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Veröffentlichungen 1995
'Ketzer' Lüdemann
Moderne Theologie im Streit mit der Tradition
Gerd Lüdemann, Jahrgang 1946, ist an der Universität Göttingen
Professor der Theologie auf dem Gebiet Neues Testament. 1994
veröffentlichte er sein siebtes Buch "Die Auferstehung
Jesu". Dort vertritt er die These, Jesus sei nie leiblich
auferstanden. Dies ist theologisch im Prinzip nichts Neues, sorgte
aber bei Kirchen und Theologen für Aufregung wie schon lange nicht
mehr. Empörte Verrisse bereits nach der ersten Pressemitteilung
eröffneten einen Kanon der Ablehnung, auch der Verlag trennte sich
nach der ersten Auflage von Lüdemann. Also neuer Verlag (Radius),
zweite Auflage und noch eine zweite, laiengerechtere Ausgabe für Leser
außerhalb der Fachwelt. Nun erscheint ein neues Buch von Lüdemann, und
das Problem wird wieder aufgenommen: Moderne Theologie im Widerspruch
zu traditionellen Lehren. Oder anders gesagt: Wie kann man heute noch
Christ sein, was für eine Rolle spielt heute noch die Bibel, die auf
Rang Eins der ewigen Bestsellerliste steht? Lüdemann wehrt sich gegen
Formelhaftigkeiten und überkommene Überlieferungen. Er bezieht
deutlich Stellung in einer Zeit, in der die Kirchenmitgliedschaften
abnehmen - vielleicht ja auch deshalb, weil man dort, so scheints,
starr auf jahrhundertealten Positionen verharren will, anstatt sich
den Fragen und Herausforderungen des 20. Jahrhunderts zu stellen. Im
festgefügten Bild der Theologie erscheint Lüdemann als Querdenker.
Egal, wie weit man ihm letztlich zustimmen mag; es ist sicher
lohnenswert, die gedankliche Auseinandersetzung unvoreingenommen
aufzunehmen und die eigene Position zu prüfen. Denn nichts ist
gefährücher als geistiger Stillstand. Darum sprach SUBWAY mit dem
Theologen, der zeigt, das Christentum und Moderne sich nicht
ausschließen:
SUBWAY: Es haben ja schon vor Ihnen Theologen behauptet, Jesus sei
nicht leiblich auferstanden. Warum dann dieser Sturm der Empörung nach
Ihrer Veröffentlichung?
"Wenn man dies sagt, so setzt man eines voraus; daß Jesu
Leichnam nämlich verwest und verrottet ist. Keiner hat bisher gewagt,
das so brutal auszusprechen. Es geht einfach darum, daß die meisten
Theologen nicht mehr wagen, eine Tabuzone anzurühren und darüber zu
sprechen - selbst, wenn sie dies voraussetzen."
Am Ende des Auferstehungs-Buches steht dennoch das Bekenntnis vum
christlichen Glauben. Wie ist das möglich, da doch die Auferstehung
traditionell als Kernstück dieses Glaubens angesehen wird?
"Sie sagen traditionell, aber jede Zeit hat ihre eigenen
Antworten zu finden, was denn das Kernstück ist. Da müßte man sonst
wie in der orthodoxen Kirche alte Formulierungen verehren und für
richtig halten, und dann sind wir nicht mehr weit vom
Fundamentalismus."
Da regt sich bestimmt viel Widerspruch. Denn inwieweit kann dann
noch die Bibel als Wort Gottes gelten?
"Darum geht es in meinem neuen Buch 'Ketzer'. Erst einmal
gilt das, was wir wissen: Nämlich, daß es die Bibel bis Mitte des 2.
Jahrhunderts gar nicht gegeben hat. Es gab mehrere christliche
Generationen, die ohne Neues Testament ausgekommen sind und nur
einzelne Schriften hatten. Das hat Konsequenzen. Ich sage also: 'Es
ist Menschenwort'. Das muß man erstmal erkennen. Die meisten
gebildeten Deutschen sind, was das Urchristentum angeht, Analphabeten.
Da haben sowohl Kirche als auch Schule versagt. Nur wegen dieser
Unwissenheit ist es möglich, daß Leute sich darüber so aufregen. Ich
nehme eine Diskussion auf und habe in sehr klarer Sprache geschrieben,
um den heutigen interessierten Zeitgenossen diesen Schleier zu
lüften."
Rechnen Sie mit ähnlichen Reaktionen wie bei der
Auferstehungs-Thematik?
"Einerseits rühre ich die 'Heilige Schrift' an, und da in
diesem Bereich viel Unkenntnis herrscht, wird sicherlich Widerspruch
kommen. Nur muß man auch damit rechnen, daß die sagen 'Der spinnt
sowieso' und sich gar nicht damit auseinandersetzen. Das muß man
abwarten."
Was ist denn die Bibel heute noch für den Laien?
"Man muß das Neue Testament sehen als menschliche Antwort auf
Jesus. Geschrieben von Menschen, die nach dem Tode Jesu dann in
verschiedenen Situationen auf sein Kommen geantwortet haben, ihn
persönlich aber nie zu Gesicht bekommen haben. Die Vorstellung von der
Bibel als einer 'heiligen' Schrift gehört der Vergangenheit an, und
behindert auch das Verstehen der Bibel. Denn dann gehe ich da mit
Tabus ran, stelle gar nicht alle Fragen, ordne mich unter - und das
ist genau die falsche Art, es zu machen."
Stichwort Drewermann - Wie sehen Sie die Rolle der Psychoanalyse
bei der Exegese, d.h. Auslegung der Bibel?
Psychoanalyse ist aus der Alltagswelt nicht mehr wegzudenken. Und
die Reaktion auf Drewermanns psychoanalytische Textinterpretationen
hat ja gezeigt, daß weite Teile der Kirche darauf nicht vorbereitet
waren und sehr kritisch reagierten, während andere, normale Christen
das mit großem Interesse aufgenommen haben. Es hat sich damals um
Menschen gehandelt, und heute hilft die Psychoanalyse, Menschen besser
zu verstehen."
Wie sehen Sie die Überlebenschancen der Kirche?
"Seitdem ich denken kann, ist die Kirche im Kreuzfeuer der
Kritik. Aber eines ist schwieriger geworden: Die Leute lassen sich
nicht mehr so viel sagen, sind selbstbewußter geworden. Aber das kann
Kirche und Theologie ja nur helfen. Oder sehen Sie auch, was im Rahmen
der Frauenbefreiung und Emanzipation, in der Frage der Homosexuellen,
geschehen ist - hat das der Kirche etwa geschadet? Das hat zu
Turbulenzen geführt. Aber das ist keine Krise. Das zeigt, daß das
menschliche Leben bewegt ist, und solange es nicht ruhig bleibt, kann
es für die Kirche letztlich nur gut sein. Ich bin kein
Kirchenkritiker. Ich suche nach der Wahrheit und versuche zu erklären.
Aber ich schiele nicht darauf, was für die Kirche dabei
rauskommt."
MATTHIAS SCHRÖDER (Subway 10/1995)