-   "problemorientiertes interreligiöses Lernen"  au den Themenbereichen Armut und Gerechtigkeit; Religion und Gewalt(losigkeit)  vorstellen.


Dr. Martina Plieth: "Wovor haben Kinder Angst?"

Die Ängste unserer Kinder haben sich in den vergangenen Jahren signifikant verändert. Gesellschaftliche Wandlungsprozesse und nicht zuletzt Ereignisse wie die des 11. Septembers sind dafür (mit)verantwortlich. Wer dem in religionspädagogischen Handlungsfeldern Rechnung tragen möchte, sollte sich über Angstszenarien in Kinderköpfen und angemessene Angstbewältigungsstrategien informieren und darüber nachdenken, wie beides im Alltag von Kindern und Erwachsenen berücksichtigt werden kann.
Arbeitseinheiten:
1. Analyse von Kinder-Texten und -Bildern zum Thema 'Angst' –
2. Vorstellung von Unterrichtsmaterial zum Thema 'Angst und Angstbewältigung')


Prof. Dr. Martin Rothgangel
(Sonntagvormittag): "Alltag und Evangelium im Kontext einer subjekt- und lebensweltorientierten Religionspädagogik. Eine Konkretion anhand der Kategorie des Heiligen".

Näher betrachtet stellt das Tagungsthema eine theologische Herausforderung für eine subjekt- und lebensweltorientierte Religionspädagogik dar. Nicht zufällig scheint die übliche Gegenüberstellung von „Alltag und Religion" an dieser Stelle durch „Alltag und Evangelium" ersetzt zu sein. Ebenso stellt sich auf dem Hintergrund der Eingangsformulierung „Appelle sind nicht die Hauptsache" die Frage, ob eine am „Alltag" und der „Lebenswelt" orientierte Religionspädagogik „gesetzlich" oder gar „theologievergessen" ist? Anders gefragt: Welche Bedeutung besitzt das „Evangelium" im Kontext einer subjekt- und lebensweltorientierten Religionspädagogik?
Auf dem Hintergrund religionspädagogischer Untersuchungen zu den „Heiligtümern" Jugendlicher einerseits sowie theologischer Überlegungen zum „Heiligen (Wort)" andererseits könnte es sich als weiterführend erweisen, die genannten Problemstellungen anhand der Kategorie des Heiligen exemplarisch „durchzuspielen".

 

Prof. Dr. Ingo Baldermann (angefragt): Bündelung der begleiteten Tagung und Ausblick