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Veröffentlichungen 2000
Der Fall Lüdemann
MIZ 2/2000
Nicht nur die katholische Kirche hat Schwierigkeiten im Umgang mit
Kritik und Kritikern. Wie unverträglich die Prinzipien
"Offenheit" und "Offenbarung" sind, bewies
unlängst auch die Konföderation evangelischer Kirchen in
Niedersachsen, die mit allen erdenklichen Mitteln versuchte, den
prominenten Jesusforscher Prof. Dr. Gerd Lüdemann schachmatt zu
setzen. Der Anlass ist wohlbekannt: Gerd Lüdemann, Professor für Neues
Testament an der theologischen Fakultät der Universität Göttingen,
hatte das Rückgrat, aus seinen Forschungsergebnissen intellektuell
redliche Konsequenzen zu ziehen und sich öffentlich (nämlich im Rahmen
seines Buches "Der große Betrug") vom christlichen
Offenbarungsglauben zu verabschieden.
Vielleicht hätten die evangelischen Landeskirchen diesen mutigen
Schritt
noch ohne größere Probleme verkraftet (seit dem Austritt von
Hubertus Mynarek haben sich die beiden Großkirchen ein wenig an die
Austrittswilligkeit ihrer besten Gelehrten gewöhnt.). Auch wäre die
gesamte Prozedur in durchaus "geordneten Bahnen" verlaufen,
wenn - ja wenn! - Lüdemann nun auch formell aus der Kirche ausgetreten
wäre. (Lüdemann hätte wie zuvor beispielsweise Horst Herrmann eine
Professur außerhalb der theologischen Fakultät erhalten, die Kirche
hätte Lüdemanns Stelle mit einem unkritischeren Geist besetzen
können.) Doch Lüdemann machte den Kirchenstrategen einen gehörigen
Strich durch die Rechnung: Er weigerte sich, nach seinem klaren
symbolischen Bruch mit dem Christentum auch formell die
Kirchenmitgliedschaft aufzukündigen. Das erklärtermaßen ungläubige
Kirchenmitglied Lüdemann konnte somit darauf bestehen, seinen
theologischen Lehrstuhl weiterhin zu behalten, eine geradezu
"bodenlos-geniale Frechheit", die sicherlich so manchen
Kirchenoberen zur Weißglut brachte.
In seinem Buch "Im Würgegriff der Kirche" hat Lüdemann
seinen provokativen Schritt umfassend begründet. Er denke auch
weiterhin nicht daran, der freundlich-nachdrücklichen Aufforderung des
niedersächsischen Wissenschaftsministeriums nachzukommen, in ein
"wesensverwandtes Fach" zu wechseln. Schließlich - so
Lüdemann - könne es für die Studierenden kaum von Schaden sein,
"wenn ein Nicht-mehr-Christ mit mehr als zwanzig Christen
zusammen unterrichtet und forscht: Stimmt der Inhalt des christlichen
Glaubens, so können meine in der Überzahl befindlichen Kollegen meinen
Irrtum ja zurechtrücken. Stimmt er aber nicht, ist es für die
Studierenden nur von
Vorteil, rechtzeitig eine Neuorientierung vornehmen zu
können."
Lüdemann hat seither immer wieder die Unterschiede von
wissenschaftlicher Offenheit und religiösem Offenbarungsglauben
herausgearbeitet. Sein Fazit: "Solange Theologie an der
Universität bleibt, hat sie gefälligst zu forschen und zu informieren,
nicht zu offenbaren und zu predigen, zur Mündigkeit in Sachen Religion
zu erziehen und nicht zur
Hörigkeit gegenüber einem alten Aberglauben zu verleiten, so
modern der sich auch geben mag."
An die Stelle der klerikal bevormundeten theologischen Fakultäten
sollten Lüdemann zufolge unabhängig forschende
religionswissenschaftliche Institute treten. Ihre Aufgabe wäre es, den
vielfältigen Glaubensüberzeugungen der Menschen mit der gleichen
kritisch-wissenschaftlichen Unvoreingenommenheit zu begegnen. Dabei -
so Lüdemann in deutlicher Ablehnung konfessionellen Denkens - müsse
klar sein, dass es "nur eine Wissenschaft geben kann, die sich
mit Religionen der Vergangenheit und Gegenwart beschäftigt. Alle
Versuche, an dieser Stelle die streng wissenschaftliche Forschung
[...] zu ëpluralisierenë, setzen sich dem Verdacht aus, es mit der
wissenschaftlichen Aufgabe nicht ernst zu meinen."
MIZ: Herr Professor Lüdemann, werden wir es noch erleben, dass
eine unabhängige Religionswissenschaft die klerikal bevormundete
Theologie an den Universitäten ablöst?
Lüdemann: Sie werden staunen. Ich halte das durchaus innerhalb
sehr kurzer Zeit für möglich, sobald in Politik und mündiger
Öffentlichkeit der Bankrott der gegenwärtig betriebenen sogenannten
wissenschaftlichen Theologie deutlich wird.
MIZ: Als Sie in ihrem Buch "Der große Betrug" endgültig
Abschied vom Christentum nahmen (dieser Bruch kündigt sich ja bereits
in den vorangegangenen Büchern an), haben Sie zu diesem Zeitpunkt die
heftigen Gegenreaktionen von Seiten der Kirchen abschätzen können oder
dachten Sie, dass diese Diskussionen im evangelischen Spektrum etwas
entspannter verlaufen würden?
Lüdemann: Ich war so naiv zu glauben, dass der liberale
Protestantismus meine Steilvorlage aufnehmen würde und auf diese Weise
eine seinen Interessen gemäße unabhängige theologische Fakultät
fordern würde.
MIZ: Die "Internationale Rundschau" der MIZ musste
bereits einige Male über Repressalien Ihrer Person gegenüber berichten
(Aberkennung der Prüfungsberechtigung, Mittelkürzungen). Wie sieht im
Moment Ihre Arbeitssituation aus? Ist das Verhältnis zu Ihren Kollegen
angespannt?
Lüdemann: Die Arbeitssituation ist miserabel, weil meine engsten
Mitarbeiter/innen plötzlich vor dem beruflichen Nichts stehen und die
mir schriftlich "dauerhaft" zugesicherte C1-Stelle entzogen
wurde. Meine eigenen finanziellen Mittel sind angespannt, weil ich
vorübergehend meine Mitarbeiter/innen aus eigner Tasche bezahlen muss
und Geld für einen sehr guten Anwalt aufbringe. Zu meinen Kollegen
fällt mir nichts ein.
MIZ: Seit einiger Zeit nimmt der Internationale Bund der
Konfessionslosen und AtheistInnen (IBKA) nicht nur Konfessionslose,
sondern auch "Zwangskonfessionalisierte" in seine Reihen
auf. Als "zwangskonfessionalisiert" bezeichnen wir Menschen,
die aus ökonomischen/sozialen Gründen zur Mitgliedschaft in einer
Religionsgemeinschaft (in unseren Breitengraden: vorwiegend den
Kirchen) gezwungen sind (ein Beispiel hierfür wären PädagogInnen im
süddeutschen Raum). Würden Sie sich selbst in gewisser Weise als
"zwangskonfessionalisiert" bezeichnen? Wie groß schätzen Sie
die Gruppe derer ein, die in Deutschland zur Kirchenmitgliedschaft
verdammt sind?
Lüdemann: Ich habe keine Ahnung, was Zahlen angeht. Ich bin wohl
auch nicht "zwangskonfessionalisiert", sondern nehme die mir
im Grundgesetz zugesicherte Wissenschaftsfreiheit in Anspruch und bin
zu dem Ergebnis gekommen, dass der christliche Glaube, wie er der
kirchlichen Lehre und ihrem Bekenntnis zugrundeliegt, und
Wissenschaft, wie sie seit dem Aufkommen der Neuzeit üblich ist, sich
ausschließen.
MIZ: Religionskritiker machen häufig die Erfahrung, dass die
offiziellen
Verteidiger des christlichen Glaubens öffentliche Streitgespräche
scheuen "wie der Teufel das Weihwasser"? Mussten auch Sie
diese Erfahrung machen oder hatten Sie die Möglichkeit, Ihren
"Gegnern" im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen
entgegenzutreten?
Lüdemann: Ich bin vom Hannoverschen Bischof Hirschler beschimpft
worden Er sagte öffentlich über mich: "Dieser Mann will
geschlagen werden" und hielt mir wissenschaftliche Inkompetenz
vor. Doch verweigerte er ebenso wie andere ein Streitgespräch.
Allerdings gab es mit Rolf Wischnath, einem der
Generalsuperintendenten der Kirche Berlin-Brandenburg, eine
Disputation, die auch gedruckt vorliegt. Doch ist das eher eine
Ausnahme. Ich mußte z.B. erleben, wie ich auf Drängen der Kirche aus
Fernseh- und Rundfunksendungen wieder ausgeladen wurde.
MIZ: Herr Lüdemann, mit Ihrem letzten Buch "Jesus nach 2000
Jahren" haben Sie Bilanz gezogen über zweihundertfünfzig Jahre
kritische Jesusforschung. Haben Sie damit auch persönlich eine Art
Schlussstrich gezogen? Werden Sie sich in Zukunft verstärkt auch
anderen Themen (z.B. der Frage des Religionsunterrichts an
öffentlichen Schulen) zuwenden?
Lüdemann: Ja, unbedingt, wenn ich eine berufliche Möglichkeit dazu
habe.
Aber ich erlebe zur Zeit, daß Religionslehrer/innen sich scheuen,
beim Ministerium gegen den Entzug meiner Prüfungserlaubnis für
künftige Gymnasiallehrer/innen zu protestieren, offenbar, weil sie
Angst vor Sanktionen der jeweiligen Kirchenleitung haben. Ich muß erst
wieder einige Rechte zurückbekommen (etwa auch das Recht,
prüfungsrelevante Scheine für die bei mir absolvierten
Lehrveranstaltungen ausstellen zu dürfen), um hier tätig werden zu
können.
MIZ: Sie werden sicherlich die Mea-Culpa-Kampagne der katholischen
Kirche kritisch verfolgt haben. Was halten Sie von dem sorgfältig
inszenierten Sühnefeldzug des Papstes? Gibt es im Rahmen der
evangelischen Kirchen ähnliche (oder gar seriösere?) Versuche, die
eigene Vergangenheit aufzuarbeiten?
Lüdemann: Die Kampagne des Papstes und die durchweg positive
Reaktion darauf, hat mich daran erinnert, wer nach wie vor das Haupt
der
gesamten Christenheit ist. Im evangelischen Bereich werden oft
gute Gespräche mit jüdischen Gruppen geführt. Aber das sind dann
relativ orthodoxe Gruppen und es geht dann beiden Seiten um die
Bewahrung des eigenen Glaubens. Ich wünschte mir eher die Errichtung
von Lehrstühlen zur Erforschung des Antisemitismus und des
christlich-jüdischen Verhältnisses als Beitrag zur Aufklärung. Aber
das kostet Geld.
MIZ: Wird das Christentum - der "große Betrug" - Ihrer
Meinung nach auch
noch in den nächsten Jahrhunderten den Gang der Geschichte
mitbestimmen? Oder werden wir vielleicht doch noch das "Ende
einer Illusion" erleben dürfen?
Lüdemann: Ich bin kein Wahrsager. Aber die Chancen der Kirchen,
besonders der sehr traditionswußten Kirchen stehen sehr gut, und das
weiß man dort auch. Deswegen war es auch relativ leicht, mich - ohne
großen Lärm und mit dem Recht in der eigenen Tasche - auszubooten.
Aber die Stimme der Vernunft ist bekanntlich leise. Beim
Irrationalismus
wird es nicht bleiben. Was einmal widerlegt ist, wird sich ohne
neue Argumente niemals auf Dauer durchsetzen können.
MIZ: Herr Professor Lüdemann, wir danken für das Gespräch.