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Veröffentlichungen 2009
Presseerklärung zur Weihnachtsgeschichte der Bibel
Am 8. Dezember 2007, dem Fest "Mariä Empfängnis", begann
das hundertfünfzigjährige Jubiläum der Marienerscheinungen in Lourdes.
Per Dekret hat Papst Benedikt XVI. verfügt, dass alle Gläubigen, die
während dieser Zeit in frommer Gesinnung nach Lourdes pilgern, für
sich oder für Seelen, die sich bereits im Fegefeuer befinden, einen
vollkommenen Ablass von Sündenstrafen erlangen können. Die
Pressestelle des Heiligen Stuhls rechnet in den kommenden zwölf
Monaten mit rund acht Millionen Pilgern.
Am 11. Februar 1858 hatte die damals vierzehnjährige Bernadette
Soubirous in der Lourdes-Grotte Massabielle eine "junge,
wunderschöne Dame, ganz vom Licht umflossen" gesehen. Sie war
"bestürzt", berichtete Bernadette später und glaubte anfangs
an eine "Täuschung". Der örtliche Bischof vernahm sie und
befahl ihr, die "wunderschöne Dame" nach ihrem Namen zu
fragen. Darauf stellte diese sich als "die unbefleckte
Empfängnis" vor. Zweifellos stärkte das die damals vier Jahre
alte päpstliche Definition des Dogmas, "dass die seligste
Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch die
einzigartige Gnade und Bevorzugung des allmächtigsten Gottes im
Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des
Menschengeschlechtes, von jeglichem Makel der Urschuld unversehrt
bewahrt wurde." Bernadette sagte später, die Dame sei ihr
erschienen, um die Worte des Papstes zur unbefleckten Empfängnis der
Maria zu bestätigen.
Neben dem Dogma von der unbefleckten Empfängnis sind für
Katholiken drei weitere Mariendogmen verbindlich: a) Maria ist Mutter
Gottes, b) sie blieb immer Jungfrau, c) sie wurde mit Leib und Seele
in den Himmel aufgenommen. Keine dieser Lehren findet sich im Neuen
Testament; nur die Aussage von der immerwährenden Jungfräulichkeit der
Maria hat hier einen Anknüpfungspunkt, denn das Matthäus- und das
Lukasevangelium berichten von der Jungfrauengeburt. Indes fehlt dort
eine Aussage darüber, dass Maria auch nach der Geburt Jesu Jungfrau
geblieben sei. Und die zahlreichen Verweise auf Brüdern und Schwestern
Jesu im Neuen Testament sprechen gegen diese These.
Das römisch-katholische Lehramt fasst die vier Aussagen des
Mariendogmas im wörtlichen Sinn auf. Die gerade veröffentlichte
Enzyklika von Benedikt XVI. Spe Salvi ("Auf Hoffnung hin
gerettet"), die am Schluss unter der Überschrift "Maria,
Stern der Hoffnung" die Gottesmutter anruft, liegt auf der
gleichen Linie. Der Intellektuelle auf dem Heiligen Stuhl, Joseph
Ratzinger, der zwischen Glauben und Vernunft keine Gegensätze sieht,
versteht alles wörtlich, was das Neue Testament über Maria und die
Geburt Jesu aus einer Jungfrau erzählt.
Die historisch-kritische Analyse der Texte, die die Geburt Jesu
betreffen, wird demgegenüber auf Folgendes verweisen:
Erstens. Die ältesten Dokumente des Neuen Testaments, die Briefe
des Apostels Paulus, und das älteste Evangelium (Markus) wissen nichts
von einer Jungfrauengeburt.
Zweitens. Die Weihnachtsgeschichten enthalten überwiegend fiktive
Elemente, die mit dem wirklichen Hergang nichts zu tun haben. So gab
es weder eine reichsweite Volkszählung unter Kaiser Augustus noch
einen Kindermord in Bethlehem. Die Engel entstammen primitiver
Mythologie, und die Hirten auf dem Felde ebenso wie die Magier aus dem
Morgenland sind Idealpersonen. Die Erzählung über den Stern von
Bethlehem ist eine Fiktion. Überdies wurde Jesus nicht in Bethlehem,
sondern in Nazareth geboren.
Drittens. Jesus hatte einen menschlichen Vater. Die
Jungfrauengeburt ist demgegenüber eine Deutung: Sie betont die
Göttlichkeit der Person Jesu, indem sie ihn auf dieselbe Stufe wie
andere Gottessöhne der Antike stellt, die angeblich ebenfalls von
jungfräulichen Müttern geboren wurden. Der Evangelist Matthäus findet
einen Beleg dafür, dass Jesus von einer Jungfrau geboren worden sei,
in der griechischen Übersetzung des Buches Jesaja, wo es in Kapitel 7,
Vers 14 heißt: "Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und
einen Sohn gebären." Doch hatte Jesaja dabei ein noch zu seiner
Zeit (8. Jahrhundert v.Chr.) eintretendes Ereignis im Blick. Außerdem
steht im hebräischen Original "junge Frau" und nicht
"Jungfrau".
Die historisch-kritische Arbeit zur Jungfrauengeburt und zur
Weihnachtsgeschichte zerstört daher nicht nur den biblischen
Anknüpfungspunkt der kirchlichen Dogmen zu Maria, sondern auch die
Dogmen selbst. Denn wenn Jesus gar nicht von einer Jungfrau geboren
wurde, fällt auch die gesamte römisch-katholische Mariologie
einschließlich der unbefleckten Empfängnis wie ein Kartenhaus zusammen
und erweist sich als Spuk. Dies alles provoziert die Frage, wie ein
Gelehrter vom Rang Joseph Ratzingers die Mariendogmatik und
Wallfahrten nach Lourdes mit seinem intellektuellen Gewissen
vereinbaren kann. Sein Gebrauch der Bibel ist auch in Sachen
Jungfrauengeburt nur noch peinlich und hat mit historisch-kritischer
Vernunft nichts zu tun. Die junge jüdische Mutter Maria hätte nicht
schlecht darüber gestaunt zu hören, was die christlichen Kirchen ihr
und ihrem Sohn später andichten würden.