Gerd Lüdemann's Homepage
Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 1998
Der Göttinger Neutestamentler Gerd Lüdemann über Christentum, die Geburt Jesu und seine Zukunft als Professor
Gerd Lüdemann (51) gilt als der am meisten umstrittene Theologe im
deutschsprachigen Raum. Besonderes Aufsehen erregten die steilen
Thesen des Göttinger Neutestamentlers: Christus sei verwest wie jeder
andere Mensch auch, Maria sei keine Jungfrau gewesen und die Bibel
reines Menschenwort, sagt Lüdemann.
Herr Professor Lüdemann, Sie haben sich vom Christentum
verabschiedet. Warum?
Weil die Grundaussagen der christlichen Religion nicht zutreffen,
Jesus nicht von den Toten auferweckt wurde. Die meisten Worte und
Taten, die Jesus zugeschrieben werden, hat er gar nicht getan oder
gesagt. Das Ganze ist ein großer Betrug.
Wer ist dann Jesus von Nazareth in Ihren Augen: Ein Betrüger, ein
gewöhnlicher Mensch oder immerhin einer mit prophetischen Anlagen?
Ein großer Mensch. Denn Betrüger ist er selbst nicht, das haben
erst die Christen aus ihm gemacht. Er selbst wollte nicht die Kirche
gründen. Er hat das Reich Gottes verkündigt, gekommen ist die Kirche.
Eine Ihrer besonders irritierenden Thesen lautet sinngemäß: Maria
ist nicht durch den Heiligen Geist, sondern durch eine Vergewaltigung
schwanger geworden. Wie meinen Sie das?
Ich meine es zunächst einmal wörtlich. Josef ist nicht der Vater,
erstens. Zweitens, Josef hat Jesus adoptiert. Und drittens, er konnte
Jesus nur adoptieren und Maria nur heiraten, weil Maria Gewalt angetan
worden ist. Hätte sich Maria etwas zuschulden kommen lassen, hätte er
sie nie geheiratet. Das sind die wesentlichen Gründe. Zusätzlich ist
noch zu berücksichtigen jene jüdische Legende, wonach Maria eine
Affäre mit einem römischen Soldaten gehabt hat.
Sie werden häufig als "zweiter Savonarola" bezeichnet.
Fühlen Sie sich eigentlich wohl bei diesem Attribut? Schließlich wurde
Savonarola vor ziemlich genau 500 Jahren auf dem Scheiterhaufen
hingerichtet.
Also, mit Savonarola möchte ich nicht gerne verglichen werden,
weil er ja nach seinem Tode noch von Anhängern gesehen wurde.
Savonarola war ja eine prophetische Gestalt. Ich bin viel mehr der
Aufklärung verpflichtet, und wenn schon ein Vergleich mit einer großen
Person gemacht werden sollte, dann vergleichen Sie mich besser mit
David Friedrich Strauß.
Zur Gretchenfrage. Sie sind vom Christentum abgerückt. Gibt es für
Sie ein anderes Gottesbild, das für Sie wichtig ist?
Ich würde sagen, ich habe meinen christlichen Glauben, aber nicht
meinen Glauben verloren. Ich habe meinen Glauben neu entdeckt, und
Gott ist für mich das Symbol für das Feststehende, keine persönliche
Größe, und mein Gottesbild hat sowohl männliche als auch weibliche
Züge. Im ganzen würde ich mich da mehr als Mystiker bezeichnen.
Die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod spielt für Sie keine
große Rolle.
Nein, wir leben nur einmal. Was nach dem Tod ist, können wir gar
nicht sagen.
Und das Fegefeuer?
Das Fegefeuer ist deswegen absurd, weil der Ursprung dieses
Gedankens klar ist. Das soll Gläubige zur Ordnung rufen oder bedrohen.
Ich rechne nicht damit und ich rechne auch nicht mit einem
persönlichen Überleben nach dem Tode, denn ich finde es anmaßend, mit
dem eigenen Überleben zu rechnen und gleichzeitig nicht über die
Milliarden von Menschen zu sprechen, die arm sind, die ganz jung
gestorben sind, ja, die sogar abgetrieben worden sind.
Wie sieht es mit Ihrer persönlichen Zukunft aus? Die
niedersächsische Landeskirche will sie aus dem Amt entfernen?
Die Aktion läuft. Ich werde bis zum Umfallen kämpfen, um weiter
dort zu arbeiten, wo ich immer gearbeitet habe.
Und eine Lösung vergleichbar mit Tübingen, wo vor 20 Jahren ein
Lehrstuhl für Hans Küng eigens ausgelagert wurde?
Nein. ich bin offensiver als Küng. Mein Ziel ist es, die
theologischen Fakultäten überhaupt zu reformieren, die Fakultäten
völlig umzukrempeln und die Konfessionalität aufzuheben. Und ich bin
auch der Meinung, daß ich bessere Argumente auf meiner Seite habe als
die Kirchenleitung jetzt.
Haben Sie auf professoraler Ebene eigentlich Mitstreiter ...?
Ja, aber mehr inoffiziell.
... so daß man sagen könnte, es wird eine Bewegung daraus, denn
momentan sehe ich Sie als Einzelkämpfer.
Ich würde mal sagen, daß dreiviertel der katholischen
Neutestamentler auf meiner Seite sind.
Warum bekennen die das dann nicht öffentlich?
Bislang können sie es doch nicht sagen, weil sie sofort bestraft
werden könnten. Aber die Lage in den katholischen Fakultäten ist
katastrophal nach meiner eigenen Erfahrung. Da habe ich Mitstreiter,
die es aber noch nicht sagen können, und auf der evangelischen Seite
habe ich durchaus einige Freunde in Göttingen. Ich bin nicht so
isoliert, wie das manche Kollegen und Kirchenführer verbreiten.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch.
(UIi Fricker, SÜDKURIER, 29.5.98).