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Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 1994
Gerd Lüdemann antwortet Kritikern seines "Auferstehungs-Buches"
Eine bemerkenswerte öffentliche Reaktion hat das Buch
"Die Auferstehung Jesu - Historie, Erfahrung, Theologie" von
Gerd Lüdemann hervorgerufen. Die EZ informierte darüber In einem
ausführlichen Interview (Nr. 7/94, S. 8 und 9) mit dem Autor, einem
Bericht über die Göttinger Streitgespräche (Nr. 27, S. 3) und weiteren
Texten. An negativen Kritiken aus theologischen und kirchlichen
Kreisen hat es nicht gefehlt. Zu den herausragenden PersönIichkelten,
die eine Stellungnahme abgaben, zählen der Theologe Wolfhart
Pannenherg aus München und Landesbischof Horst Hirschler aus Hannover.
Lüdemann bewertet sie als "Außenseitermeinung" und
"nicht erstrebenswerten Fundamentalisus".
Der Münchener Fundamentaltheologe Wolfhart Pannenberg hielt am 23.
Juni 1994 in Göttingen einen Vortrag (publiziert in der
"Zeitschrift für Theologie und Kirche" 91. 1994, S.
318-328), in dem er mit großer Nüchternheit und mit Akribie den
Gedankengang meines Buches nachgezeichnet hat. Seine Theologie hat
mich schon während meines Studiums beeindruckt, weil sie die
historische Frage wieder in den Mittelpunkt gerückt und dem
Schriftprinzip den Abschied gegeben hat. Er erklärte mit erfrischendem
Mut: Das Urteil darüber, ob ein noch so ungewöhnliches Ereignis
geschehen sei oder nicht, sei letztlich Sache des Historikers und
könne durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht vorentschieden
werden. Hier hat Pannenberg wie kein anderer in der neueren
Theologiegeschichte die historische Erforschung der mit der
Auferstehung Jesu verbundenen Ereignisse und diese selbst als
bleibende Aufgabe erkannt.
Sehe ich es richtig, so bezogen sich Pannenbergs Einwände in
Göttingen auf zwei historische Punkte der Rekonstruktion. Erstens:
Zwar sei die Erscheinung vor Kephas in Galiläa als eine Vision zu
bezeichnen, doch gehe bei ihr wie bei allen anderen Ostererscheinungen
die Initiative vom erhöhten Herrn selbst aus. Zweitens: Die
Zuschreibung der Entdeckung des leeren Grabes an Frauen und vor allem
das Fehlen einer Christuserscheinung am Grabe bei Markus mache die
Annahme einer rein legendären Bildung unglaubwürdig. Da auch seiner
Meinung nach gegen Hans von Campenhausen, der die Entdeckung des
leeren Grabes durch Frauen als auslösenden Faktor der Erscheinung in
Galiläa ansieht, die im Worte des Engels Mk 16,6 reflektierte
Erscheinungstradition (vor Kephas in Galiläa) unabhängig von der
Grabestradition entstanden ist, spricht er von einer Konvergenz
verschiedener Befunde, nämlich a) der Entdeckung des leeren Grabes
durch Frauen in Jerusalem und b) der Erscheinung Jesu vor Kephas in
Galiläa.
Damit ist für Pannenberg der wahrscheinliche historische Befund
rekonstruiert, der seinerseits auf die historische Tatsache der
leiblichen Auferstehung Jesu verweise. Ich muß gesehen, daß ich mit
dieser Konvergenztheorie nichts anfangen kann, und zwar nicht wegen
des säkularistischen Dogmas, daß Tote nicht auferstehen, sondern weil
sie phantastisch ist (wie soll man sich das denn - ohne Hokuspokus -
konkret vorstellen?). Nicht zufällig haben sich in den letzten 25
Jahren nur wenige der Konstruktion Pannenbergs anschließen können, und
es stimmt bedenklich, daß sich im Zusammenhang der Diskussion meiner
Osterthese eine solche Außenseitermeinung wieder erneut Gehör
verschafft.
Eine weitere Stellungnahme zu meinem Buch, von der ich zuerst
durch ideaspektrum Nr. 24 vom 15. Juni 1994 erfuhr (Überschrift:
"Kritik an Auferstehungsthesen: Theologieprofessor "stochert
im Nebel") stammt von Landesbischof Horst Hirschler. Er hat sie
öffentlich vor der Hannoverschen Synode am 10. Juni 1994 abgegeben.
Diese Stellungnahme dürfte eine sehr hohe Auflage erreicht haben, da
sie nicht nur an alle Kirchenkreise der Landeskirche Hannovers
verschickt, sondern auch - durch den redaktionellen Zusatz
"Skandal Lüdemann" ergänzt - in
fundamentalistisch-evangelikalen Kreisen in ganz Deutschland gezielt
verbreitet wurde. Bischof Hirschler hatte bereits in der
Osterbetrachtung der EZ vom 3. April 1994 die Visionsthese meines
Buches verworfen, weil sie "das Wesentliche des Osterglaubens
zunichte" mache. Nun holt er weiter aus und begründet diese
Kritik mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.
Das ganze Buch bespricht er freilich nicht, sondern vor allem die
letzten beiden Kapitel.
Er hält es "für wissenschaftlich problematisch, aus einer
beliebig wirkenden Auswahl von tiefenpsychologischen Deutungen und
Erfahrungen mit Erscheinungen Verstorbener einen scheinbar plausiblen,
lückenlosen Weg von der Karfreitagsverzweiflung hin zu den österlichen
Erfahrungen zu konstruieren". Dann folgt der von ideaspektrum so
gierig aufgespießte Satz. "Lüdemann stochert mit einem
wissenschaftlich problematischen Instrumentarium im Nebel". Er
entspricht der später folgenden Bemerkung zu Gal 1,12 und 1,16:
"Wenn ich das als Vision bezeichne, so ist das nicht vielmehr als
ein Stochern im Nebel", denn die ausgeführten Verse bei Paulus
seien wie folgt zu verstehen: "Gott hat das in mir
klargestellt."
Nun habe ich im Buch (S. 70-106 der ersten Auflage, S. 61-94 der
Neuausgabe) ausführlich die Visionshypothese zu begründen versucht und
sehe nicht ein, daß sie durch solche Sätze widerlegt worden sei. Ich
hatte mich ausführlich mit verschiedenen Verständnissen von Visionen
auseinandergesetzt und beispielsweise Anm. 679 geschrieben: "Eine
Vision ist eine Primärerfahrung und trägt die religiöse Wahrheit ganz
in sich selbst." Und auch Gerhard Ebeling hat in seiner Dogmatik
des christlichen Glaubens II, 1979, dessen Lektüre Bischof Hirschler
empfiehlt, die Ostererscheinungen Jesu ausdrücklich als Visionen
bezeichnet, weil dieser Begriff stets auf etwas hintendiert, "was
man nicht aus sich selbst hervorbringt, sondern was einem
widerfährt" (S. 299). Wie kann daher Bischof Hirschler die von
mir erneut begründete Visionshypothese geißeln und auf eine Dogmatik
hinweisen, deren Verfasser sie gleichfalls vertritt? Bischof
Hirschlers in diesem Zusammenhang geäußerter Vorwurf des Eklektizismus
rührt an einen Kern heutiger wissenschaftlich-theologischer Arbeit,
weil niemand mehr sowohl sein eigenes Fach als auch die Nachbarfächer
als auch die übrigen Geisteswissenschaften sowie die
Naturwissenschaften überblicken kann. Ich weiß nicht, wem da ein
solcher Vorwurf nicht gemacht werden könnte, wenn er Einsichten
anderer Disziplinen verwendet. Solche Anleihen sind mit Einschränkung
sogar notwendig, weil reines Spezialistentum das Denken verhindert.
Wenn ein solches "Stochern im Nebel" aber doch nicht
weiterhelfen sollte, wie will Bischof Hirschler da weiterkommen?
Seiner Meinung nach sind die messianischen Texte des Alten Testaments,
zum Beispiel Jesaja 53, als Schlüssel für Karfreitag einleuchtender
als tiefenpsychologische Hilfskonstruktionen. Wie konnten die ersten
Jünger überhaupt dazu kommen, im Gottesknecht von Jesaja 53 Jesus zu
entdecken? Das konnten sie erst, nachdem sie ihn lebendig gesehen
hatten und dann im Rückblick die Sühnekraft seines Todes auszusagen in
der Lage waren. Mit anderen Worten, der theologischen Gleichsetzung
von Jesus mit dem Gottesknecht muß eine umstürzende Erfahrung erst
vorangegangen sein, und um das Verständnis dieser Ostererfahrung geht
es mir in meinem Buch.
Seinen Beitrag durchzieht die Kritik, ich hätte zu Kreuz und
Auferstehung Jesu als Heilsereignis nur mühsam ein Verhältnis. Das
trifft zweifellos zu, und in den ersten beiden, von Bischof Hirschler
nicht berücksichtigten Kapiteln des Buches wurden ja die
Schwierigkeiten geschildert, die ich seit dem Beginn des
Theologiestudiums mit der wissenschaftlichen Theologie in dieser
Hinsicht gehabt habe. Dort ist auch das Buch als Denkversuch
bezeichnet, "der anderen vielleicht helfen kann, ein
Zwischenresultat zu erzielen, das jenseits von geschichtsloser
Heilsgewißheit und historischem Besserwissen liegt". Dieser
Denkversuch hat mich zunächst weg von der kirchlichen Interpretation
von Kreuz und Auferstehung als Heilsereignis zurück zu Jesus von
Nazareth geführt, und ich entdeckte dann zu meiner Freude, daß in
seiner Verkündigung bereits alle wesentlichen Elemente des
Osterglaubens des Petrus und des Paulus enthalten waren. Wenn Bischof
Hirschler anmerkt, mein Credo ähnele stark dem der liberalen Theologie
der Jahrhundertwende, so sei mir - mit Verlaub - die Bemerkung
gestattet, daß die von der liberalen Theologie aufgeworfenen Fragen zu
schnell als erledigt betrachtet worden sind und daß das allzu schnelle
Sich-Hinwegsetzen über die Probleme, mit denen das 19. Jahrhundert
rang, die immer spürbarer werdende Schwäche der Gegenwart ist. Ein
wissenschaftlicher Theologe kann aus Gewissensgründen heute gar nicht
anders, als über historische Dinge im Urchristentum offen zu sprechen
und zu schreiben, auch wenn er sich sofort den Vorwurf des
Rationalismus oder des "verobjektivierenden wissenschaftlichen
Eros" (Hirschler) zuzieht. Ich halte diese Kritik für ein
verdächtiges Zeichen eines Mangels an Bedürfnis nach Wahrhaftigkeit.
Wenn mein Buch sich den Tadel des Bischofs einhandelt, schön. Es
wäre seinerseits auch eine Stellungnahme zum Votum des Leiters des
Arbeitskreises für evangelikale Theologie geboten, der in Kritik
meines Buches die Auferstehung Jesu zu den "historisch am besten
belegten Ereignissen der Antike" bezeichnet hatte. Falls ein
solcher Satz, den ich nur als Versuch der Verdummung bezeichnen kann,
fortan Geltung hätte, so würde das Christentum mit der Barbarei und
die Wissenschaft mit dem Unglauben gehen. Da dieser Fundamentalismus
aber nicht erstrebenswert ist, bleibt uns nichts anderes übrig, als
die Spannung zwischen Wissenschaft und Glauben getrost auszuhalten.
Gerd Lüdemann
Die sechs EZ-Texte zum Thema "Auferstehungdiskussion und
Lüdemann-Buch" können mit drei Mark in Briefmarken bei der
EZ-Redaktion, Knochenhauerstraße 38/4O, 30159 Hannover, als Kopie
angefordert werden.
(Evangelische Zeitung, 16. Oktober 1994)