Gerd Lüdemann's Homepage
Zur Person
Frühchristliche Studien
an Minister Stratmann zum Fall Lüdemann
Niedersächsischer Landtag * Abg. Stefan Wenzel*
H.W.Kopf Platz 1 * 30159 Hannover
Niedersächsiches Ministerium für
Wissenschaft und Kultur
Herrn Minister Lutz Stratmann
- persönlich -
Leibnizufer 9
30169 Hannover
5.9.2003
Offener Brief
Sehr geehrter Herr Minister Stratmann,
durch eine Verfügung des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur
ist Professor Gerd Lüdemann von der Theologischen Fakultät der
Universität Göttingen seit dem 17.12.1998 verpflichtet worden anstelle
des Faches "Neues Testament" das Fach "Geschichte und
Literatur des frühen Christentums" zu lehren. Gleichzeitig wurde
die Prüfberechtigung entzogen und die Mitwirkung bei Promotionen und
Habilitationen untersagt. Eine bereits 1994 auf Dauer zugesagte
C1-Assistentenstelle wurde eingezogen.
Der Grund für diese außerordentliche Disziplinarmaßnahme Ihres
Vorgängers waren - wie Ihnen sicherlich bekannt sein dürfte - die
Äußerungen von Prof. Lüdemann zu den Grundlagen des christlichen
Glaubens. Demnach hat Prof. Lüdemann laut OVG Lüneburg "sich in
eigenen wiederholten Erklärungen in Wort und Schrift von allen
Grundlagen des christlichen Glaubens losgesagt, die (historische)
Wahrheit nahezu sämtlicher christlicher Grundaussagen geleugnet und
gar nicht bestritten, kein Christ mehr zu sein."
Auf die zwischenzeitlich anhängige gerichtliche Auseinandersetzung
und die Frage, ob es sich bei der Verfügung des ehemaligen Ministers
Oppermann um einen "Verwaltungsakt" handelte oder nicht,
will ich nicht weiter eingehen. Ich möchte vielmehr vor dem
Hintergrund des enormen Konsolidierungsdrucks in den Haushalten des
Landes Niedersachsen bzw. der Universität Göttingen und vor dem
Hintergrund der Tatsache, dass das Land hier einen Professor auf
Lebenszeit beschäftigt, dem man wesentliche Aufgaben eines
Hochschullehrers dauerhaft untersagt hat, auf einige historische
Aspekte verweisen. Zudem möchte ich Ihnen am Schluß meines Briefes
einen Vorschlag zum weiteren Verfahren machen.
Die Universität Göttingen wurde 1734 gegründet. "Die
Universität war eine Einrichtung neuen Typs - nach dem Vorbild der
Universität in Halle, und neben ihr einzigartig in Deutschland in der
Tradition der Aufklärung. - Die Universität war der Ort, Werte,
Konventionen und Normen zu hinterfragen. - Die Übermacht der
theologischen Fakultät war aufgehoben. Andernorts hatte sie noch das
Recht alles zu zensieren, war die Professoren publizierten. Nicht so
in Göttingen. Die Zensur war hier - anders auch als in der
Landeshauptstadt Hannover - aufgehoben. Und dieses Reformexperiment
hatte Folgen." (Zitat: Rede von Jobst Plog zum 1050. Jubiläum der
Stadt)
Die erste Blütezeit der Göttinger Universität in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts war ganz wesentlich der Tatsache
geschuldet, dass die Professoren nicht mehr der Zensur unterlagen. Der
Geist von Göttingen schuf neue Freiräume für Forschung und Lehre. In
der Folge entstanden in Göttingen auch einige wichtige Vorläufer der
heutigen Printmedien. Göttingen wurde zu einer der renommiertesten
Universitäten in Europa. Von hier gingen wichtige Impulse aus, die
überkommene Rechte und Pfründe in Frage stellten und einen Beitrag zur
Entwicklung der Grund- und Menschenrechte leisteten.
Es ist schon eine Ironie der Geschichte, wenn mehr 260 Jahre
später ein Professor eben dieser Universität für seine mündlichen und
schriftlichen Äußerungen in dieser Art und Weise bestraft wird. Dabei
spielt es auch gar keine Rolle, ob man die Einschätzungen von Prof.
Lüdemann zur historischen Wahrheit der christlichen Überlieferungen
teilt oder nicht teilt. Ob man sie wissenschaftlich widerlegen kann
oder nicht. Und es spielt auch keine Rolle, ob man die Äußerungen von
Prof. Lüdemann in der Form für angemessen oder für unangemessen hält.
Tatsache ist: Die theologische Fakultät der Universität Göttingen
hatte nie die Stellung, die der theologischen Fakultät an vielen
anderen europäischen Universitäten des 18. Jahrhunderts entsprach.
Trotzdem hat man am Ende des 20. Jahrhunderts dafür gesorgt, zumindest
aber geduldet, dass in historisch überholter Form gegen einen
andersdenkenden Kollegen vorgegangen wurde.
Für die evangelische Kirche - der ich selber angehöre - ist die
andauernde Abstrafung von Prof. Lüdemann ein Zeichen der Schwäche.
Warum sollen sich Thelogiestudenten im Studium nicht mit kritischen
Geistern und kritischen historischen Forschungsergebnissen
auseinandersetzen. Im Alltag, in den Gemeinden, in der Praxis der
angehenden Theologen werden die zu beantwortenden Fragen unendlich
viel schwieriger sein. Die historische Forschung liefert uns
interessante Antworten zum gesellschaftlichen Kontext und zum
Verständnis vieler - auch politischer Interessen der damaligen Zeit.
Den Kern und die Aktualität der Botschaft Jesu vermag die historische
Forschung m.E. nicht in Frage zu stellen. Wer das dennoch fürchtet,
dürfte sich seiner Sache nicht sehr sicher sein.
Vor dem Hintergrund meiner Ausführungen möchte ich Sie sehr
herzlich bitten, die Entscheidung ihres Vorgängers zu überdenken.
Erfreulich wäre eine einvernehmliche Lösung mit der theologischen
Fakultät bzw. der evangelischen Kirche. Sollte ein solches
Einvernehmen nicht erreichbar sein, schlage ich vor, die Professur von
Herrn Lüdemann mit voller Prüfberechtigung an der philosophischen
Fakultät der Universität Göttingen anzusiedeln.
Ich würde mich freuen, wenn Sie mich zu gegebener Zeit über das
Ergebnis ihrer Überlegungen unterrichten würden. Eine Kopie meines
Schreibens werde ich dem Präsidenten der Universität Göttingen, Herrn
Prof. Kern und Frau Bischöfin Käßmann zur Verfügung stellen.
Mit freundlichem Gruss
(Stefan Wenzel)