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Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 1997
Lüdemann fordert EKD-Spitzentheologen heraus
Zum Kommentar "Liebe Leser" (Nr. 23, S. 3) vom
Vizepräsidenten des EKD-Kirchenamtes, Hermann Barth
Vizepräsident Hermann Barth richtet anläßlich der
ZDF-Fernsehsendung "Gottes dunkle Seiten - Gewalttexte in der
Bibel" eine frontale Attacke in idea gegen meinen Beitrag zu
diesem Thema, der angeblich darin bestehe, "über die Bibel die
Schlachten der Vergangenheit zu schlagen" und den christlichen
Glauben zu schmähen. Es hat mich besonders interessiert, wie Barth mit
den anerkanntermaßen grausamen Texten der Bibel umgeht, deren bloße
Nennung in der Fernsehsendung seinen scharfen Vorwurf provoziert hat.
Er sprach sich erfreulicherweise in einer eigenen Stellungnahme in
vier Punkten erstens für eine sachliche Kritik an den biblischen
Aussagen aus, wenn diese wie in Psalm 137 nicht den Geist Christi
atmen. Hier sind wir ganz eins. Zweitens wendet er sich gegen eine
Gleichsetzung von Bibel und Wort Gottes und stellt eine Differenz
zwischen dem Buchstaben der Bibel und dem lebendigen Gott fest. Auch
an dieser Stelle kann ich nur zustimmen. Drittens will er gleichwohl
am Heiligen, Gewaltigen und Befremdenden des biblischen Gottes
festhalten. Öffnet dies nicht gerade der Gewaltanwendung eine
Hintertür? Barth empfiehlt viertens, von den dunklen Seiten Gottes zu
"flüchten hin zur Offenbarung seiner lichten Seiten in der
Geschichte Jesu Christi". Dieser Satz bleibt ohne Erläuterung
eine Ausflucht, da die Geschichte Jesu Christi erst einmal auf der
Grundlage des von Jesus wirklich Gesagten rekonstruiert werden muß.
Barths vier Aussagen sind ein beachtlicher Versuch, mit den
unmenschlichen Seiten der Bibel umzugehen. Doch enthalten diese Punkte
keinen direkten Hinweis auf den verhängnisvollen Antijudaismus des
Neuen Testaments, den ich in der Fernsehsendung ausdrücklich
angesprochen habe und der in einem Zusammenhang mit den Gewalttexten
des Alten Testaments steht. Um die Aufarbeitung dieses Zusammenhanges
und seiner Folgen bis in die jüngste Vergangenheit bemühe ich mich
gerade in dem Buch "Das Unheilige in der Heiligen Schrift"
(1996), das die Grundlage meiner Äußerungen in der von Barth scharf
angegriffenen Fernsehsendung ist. Ich bedauere es außerordentlich, daß
der Vizepräsident in seiner Kritik implizit meinen Versuch, den
Antijudaismus der Bibel aufzuarbeiten, als Schlacht der
Vergangenheit" bezeichnet, obwohl er sich selbst um eine
Korrektur der dunklen Seiten der Bibel bemüht. Ich sehe über Barths
verächtliche Äußerungen zu meiner Person hinweg, möchte aber dazu
auffordern, in einem öffentlichen Streitgespräch die angesprochenen
Probleme zu diskutieren. Denn, verehrter Herr Barth, es kann nicht
dabei bleiben, daß Sie in Pressemeldungen und in Editorials meine
Position verächtlich machen bzw. karikieren und bisher einen
öffentlichen Disput scheuen, obwohl Sie bereits dazu aufgefordert
worden sind. Der kommende Reformationstag wäre eine gute Gelegenheit,
über die Bibel als Wort Gottes zu disputieren. Dies wäre ein Beitrag,
der eine unmittelbare Bedeutung für die Gegenwart hätte.
Prof. Dr. Gerd Lüdemann, 37073 Göttingen