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Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 1998
An die
Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen
- Geschäftsstelle -
z.Hd. Herrn
Oberlandeskirchenrat Jörg-Holger Behrens
Rote Reihe 6
30169 Hannover
Nashville/Tennessee, im August 1998
Sehr geehrter Herr Oberlandeskirchenrat,
mit Schreiben vom 14. Juli 1998 haben Sie mir mitgeteilt, daß als
Ergebnis einer eingehenden Überprüfung die (positive) gutachterliche
Äußerung der Kirchen der Konföderation zu meiner Berufung auf den
Lehrstuhl für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der
Universität Göttingen (aus dem Jahre 1982) mit allen Konsequenzen
zurückgenommen werden müsse und ich als Folge die Theologische
Fakultät zu verlassen hätte. Sie begründen dies a) unter Hinweis auf
meine öffentliche Lossagung vom Christentum, b) mit dem Loccumer
Vetrrag zwischen dem Land Niedersachsen und den Evangelischen
Landeskirchen in Niedersachsen sowie c) unter Bezug auf eine
Pressemitteilung, die die Stellungnahme des Professorenkollegiums der
Theologischen Fakultät Göttingen zu dieser Angelegenheit enthält.
Gleichzeitig geben Sie mir Gelegenheit, im Rahmen einer schriftlichen
Anhörung bis zum 1. September 1998 zum Ergebnis dieser Überprüfung
Stellung zu nehmen. Diesem Angebot komme ich hiermit nach. Ich gehe so
vor, daß ich zu den genannten drei Punkten der Reihe nach Stellung
nehme und im Anschluß daran die Vor- und Nachgeschichte Ihrer
Überprüfung kommentiere.
Zu a): Ja, ich bezeichne mich nicht mehr als Christ, weil ich, wie
Sie richtig sagen, die wesentlichen Grundzüge von Lehre und Bekenntnis
der evangelisch-lutherischen Kirche in verschiedenen Büchern
preisgegeben habe: die Gottessohnschaft Jesu, die Auferstehung Jesu,
die Wiederkunft Jesu zum Gericht, die Auffassung der Bibel als Wort
Gottes. Gleichzeitig möchte ich betonen, daß all die genannten Lehren
von der Mehrheit der Pastoren der evangelischen Kirche nicht mehr
vertreten werden, obwohl sie bei der Ordination darauf verpflichtet
worden sind. Ich nenne das Anstiftung zur Heuchelei seitens der
Amtskirche. Denn was sollen die künftigen Pastoren nach einem Studium
von vielen Jahren anderes tun, als in diese Scheinheiligkeit
einzuwilligen?
Zu b): Im Loccumer Vertrag ist festgelegt: "Vor der
Anstellung eines ordentlichen oder außerordentlichen Professors an der
Theologischen Fakultät wird der zuständigen kirchlichen
Verwaltungsbehörde Gelegenheit zu gutachterlicher Äußerung
gegeben" (Art. 3 Abs. 2). Ihr aus dem Loccumer Vertrag
herausgelesenes nachträgliches Beanstandungsrecht mittels Rücknahme
der gutachterlichen Äußerung ist gekünstelt. Und selbst wenn es
gerechtfertigt wäre, folgt daraus noch keine automatische Entfernung
aus der Professur an der Theologischen Fakultät durch den Staat, da
die evangelische Kirche selbst vor der Berufung, anders als die
römisch-katholische Kirche, kein Vetorecht besitzt und ihrem Votum
daher in keinem Fall ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Ich erinnere
daran, daß der bedeutende Theologe Adolf Harnack im Jahre 1888 gegen
das Votum der Amtskirche nach Berlin berufen wurde. Schließlich wird
im Loccumer Vertrag die Existenz der Theologischen Fakultät Göttingen
so begründet, daß sie zur wissenschaftlichen Vorbildung der
Geistlichen bestehe (Art. 3 Abs. 1). Ist "wissenschaftliche
Vorbildung" etwa mit "Ausbildung" gleichzusetzen? Ich
habe es nie als meine Aufgabe angesehen, künftige Geistliche
auszubilden, erhebe aber als Professor den Anspruch, sie mit den
Ergebnissen der Wissenschaft vertraut zu machen. Auch der Meinung der
Kirche nach beginnt die eigentliche Ausbildungsphase erst nach dem
Ersten Examen.Warum soll mein Beitrag nicht weiter der
wissenschaftlichen Vorbildung der künftigen Geistlichen dienen, wenn
ich die Studierenden in die Methoden der historischen Kritik einführe?
Zu c): Die Pressemitteilung zur Stellungnahme des
Professorenkollegiums der Theologischen Fakultät Göttingen ist
irreführend, da sie - entgegen dem Wortlaut - kein einmütiges Votum
meiner Kollegen ist, sondern nur die Mehrheitsmeinung wiedergibt. Die
von der Mehrheit ausgesprochene Meinung, Wissenschaft und christlicher
Glaube seien ihrem Wesen nach vereinbar, ist solange unklar, solange
nicht die Bestandteile des christlichen Glaubens benannt werden (s.
oben zu Punkt a). Ich möchte hier mit dem Apostel Paulus sagen:
"Ist aber Christus nicht auferweckt worden, so ist unsere Predigt
vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich" (1Kor 15,14). Da
Jesus, wissenschaftlich geurteilt, nicht auferstanden ist, hilft es
nicht, die Vereinbarkeit von Wissenschaft und christlichem Glauben zu
beteuern. Durch das Faktum der Nicht-Auferstehung Jesu, konkret: das
Verwesen seiner Leiche, fällt der auf dem Boden von Bibel und
Bekenntnis errichtete christliche Glaube wie ein Kartenhaus zusammen.
Lassen Sie mich noch kurz die Vor- und Nachgeschichte Ihrer
Überprüfung meiner Rechtgläubigkeit kommentieren: Bereits im Mai
dieses Jahres erreichte mich über die Presse die Nachricht, daß Sie
bei der Landesregierung unter Verweis auf den Loccumer Vertrag meine
Abberufung aus der Theologischen Fakultät verlangt haben. In welchem
Verhältnis steht diese Aktion zur gegenwärtigen Anhörung? Und
schließlich erfuhr ich wiederum aus der Presse, daß am 10. Juli eine
Einigung zwischen Konföderation und Landesregierung zu meinem
Verbleiben in der Theologischen Fakultät erreicht worden sein soll -
ein Übereinkommen, das Ende Juli der erstaunten Öffentlichkeit
mitgeteilt wurde. Auch hier sei die Frage erlaubt: In welchem
Verhältnis steht dies zu Ihrem Brief vom 14. Juli, in dem Sie darauf
insistieren, daß ich die Theologische Fakultät verlassen müsse, und
auf den ich hiermit reagiere? All dies ist widersprüchlich und genauso
peinlich wie Ihr Ansinnen selbst, zum ersten Mal in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland einen evangelischen Theologieprofessor
nachträglich aus seinem Amt zu drängen.
Ferner möchte ich Sie auf mein neues Buch "Im Würgegriff der
Kirche. Für die Freiheit der theologischen Wissenschaft" (zu
Klampen Verlag Lüneburg, erscheint Anfang September) verweisen, in dem
ich die gegenwärtigen Auseinandersetzungen dokumentiert und den Weg
aus der engen konfessionell gebundenen Theologie aufgezeigt habe.
Ich darf abschließend die Hoffnung ausdrücken, daß dieses Buch und
die vorliegende Stellungnahme Sie überzeugen und meine weitere
Tätigkeit an der Theologischen Fakultät werden ebnen helfen. Ich will
an der Theologischen Fakultät nur weiter tun dürfen, was ich bei
meiner Habilitation versprochen habe: der Wissenschaft dienen und die
akademische Jugend im Geist der Wahrheit erziehen.
Hochachtungsvoll
gez. Prof. Dr. Gerd Lüdemann
(August 1998)