1. Erfahrungen zum Thema | 2. Das Bekennen als ein wesentliches Moment des
Glaubens | 3. Das urkundliche Bekenntnis der Kirche | 4. Vom Umgang mit dem kirchlichen Bekenntnis | Fußnoten
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Nun ist allerdings diese gute deutsche Sitte gleichwohl auch nicht unzweideutig. Möglicherweise mischt sich in
sie eine ältere Tradition eher unseligen Gedenkens. Vielleicht war das schon bei nicht wenigen Vertretern der
damaligen Bekennenden Kirche der Fall. Schon sprachlich kam das zum Ausdruck, daß da noch ein anderer
Bekenntnisbegriff im Spiel war. 9 Der Begriff meinte hier nicht, daß die
Kirche gegenüber den Mächten der Zeit das Evangelium Gottes bekennt, sondern er besagte: Was man
auch im übrigen sage und tue, es solle dabei der sogenannte "Bekenntnisstand" der Kirche "gewahrt", es
sollten die alten statutarisch-rechtlichen Bekenntnisgrundlagen "unangetastet" festgehalten bleiben.
Auffallenderweise findet sich diese Formulierung nicht nur bei den damaligen Bekennern, sondern wörtlich
ebenso auch bei ihren Gegnern, den Deutschen Christen. 10
Es sieht so aus, als wiesen diese Formulierungen in einen Kirchenstreit des 19. Jahrhunderts zurück. 11 Etwa zur selben Zeit, in der die Bekenntnisverpflichtung in den Schweizer
Kirchen dahinfiel, verordnete König Friedrich Wilhelm III. in seinen Landen den Kirchen eine Liturgie, inklusive
obligatorischem Apostolikum, auf das die Geistlichen auch noch zu vereidigen waren. Begründung: Es gelte zu
verhindern, daß "jeder unverständige Priester seine ungewaschenen Einfälle zu Markte bringt, modeln und
ändern will, was die unsterblichen Reformatoren... angeordnet haben." Was dem Heer die Parade, das sei dem
Gottesdienst die Liturgie und speziell das Glaubensbekenntnis. Der Vergleich war nicht zufällig, da die
verordnete Liturgie keine andere war als die in der Königlich Preußischen Armee gebräuchliche. Es entwickelte
sich daraus der sogenannte Agendenstreit und später der sogenannte Apostolikumsstreit, Vorgänge, in denen
Schleiermacher fast und eine Handvoll Pfarrer tatsächlich abgesetzt wurden. Das Ergebnis war jedenfalls, daß es,
auch wenn es zu einigen Modifikationen kam, bei dem Eingeführten blieb.
Man könnte nach diesen einführenden Assoziationen zum Thema fragen: Sollen wir nun eigentlich jene
Schweizer bedauern wegen ihrer Abschaffung einer kirchlichen Bekenntnisbindung, weil sie damit dem
christlichen Glauben Wertvolles, das Wissen um seine Verbindlichkeit, genommen haben? Oder sollen wir die
deutschen Kirchen dafür bedauern, daß sie solche Abschaffung nicht geschafft haben, weil sie damit, auch bei
allem gewiß auch hier vorhandenen Pluralismus, am kirchlichen Glauben gewissermaßen eine Kette mit
Bleikugel hängen haben? Aber die Fragen wären so doch oberflächlich gestellt. Denn es ist nun einmal so, daß
sich in den ersteren Kirchen gezeigt hat, daß auch sie auf die Dauer nicht leben konnten und können ohne
Rückgriff auf das kirchliche Bekenntnis und daß sie faktisch mehr davon leben, als es dem Papier nach sein
sollte. Und es ist auf der anderen Seite, auf der der deutschen evangelischen Kirchen so, daß ihre Geschichte
Grund gibt zu der Annahme, daß auch aus einer so mißlich eingeführten Sache unversehens ein Segen werden
kann: ein Segen, in dem sich der Bekenntniszwang in ein lebendiges Bekennen und die Mühe, ein Bekenntnis zu
glauben, in ein freies Bekenntnis des Glaubens wandelt. Die Frage lautet vielmehr: Kann der Glaube der Kirche
ohne Bekenntnis des Glaubens leben? Und wenn nein, wie gezeigt werden soll: wie ist das Bekenntnis dem
Glauben zugeordnet?
Es sei hier von dem Jesuswort Mt. 10,32f. ausgegangen: "Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch
bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch
verleugnen vor meinem himmlischen Vater." Einige Überlegungen seien daran angeschlossen.
Erstens: Demnach ist klar, was im Grunde von Christen zu bekennen ist. Was ihr Bekenntnis zu einem
christlichen macht und was es unterscheidet von dem, was Menschen sonst zu "Konfessionen" drängen mag, ist
dies, daß in ihm Jesus Christus bekannt wird. Nach dem Petrusbekenntnis von Matth. 16, 16 ist
Bekenntnis in seinem Grundcharakter unsere Antwort auf die uns gestellte Frage: "Wer sagt denn ihr, daß ich
sei?" - die Wiederholung der Petrusantwort: "Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn." 12 Auch wenn diese Antwort in mannigfacher Weise erläutert und zugespitzt werden
kann, wie es in der Kirchengeschichte ja unternommen worden ist, es gilt auch dannt: Die Kirche muß, um zu
bekennen, sich "ihr Thema nicht erst suchen. Sie hat es schon, indem sie heute Jesus Christus bekennt ... Alle
Unsicherheit im Bekennen kann darum nicht so überwunden werden, daß wir in der Weltgeschichte
herumsuchen, 'wo wir uns einbringen können'. Sie kann nur so überwunden werden, daß wir noch einmal und
wieder und wieder anfangen, auf Gottes Bekenntnis zu uns zu hören." 13
Das Bekennen bezieht sich dabei auf den, dessen Bedeutung sich in dem Satz zusammenfassen läßt, daß er sich
seinerseits zu uns bekennt. Das "zu dem werde ich mich bekennen vor meinem himmlischen Vater" ist etwas, was
dem Bekennen zu ihm nicht nur folgt, sondern sachlich auch schon vorangeht. Es käme zu gar keinem Bekennen
unsererseits zu ihm, wenn es nicht durch sein Sich-Bekennen zu uns provoziert wäre. Und Bekennen heißt hier,
daß er sich geradezu verbindlich mit uns verbunden hat: mit uns, die wir vielleicht so wie Petrus dran sind, der ja
nicht bloß ein Bekenner Christi war, sondern ihn im entscheidenden Moment verleugnet hat. Zu ihm und zu
solchen, die wie dieser Petrus sind, hat er sich bekannt und hat sich nicht geschämt, "sie Brüder,
Geschwister zu heißen" (Hebr. 2, 11). Darauf hat er sich am Karfreitag gleichsam festnageln lassen.
Zweitens: So versteht sich, daß unser Bekennen zu ihm den Charakter einer Antwort hat - eben auf das
Bekenntnis Christi zu uns. Das Wort, in dem er sich zu uns bekennt, erübrigt also nicht unsere Antwort; es
fordert sie heraus und ermöglicht sie. Und das heißt geradezu: "Gott bekennt sich dazu, mit denen, die sein
Bekenntnis erreicht hat, eine gemeinsame Geschichte zu machen." 14 Ist
diese Geschichte wohl "die Geschichte der verborgenen Lebensgemeinschaft mit Jesus und der Christen
untereinander"15 , so tritt sie im Bekenntnis - im kirchlichen Bekenntnis
zu dieser Lebensgemeinschaft - ans Licht der Öffentlichkeit. Man darf somit weiter sagen: Entscheidend gerade
im Bekennen kommt es heraus, daß unser Part auf dem Weg Gottes mit uns eben der des
Antwortens ist. Deshalb im Bekennen, weil hier der Glaubende aus der Verborgenheit seines Glaubens
hervortritt. Er tritt hier hervor als ein nun buchstäblich mündiges Subjekt, dem ein Mit-Sprache-Recht
eingeräumt ist und das von diesem Recht auch Gebrauch zu machen versucht. "Ich glaube, darum rede ich" (Ps.
116, 10). Im Bekennen werden Christenmenschen "ausdrücklich" zu "erklärten Parteigängern"
Jesu Christi. 16 Im Bekennen stellen sie unter Beweis, daß das Wort
Gottes sie mündig spricht. Freilich, indem Christus sich zu uns bekennt, bevor wir uns zu ihm bekennen,
ist für die, die das erkennen, keine beliebige Wahl gelassen. zu wem oder zu was sie sich gern bekennen möchte.
Wer an ihn glaubt, verbindet sich in seinem Bekenntnis des Glaubens verbindlich diesem Christus. Das schränkt
nicht die Mündigkeit des Bekennens wieder sein. Wir würden sie vielmehr aufheben, wenn wir sie abgesehen von
der Verbindlichkeit haben wollten, in der wir an das unser Antworten erst ermöglichende Wort gebunden sind.
Daß Christen kaum je andere Typen sind als der schwankende "Fels" Petrus, ändert nichts daran, daß sie sich in
ihrem Bekenntnis zu Christus so auf ihn festlegen, daß sie bereit sind, sich dabei behaften zu lassen.
Drittens: Ist unser Bekennen Antwort, so ist klar, wem da Antwort gegeben wird. "Alles, was wir vor der
Welt bekennen, ist als solches zuerst Antwort an Gott und dementsprechend vor Gott zu verantworten." 17 Der Aspekt der Zuwendung vor allem zu Gott ist hier unerläßlich. Denn jene
Mitsprache, die das Bekennen sein darf, wird eingeübt in der Zwiesprache mit Gott. "Fleisch und
Blut hat dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel", sagt Jesus auf das Petrusbekenntnis hin (Mt.
16, 17). Und in der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 wird gesagt, "daß uns in einer Zeit gemeinsamer
Not und Anfechtung ein gemeinsames Wort in den Mund gelegt ist." 18
Zum Bekennen gehört auch die Einsicht, daß man das Entscheidende, das man zu sagen, sich nicht selbst nehmen
kann, sondern daß es einem gegeben werden muß - und gegeben wird. Das kommt im Bekennen
zum Ausdruck, indem es vor Gott ausgesprochen wird. Insofern es Antwort an Gott ist, hat man in ihm
zurecht immer wieder die zwei Momente unterschieden: Schuldbekenntnis und Lobpreis. Wer kann denn so
sicher sein, daß er - auch und gerade in dem gutgemeinten Tun, zu dem er sich anschickt - Christus nicht
verleugnet, sondern bekennt? Könnte er nicht selbst in dem Moment noch, wo er Christus zu bekennen meint, in
Wahrheit nur Ideologie propagieren? Gerade wo man im Bekennen zum Verleugnen Christi nun doch Nein sagt,
also Schuld bekennt, kann es in erster Linie nur ein Schlagen an die eigene Brust sein. "Im Bekenntnis
richtet... nicht Einer den Anderen, sondern im Bekenntnis richtet die Kirche sich selbst."19 Ja, "Gott wird nicht besser gelobt als durch das Bekenntnis unserer Sünde." 20 Aber gelobt! - weil der ihre Schuld bekennenden Kirche nichts
anderes übrig bleibt, als sich zugleich zu jener Wohltat zu bekennen, daß Gott in Jesus Christus sich seinerseits
dennoch zu uns bekennt. Indem sie sich dazu bekennt, ist ihr Bekennen Lobpreis, hat mehr die Art eines Gesangs
als eines Gefechts. Als Lobpreis hat es den Charakter sozusagen eines "zweckfreien Tuns"21 , geübt nicht, um wieder einmal Zivilcourage zu zeigen oder um sich sein Herz zu
erleichtern, geübt entscheidend zu Lobe Gottes.
Viertens: Zur Gestalt des Bekennens ist zu sagen, daß es ein bestimmtes Handeln der Kirche und ihrer Glieder
ist. Aber man sage nicht: ein Handeln im Unterschied zu bloßen Lippenbekenntnissen. Das christliche Bekennen
besteht sogar zuerst in Lippenbekenntnissen. Mit Röm. 10, 10: "Wer mit dem Munde bekennt, der wird
gerettet." Natürlich geht es dabei nicht um ein "theoretisches" Wortemachen, geschweige um ein künstliches
Wortedrechseln. Wie Gott in seinem Wort sich selbst ins Offene wagt, so wagt der Menschen in seiner Antwort
darauf, im Wort seines Bekennens mit nicht weniger als sich selbst ins Offene. So kann sein Bekennen
allerdings mancherlei Gestalt annehmen, kann auch in einem sprechenden Tun und in einem sprechenden
Schweigen, in einem sonntäglichen und alltäglichen Gottesdienst, auch in einem Kämpfen, auch in Leiden
bestehen. Es kann auch in unscheinbaren Verrichtungen bestehen, so daß man nicht "jeden Tag Luther in Worms
sein" zu müssen glaubt. 22 Überhaupt wird man sich beim Bekennen
davor hüten müssen, als Solist auftreten zu wollen: "Ich gegen den Rest der Welt!" Ein Glaube, der sich so
äußert, wäre vermutlich ein Privatglaube, der nur seinen Privatkrieg führt, aber nicht als Christ in der Kirche
Christi bekennt. Der Glaube bezieht sich ja auf das Wort, das der Gemeinde Christi gegeben ist. Christliches
Bekennen verlangt darum danach, ein gemeinsames und kein einsames Bekennen zu sein.
Fünftens: "Wer mich bekennt vor den Menschen..." Gemeint ist: jetzt nicht bloß vor gleichgestimmten
Seelen, vor denen man sich vielleicht gern auch kräftiger Worte bedient, sondern jetzt vor vielleicht sogar sehr
anderen "Seelen". Wie gesagt, der Mensch wagt im Bekennen sich selbst ins Offene, und das heißt auch: an die
Öffentlichkeit. Wie nach 1. Tim. 6, 12f. Christus "ein gutes Bekenntnis bezeugt hat unter Pontius Pilatus", so hat
auch der dort angesprochene Timotheus "das gute Bekenntnis" zu bekennen "vor vielen Zeugen". Das
"vor-den-Menschen"-Bekennen hat dabei zwei Bedeutungsmomente, entsprechend den zwei
Bedeutungen, die das Bekenntnis als Antwort an Gott hat: als Lobpreis und Schuldbekenntnis. Auf der einen
Seite heißt das "vor den Menschen" sicher: für sie und nicht gegen sie. Denn man macht ja keinen
übermütigen Übergriff, wenn man "bekennt vor den Menschen". Hat Christus sich zu uns bekannt vor unserem
Bekenntnis zu ihm, so hat er sich im Voraus auch zu ihnen bekannt. Wenn Gott ihnen also wohlwill, so
können wir "den Leuten" nicht übelwollen; wir können ihnen auch nur wohlwollen, wenn wir Christus
vor ihnen bekennen. Auf der anderen Seite: Bekennen wir uns vor ihnen zu Christus, so eben nicht zu Baal, nicht
zu Mammon, nicht zum "Goldenen Kalb", nicht zu Mars. Wer Christus bekennt vor den Leuten, muß darum
gewärtig sein, daß er von ihrer Seite nicht lauter Zustimmung, sondern auch Widerspruch erfahren kann. Sicher,
solcher Widerspruch kann sich auch sehr berechtigt auf allerhand wirklich Unerträgliches auf Seiten der
Bekenner beziehen, die sich hier gar nicht selbstkritisch genug prüfen können. Aber der Widerspruch kann sich
auch auf das Ärgernis beziehen, das das "Wort vom Kreuz" unserem altem Adam, unserer alten Eva bedeutet. In
der Furcht vor diesem Widerspruch haben schon manche Christen dann doch Christus verleugnet, und sei
es so, daß sie den Christusglauben abgeschwächt haben durch einen faulen Kompromiß. Aber mit 1. Joh. 4,18:
"Die Liebe treibt die Furcht aus." Das heißt: Indem wir uns gerade dann nicht in ein Freund-Feind-
Schema drängen lassen, können wir jene Furcht auch verlernen und können sagen wie Paulus: "Ich schäme mich
des Evangeliums von Christus nicht" (Röm. 1,16). Oder wie es an der Spitze des Augsburger Bekenntnisses
heißt: "Ich rede von deinen Zeugnissen vor Königen und bin nicht zuschanden geworden." 23
Ich habe unterdes die im Eingangsabschnitt berührten Fragen liegen gelassen und scheinbar einen Umweg
gemacht. Diese Fragen sind jetzt wieder näher anzuvisieren; und es könnte sich dabei zeigen, daß der Umweg
nicht unnütz war. Denn es erschließt sich der Zugang zum Verständnis kirchlicher Bekenntnisdokumente wohl
erst, wenn wir verstehen, daß es dem christlichen Glauben wesentlich ist, sich - in dem nun etwa umschriebenen
Sinn - bekennend zu äußern. Es drängte sich dabei auf, den Begriff, anwendbar auf die Gemeinde Christi im
ganzen und ihre Glieder im einzelnen, weithin in der Verbform "Bekennen" zu gebrauchen. Davon ist begrifflich
das Wort in der substantivischen Form "Bekenntnis" zu unterscheiden. Um es genauer zu sagen mit Begriffen,
die E. Wolf hier vorgeschlagen hat24 : Wir haben zu unterscheiden
zwischen dem aktualen Bekennen und dem urkundlichen Bekenntnis.
Ein Unterschied zwischen beiden liegt auf der Hand: Solches aktuale Bekennen hat offenbar immer zu
geschehen, wo Christen sind und glauben, selbst dann, wenn, wie im beschriebenen Fall, die offizielle Bindung
an ein urkundliches Bekenntnis aufgehoben ist. Man darf sogar sagen: Wo jenes aktuale Bekennen fehlt, wo man
nur Sorge trägt, daß ein urkundliches Bekenntnis "unangetastet" bleibt, da verliert dieses seinen Sinn und wird
die Berufung darauf zu einem ebenso bedrängenden wie unnützen Vorgang. Hingegen kommt es zu solchem
urkundlichen Bekenntnis nur ganz gelegentlich, in mehr oder weniger großen Zeitabständen. Und das hängt mit
einem weiteren Unterschied zwischen beiden Größen zusammen. Der ist dadurch gegeben, daß im urkundlichen
Bekenntnis das hier sprechende Subjekt in einer Weise, wie das beim aktualen Bekennen nicht sein kann,
die Kirche ist oder zumindest die Kirche in einem gewissen überschaubaren Bereich. Unter einem
kirchlichen Bekenntnis ist - im Anschluß an E. Wolf - ein urkundlicher und also auch geschriebene Text zu
verstehen, in dem die Kirche oder faktisch zunächst eine repräsentative Gruppe in ihr, aber sie im Namen nicht
ihrer Gruppe, sondern im Namen der Kirche das biblische Christuszeugnis zusammengefaßt hat - und das in
einer besonderen Zuspitzung, die mit der Herausforderung zusammenhängt, angesichts derer es entsteht, und das
zugleich in der Verbindlichkeit des Anspruchs, daß der, wer den durch das Bekenntnis umrissenen Raum verläßt,
in Gefahr steht, die Kirche Christi zu verlassen. Der Sinn eines solchen urkundlichen Bekenntnisses ist nicht, den
Christen jenes aktuale Bekennen abzunehmen. Der Sinn ist, den Raum zu zeigen, in dem es stattfinden sollen.
Oder besser: Der Sinn ist, die Richtung zu weisen, in der es zu erfolgen hat. 25 Das urkundliche Bekenntnis ist also eine kirchliche Entscheidung, was als dieser
Raum oder was als diese Richtung in der Kirche anzusehen ist.
Dazu kommt noch ein Weiteres: Zu einer neuen Abgrenzung darf es nur kommen kommen, wenn klar ist, daß ein
neuer, kirchenverwüstender Irrtum aufgetreten ist, der durch ältere Bekenntnisse nicht ausgeschlossen ist, daß
also eine durch das ältere Bekenntnis scheinbar gedeckte Kirchengemeinschaft als eine
tatsächlich nicht mehr bestehende zu bezeichnen ist. Dann hat die Kirche ihre Treue gegen das alte
kirchliche Bekenntnis damit zu bewähren, daß sie es in einer neuen Weise kritisch zuspitzt und präzisiert. Das
haben die Reformatoren getan. Sie haben, wie es im Verhältnis zur römischen Kirche sachlich unvermeidlich
geworden war, eine Klärung des Verhältnisses von Gnade und Verdienst der Werke im alten Bekenntnis nicht
vorgefunden; und es hätte nichts geholfen, in dieser Sache sich auf das Apostolikum zu berufen. Sie konnten
darum bei der alten Entscheidung nicht bleiben, wie sie wollten, ohne sie in das Licht einer neuen
Bekenntnisentscheidung zu rücken. 32 Das Bleiben zugleich bei der
alten Bekenntnisentscheidung, bei der die "andere Seite" wohl auch bleibt, bedeutet dabei nicht automatisch, daß
man sich hüben und drüben noch auf dem selben Boden befindet und daß die Differenz sich innerhalb dieser
Gemeinsamkeit befindet; vielmehr wird nun gerade das Sich-Befinden auf demselben Boden strittig.
Man kann nicht genug betonen, daß das Fällen einer solchen neuen Bekenntnisentscheidung ein Wagnis ersten
Ranges ist. Nur zu leicht könnte es geschehen, daß hier die eine - vermeintliche oder tatsächliche - Willkür durch
eine neue Willkür ersetzt wird. Um als kirchliche Entscheidung zu gelten, müßte das neue urkundliche
Bekenntnis folgende Kriterien erfüllen: 1. Es müßte Bekenntnis Jesu Christi sein, dem entsprechend, daß
Bekenntnis im Neuen Testament vorwiegend den prägnanten Sinn einer öffentlichen Anerkennung Jesu Christi
als des Kyrios hat. 2. Es hat sich in dem Sinn - implizit oder explizit - auf die Heilige Schrift zu berufen, daß es
bereit ist, sich an ihr messen zu lassen, mehr noch: daß es faktisch von dem Anspruch getragen ist, die an einem
bestimmten, erheblichen Punkt durch eine innerkirchliche Abweichung unleserlich gewordene Schrift wieder
leserlich zu machen. 3. Auch wenn eine Bekenntnisentscheidung einen neuen Schritt gegenüber früheren
Entscheidungen vollzieht, so muß es doch erkennbar sein, daß sie nicht eigentlich eine Neuerung darstellt,
sondern in Treue gegenüber den früheren Entscheidungen eine notwendig gewordene neue Auslegung von ihnen.
4. Ein Bekenntnis müßte auch daran erkennbar sein, daß es nicht irgendwelche gelehrte oder konfessionalistische
Sonderanliegen festschreibt, sondern unter dem Gewicht einer sachlichen Notwendigkeit steht, in der Erkenntnis,
daß es hier um das Stehen und Fallen der Kirche geht.
Um die Aussage des zweiten und dritten Abschnitts zusammenzubinden, sei noch einmal gesagt: Wenn es mit
rechten Dingen zugeht, dann weist ein kirchliches Bekenntnis wohl in eine bestimmte Richtung, aber in eine, in
die nun gegangen werden muß. Es will sinnvollerweise in jenem praktisch-aktualen Bekennen des
Glaubens aufgegriffen sein. Mit Bonhoeffers Worten: Es nimmt uns den Kampf nicht ab, sondern weist uns nur
eben den Ort an, an dem er nun zu führen ist. "Bekenntnis ohne die ihm entsprechende praktische Haltung ist
selber schon Bestreitung des Bekenntnisses." "Das waren und das sind die großen Niederlagen der Kirche: wenn
sie ihr Bekenntnis zwar theoretisch, aber nicht praktisch in Ehren halten wollte, und wenn sie es dann naturgemäß
eines Tages auch theoretisch nicht mehr in Ehren halten konnte, wenn zuerst die lebendige Form zur Mumie und
dann die Mumie zum historischen Gerümpel und so eine Gabe Gottes zuschanden wurde." 33
Ähnlich hat sich schon zuvor K. Holl gegen eine Spaltung im theologischen Denken gewandt, wie sie durch die
Aufklärung aufgekommen sei: Auf der einen Seite wurde das Bekenntnis wie die Satzung eines Vereins
aufgefaßt, die dessen Funktionäre amtshalber zu vertreten haben; auf der anderen Seite war es ihnen freigestellt,
für sich als Privatmenschen zu denken und zu glauben, was sie wollten. "Außerhalb der Kirchentüren begann
sofort die Welt"34 - und hörte also das Bekenntnis auf. Entsprechend
meint auch E. Wolf: Das aktuale Bekennen bewahre das urkundliche Bekenntnis davor, "sich positivistisch als
ein System von Lehrsätzen absoluten Charakters zu begreifen (und) ohne Gegenwartsbezug zeitlos deklamiert zu
werden." 35
Es kommt also darauf an, diese beiden Elemente sinnvoll zusammenzubringen. Vielleicht hat Harnack hier den
Weg gewiesen und nicht nur einen faulen Kompromiß geschlossen, als er im Apostolikumsstreit zugleich für die
Autorität des Apostolikums eintrat und Kritik an Einzelsätzen übte. 42
K. Barth konnte ähnlich reden. 43 Aber wie haben wir uns diesen Weg
vorzustellen und zu begehen? Es ist wohl rechtens, daß wir frei mit allen kirchlichen Bekenntnissen umgehen
dürfen und sogar sollen. Und das heißt, daß wir sie nicht wiederholen können, ohne sie - und zwar nicht nur
intensiv, sondern auch "extensiv" - zu interpretieren. Das schließt auch dies ein, daß wir sie kritisch zu befragen
haben. Das aber heißt, daß "die Interpretation des Bekenntnisses zu Jesus Christus ... Gegenstand ständiger
Diskussion, ja auch des Streites ist und sein sein muß." 44 Dabei haben
wir die kirchlichen Bekenntnisse jedoch nicht bloß und zuerst mit der Frage zu prüfen, ob sie noch zeitgemäß
sind, sondern so, daß wir sie an dem Maß messen, an dem sie gemessen sein wollen. Wir haben sie also vor allem
zu befragen, ob sie uns das Verständnis der Heiligen Schrift und des in ihr bezeugten Evangeliums versperren
oder öffnen, ob sie ihr und dem Evangelium etwa Zwang oder Willkür auferlegen oder nicht.
Indem wir aber das fragen nicht als bloß vor uns hindenkende Menschen, sondern als solche, die sich im Raum
der Kirche befinden - der Kirche, die immer schon vor mir da war und da ist - , werden wir auch in all solchem
Fragen mit den kirchlichen Bekenntnissen zugleich im Respekt dafür umgehen, daß in ihnen die unserer
Einzelexistenz vorangehende Gemeinschaft der Kirche spricht. Wir werden darum mit ihnen umgehen mit dem
"Vor-urteil", daß jenes sachliche Maß, an dem wir sie letztlich messen, von ihnen selbst anerkannt, ja, selbst
bekannt sein möchte. Wir werden es dann aber nicht verhindern können und verhindern wollen dürfen, daß die
Bekenntnisse ihrerseits so frei sind, uns immer wieder gegenüberzutreten, um auch an uns Fragen zu
richten. Etwa die, ob wir vielleicht in der Kritik, die wir an ihnen üben, im Begriff sind, die Grenze zu
überschreiten, jenseits der auch noch so kontroverse theologische Diskussionen sinnlos werden, weil wir uns
dabei dahin stellen, wo nach ihrer Einsicht die Kirche aufhört, Kirche zu sein. Oder die, ob wir unsere Fragen an
sie richten, weil wir besser und anders als zuvor uns zu dem Gott bekennen wollen, zu dem sie sich bekannt
haben, oder weil wir, im Unterschied zu ihnen, bekenntnisschwach geworden sind. Oder die, ob wir da
widersprechen, weil wir bewußt oder unvermerkt der Meinung anhängen, die sie als kirchen-
verderblichen Irrtum verworfen haben. Ob wir daraufhin dann unsere Fragen revidieren oder erst recht
stellen, beides wird jedenfalls gleichermaßen eine höchst verantwortliche Sache sein.
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1 Vgl. Das zweite Helvetische Bekenntnis, hrsg. von W. Hildebrandt / R.
Zimmermann, Zürich 1966, S. 156ff.
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© Eberhard Busch 1992
Wenn es denn nur gelegentlich zu einem solchen kirchlichen Bekenntnis kommt, was ist der Anlaß, durch den es
dazu kommt? Es gibt die vor allem im Luthertum vertretene These, daß solche Bekenntnisse immer nur aus der
Notwendigkeit der Abgrenzung gegen einen die Kirche im ganzen bedrohenden Irrtum entstehen. 26 Selbst wenn das richtig wäre, so ist jedenfalls beachtlich, daß sich doch kein
Bekenntnis in einer bloßen antihäretischen Reaktion erschöpfen kann und erschöpft hat; in der Hauptsache ist es
auf die Formulierung einer positiven Erkenntnis konzentriert. Ja, die positive Erkenntnis dominiert hier in aller
Regel derart, daß in ihrem Zusammenhang die negative Abgrenzung eher nur als Anlaß denn als Grund für die
Bekenntnisaussage erscheint.
Doch ist darüber hinaus zu beachten, daß die altkirchliche Bekenntnis-Bildung offenbar aus den Bekenntnissen
der urchristlichen Gemeinde hervorgegangen ist, die im Neuen Testament mannigfach zitiert werden und die dort
in einer lebendigen Vielfalt gebildet worden. Dreierlei läßt sich immerhin über sie sagen: 1. Diese auch schon
bald schriftlich fixierten und tradierten Bekenntnisse hatten ihren Sitz im Leben in den gottesdienstlichen
Doxologien: sie sind liturgische Antwort der Gemeinde auf das verkündigte evangelische Wort. 2.
"Unbestreitbar" war durchweg "Jesus Christus die Mitte des Bekenntnisses"; und 3. negativ: "Irgendeine Abwehr
heidnischen oder jüdischen Glaubens ist nicht erkennbar; die Fassung ist voll verständlich als unmittelbarer
Ausdruck der Hauptpunkte des christlichen Glaubens." 27 Insofern läßt
sich sagen, daß diese Bekenntnisse nicht ursprünglich einen polemischen Charakter tragen, sondern positiver
Ausdruck des Geglaubten sind. Sie sagen, was die Christen zusammenführt und zusammenhält. Ihre
Verbindlichkeit besteht darin, daß sie in Antwort auf das gehörte Wort sagen, was sie verbindet.
Von da aus versteht sich auch, daß das kirchliche Bekenntnis von Anfang an eine besondere Nähe zur Taufe hat.
Bei der Taufe wurde der zur Gemeinde Hinzukommende gefragt, ob er in das Bekenntnis der Gemeinde
einzustimmen bereit ist. Noch das "Apostolikum" ist allem Anschein nach aus einem Taufbekenntnis
hervorgewachsen. Durch Hippolyt ist uns eine Frühform überliefert, in der die drei Artikel dieses Bekenntnisses
in Frageform gefaßt sind: "Glaubst du an Gott...? Glaubst du an Christus Jesus...? Glaubst du im Heiligen Geiste
die Kirche...?" 28 Auffällig ist dabei, daß die mittlere Frage, die nach
dem Glauben an Christus, die beiden anderen an Ausführlichkeit völlig überragt, was auch hier die inhaltlich
überragende Bedeutung des christologischen Artikels anzeigt. Wichtig zu sehen ist in diesem Zusammenhang,
daß die Formulierung des Bekenntnisses, jedenfalls des Apostolikums, nicht primär einem Abgrenzungsbedürfnis
entsprang. Offenbar provozierte das, woran in der Kirche geglaubt wurde, selbst sie dazu, in ein paar
zusammenfassenden Sätzen das zu formulieren, woran in ihr geglaubt wird und was die Kirche zur Kirche macht.
"Die einzelnen Aussagen waren unmittelbare Bezeugung des Glaubens, also nicht antihäretisch gedacht." 29 In diesem Sinn ist wohl auch Luthers Benennung des Apostolikums als
"Summa der Heiligen Schrift" zu verstehen. 30
Sekundär hat man allerdings zu sagen, daß die kirchlichen Bekenntnisse auch, implizit oder explizit, einen
abgrenzenden Charakter haben. Sie gehören wohl zunächst in den Gottesdienst der Gemeinde und sprechen hier
aus, worauf sich ihr gemeinsamer Glaube gründet. Sie bezeichnen aber auch so, stillschweigend oder
ausgesprochen, den kritischen Punkt, an dem nach kirchlicher Einsicht die Kirche aufhört, Kirche zu sein. Man
kann die Situation, in der nach dieser sekundären Seite das Bekenntnis seinen Ursprung hat, kurz so benennen:
Es ist die Situation einer drohenden oder schon eingerisssenen Willkür. Oder mit A. von Harnack: Es ist die
Situation, in der die Kirche zu "zerfließen" droht. 31 Die kirchliche
Entscheidung, die in einem urkundlichen Bekenntnis gefällt wird, hat auch den Sinn, die Situation einer solchen
Willkür zu beenden. Wenn es dabei mit rechten Dingen zugeht, geht es dabei nicht darum - oder sollte es nicht
darum gehen, jene schöne Mannigfaltigkeit aktualen Bekennens zu stoppen, aber darum, eine dabei eingeflossene
Störung zu beseitigen. Es dürfte auch nicht darum gehen, an sich eine kontroverse Diskussion, wie sie zum Leben
der Theologie und alles Erkennens in der Kirche gehört, damit abzubrechen, daß eine Uniformität des Denkens
herbeigeführt werden soll. Wenn es mit rechten Dingen zugeht, kann nur dann eine kirchliche Abgrenzung gegen
eine eingerissene Willkür stattfinden, wenn eine verantwortliche Gruppe es wagt, im Namen - nicht nur einer
theologischen Schule oder einer kirchlichen Richtung, sondern im Namen der Kirche zu sagen: Hier und hier
liege eine Willkür vor, die nicht bloß das Leben in der Kirche vor Fragen stellt, sondern die das Leben
der Kirche verwüstet.
Aber läßt sich das Verständnis des Bekenntnisses als "ein System von Lehrsätzen absoluten Charakters"
vermeiden? Wir haben Anlaß, uns des modernen Protests gegen dieses Verständnis zu erinnern. A. von Harnack
sprach davon, daß durch die Bekenntnisbildung zwar die Kirche "vor völligen Zerfließen bewahrt", daß aber
dadurch zugleich "der Schwerpunkt des Christentums verrückt... worden ist." 36 Gemeint ist: So sehr die kirchliche Abgrenzung gegen ein Zerfließen in Willkür
begreiflich, ja, irgendwie auch nötig und unvermeidlich ist, so bedeutet sie als solche ebenso unvermeidlich. daß
sie und also das kirchliche Bekenntnis sich mit einem Zwang verbindet. Und selbst wenn dieser Zwang - so ist
die Meinung - sich nicht, wie es in der Kirchengeschichte immerhin auch vorkam, mit obrigkeitlichen oder
oberkirchenrätlichen Vorschriften nahebringt, so bleibt immerhin noch der sozusagen theologische Zwang: in
Gestalt einer "lehrgesetzlichen" Auffassung. Das heißt, das kirchliche Bekenntnis ist hier als eine gesetzliche
Bedingung des Glaubens verstanden: man empfange das Heil allein durch die Erfüllung dieser kirchlich
vorgeschriebenen Bedingung - nicht mehr durch das Tun verdienstlicher Werke wie im 16. Jahrhundert, aber
durch das Tun dieses Werks, daß man von Anderen vorgelegte Sätze für richtig halten muß. Man hat
nun, um noch einmal A. Schweizer zu zitieren, nicht mehr wie die Vorfahren den Glauben zu bekennen, sondern
deren Bekenntnis mühevoll zu glauben.
Diese Kritik hat soviele gute Gründe für sich, daß sie nicht einfach beiseite geschoben werden darf. Um sich mit
ihr auseinanderzusetzen, seien hier zwei Gegenbegriffe zu den Begriffen "Willkür und Zwang" eingeführt: die
Begriffe Verbindlichkeit und Offenheit. Man wird den Begriff des kirchlichen Bekenntnisses -
nicht zwangsläufig mit dem des Zwangs verbinden müssen, aber damit, daß es einen Charakter von
Verbindlichkeit hat. Man denke an die unerhörte Entschiedenheit, in der Luther auf seine
Schmalkaldischen Artikel gepocht hat: "Dies sind sind die Artikel, darauf ich stehen muß und stehen will bis in
meinen Tod, ob Gott will, und weiß darin nichts zu ändern, noch nachzugeben." 37 Und speziell zum Rechtfertigungs-Artikel: "Auf diesem Artikel stehet alles, das
wir wider den Bapst, Teufel und Welt lehren und leben. Darum mussen wir des gar gewiß sein und nicht
zweifeln. Sonst ist's alles verlorn." 38 Das Faktum der kirchlichen
Bekenntnisse erinnert die Christen unübersehbar daran, daß die Wirklichkeit des Glaubens wohl auf einer Gabe
beruht, aber auf einer, die die Empfänger der Gabe für ihren Geber behaftet - mit einer Verbindlichkeit, die eben
im Bekenntnis ausgesprochen wird. Der Glaube kann nicht im Unverbindlichen leben. Daran erinnert das
Bekenntnis alle Kirchenglieder unzweideutig. Und das anerkennen sie ihrerseits in ihrem Respekt vor dem
kirchlichen Bekenntnis. Diese Verbindlichkeit aber ist in ihrem Kern eine geistliche und keine
juristische. Sie ist darum auch noch nicht beseitigt, wo die äußere, juristische Bindung aufgehoben ist. Sie ist
aber verdunkelt, wo sie etwa nur in einer juristischen Verpflichtung bestehen sollte.
Dazu kommt noch ein Weiteres: Die Verbindlichkeit, die das Bekenntnis geltend macht, kann und darf keine
absolute sein. Es kann sie - daher sein geistlicher Charakter - im Grunde nur für das in Anspruch nehmen, wovon
es Bekenntnis ablegt, aber nicht einfach für seinen Buchstaben. Immerhin fährt Luther nach den zitierten starken
Worten fort: "Will aber Jemand Etwas nachgeben, das thue er auf sein Gewissen." 39 Im Zusammenhang des Heidelberger Katechismus hat sein Hauptverfasser Ursin
erklärt: "Deshalb sind solche Formulare unterworfen dem Urteil und der Prüfung nicht allein von anderen
Kirchen, sondern auch von den Kirchen, welche die Formulare ausgegeben haben, zugleich von denen, welche in
derselben Kirche leben und lehren, um, wenn derselben einige Fehler gefunden werden sollte, ... Kenntnis davon
zu geben und zu prüfen, wenn etwas der Verbesserung bedürftig gefunden wird, daß es mit allgemeiner
Zustimmung und auf Befehl der Kirche ... verbessert und erklärt werde." 40
Rechtverstanden heißt das, daß die Verbindlichkeit eines kirchlichen Bekenntnisses es nicht ausschließt,
sondern einschließt, daß es sich uns mit der Empfehlung in die Hand gibt: "Prüft alles und das Gute behaltet!" (1.
Thess. 5, 21) Sie kann keine andere sein als die, daß sie nicht nur verhindert, sondern als solche auch gebietet:
die Offenheit des frei-verantwortlichen Umgangs mit dem Text.
Mehr noch: Wie das Bekenntnis erinnert an den verpflichtenden Charakter des Glaubens oder des in der Kirche
im Glauben Bekannten, so könnte diese Offenheit daran erinnern, daß das kirchliche Bekenntnis nicht das ist,
woran die Kirche glaubt als an das, was die Kirche und den Glauben begründet. Mit K. Holl: Es ist "nicht das
Bekenntnis, was die Kirche hervorbringt und zusammenhält, sondern vielmehr das Wort Gottes, das Evangelium
... Das Bekenntnis ist immer nur menschliches Machwerk, ein Versuch, das Evangelium auszudrücken, der darum
steter Nachprüfung und Nachbesserung bedarf." 41 Als - immerhin nicht
bloß ein individueller, geschweige privater, sondern kirchlicher - "Versuch, das Evangelium auszudrücken",
nimmt es in gewisser Weise wohl am Evangelium selbst teil. Eben darum ist aber seine Verbindlichkeit nicht die
einer Satzung, eines Lehrgesetzes, dem man sich unterwerfen hat, sondern die der bestimmten Einladung, das
Evangelium zu hören und von ihm und nach ihm zu leben.
Nach allem ließe sich nun sagen: Wo nur die Verbindlichkeit betont wird, da ist die Gefahr, daß das Bekenntnis
zum Zwang wird. Wo nur die Offenheit beim Umgang mit ihm betont wird, besteht die Gefahr der willkürlichen
Beliebigkeit im Verhältnis zu ihm. Und wo gegenüber dem Bekenntnis bloß die Angst vor einem gesetzlichen
Zwang herrscht, verliert man leicht das Gespür für die Verbindlichkeit, in der die Glieder der Kirche zum
gemeinsamen Glauben an Jesus Christus gerufen sind. Wiederum wo man in der Wertschätzung des
Bekenntnisses nur Angst vor Willkür hat, da verliert man leicht die Freiheit des offenen Umgangs mit ihm.
Es sollte bei dem allem klar sein: Daß solch ein Fragen und Befragtwerden im Umgang mit kirchlichen
Bekenntnistexten ein fruchtbarer Vorgang ist, das hängt davon ab, daß diese Texte uns mehr sind als ein
Stück historischer Reminiszenz. Das hängt davon ab, daß wir mit ihnen und sie mit uns leben. Konkret:
das hängt davon ab, daß sie im Gottesdienst der Gemeinde präsent sind und durchaus auch laut werden.
Sind sie hier abwesend, so werden alle Bemühungen, sie lebendig zu halten oder zu machen, umsonst sein. Und
sind sie hier nur so anwesend, daß uns dabei unbekannt ist, wozu sie sich bekannt haben, so kommt es
schwerlich zu jenem fruchtbaren Vorgang, in dem nicht nur wir sie, sondern sie uns befragen. Es liegt auch an
uns, daß ihre gottesdienstliche "Wieder-holung" nicht zum gedankenlosen Ritual und daß die kritische Reflektion
über sie nicht zum unbeteiligten Gedankenspiel wird. Es braucht beides, die gottesdienstliche Wiederholung und
die kritische Reflektion über sie. Und es braucht in beidem das lebendige Wissen von dem, worauf sie sich
beziehen. So wird weder ihr Verhältnis zu uns das eines Zwangs noch unser Verhältnis zu ihnen das der Willkür
sein. So werden wir mit ihrer Verbindlichkeit in der Freiheit eines Christenmenschen umgehen und in unserer
Freiheit mit ihnen in Achtung des auch für uns verbindlichen Evangeliums Jesu Christi.
2 Am 29./30.9.1913 wurde die Bindung an das Apostolikum förmlich aus
den "Satzungen" gestrichen, vgl. A. Zimmermann, Fünfzig Jahre Arbeit im Dienste des Evangeliums für das
reformierte Schweizervolk. Geschichte des Schweizerischen evangelisch-kirchlichen Vereins 1871-1921, Zürich
1921, S.31ff.
3 Vgl. z.B. Neu-verbesserte Predikanten-Ordnung Des sammtlichen
Ministerii Der Teutschen Landen Hoch-Loblicher Stadt Bern, Bern 1748, S. 121.
4 Nach RE 3. Aufl., Bd. 7, S. 652f.
5 J. Heiz, Zur 400jährigen Jubiläumsfeier der Berner Reformation, in: E.
Marti (hg.), Menschenrat und Gottestat. Geschichte der Berner Reformation, Bern 1927, S. 19. Vgl. R. Probst,
Der aargauische Protestantismus in der Restaurationszeit. Beiträge zum Verhältnis Staat - Kirche, Zürich 1968,
S. 110ff.
6 Nach H. Dörries, Das Bekenntnis in der Geschichte der Kirche, Göttingen
1946, S. 6f.
7 Art. Apostolikum, RGG 3. Aufl., Bd. 1, Sp. 514.
8 C. Nicolaisen, Der Weg nach Barmen. Die Entstehungsgeschichte der
Theologischen Erklärung von 1934, Neukirchen-Vluyn 1985, S. l4.
9 Das hat namentlich E. Wolf präzis herausgearbeitet. Eine knappe
Definition der beiden, sehr verschiedenen Bekenntnisbegriffe findet sich in seinem Art. Bekennende Kirche,
RGG 3.Aufl., Bd. 1, Sp. 985.
10 Vgl. z. B. die programmatische Erklärung von Reichsbischof Müller am
27. 9. 1933: "Die Bekenntnisse unserer Väter sind uns heiliges Erbgut, das wir behüten und schützen; wir
wollen... darüber wachen, daß die Bekenntnisse... unangetastet bleiben", zit, in: JK 1 (1933), S. 199.
11 Das Folgende nach dem Art. Agendenstreit, RGG 3. Aufl., Bd. 1 Sp,.
173f.; vgl. auch den Art. Apostolikum, aa0 Sp. 515f.
12 H.-J. Kraus, Reich Gottes: Reich der Freiheit. Grundriß Systematischer
Theologie, Neukirchen-Vluyn 1975, S. 245 nennt das Bekenntnis der christlichen Gemeinde "Du bist Christus!"
das Initium aller Christologie.
13 W. Krötke, Was und wie soll die Kirche heute bekennen?, in:
Aufbrechen - Umkehren - Bekennen. Das Erbe Karl Barths für Kirche und Gesellschaft. Protokoll einer Tagung
der Ev. Akademie Baden in Bad Herrenalb am 7. - 9. Febr. 1986, S. 75 und 79.
14 AaO S. 78.
15 D. Lange, Das sogenannte Schriftprinzip und die Identität der Kirche in
ihrer Geschichte, in: Theologie und Wirklichkeit. FS für W. Trillhaas, Göttingen 1974, S. 90.
16 K. Barth, Kirchliche Dogmatik III,4, S. 80 und 82.
17 W. Krötke, aaO S. 79.
18 Die Barmer Theologische Erklärung. Einführung und Dokumentation,
hrsg. von A. Burgsmüller / R. Weth, Neukirchen-Vluyn 1983, S. 33.
19 K. Barth, Theologische Fragen und Antworten. Ges. Vortr. Bd. 3,
Zollikon 1957, S. 262f.
20 M. Luther, WA 3, S. 378.
21 K. Barth, Kirchliche Dogmatik III/4, S. 84.
22 W. Krötke, aaO S. 77.
23 Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, 3. Aufl.,
Göttingen 1956, S. 31.
24 E. Wolf, Die Bindung an das Bekenntnis. Bemerkungen zu Wesen und
Funktion des formulierten Bekenntnisses, in: Wort und Welt, (Ost-)Berlin 1968, S. 323ff.
25 In diesem Sinn ist wohl die bekannte Definition D. Bonhoeffers zu
verstehen in seinem Aufsatz: Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft, in: ders., Ges. Schr. Bd. 2, München
1965, S. 227: "Das Bekenntnis... ist nicht Darstellung des Lehrganzen, sondern auf Grund des Lehrganzen
getroffene Entscheidung der Kirche, an einem bestimmten Ort den Kampf aufzunehmen."
26 Vgl. E. Wolf, aa0 S. 323. Wohl von daher ist das gewisse Kuriosum zu
verstehen, daß die VELKD nicht die Barmer Thesen in ihren Affirmationen, sondern (obwohl sie nach ihrem
Inhalt eher noch steiler sind) nur deren Verwerfungen übernommen hat.
27 A. Adam, Art. Apostolikum I, RGG 3. Aufl. Bd. 1, Sp. 511.
28 A. Adam, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. 1, Gütersloh 1965,
S.195.
29 A. Adam, Art. Apostolikum, Sp. 512.
30 G. Hoffmann, Art. Apostolikum II, RGG Bd. 1, Sp. 513.
31 A. von Harnack, Dogmengeschichte, 6. Aufl., Tübingen 1922, S. 86.
Nach Harnack hat die Kirche durch ihre insofern begreifliche Maßnahme, im Bekenntnis eine Glaubensregel
aufzustellen, freilich höchst problematische Folgen gezeitigt. Ob sie tatsächlich als problematisch zu beurteilen
sind, hängt wohl vor allem daran, ob der originale Sinn eines Bekenntnisses der eines dem Glauben auferlegten
Gesetzes ist, wie Harnack allerdings meint.
32 Ähnlich O. Weber, Grundlagen der Dogmatik, Bd. 1, Neukirchen-Vluyn
1955, S. 55.
33 K. Barth, Kirchliche Dogmatik I/2, S. 724.
34 K. Holl, Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. 3, Tübingen
1928, S. 370ff.
35 E. Wolf, Die Bindung an das Bekenntnis, aaO S. 328.
36 A. von Harnack, Dogmengeschichte, aaO S. 86.
37 Nach J. Köstlin, Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften, Bd. 2,
Elberfeld 1875, S. 384.
38 Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, aaO S. 416.
39 Vgl. Anm. 37.
40 Nach J. Rohls, Theologie reformierter Bekenntnisschriften, UTB 1453,
Göttingen 1987, S. 318.
41 K. Holl, Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. 3, Tübingen
1928, S. 331.
42 A. von Harnack, Das apostolische Glaubensbekenntnis, ein
geschichtlicher Bericht nebst einer Einleitung und einem Nachwort (1892), in: ders., Reden und Aufsätze. Bd. 1,
11906, S. 219-264, besonders S. 222f.
43 K. Barth, Kirchliche Dogmatik I/2, S. 729.
44 D. Lange, Ethik in evangelischer Perspektive. Grundlagen christlicher
Lebenspraxis, Göttingen 1992, S. 467.
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