Gerd Lüdemann's Homepage
Bibliography of all scientific publications
(= 3. Auflage von: Das Unheilige in der Heiligen Schrift. Die
andere Seite der Bibel, Stuttgart 1996)
(136 Seiten)
Lüneburg 2004
Werner Raupp: Gerd Lüdemann: Das Unheilige in der Heiligen Schrift.
Die dunkle Seite der Bibel. Stuttgart: Radius-Verlag, 1996, 120
S., 14,- Euro
Noch immer wird die Bibel als Wort Gottes beansprucht, als alle
Menschen angehende "gute Nachricht von der Barmherzigkeit
Gottes" (Vorrede zur Lutherbibel, 1984, S.5). Wie aber steht es
mit den Passagen der Bibel, die gerade nicht von solcher
Barmherzigkeit reden, sondern gerade im Gegenteil andersgläubige
Menschen verteufeln und gar Gottes Befehl erteilen, ganze Völker
auszurotten? Dieser seit den Zeiten der Aufklärung virulenten, von der
Theologie allerdings stets aufs neue verdrängten Frage geht der
Göttinger Bibelwissenschaftler Gerd Lüdemann (50) in dieser
Monographie nach, die auch bereits ins Englische übersetzt wurde.
Über die Theologenschaft hinaus ist Lüdemann mittlerweile kein
Unbekannter mehr. 1994 hatte er mit einer profunden Studie über die
"Auferstehung Jesu" Schlagzeilen gemacht, in der er die von
nicht wenigen seiner Fachkollegen stillschweigend geteilte Überzeugung
aussprach, daß Jesus "im Grab verwest" sei. Sein lautes
Denken versetzte jene in Aufregung, die evangelisch-lutherische
Landeskirche Hannover ahndete es - man glaubt sich gar ins Mittelalter
versetzt - mit dem Entzug der Prüfungsberechtigung.
In obigem Werk nimmt er nunmehr die Bibel beim Wort und mißt sie
an ihrem kirchlichen Anspruch, göttlichen Ursprungs zu sein. Dazu
wendet er sich ihren von Kirche und Theologie weithin verdrängten
"dunklen Seiten" zu, die von Betrug, Mord und Totschlag
reden (Kap. 1). Dabei stellt sich bald heraus, daß selbige nicht nur
reichlich sind: sondern daß sie mit zentralen theologischen Motiven
eng verbunden sind. Frappant wird dies vor allem freilich in den
alttestamentlichen Texten, die von "Heiligem Krieg" und
seinem kultischen "Bann" reden (Kap. 2). Darin stellt sich
der israelitische Gott Jahwe - in schöner Kontinuität doch auch der
Gott der christlichen Jahrhunderte - als barbarischer
"Kriegsheld" vor, der um der "Erwählung" seines
Volkes willen dutzende Male den Genozid befiehlt: "Mann und Frau,
Kinder und Säuglinge, Schafe und Rinder zu vertilgen". Im Neuen
Testament findet sodann die "Erwäh-lung" in schroffen
antijudaistischen Aussagen ihre Fortsetzung: Die Christen sind nunmehr
das "auserwählte Gottesvolk", die Juden dafür die
"verworfenen" Gottlosen, die "Kinder des Teufels"
(Kap. 3). - Geschichte ernüchert. So schauderhaft derlei
archaisch-inhumane Vorstellungen, die ja bekanntlich verheerende
Nachahmungen in Kirchen- und Weltgeschichte zeitigten - so
haarsträubend die exegetischen Versuche seitens der wissenschaftlichen
Theologie. Wenngleich mit historisch-kritischem Anspruch auftretend
und seit über 200 Jahren um die allzu kontingente Entstehung der Bibel
wissend, kann sie etwa den Heiligen Krieg zur
"Heilsgeschichte" verklären, in der sich der "göttliche
Gnaden- und Heilswille" offenbaren soll. Aber wie soll sie auch
anders? Denn noch so kritische Exegese von Texten, die apodiktisch als
Wort Gottes gelten sollen, kann freilich nur dies beabsichtigen, daß
sie mittels wissenschaftlichen Instrumentariums alle Peinlichkeiten zu
retuschieren versucht, um jedweden Zweifel an der Autorität der
Heiligen Schrift zu verscheuchen.
So schlagend Lüdemanns Befund - so schlagend auch seine
programmatischen Forderungen (Kap. 5), die in der Loslösung der
Theologie von der Kirche gipfeln. Sodann gelte es endlich, die zu
Zeiten der Aufklärung begonnene Verabschiedung von der Vorstellung der
Bibel als Gottes Wort endgültig zu vollziehen; damit ist zugleich auch
den schon freilich lange erbleichten Dogmen der Laufpaß zu geben. Denn
unüberschaubar hat sich ja zwischen damals und heute der bereits von
Lessing erkannte "garstig breite Graben der Geschichte"
aufgetan, einen gewaltigen Strudel mit sich führend, der auch
liebgewordene Vorstellungen des Glaubens gnadenlos in die Tiefe reißt.
Auch ein noch so eleganter apologetisch-theologischer Spagat Ö la
dialektischer Theologie vermag darüber keine Brücke mehr zu schlagen.
Erst ein solcher Abschied von gewohnheitsmäßig eingefahrenen
Glaubensvorstellungen macht den Weg frei für eine mündige Theologie,
die die Bibel unbefangen als Menschenwort beim Wort nimmt und sich
nicht mehr am mythologischen "Gottessohn" orientiert,
sondern einzig am Prediger Jesus von Nazareth (Kap. 4), von dem wir
allerdings nur wenig wissen. Eben um nichts weniger geht es Lüdemann
in seinem "im Interesse der historischen Wahrheit"
verfaßten, wegweisenden Buch. Bleibt sehr zu wünschen, daß Kirche und
Theologie, die immer mehr ins Abseits geraten, sich den von ihm
entfachten frischen Wind einer kritischen historischen Aufklärung um
die Nase wehen lassen.
Werner Raupp
Quelle: Für Arbeit und Besinnung, 52 (1998), S.228f.
dass. (gekürzt), in: Junge Kirche. Zeitschrift europäischer
Christinnen und Christen 60 (1999), S.128f.