Gerd Lüdemann's Homepage
Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 1994
Das "verflixte" siebte Buch
Eine Entgegnung von Gerd Lüdemann
Die Zahl 7 hat es offenbar doch in sich. Das Buch "Die
Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie" war mein
siebtes Buch im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Es
wurde nach Lektüre durch den Verleger als Publikation angenommen und
ganz normal im Verlagsprogramm angekündigt. Ebenso wie bei meinen
letzten Büchern und den Forschungsprojekten, die nennenswerte
Drittmittel erhalten hatten, verfaßte ich eine Kurzbeschreibung für
die Pressestelle der Universität und/oder für das Göttinger Tageblatt,
weil eine überlegte Öffentlichkeitsarbeit einer modernen Universität
gemäß ist. Nach der Veröffentlichung der von mir eingereichten
Presseerklärung, die in ihrer möglichen Brisanz vom Pressesprecher ein
wenig abgemildert wurde, brach der Sturm los. Die Presseberichte
bezogen sich in den Schlagzeilen auf das geschichtliche Ergebnis
meines Buches ("Das Grab war voll und nicht leer"),
referierten dann aber in der Regel völlig korrekt die dem historischen
Resultat entsprechende Visionshypothese (die Behauptung der
Auferstehung Jesu beruhe auf Visionen der ersten Jünger), und
telefonische Anfragen beantwortete ich, so gut es ging. Mein Verleger
war über die Reaktion der Presse bestürzt und ebenfalls darüber, daß
der historische Teil meiner These so sehr in den Vordergrund geschoben
wurde (z.B. "Jesu ist nicht leiblich auferstanden") und
fühlte sein Ansehen als "christlicher Verleger" bedroht. Er
sah eine von ihm selbst entworfene Änderung der diesbezüglichen Sätze
als unumgänglich an, in die ich nach langem Zögern einwilligte - aus
menschlicher Rücksicht auch angesichts einer langen Zusammenarbeit
sowie in dem Wissen, daß das Buch noch nicht gedruckt und ein Vertrag
noch nicht unterzeichnet war. Aus dem ursprünglichen Anfang des 6.
Kapitels "Wir können die Auferstehung Jesu nicht mehr im
wörtlichen Sinne verstehen, (...) denn, konkret gesprochen, war das
Grab gar nicht leer, sondern voll, wenn es überhaupt ein Einzelgrab
gegeben hat, und der Leichnam Jesu ist jedenfalls nicht entwichen,
sondern verwest. Selbst heute oder heute wieder versuchen nicht wenige
diesem unumgänglichen Schluß zu entgehen (...)" wurden die Sätze:
"Wir können die Auferstehung Jesu nicht mehr im wörtlichen Sinne
verstehen, (...) denn, historisch gesehen, wissen wir nicht das
geringste über das Grab (war es leer? war es überhaupt ein
Einzelgrab?) und über das Schicksal des Leichnams Jesu: Ist er
verwest? Ich halte diesen Schluß allerdings für unumgänglich."
Die Hoffnung, damit seien alle Probleme beseitigt, trog
allerdings. Wenig später erhielt ich gleich zweimal unter Hinweis auf
eine nicht mit dem Verlag abgesprochene "PR-Aktion" den
Bescheid in die USA geschickt, daß das Buch sofort in einem anderen
Verlag übergehe oder nach der ersten Auflage von Vandenhoeck &
Ruprecht nicht mehr betreut werden könne. Der Radius-Verlag in
Stuttgart sprang freundlicherweise ein und veröffentlichte inzwischen
die zweite Auflage, die den vom ersten Verlag ursprünglich
akzeptierten Text enthält. So weit die faktengetreue Schilderung eines
für mein Gefühl ungeheuerlichen Vorgangs. Einige mehr persönliche
Dinge übergehe ich auch jetzt noch.
Einzelne Vorwürfe gegen mich, die mir allerdings nur aus zweiter
Hand zugetragen wurden, erledigen sich damit von selbst, so die
Kritik, die Pressemitteilung stimme nicht mit dem Inhalt des Buches
überein. Was die eliminierte Formulierung der Zentralthese angeht,
konnte sie dies nach der Reihenfolge der Ereignisse gar nicht. Diese
Kritik wendet nun die von mir geübte Rücksicht gegen mich, und die
angeblich betriebene PR-Kampagne reduziert sich auf den von mir auch
sonst geübten Brauch der einen Pressemitteilung. Ich sage das noch
einmal, weil bedauerlicherweise der Hinweis auf die von mir angeblich
betriebene Pressekampagne, in "fachlichen" Verrissen wieder
auftaucht, und zwar als eine Art Rufmord und Ehrabschneidung, ebenso
aber auch in Kreisen, die dem Verfasser ohnehin schaden wollen. So
veröffentlichte ein Kollege aus Süddeutschland gleich drei Verrisse,
und zwar in der FAZ, in den liberalen Evangelischen Kommentaren und im
evangelikal-fundamentalistischen ldea-Spektrum, und ein anderer
publizierte in einer bei Vandenhoeck & Ruprecht verlegten
Zeitschrift "dogmatische Beohachtungen" zu meinem Buch, und
zwar unter der Überschrift "[Nonsense (Lk 24,11)]".
Offenbar deuten all die emotionalen Reaktionen, angefangen vom
"Rausschmiß" durch den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht,
auf ein sachliches Problem hin. In der Theologie scheint es immer noch
eine Tabuzone zu geben, über die niemand oder nur wenige ohne Wenn und
Aber zu sprechen wagen. Im Vorwort zur 2. Auflage meines Buches habe
ich dazu folgendes ausgeführt: "Die Thesen des vorliegenden
Buches haben schon vor seinem Erscheinen in der Öffentlichkeit ein
lebhaftes Echo gefunden. Sie wurden leidenschaftlich abgelehnt in
Kreisen, die die Bestreitung der körperlichen Auferstehung Jesu als
Verrat am Evangelium ansehen und juristische Maßnahmen gegen den
Verfasser als natürliche Konsequenz fordern. Anderen, die sich als
moderne Christen auffassen, ging die Aussage zur Verwesung des
Leichnams Jesu zu weit und sie warfen dem Buch eine Überschätzung der
Geschichtswissenschaft und eine Unterschätzung der Theologie vor. Aber
trotz aller Einwände und Widerstände hat das Buch doch bereits etwas
in Bewegung gesetzt und einen Prozeß der Diskussion eingeleitet, der
der Klärung dessen dient, was überhaupt unter "Auferstehung"
zu verstehen ist. Es will belehren, um zu beleben, und einen
menschlich-vernünftigen Zugang zur 'Auferstehung' vermitteln.
Das ist umso wichtiger, als die 'Auferstehung' Jesu weithin zu
einem unentbehrlichen Requisit der Theologie und dadurch zu einer
Leerformel geworden ist. Viele Christenmenschen sind heute einer
schizophrenen Bewußtseinsspaltung verfallen. Die geheiligten
Sperrbezirke kirchlicher und theologischer Überlieferung stehen
vielfach dem natürlichen menschlichen Wahrheitssinn unvermittelt
gegenüber. Gelingt hier kein Brückenschlag, ist die Glaubwürdigkeit
von Theologie und Kirche dahin, und beide erstarren in scheinhaftem
Glanz zu Tode."
Es hat mich betroffen gemacht zu hören, daß das Buch auch
Gegenstand einer Anfrage in einer Senatssitzung war, in der Hinweise
auf Verrisse des Buches seine Wissenschaftlichkeit und seine Bedeutung
anzweifeln sollten. Die Nicht-Theologen oder Theologen, die sich hier
engagiert und dem Buch eine Antikirchlichkeit vorgeworfen haben, sind
sich anscheinend nicht klar darüber, daß Theologie nur dann eine
Existenzberechtigung an der Universität hat, wenn sie in ihren
historischen Disziplinen denselben Maßstäben verpflichtet ist wie die
historisch-philologischen Wissenschaften und ihre Ergebnisse auch
offen ausspricht. Um die Freiheit der Forschung geht es hier und um
die Glaubwürdigkeit einer wissenschaftlichen Theologie an der
Universität. Die deutsche Theologie - und gerade die Göttinger
Fakultät - hat in dieser Hinsicht eine großartige Geschichte
hinsichtlich ihrer Leistungen und ihres internationalen Ansehens, aber
auch im Blick auf ihre Privilegien. (Das Gleiche gilt ja für meinen
Erstverlag, der wie kein anderer in Deutschland sich vor allem in den
historischen Disziplinen der Theologie bleibende internationale
Verdienste erworben hat.) Christliche Verleger und kirchliche
Theologen, die hier einschreiten wollen, bedrohen - das ist mein Fazit
- letztlich die Existenz theologischer Fakultäten an der Universität.
Nicht die kirchliche Brauchbarkeit, sondern die historische Wahrheit
muß zunächst Ziel in den geschichtlichen Disziplinen der Theologie
sein.
(Spektrum 3/94; Informationsorgan der Universität Göttingen)