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Die gröbste Fälschung des Neuen Testaments
in: Südwestpresse Ulm, 19. 2. 2011
Gerd Lüdemanns neues Buch über die Fälschungen in der Bibel
Auch nach dem Verlust seines Lehrstuhls forscht der von der protestantischen Kirche gemaßregelte Gerd Lüdemann unverdrossen weiter
Mit einer Studie über die "Auferstehung Jesu" hatte der
Göttinger Neutestamentler Gerd Lüdemann 1994 Schlagzeilen gemacht, in
welcher er die von Fachkollegen stillschweigend geteilte Überzeugung
aussprach, Jesus sei lediglich in der Phantasie seiner Jünger
auferstanden. Auch in seinem neuen Buch sucht er unabhängig vom
kirchlichen Dogma die Anfänge der christlichen Religion zu beleuchten,
indem er sich der biblischen Pseudepigraphie (Falschzuschreibung)
zuwendet.
In der "Heiligen Schrift" ist etliches gefälscht, wie
die Kirche selbst zugibt. Nur sieben der 27 Schriften des Neuen
Testaments sind laut theologischer Forschung echt, drei vielleicht.
Die übrigen stammen zumeist aus der Feder kirchlicher Leitungspersonen
aus späterer Zeit, die sich als namhafte Apostel früherer Tage
ausweisen, um mit "autorisierter" Stimme kirchenpolitische
Weichenstellungen vorzunehmen.
Lüdemann schreibt, dass auch in der Antike ein "klares
Bewusstsein für geistiges Eigentum" bestanden habe und
Pseudepigraphie wie Plagiat keineswegs akzeptabel wurden. Als
"gröbste Fälschung" des Neuen Testaments benennt Lüdemann
den um 100 entstandenen 2. Thessalonicherbrief. Der Verfasser, der
sich als Paulus ausgibt, suchte damit den 1. Brief an die Gemeinde in
Thessalonich (um das Jahr 50) zu ersetzen, der tatsächlich vom Apostel
Paulus stammt. Der Unbekannte diffamierte das Schreiben als Fälschung.
Der echte Paulus glaubte fest daran, dass noch zu seinen Lebzeiten
das Reich Gottes anbrechen und Jesus Christus als Richter der Menschen
wiederkommen werde: "Wir, die Lebenden, werden [É] entrückt
werden in den Wolken dem Herrn entgegen" (1. Thess. 4,17). Doch
es kam bekanntlich anders. Der berühmte "Heidenapostel"
starb; seine Erwartung hatte sich als mythische Illusion erwiesen.
So verlor auch die christliche Glaubensbewegung an Schwung. Es
musste ein anderes Bild der Zukunft an die Stelle der Naherwartung
treten: Das Weltende wurde in eine unbestimmte , ferne Zukunft
verschoben. Mit diesem "Zurechtrücken" der Gegebenheit war
auch der Weg zur Amtskirche vorgezeichnet, die sich in der Welt mehr
und mehr einrichtete.
Bis heute suchen kirchentreue Theologen derartige Fälschungen zu
rechtfertigen, wenn sie diese etwa als "gelungenen Versuch der
Bewältigung zentraler Probleme der dritten urchristlichen
Generation" bezeichnen. Es sei sogar die "Lüge"
gerechtfertigt, um den wahren Glauben zu schützen. Derartige Ansichten
nennt Lüdemann "geistliche Schönfärberei". Und so schließt
er seine zuverlässige Studie mit dem ernüchternden Urteil:
Pseudepigraphischen Autoren "übten sich in der Kunst heiligen
Lügens". Dieser Betrug geschah "in höherer Absicht: Gott
durch ihre Lügen zu dienen".
Gerd Lüdemann, Die gröbste Fälschung des Neuen Testaments. Der
Zweite Thessalonicherbrief. Zu Klampen Verlag 2010, 96 Seiten, 12,80
Euro.