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Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 2002
Klage abgewiesen
15.05.2002, © Göttinger Tageblatt
Die Universitätsleitung hatte Lüdemann Ende 1998 auf Drängen der
Konföderation evangelischer Kirchen und in Abstimmung mit dem
Ministerium für Wissenschaft und Kultur von seinem Lehrstuhl
verwiesen. Zuvor hatte Lüdemann auf Grund seiner Forschungen Kernsätze
christlichen Glaubens wie die Gottessohnschaft und die Auferstehung
Jesu geleugnet. Nach Ansicht der Kirche, die über den Loccumer Vertrag
mit dem Land Niedersachsen ein Mitspracherecht bei der Besetzung von
Professorenstellen im Bereich Theologie besitzt, war Lüdemann damit
nicht mehr geeignet, Theologen und Religionslehrer auszubilden.
Die Universität wies Lüdemann daraufhin die Vertretung des eilig
eingerichteten Fachs "Geschichte und Literatur des frühen
Christentums" zu. Diese neue Stelle war ein Professorenposten
zweiter Klasse - ohne Prüfberechtigung, in einem Fach, das für keinen
Studiengang vorgeschrieben ist, ohne die ihm zuvor zugesagte
Assistentenstelle. Gegen diese Versetzung klagte Lüdemann, scheiterte
im Eilverfahren jedoch in mehreren Instanzen.
Im gestrigen Hauptverfahren betonte Lüdemann mehrfach, seine von
der Kirche angegriffenen Ansichten würden von einem Großteil der
Theologen geteilt, jedoch nicht offen zugegeben: "Diesen alten
Mythen glaubt keiner mehr."
In seinem Urteil folgte das Gericht jedoch der bisherigen Linie.
Lüdemann habe sich offenkundig vom Glauben losgesagt. Ein
Funktionieren der Theologischen Fakultät liege in öffentlichem
Interesse, die interne Versetzung sei verhältnismäßig, zumal sich
Lüdemanns neuer Aufgabenbereich nur durch den Wegfall der
konfessionellen Bindung von seiner früheren Stelle unterscheide (AZ:
3A 3193/00).
Aufgeben will Lüdemann nicht: "Ich werde mich, weil ich
Wissenschaftler bin, den Zwangsmaßnahmen der Universität Göttingen
niemals beugen", so der streitbare Theologe gegenüber dem GT.
Matthias Heinzel, 15.05.2002, © Göttinger Tageblatt
Kommentar von Matthias Heinzel: An einem Strang
Staatlich eingezogene Kirchensteuer, feste Plätze in den
öffentlich-rechtlichen Medien, konfessionell gebundener
Religionsunterricht als reguläres Schulfach - die Kirche mag zwar
Rückhalt in der Bevölkerung verlieren, im staatlichen Gefüge aber ist
sie stark wie eh und je, wie auch der Fall Lüdemann zeigt.
Wissenschaft, so eine Errungenschaft der Aufklärung, hat
ergebnisoffen zu sein. Ist eine Disziplin dies nicht, ist sie keine
Wissenschaft. Ist sie keine Wissenschaft, hat sie an einer staatlichen
Universität nichts zu suchen. Gegen inhaltliche Vorgaben wie ein
De-facto Verbot von wissenschaftlichen Erkenntnissen oder Meinungen
wäre nur dann nichts zu sagen, würde die Kirche ihren Nachwuchs in
eigenen Instituten auf eigene Kosten ausbilden und auf konfessionelle
Bindung von Religionslehrern an staatlichen Schulen verzichten.
"Eine Wissenschaft vom christlichen Glauben", schrieb im
Jahre 1923 Oskar Pfister, selbst Theologe, "ist so wenig
christlich wie die Wissenschaft vom Verbrechen verbrecherisch."
Dennoch soll auch im 21. Jahrhundert, da ziehen Ministerium, Kirche,
Hochschule und Gerichte an einem Strang, die Theologie einen
Sonderstatus behalten. Das unerfreuliche Ergebnis bleibt die weitere
Aushöhlung der grundgesetzlich vorgeschriebenen Trennung von Staat und
Kirche.
Matthias Heinzel, 15.05.2002, © Göttinger Tageblatt