Gerd Lüdemann's Homepage
Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 2000
Ein Vortrag von Gerd Lüdemann
Einleitend sei betont, daß der folgende Vortrag sich nicht mit
Einzelpersonen der Gegenwart befaßt, sondern mit der Institution
Kirche bzw. den kirchenleitenden Organen. Trotz der Schärfe der im
Vortragsthema gemachten Aussage verletze ich an keiner Stelle die Ehre
der Kirchenfunktionäre und schon gar nicht die der Geistlichen, die
zum großen Teil Gefangene eines Systems sind.
Mit dem Wort "Lüge" verbinde ich die Bedeutung, daß
Menschen Wahrheit unterdrücken und/oder Falschaussagen machen. In
beiden Fällen geht es also um bewußte Vorgänge, die freilich oft ins
Unbewußte verschoben, d.h. verdrängt werden. Nietzsches Beschreibung
des Vorgangs bei einer Fälschung dürfte auf den hier vorliegenden
Sachverhalt zutreffen. "Das habe ich getan, sagt mein Gedächtnis;
das kann ich nicht getan haben, sagt mein Stolz. Endlich gibt das
Gedächtnis nach."
Mit anderen Worten: Was im folgenden kritisch zur Praxis der Lüge
in der Kirche ausgeführt wird, mag auf ihre Vertreter auf den ersten
Blick ärgerlich, unwahr und vor allem verletzend wirken. Doch gebe ich
zu bedenken, daß eine lange bestehende Praxis gelegentlich Züge eines
Verdrängungsprozesses aufweist, wie ihn Nietzsche beschrieben hat. Im
übrigen möchte ich nach dem vorgelegten Material beurteilt werden.
Daher genug der Vorrede!
In einem ersten Abschnitt behandle ich den Umgang der Kirche mit
der heiligen Schrift, in einem zweiten, wie Theologie sich als
kirchliche Wissenschaft versteht und in einem dritten , wie sich die
Kirche in der Öffentlichkeit darstellt. Am Schluß ziehe ich Bilanz.
Über den Umgang der Kirche mit der Heiligen Schrift
Für die christlichen Kirchen der Gegenwart und Vergangenheit gilt
die Bibel als heilige Schrift. Der überwiegende Teil der Christenheit
auf Erden - und das sind immerhin zwei Milliarden Menschen - liest die
Bibel im wörtlichen Sinne als vom heiligen Geist eingegebenes Wort
Gottes, so wie es bis zur Aufklärung allgemein üblich war. Dies
geschieht, obwohl das dabei vorausgesetzte Schriftprinzip überholt und
unhaltbar geworden ist. Denn die Bibel wurde nicht vom Heiligen Geist
eingegeben. Sie ist Menschenwort. Dieses sichere Ergebnis hat bisher
wenig gegen alle Spielarten von erbaulicher Lektüre der Bibel
auszurichten vermocht. Vielmehr herrscht in der gesamten Christenheit
weiterhin fast ungebrochen die Meinung vor: Bei der Lektüre der
heiligen Schrift redet mich Gott an. Warum sonst liest der Christ die
Bibel? Und warum sonst heißt sie heilige Schrift?
Nun hat die seit 250 Jahren betriebene historische Kritik jeden
einzelnen Vers der Bibel als Menschenwort zu verstehen gelehrt, so daß
vom heiligen Status der Bibel wenig übrig geblieben ist. Wie hat man
in der Kirche darauf reagiert?
Als Beispiel wähle ich das Vorwort zur revidierten Lutherbibel aus
dem Jahre 1984, das in hoher Auflage kursiert. Hier heißt es:
"Die Bibel will allen Menschen die gute Nachricht von Gottes
Barmherzigkeit ausrichten. ...Die ältesten Zeugnisse des Alten
Testaments reichen in die Zeit zurück, als Israel aus der Wüste in das
verheißene Land zog. Von der Geschichte dieses Volkes wird erzählt,
die Botschaft seiner Propheten wird verkündigt, das Gotteslob der
Psalmen wird gesungen.
Die Schriften des Neuen Testaments sind zum großen Teil in der
zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts n.Chr. aufgezeichnet worden,
zuerst die Briefe des Apostels Paulus, dann die Berichte von Jesu
Wirksamkeit, seinem Leiden, Sterben , Auferstehen; dazu kamen
schließlich einige Briefe, die zu Anfang des zweiten Jahrhunderts
aufgezeichnet wurden.
Jede biblische Schrift spricht in eine bestimmte geschichtliche
Lage hinein. Sie redet Menschen an, die Sorgen und Freuden, Leid und
Glück kennen, und sagt ihnen, daß Gottes Wort sie trösten und
aufrichten, ihr Leben bestimmen und leiten will. Die biblischen Zeugen
geben weiter, was sie erfahren haben: Gottes Wort ist wahr, darauf
kann man sich verlassen. Was gestern galt, gilt auch heute, morgen und
allezeit."
Dieses Vorwort vereinigt in sich Ergebnisse der Bibelwissenschaft
und theologische Spitzenformulierungen. Dies entspricht der Praxis in
der anschließend gebotenen Übersetzung. Kernsätze der Bibel werden
hier nämlich in halbfetter Schrift gedruckt, und die Übersetzungen
berücksichtigen den textkritischen Befund. So wird beispielsweise die
berühmte Perikope von der Ehebrecherin ("Wer unter euch ohne
Sünde ist, werfe den ersten Stein") als spätere Zutat bezeichnet
und ebenso erfährt der Bibelleser, daß die Erzählung von der
Auferstehung Jesu dem Markusevangelium erst im zweiten Jahrhundert
nachträglich hinzugefügt wurde.
Die Lutherbibel in der revidierten Fassung von 1984 samt Vorrede
ist somit ein Beispiel für die heutige Stellung und für den Gebrauch
der Bibel im Lager der evangelischen Kirche, das von der Bibelkritik
geprägt ist.
Allerdings ist sofort darauf hinzuweisen, daß die Ergebnisse der
historischen Kritik nicht konsequent in die Lutherbibel Eingang
fanden. Im folgenden greife ich nur zwei Punkte heraus, die fast
beliebig vermehrt werden könnten:
Erstens: In der Übersetzung des Alten Testaments sind unter
anderem diejenigen Stellen fettgedruckt, die die Christenheit seit
2000 Jahren als Voraussagen auf Jesu Kommen angesehen hat und die
alljährlich in Weihnachts- oder Karfreitagsgottesdiensten vorgelesen
werden. Ich zitiere hier nur zwei:
Jes 7,14 dient als Prophezeiung der jungfräulichen Geburt Jesu:
"Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn
gebären, den wird sie nennen Immanuel."
Jes 53,4-5 wird verstanden als Voraussage des Leidens Jesu:
"Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere
Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott
geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen
verwundet und um unserer Sünden willen zerschlagen. Die Strafe liegt
auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir
geheilt."
Nun hat aber die Bibelkritik ein für allemal gezeigt, daß
diejenigen Stellen des Alten Testaments, die von der christlichen
Kirche als Voraussagen auf das Kommen Jesu angeführt werden, nichts
mit diesem zu tun haben, sondern Personen der damaligen Zeit im Blick
haben. So bezieht sich in den angeführten Stellen der leidende
Gottesknecht auf das Volk Israel und der Sohn auf ein Kind des
Propheten Jesaja. Aber auch wenn die soeben genannten Bezugspersonen
unzutreffend sein sollten, so ist dennoch die Deutung auf Jesus in
jedem Fall ausgeschlossen, denn dieser lebte erst viele Jahrhunderte
später. Ist es dann aber nicht erbärmlich, wie allweihnachtlich bzw.
jedes Jahr in der Karwoche jenes Possenspiel mit dem Alten Testament
vor den nichtsahnenden Zuhörern aufgeführt wird, die nur einmal pro
Jahr in die Kirche gehen? Verdienen sie nicht Aufklärung darüber, daß
die frühen Christen die genannten Bibelverse gegen die
nicht-christusgläubigen Juden verfälscht haben? (Abgesehen davon steht
im hebräischen Urtext von Jes 7,14 nicht "Jungfrau", sondern
"junge Frau".)
Zweitens: Das Alte Testament sowie das Neue Testament bzw. ihre
Bestandteile werden in der Vorrede zur revidierten Lutherbibel
ausdrücklich als Wort Gottes betrachtet, und beide gelten als Heilige
Schrift. Nun wird im protestantischen Lager die Bibel nicht mehr im
wörtlichen Sinn als Wort Gottes verstanden. Vielmehr enthalte sie
Gotteswort als Menschenwort. Dabei zieht man Formulierungen vor wie:
Die Bibel sei Gottes Wort in, mit und unter Menschenwort oder ähnlich.
Doch was meint man damit konkret? Spricht Gott etwa als Person? Nun
behaupteten die alttestamentlichen Propheten zwar, daß Gott sie
beauftragt habe, das Wort Gottes an bestimmte Personen auszurichten,
und ähnliches gilt für den Apostel Paulus, der beanspruchte, an Gottes
bzw. Christi statt seinen Gemeinden bestimmte Dinge zu sagen. Doch ist
gleich hinzuzufügen: Die Propheten, Paulus und alle anderen Zeugen
dachten nur, daß es so sei. Von dort bis hin zur Behauptung, Gott habe
hier - wie auch immer: in, mit, unter Menschenwort oder noch ganz
anders - gesprochen, ist ein sehr weiter Weg, der den Menschen im 21.
Jahrhundert kaum zu vermitteln ist.
Vielmehr gilt: Wir haben es in der Bibel und in allen heiligen
Büchern immer nur mit Gottesbildern von Menschen zu tun, die nicht mit
dem Anspruch zu vereinbaren sind, hier und dort habe Gott - wie auch
immer - gesprochen. Wer sagt, die Bibel enthalte Gotteswort als
Menschenwort, bedient sich daher einer unklaren Ausdrucksweise. Die
Wendung "Gotteswort als Menschenwort" suggeriert nämlich
eine Entsprechung, die gar nicht besteht. Gemeint ist immer, Menschen
haben etwas geschrieben und geglaubt, daß es sich um Gottes Botschaft
handelt.
Das Gleiche ist zur Wendung "Kreuz und Auferstehung" zu
sagen. Auch hier liegt keine Entsprechung vor, als ob die Auferstehung
Jesu ebenso wie das Kreuz eine historische Tatsache sei. Gemeint ist
vielmehr: Der Christ versteht die Auferstehung als Interpretation des
Kreuzes. Anders gesagt: Der Satz, "Jesus ist auferstanden"
ist eine Interpretation des Kreuzestodes Jesu. Dann aber kann man
Kreuz und Auferstehung nicht parallel verwenden, so wie es zuletzt der
EKD-Ratsvorsitzende tat, als er zur Verteidigung der Rechtgläubigkeit
von Jürgen Fliege sagte: Dieser bekenne sich zu Kreuz und
Auferstehung. Der unvoreingenommene Hörer sieht sich schlichtweg
getäuscht, wenn er über den wahren Sachverhalt aufgeklärt wird.
Die Kirche aber hat ein vitales Interesse an der
Nicht-Aufklärung.Denn der auferstandene Gottessohn ist die Leiche in
ihrem Keller. Würde bekannt, daß Jesus nicht wirklich auferstanden
ist, sondern nur in der Phantasie der Jünger, wäre das Ende der Kirche
gekommen. Die Kirche muß lügen, um ihre Machtstellung im Staate nicht
zu verlieren. Noch einmal: Würde wirklich bekannt, daß der Herr der
Kirche ein Phantasieprodukt der ersten Jünger ist, ade Kirche!
Aber es kommt noch toller: Alle, die als Pfarrer oder Pfarrerinnen
in den Dienst der Kirche treten wollen, haben bei der Ordination ein
Gelöbnis abzulegen. Es lautet in der Kurzform: "Ich gelobe, das
Evangelium von Jesus Christus zu predigen, wie es in der Schrift
gegeben und im Bekenntnis unserer Kirche bezeugt ist." Zum
Bekenntnis der Kirche zählen die Bekenntnisschriften des 16.
Jahrhunderts, angefangen vom Apostolischen Glaubensbekenntnis, das im
2. Jahrhundert formuliert wurde, bis hin zur Konkordienformel aus dem
Jahre 1577; zur Schrift zählen das Alte und das Neue Testament.
Als ich im September 1995 in einem Interview es als scheinheilig
bezeichnete, daß die Pfarrer auf etwas ordiniert werden, was sie
infolge ihres wissenschaftlichen Studiums nicht mehr glauben können,
legte man diese Behauptung als Diffamierung des ordinierenden Handelns
der Kirche und auch der Pfarrerschaft aus und lud mich ab sofort nicht
mehr zur Ersten Theologischen Prüfung ein. Dabei hatte ich nur auf die
sicheren Ergebnisse historischer Forschung verwiesen. Neben der
bereits oben angeführten Tatsache, daß die messianischen Weissagungen
des Alten Testaments nichts mit Jesus zu tun haben, ging es im
wesentlichen um folgende zehn Erkenntnisse:
Jesus wurde nicht von einer Jungfrau geboren.
Jesus wollte nicht für die Sünden der Welt sterben.
Jesus war nicht sündlos, sondern hat auch nach eigenem Verständnis
Sünde getan. Sonst hätte er sich nicht von Johannes dem Täufer zur
Vergebung der Sünden taufen lassen.
Jesus hat das in Kürze anbrechende Reich Gottes erwartet, gekommen
ist die Kirche.
Die meisten Jesusworte sind Jesus erst nachträglich in den Mund
gelegt worden, um Gegner in den eigenen Reihen und ungläubige Juden zu
bekämpfen.
Der Antisemitismus hat Wurzeln im Neuen Testament.
Im Neuen Testament wird den ungläubigen Juden ganz zu Unrecht die
Schuld am Tode Jesu in die Schuhe geschoben.
Jesus hat keins der Worte am Kreuz gesprochen.
Die Auferstehung Jesu beruht auf einer subjektiven Vision und
nicht auf der Auferweckung bzw. der Verwandlung eines Leichnams zu
einer neuen Körperlichkeit.
Paulus hat Jesus persönlich gar nicht gekannt.
All diese Thesen stehen in direktem Gegensatz zu der Schrift und
den Bekenntnissen der Kirche. Da angehende Pfarrer und Pfarrerinnen
mit ihnen während des Studiums vertraut gemacht werden, fällt es ihnen
schwer, sich wider besseres Wissen auf Schrift und Bekenntnis
ordinieren zu lassen. Aber was bleibt ihnen übrig, wenn sie Anstellung
und Brot nach so langer Vorbereitungszeit erlangen wollen? Außerdem
macht es ihnen die Kirchenleitung leicht. Sie fragt nie wieder nach
der Rechtgläubigkeit ihrer Diener, wenn sie nicht selbst in die
Öffentlichkeit posaunen, daß sie nicht glauben, was im Bekenntnis der
Kirche steht.
Ein Fall, wo das doch geschah, ist der des Hamburger Pastors Dr.
Paul Schulz. Nach längeren Verhandlungen vor dem Gericht der EKD, bei
dem er unbeeindruckt auf seiner Kritik an Bibel und Bekenntnis
beharrte, forderte er das Spruchkollegium auf, die verbindliche
kirchliche Lehre zu einer Reihe zentraler Themenkreise darzulegen:
Gebet, Jungfrauengeburt, Auferstehung, Bibel, 10 Gebote, Endgericht,
Weltentstehung, Leben nach dem Tode, Erbsünde. Erst wenn festgestellt
werde - so Schulz - was verbindliche kirchliche Lehrmeinung sei, könne
festgestellt werden, wo er sich von ihm entferne. Das wurde abgelehnt
und er wurde wegen des Widerspruchs seiner Lehre zum
Ordinationsgelöbnis entlassen.
Der Vorsitzende des Spruchkollegiums bemerkte dazu
"Evangelisches Verständnis rechter Verkündigung kann und darf
nicht an einer juristischen Orientierung von Satzwahrheiten gemessen
werden." Immerhin ist festzuhalten, daß Pastor Schulz gerade aus
juristischen Gründen, und zwar wegen des Widerspruchs seiner Lehre zum
offenbar wörtlich verstandenen Bekenntnis der Kirche, den Dienst
quittieren mußte.
Einen weiteren Punkt, den ich hier ansprechen will, ist eine
Umfrage auch unter Pfarrern nach dem, was sie glauben. Sie wurde von
dem praktischen Theologen Klaus-Peter Jörns durchgeführt (publiziert
1996) und hatte folgendes Ergebnis:
Nur noch zwei Drittel der Gemeindepfarrer erkennt Jesus Christus
das Gottesprädikat zu.
Nur ein Drittel hält die Heilige Schrift noch für heilig
43 Prozent glauben noch an die Allmacht Gottes.
An die zentrale biblisch-theologische Aussage der Erbsünde glauben
nur noch 13 Prozent der befragten Pfarrer.
Mit einem Jüngsten Gericht rechnet nur noch ein Drittel dieser
Pastoren.
Ich halte diese Entwicklung, daß Pfarrer sich vom Bekenntnis der
Kirche innerlich abwenden, nur für natürlich. Nicht begrüßenswert ist
aber, daß dieselben Pfarrer der verlängerte Arm der widerlegten
Glaubensideologie der Kirche bleiben.
Und nicht nur dies: Auch alle, die Religion an Schulen lehren,
können das nur, wenn sie einer Kirche angehören und von der Kirche
dieVocatio (Berufung) dazu haben. Das steht so in Art. 7 unseres
Grundgesetzes, der einen konfessionellen Religionsunterricht vorsieht,
und zwar nach den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaften.
Auch in diesen Fällen ist der Befund ausgesprochen doppeldeutig.
Natürlich unterrichten die meisten Gymdasiallehrer nicht nach den
Grundsätzen der Religionsgemeinschaften. Ich habe noch nie von einem
Kurs über die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche
gehört, der an deutschen Gymnasien erteilt wurde. Innerhalb des
Zirkels der religionspädagischen Institute herrscht zudem eine
Liberalität und Offenheit, die bis zur scharfen Kirchenkritik reicht.
Ihre Vertreter haben sich schon längst von der dogmatischen Welt des
kirchlichen Bekenntnisses entfernt und sprechen daher durchweg von
Symbolen der Bibel oder von Symboldidaktik. Es liegt auf der Hand, daß
die so verwendeten Symbole der Bibel wenig mit dem Bekenntnis zu Jesus
dem Weltenherrn oder mit seiner Wiederkunft zum Gericht zu tun haben.
Trotzdem: Kommt es dann aber zum Schwur wie in meinem Fall, dann
erschallt von der Seite der Religionspädagogen nur wenig oder kein
Protest zu meinen Gunsten. Man schlägt sich einfach auf die Seite der
Kirche, ohne dagegen zu protestieren, daß meine Kurse über das Neue
Testamen für die Zwischen- und Examensprüfung auch künftiger
Gymnasiallehrer nicht mehr zählen, d.h. von der staatlichen
Prüfungsbehörde nicht anerkannt werden.
Das Fazit kann an diesem Punkt nur lauten: Wir blicken der
Unwahrhaftigkeit direkt ins Gesicht. Denn konfessioneller
Religionsunterricht und konfessionelle Verkündigung folgen einer
doppelten Wahrheit: erstens der Wahrheit des kirchlichen
Bekenntnisses, das spätestens im Konfliktfall gilt; zweitens der
wissenschaftlichen Wahrheit, die dort, wo kein Konfliktfall vorliegt,
vermittelt wird. Beide aber sind, wie oben gezeigt wurde, schwerlich
miteinander zu versöhnen. Ich kann nicht mit dem Herzen glauben, wozu
der Verstand nein sagt. Aber auch die weitere Spielart der
Vermittlung, im Herzen ein Christ zu sein und mit dem Verstand ein
Atheist, muß ausscheiden, denn das macht auf Dauer krank. Es gibt wohl
nur ein Entweder-Oder zwischen christlicher Dogmatik und Wissen.
Eine schreckliche Vermutung zum Schluß: Den kirchlichen
Funktionären, die zum großen Teil selbst Theologie studiert haben, ist
das alles nicht unbekannt. Trotzdem verteidigen sie den gegenwärtigen
Status quo fast um jeden Preis, eben um den Preis der Unwahrhaftigkeit
und der Lüge, um die eigene Macht zu erhalten. Das auszusprechen,
fällt mir schwer. Aber Gefühle haben mit der harten Welt der Tatsachen
nichts zu tun. Es ist wohl leider so, wie ich es Ihnen gesagt habe.
II. Über Theologie als kirchliche Wissenschaft
Dabei hat besonders die evangelische Theologie eine imponierende
Leistung vorzuweisen und ist ein wichtiger Bestandteil deutscher
Geistesgeschichte gewesen. Zu Anfang dieses Jahrhunderts faßte Albert
Schweitzer ihre Bedeutung so zusammen:
"Wenn einst unsre Kultur als etwas Abgeschlossenes vor der
Zukunft liegt, steht die deutsche Theologie als ein größtes und
einzigartiges Ereignis in dem Geistesleben unsrer Zeit da."
Schweitzer bezog sich mit dieser Bemerkung einmal auf die
unbestechliche, in der Wahrhaftigkeit gegründete Erforschung der
Quellen christlichen Glaubens, wie sie im Alten und Neuen Testament
vorliegen. Sodann hatte er die von jeder neuen Generation
unternommenen Versuche im Blick, die Botschaft der Bibel mit der
jeweiligen Welt des Betrachters in eine ehrliche Beziehung zu setzen.
Man mag hinzufügen: Die so auf deutschen Lehrstühlen betriebene
wissenschaftliche Theologie hat überall in der Universitätswelt, wo es
theologische Fakultäten gab, Maßstäbe gesetzt, und zumindest bis Mitte
dieses Jahrhunderts war Deutsch die Wissenschaftssprache
internationaler Theologie. Worin ist die Kraft einer so betriebene
Theologie begründet? Wie geht sie vor?
Ihr Ansatz besteht erstens darin, die eigene Religion radikal
historisch zu erforschen. Das führt in den meisten Fällen zu
Ergebnissen, die diametral im Gegensatz zu Aussagen der Bibel stehen.
Wie oben bereits begründet wurde, ist Jesus nicht der Sohn einer
Jungfrau, er wollte nicht für die Sünden der Menschen sterben, und er
ist mit Sicherheit nicht aus dem Grabe gestiegen, wie es die
Evangelien voraussetzen - nämlich leibhaftig.
Zweitens übt die wissenschaftliche Theologie einen konsequenten
Religionsvergleich und setzt das frühe Christentum zu anderen mit ihm
gleichzeitigen Religionen in Beziehung. Das führt dann oft gegen den
Anspruch der biblischen Verfasser zu einer Relativierung des
christlichen Glaubens. So sind praktisch alle Lehren Jesu in der
jüdischen Religion seiner Zeit nachzuweisen, angefangen vom
Liebesgebot bis hin zu den Gleichnissen; und auch was das Neue
Testament "Glauben" nennt, hat zahlreiche Entsprechungen
außerhalb der frühen Kirche.
Drittens und viertens fließen in die theologische Arbeitsweise
soziologische und psychologische Fragestellungen ein. Diese führen zu
einem besseren Verstehen frühchristlicher Gemeinden und der in ihnen
handelnden Personen. Jedoch ergibt sich auch hier ein deutlicher
Unterschied zu dem von der Bibel gezeichneten Bild. Was sie in bezug
auf die Gemeinde und in bezug auf Einzelpersonen "Erfüllt-Sein
mit dem Heiligen Geist" nennt, war in Wirklichkeit eine
Massenpsychose oder die Halluzination eines hocherregten Individuums.
In jedem Fall handelte es sich um innerseelische Vorgänge und nicht um
übernatürliche Eingaben, wie das kirchliche Dogma bis heute annimmt.
Theologische Wissenschaft bedeutet in den meisten Fällen eine
Relativierung der Wahrheitsansprüche der christlichen Kirchen. Aber
gleichzeitig besucht, in Deutschland bis heute, deren Nachwuchs zur
wissenschaftlichen Vorbildung die staatlichen theologischen
Fakultäten.
Der hier vorliegende Konflikt zieht sich wie ein roter Faden durch
die Theologiegeschichte der beiden letzten Jahrhunderte hindurch. Er
wird von der heute herrschenden Theologie überwiegend so gelöst, daß
sie sich als kirchliche Wissenschaft versteht. Der Wert einer
Theologie wird dann danach bemessen, inwieweit sie der Kirche dient.
Ich möchte demgegenüber dafür plädieren, daß der Wert der
Theologie als Wissenschaft davon abhängt, inwieweit sie der Wahrheit
verpflichtet ist. Wissenschaft strebt Objektivität an und kann schon
deswegen niemals vorweg den Wahrheitsanspruch der Kirchen
voraussetzen. Theologie kann überhaupt keine kirchliche Wissenschaft
sein. Entweder ist sie freie Wissenschaft oder sie ist gar keine. Die
Wissenschaft vom christlichen Glauben ist so wenig christlich, wie die
Wissenschaft vom Verbrechen verbrecherisch ist.
Nun kann und wird man natürlich im Namen einer kirchlich
gesonnenen Theologie gegen das soeben dargestellte Programm einer
wissenschaftlichen Theologie den Vorwurf erheben, es lege ein
historisches, empirisches und auch wissenschaftlich gesehen verengtes
Wirklichkeitsverständnis zugrunde. Ich zitiere einen ihrer Vertreter,
den Systematiker Dalfert aus Zürich, der sich kritisch mit meiner
Auffassung der Auferstehung auseinandergesetzt hat. Er schreibt:
"Das Leben umfaßt mehr, als die Wissenschaften auf ihre
methodisch abstrahierende ... und präparierende Art und Weise
erfassen. Und ùGott` steht für mehr als das, was das Leben umfaßt. Auf
dieses Mehr zielt die Theologie". Für Dalferth ist
"historisches Fragen (für sich) genommen noch nicht einmal eine
Annäherung an das, um das es im Auferweckungsbekenntnis geht. Solches
Fragen ist theologisch unzureichend, weil es gerade das methodisch
ausblendet, worum es in dem christlichen Bekenntnis zentral geht: die
Auferweckung des Gekreuzigten". Um ein evtl. Mißverständnis
auszuschliessen, läßt Dalferth ausdrücklich historische,
psychologische, physikalische und wissenssoziologische Fragen zu, doch
nur mit dem Ziel, "die Wahrnehmung der Wirksamkeit Gottes in den
Erfahrungen der Zeit" zu präzisieren. Und weiter besteht er
darauf, daß unter Absehung von Gott die dem christlichen
Auferweckungsbekenntnis zugrundeliegenden Erfahrungen nicht zu
erklären und zu verstehen seien.
Diese Ausführungen hinterlassen bei mir vorwiegend Ratlosigkeit.
Ich brauche nicht darüber belehrt zu werden, daß das Leben mehr
umfasse als die Wissenschaften erfassen. Diese Einsicht ist jedermann
evident, der mit offenen Augen lebt. Die eigentliche Frage stellt sich
aber, wieso und kraft welchen Erkenntnisprivilegs Dalferth und alle,
die seiner Meinung sind, für ihre Disziplin den Rang einer
Wissenschaft beanspruchen. Auf sie trifft eher der Ausdruck
"Meinerei" zu, die unverzüglich von der Universität
verschwinden wird, sobald die Macht der Kirche ihr nicht mehr die
Stange halten kann. In ihr ist nämlich "Gott" eine
unhinterfragbare Größe, die in den modernen wissenschaftlichen
Disziplinen gar nicht mehr vorkommt, und dies mit Recht.
Theologie kann nur dann den Anspruch erheben, eine
wissenschaftliche Disziplin zu sein, wenn sie sich dem Kanon und den
Regeln der modernen europäischen Universität einordnet und von
Erkenntnisprivilegien jeglicher Art - auch von dem Privileg der
Erkenntnis Gottes - Abschied nimmt. Theologie ist insofern eine
geschichtliche Disziplin, als sie das Christentum mit Hilfe der
historisch-kritischen Methode untersucht. Für die historische Methode
sind drei Voraussetzungen grundlegend: die Kausalität, die
Berücksichtigung von Analogien und die Erkenntnis von der
Wechselbeziehung der historischen Phänomene zueinander. Ihre
Arbeitsweise folgt dem methodischen Atheismus der Neuzeit ("als
ob es Gott nicht gäbe"), der freilich von einem dogmatischen
Atheismus zu unterscheiden ist. Befreit von den übernatürlichen
Voraussetzungen und ausgerüstet mit einem Instrumentarium historischer
Kritik hat die so verstandene Theologie als wissenschaftliche
Disziplin geradezu eine kopernikanische Wende für alle Kirchen- und
Religionsgemeinschaften zur Folge. Ihr Siegeszug durch die
Universitäten in den letzten drei Jahrhunderten ist eindrücklich. Sie
hat sich in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen behauptet und
völlig neue Einsichten geliefert.
Die historische Methode ist Teil des emanzipatorischen Prozesses
wissenschaftlicher Neugierde. Sie möchte Sinngebungen nachvollziehen,
d.h. verstehen, muß sich aber, will sie denn Objektivität anstreben
und die Welt entzaubern, gerade deshalb von allen ihr begegnenden
fremden Ansprüchen emanzipieren:
Vom Anspruch des kanonischen Status bzw. der Heiligkeit bestimmter
Schriften, vom Anspruch einer Offenbarung, da Offenbarung kein
wissenschaftlicher Begriff ist, vom Anspruch, zwischen
Rechtgläubigkeit und Ketzerei in einem Sinn zu unterscheiden, der über
die Rekonstruktion und Wahrnehmung historischer Ansprüche hinausgeht.
Denn hier stehen essentiell nicht entscheidbare
dogmatisch-theologische Urteile einander gegenüber.
Die historische Methode verweigert eine Antwort auf die religiöse
Wahrheitsfrage und kann nur verschiedene Wahrheitsansprüche
miteinander vergleichen. Sie ist darin ideologiekritisch. Als
geschichtswissenschaftliches und philologisches Instrument ist sie den
Methoden der Geisteswissenschaften in all ihren Ausprägungen
verpflichtet. Entscheidend bei der Übernahmen neuer Methoden aus den
Nachbardisziplinen Soziologie, Psychologie, Ethnologie u.a. ist deren
Überprüfbarkeit und Effizienz in der Aufhellung geschichtlicher
Phänomene. Ihre Voraussetzungen müssen revidierbar bleiben und können
immer nur durch ihre erklärende und deutende Wirkung, aber nicht durch
kirchlichen Machtwillen in Geltung gehalten werden.
Rede ich hier an Dalferth und seinen Vorgängern und Nachfolgern
vorbei? Um sicherzustellen, daß dies nicht der Fall ist, sei betont:
Wenn Dalferth den Wahrheitsanspruch der christlichen Rede von Gott als
unabdingbare Voraussetzung theologischer Reflexion einführt, dann
sollte er sich zunächst einmal dem Befund stellen, daß die Bibel -
schon sichtbar an ihren verschiedenen Gottesbezeichnungen - eine
Vielzahl unterschiedlichster Gottesbilder enthält. Auf welchen Gott
will man sich denn einigen, wenn es um Wahrheitsansprüche geht, die
wissenschaftlich diskutierbar sein sollen? So haben Juden und Christen
jedenfalls dasselbe heilige Buch, das Alte Testament bzw. die
hebräische Bibel und damit denselben Gott. Wie aber verhält sich
dieser zum Gott des Neuen Testaments, der dem christlichen Bekenntnis
zufolge seinen Sohn in die Welt gesandt hat? Ist nicht schon die
Existenz verschiedener Religionen - Judentum einerseits, Christentum
andererseits - mit derselben Bibel und demselben Gott ein starkes
Argument gegen den Wahrheitsanspruch der christlichen Religion? Als
weiterer Einwand kommt die Existenz des Islam hinzu, dessen
Gottesgedanke einerseits auf der Bibel fußt und andererseits arabische
Elemente enthält. (Der Allah des Koran ist schon sprachlich eine
arabische Gottheit.)
Kirchliche Theologen mögen angesichts dieses Befundes mit einer
höheren Einsicht oder Offenbarung argumentieren. Aber dasselbe werden
der jüdische oder der muslimische Theologe auch tun, und beide werden
nachdrücklich die christliche Lehre von der Dreieinigkeit Gottes
zurückweisen. Hier tut sich also ein neuer Bereich, der des Glaubens
auf. Wenn es sich um echt-religiösen Glaube handelt, dürfte er
rationaler Argumentation nicht zugänglich sein. Kein Glaube kann durch
Argumente widerlegt werden. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf
die Erwartung des nicht eingetroffenen Weltenendes im frühen
Christentum aber auch im 20. Jahrhundert. Als das Ende nicht kam,
gaben die meisten Gläubigen ihren Glauben nicht auf. Ganz im
Gegenteil. Man legte die Verzögerung des Endes als neue Offenbarung,
als Ausdruck der Langmut Gottes, als allerletzte Frist oder wie auch
immer aus. Man glaubte noch stärker, weil man glauben wollte, und
schottete sich so von der Realität ab.
Nun garantiert unser Grundgesetz die Glaubensfreiheit für alle,
auch für die Religionsgemeinschaften. Eine andere Frage ist aber, ob
sie - in diesem Fall die Kirchen - aus dem Grundgesetz das Recht auf
einen eigenen Wissenschaftsbegriff herauslesen dürfen. Dies ist ja die
Meinung der gegenwärtig maßgeblichen Kirchenrechtler. So schreibt
Martin Heckel:
"Der moderne freiheitliche Kulturstaat fördert die
verschiedenen Wissenschaften, Kunstrichtungen, sonstigen
Kulturphänomene pluralistisch und frei jeweils in der Verschiedenheit
und Vielfalt ihres geistigen - auch religiösen und weltanschaulichen -
Profils. Er hat sich verfassungsrechtlich versagt, sie auf den
nivellierenden Leisten eines autoritativen Wissenschafts- bzw.
Kunstbegriffs zu schlagen. Die Garantie der Wissenschaftsfreiheit in
Art. 5 III GG ist nach so gut wie unbestrittener Auffassung im Sinne
pluralistischer Offenheit und Enthaltsamkeit des Staates von einer
materialen Selektion und Präklusion des Wissenschaftsbegriffs der
Verfassung zu verstehen. Sie schützt auch die Theologie als eigenen
überkommenen Wissenschaftszweig von kaum bestreitbarem, in der Breite
anerkanntem Rang in der deutschen Wissenschaftstradition. Als eigene
Wissenschaft wurde die Theologie faktisch wie rechtlich von den
Verfassungen vorgefunden und normativ weiter anerkannt und
garantiert."
Das Motto der juristischen und heute geltenden Ausführungen
Heckels ist: Weil es immer so war, muß es weiter so bleiben. Auf die
Idee, daß die Existenz verschiedener theologischer Fakultäten ein
gewichtiges Argument gegen die Theologie als wissenschaftliche
Disziplin ist, scheint Heckel nicht zu kommen. Vielmehr entkräftet er
dies mit dem Argument, daß der Staat in Sachen Wissenschaft
pluralistisch denke. Merkt er nicht, daß damit der Beliebigkeit
innerhalb der Universität Tür und Tor geöffnet wird? Die
Wissenschaften außerhalb der Theologie werden sich solche
Beliebigkeiten verbieten, falls sie die Theologie überhaupt noch
ernstnehmen.
Außerdem hat Heckel die neueste Epoche historisch-kritischer
Wissenschaft ebenso wie seine juristischen Kollegen nicht wahrgenommen
und versteht unter Theologie immer die dogmatische Theologie. Für ihn
ist das Evangelium nicht nur unverkürzt in den Worten und Taten Jesu
sowie seiner Auferstehung enthalten, es ist gleichzeitig,
reformatorisch geurteilt, die "Wahrheit und das Erlösungshandeln
Gottes, welches aus dem sola scriptura, sola gratia, sola fide
erwächst und von Sünde, Irrtum und Zorn Gottes zum Glauben und Heil
befreit."
Ich nenne es Unaufrichtigkeit, ja, Unterdrückung der historischen
Wahrheit hinsichtlich der Ursprünge des Christentums, wenn im Streit
um meinen Lehrstuhl an der theologischen Fakultät sich
wissenschaftliche Theologen des Votums von Heckel bedienen, um meine
Entfernung aus der theologischen Fakultät zu empfehlen. Es entspricht
theologischem Analphabetentum, wenn die Richter des OVG Lüneburg mit
folgenden Argumenten die Sanktionen gegen meine Person begründen:
Lüdemann habe sich öffentlich vom Christentum losgesagt und erklärt,
er sei nicht mehr Christ, "er glaube nicht mehr an Christus.
Dieser sei nicht ohne Sünde gewesen und nicht Gottes Sohn. Er habe das
Sakrament des Abendmahls nicht eingesetzt, sei nicht den Sühnetod
gestorben, nicht auferstanden und werde nicht zum Jüngsten Gericht
wiederkommen."
Diese von der Kirchenbehörde sachlich vorformulierten und vom OVG
Lüneburg übernommenen Sätze stammen von staatlichen Juristen. Sie
nehmen offenbar die überlieferten zentralen Glaubenssätze für bare
Münze und wissen nicht bzw. haben niemals Unterricht darüber erhalten,
daß die moderne Bibelwissenschaft alle angeführten Aussagen als
unhistorisch erwiesen hat. Die Richter bedienen sich, um die oben
angeführte Formulierung zu benutzen, einer juristischen Satzwahrheit,
die im Verfahren gegen Paul Schulz von kirchlicher Seite noch als
unprotestantisch bezeichnet worden war.
Nun - da man einen Abweichler loswerden will, ist offenbar
jegliches juristisches Mittel recht. Die gegenwärtige Lage erinnert
mich daran, daß kein evangelischer Theologieprofessor unter Hinweis
auf das wissenschaftlich abgesicherte Wissen protestierte, als der
Erzbischof von Paderborn, Degenhardt, Eugen Drewermann u.a. wegen
dessen symbolischem Verständnis der Jungfrauengeburt die Lehrerlaubnis
entzog.
Offenbar geht es in diesen Auseinandersetzungen gar nicht mehr um
die Wissenschaftlichkeit der Theologie, sondern darum, ihren Platz
innerhalb der Universität zu erhalten, zu der sie wegen ihrer
kirchlichen Bindung eigentlich nicht mehr gehört. Denn wer behauptet,
Wissenschaft zu betreiben, und bei seiner Arbeit die Wahrheit des
kirchlichen Bekenntnises nicht antasten darf und will, schlägt der
Wissenschaft ins Gesicht. Wie er es auch immer drehen mag, er ist
unter diesen Voraussetzungen ein Diener der Kirche und nicht der
Wissenschaft.
Dieses harte Urteil ist umso bedauerlicher, als viele der
konfessionellen Theologen philologisch und historisch Hervorragendes
leisten und geleistet haben. Aus der Bindung an die Kirche kommen sie
aber nicht heraus, da diese das Recht hat, ihre Lehre zu beanstanden.
Unter diesem Vorzeichen kann eine wirklich freie Wissenschaft nicht
entstehen oder gar gedeihen. Konfessionelle Theologie als Wissenschaft
entspricht demnach der Quadratur des Kreises. Wer als konfessioneller
Theologe trotzdem die Wissenschaftlichkeit für seine gesamte Arbeit in
Anspruch nimmt, sagt nicht die Wahrheit. Er lügt.
Bei der Untersuchung der theologischen Fakultäten in Deutschland
ergibt sich demnach ein ähnliches Ergebnis wie bei der Betrachtung der
Kirche. Wir begegnen dem Spiel mit einer doppelten Wahrheit: der
Wissenschaftlichkeit einerseits und der kirchlichen Bindung
andererseits. Und das Eigentliche der konfessionellen Theologie wird
neuerdings immer klarer in ihrer kirchlichen Funktion gesehen. Ich
würde meinen: Wenn letzteres allgemein bekannt würde, wären die
Stunden der Theologie an der deutschen Universität gezählt. Denn warum
sollten dann die Kirchen für die Ausbildung ihres theologischen
Nachwuchses nicht auch die Finanzen aufbringen?
III. Kirche in der Öffentlichkeit
Die Rolle der Kirche bei der Besetzung theologischer Fakultäten
und überhaupt ihre enge Zusammenarbeit mit dem Staat wurde bereits
mehrfach angesprochen. Jetzt ist noch abschließend darzustellen, wie
sich Kirche darstellt und nach welchen Maßstäben man arbeitet.
Zunächst: Beide großen Kirchen reden in der Öffentlichkeit möglichst
gemeinsam, um ihren Einfluß aufrechtzuerhalten. Hingewiesen sei auf
das Sozialwort aus dem Jahre 1997 und ihr Engagement gegen die
Freigabe der Ladenschlußzeiten. Sodann beanspruchen die Kirchen,
Hüterinnen des Wertesystems zu sein. Dieser Punkt wird in der Regel
von der hohen Politik aufgegriffen. Bei einem Treffen der lutherischen
Kirche Bayerns mit der bayerischen Landesregierung führte
Ministerpräsident Stoiber dazu aus: Auch eine offene Gesellschaft
brauche notwendig den Beitrag der christlichen Kirchen für ein humanes
Zusammenleben. Stoiber:
"Die Kirchen können wie keine andere Institution den Menschen
eine gemeinsame Wertorientierung vermitteln. Der Grundkonsens über
gemeinsame Werte garantiert ein Zusammenleben in sozialem Frieden und
stabilisiert das geistige Klima in unserem Land. Übereinstimmung in
zentralen Grundwerten schafft den besten Nährboden für ein sozial,
kulturell und geistig lebendiges Gemeinwesen."
Mit Verlaub : Wie kann die lutherische Kirche wirklich einen
Beitrag zu einem humanen Zusammenleben leisten, wenn die heilige
Schrift und die lutherischen Bekenntnisschriften die humanen Werte der
Toleranz und des gleichen Rechtes für alle gar nicht kennen? Wie
können Lutheraner in einem demokratischen Gemeinwesen wirklich
mitarbeiten, wenn der christliche Gott Gehorsam verlangt und
wechselnde Mehrheiten nie akzeptieren wird?
Zusätzlich sei gefragt: Wie kann der neuerdings propagierte Dialog
zwischen Protestantismus und Kultur gelingen, wenn die zutiefst
ablehnende Haltung der frühen Christen zur weltlichen Bildung erkannt
ist?
Mit anderen Worten: Der Beitrag der Kirche zur humanen
Gesellschaft und zur Kultur wird nur stattfinden, wenn die Kirche auf
weite Teile der biblischen Inhalte verzichtet.
Das tun ihre Vertreter auch, aber wiederum nur auf doppelbödige
Weise. Sie lassen oft stillschweigend die dunklen, grausamen,
drohenden Seiten des frohen Botschaft aus. Die positiven Seiten werden
dann beispielsweise so beschrieben, als ob die Bibel aus lauter
Liebesgeschichten Gottes mit den Menschen bestände oder Kultur einen
positiven Bezug in der heiligen Schrift hätte. Auch das ist angesichts
des Inhalts der Bibel unwahrhaftig. Die Kirche muß die Wahrheit
unterdrücken, um in der Gesellschaft hoffähig zu bleiben.
Wie das funktioniert, sei abschließend am Beispiel des Umgangs der
Kirche mit den Juden gezeigt. Angesichts von antisemitischen
Erscheinungen in unserer Gesellschaft hat die Kirche zum Kampf gegen
rechts und zur Solidarität mit den jüdischen Gemeinden aufgerufen. Das
ist gut so. Nicht so gut ist es aber, wenn nun schon seit längerem
behauptet wird, daß das Neue Testament und besonders der Apostel
Paulus niemals dem nicht-christusgläubigen Israel die Erwählung Gottes
abgesprochen habe.
So stellte kürzlich die Landessynode der Evangelischen Kirche von
Westfalen (1999) fest: "Juden und Christen bezeugen je für sich
und füreinander die Treue Gottes, von der sie beide leben. Deshalb
achten Christinnen und Christen jüdische Menschen als Schwestern und
Brüder im Glauben an den Einen Gott. Der offene Dialog über Gottes
Gnade und Wahrheit gehört zum Wesensmerkmal der Begegnung von Christen
mit Juden. Diese Einsichten lassen nicht zu, dass Christen Juden auf
den christlichen Glauben verpflichten wollen. Deshalb distanziert sich
die Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen von jeglicher
Judenmission."
Damit verharmlost die Kirche die Rolle, die das Neue Testament in
der Entstehung des Antisemitismus gespielt hat, und man fragt sich,
warum die heilige Schrift fast 2000 Jahre lang im Sinne einer
Alternative zwischen Kirche und ungläubigem Israel gelesen werden
konnte. Wie gesagt, die Botschaft zur Versöhnung zwischen Juden und
Christen ist gut. Sie kann aber nur vom Neuen Testament her gewonnen
werden, weil die Kirche sich über ihre eigene Vergangenheit belügt.
Ich stehe am Ende meines Vortrags, der viel Negatives sagen mußte.
Das ist mir nicht leicht gefallen, da viele Menschen Opfer der
Institution Kirche sind. Und es ist ein Alarmsignal für unsere
Gesellschaft, wenn der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands nicht nur
unglaubwürdig, sondern auch in sich zerbrochen ist und eigentlich nur
durch den Staat und durch die von ihm verliehenen Vorrechte am Leben
erhalten wird.
Es gibt eine Menge gutwilliger Menschen in dieser Kirche, die
Gutes tun und glauben wollen, viele Pfarerer und Pfarrerinnen, die
keine andere Wahl haben, als weiter für die Kirche zu arbeiten. Meine
Hoffnung ist, daß sie alle auch dann noch einen Weg nach vorn finden,
wenn die Kirche und ihre äußere Macht wie ein Kartenhaus
zusammenstürzt.
Irgendwann schlägt jedem das intellektuelle Gewissen. Dann wird es
Zeit, entschlossen Nein zu sagen und einen Schritt nach vorne zu tun,
auch wenn es weh tut.