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Veröffentlichungen 1999
der Studiengänge
Der umstrittene Theologe Lüdemann soll seinen Sonderstatus behalten
Von Gerhard Besier
Der Göttinger Neutestamentler Gerd Lüdemann hat sich im Frühjahr
1998 vom christlichen Glauben losgesagt. Dennoch möchte er weiter an
der theologischen Fakultät sein Fach Neues Testament lehren. Mitte
Dezember 1998 schien der Göttinger Universitätspräsident, Horst Kern,
einen Kompromiß gefunden zu haben. Er schrieb an Lüdemann: "Sie
verbleiben in der Theologischen Fakultät mit einem Sonderstatus."
Er verpflichtete Lüdemann "mit sofortiger Wirkung . . .
,Geschichte und Literatur des frühen Christentums' in Lehre, Forschung
und Weiterbildung an der Universität Göttingen zu vertreten." Das
Fach werde dem Institut für Spezialforschungen zugeordnet und seine
Lehrveranstaltungen "künftig unter der Rubrik ,Außerhalb der
Studiengänge zur Ausbildung des Theologischen Nachwuchses'"
angekündigt.
Lüdemann war zufrieden. Seine Kollegen an der theologischen
Fakultät und die hannoversche Kirchenleitung nicht. Eberhard Busch,
der Dekan der evangelisch-theologischen Fakultät Göttingen, erregte
sich im "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" darüber, daß
der Fall Lüdemann "in entsprechenden Gazetten" überhaupt zur
Kenntnis genommen werde. Nach dem Willen seiner ehemaligen Kollegen
soll der ungläubige Kirchensteuerzahler Lüdemann ohne öffentliches
Aufsehen aus der theologischen Fakultät entfernt und anderswo in der
Universität angebunden werden. Entgegen den Beteuerungen Buschs, die
Kirche übe keinen "Druck" aus, hat der Landesbischof der
Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers, Horst Hischler, den
alljährlichen Neujahrsempfang seiner Kirche am 6. Januar 1999 im
Kloster Loccum genutzt, den keiner Konfession angehörenden
niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Glogowski öffentlich auf
den "Fall" Lüdemann anzusprechen. In "Zeiten der
Finanzknappheit" müßten die "nötigen Absprachen und
Klärungen . . . von beiden Seiten rechtzeitig vorher getroffen und in
einem der Freundschaftsklausel entsprechenden Tauziehen bearbeitet
werden. Das gilt auch fÜr das uns außerordentlich beschäftigende Thema
. . . Professor Lüdemann. Wir halten es als Kirche für nicht denkbar,
daß jemand, der von sich aus immer wieder ausdrücklich erklärt, kein
Christ mehr zu sein und die Bekenntnisbindung der Fakultät verändern
zu wollen in derselben - in welcher Verdünnung auch immer -
verbleibt."
Diesen Standpunkt vertrat auch der Leiter des Kirchenrechtlichen
Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Axel von
Campenhausen. Er kritisierte den Göttinger Kompromiß und erhob den bis
dahin für die evangelische Kirche so nicht bestehenden Anspruch,
jederzeit Lehre und Lebenswandel von Theologieprofessoren beanstanden
zu können - mit der Konsequenz, daß der Betreffende dann nicht mehr
"als von der Kirche autorisierter Lehrer, Forscher oder Prüfer
fungieren" dürfe und die theologische Fakultät verlassen müsse.
Dieses Recht zur Beanstandung auch nach erfolgter Berufung ist
bisher nur der katholischen Kirche vertraglich zugestanden worden.
Abgesehen von der damit gegebenen Rechtsproblematik, liegen in der
katholischen Kirche die Dinge vor allem deshalb anders, weil sie ein
Lehramt kennt und daher klare Kriterien für Lehrabweichungen namhaft
machen kann. In der evangelischen Kirche hingegen gibt es gerade in
diesem Jahrhundert traurige Zeugnisse dafür, daß Irrlehren sich
ausbreiten könnten, während Rechtgläubige verfolgt wurden. Bei einer
faktischen oder nur interpretatorischen Veränderung des bestehenden
Staatskirchenrechts würde der evangelischen Kirche Tür und Tor
geöffnet, im Interesse jeweiliger theologischer Moden mißliebigen
Theologieprofessoren die Lehrbefugnis zu entziehen.
Um Zeit zu gewinnen, die bestehenden Rechts-Differenzen zwischen
Staat und Kirche auszuräumen, entschied am Donnerstag der
niedersächsische Wissenschaftsminister Thomas Oppermann "nach
eingehender Erörterung" mit der Universität und der Konföderation
evangelischer Kirchen in Niedersachsen, Lüdemann vorläufig den von
Universitätspräsident Kern Mitte Dezember 1998 angeordneten
Sonderstatus zu belassen. Lüdemann wird - wie Dekan Busch es
ausdrückte - bis auf weiteres "ein Fach lehren, das keiner
studiert haben muß".
Als Ersatz für den Ausfall Lüdemanns hat das Land Niedersachsen
schon im vergangenen Jahr der theologischen Fakultät eine weitere
Professur zugewiesen - Mehrkosten von einer Viertelmillion Mark pro
Jahr trotz dramatisch sinkender Studierendenzahlen im Fach Theologie.
Die Diskussion um den Status konfessionsgebundener theologischer
Fakultäten wird diese Entscheidung nicht aufhalten können. Dazu gibt
es zuviel Konfliktstoff. So können nach bisherigem Recht an
theologischen Fakultäten nur solche Studierende einen akademischen
Abschluß erreichen, die Mitglieder der entsprechenden Kirchen sind. Es
kommt daher immer öfter vor, daß Kandidaten kurzfristig eintreten, um
ihr Fakultätsexamen machen zu können. Auch das hat Lüdemann vor Augen,
wenn er der Kirche Scheinheiligkeit vorwirft.
DIE WELT, 6.2.1999