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Veröffentlichungen 2003
Es ist sehr begrüßenswert, dass die christlichen Kirchen in
regelmäßigen Abständen in Erinnerung bringen, dass die Bibel nicht nur
ihr Basisdokument ist, sondern auch eine wichtige Grundlage unserer
ganzen westlichen Kultur. Darin haben sie eine große Verantwortung,
denn unser Staat hat ihnen quasi einen Alleinvertretungsanspruch in
Sachen Bibel zuerkannt. So liegen in Deutschland der
Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten in kirchlicher
Hand, werden aber vom Staat bezahlt.
Umso bedauerlicher ist, dass die Kirchen dieser Verantwortung in
der Gestaltung des Jahres der Bibel 2003 nur teilweise gerecht werden.
Ihr Jahr der Bibel gerät unter der Hand zu einer reinen Werbekampagne
für den Konzern Kirche, die jegliche Kritik am Inhalt der Bibel außen
vor lässt. So gedenken die Veranstalter an keiner Stelle ihres
aufwendigen Programms der dunklen Seiten der Bibel, angefangen vom
Völkermord an den Kanaanäern im Alten Testament bis hin zur
Feindschaft gegen nicht christusgläubige Juden im Neuen Testament, von
der Nicht-Behandlung der unheilvollen Wirkungsgeschichte dieser Texte
in der Kirchengeschichte ganz zu schweigen. Auch gibt es keine
Veranstaltung zum 27. Januar, ein Tag, der sich als Gelegenheit zum
Nachdenken über christlichen Antisemitismus im Fahrwasser des Neuen
Testaments angeboten hätte.
Die Bibel bleibt trotz allem ein Grunddokument unserer Kultur und
wird in ihr – mit oder ohne Kirchen – immer einen
zentralen Platz behalten. Sie enthält viele helle Seiten. Wer aber
ihre dunklen Partien verschweigt wie die Veranstalter des Jahres der
Bibel 2003, kann über ihre lichten Seiten nicht glaubwürdig reden.
Göttingen, den 14. Januar, 2003
Prof. Dr. Gerd Lüdemann.