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Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 1998
Plädoyer für Fakultäten, die alle Religionen erforschen
Von Gerd Lüdemann
Die an deutschen Universitäten betriebene Theologie kann
wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen, weil sie konfessionell
ist. Es gibt deshalb die Notwendigkeit, die Fakultäten umzugestalten,
sagt der evangelische Theologe Gerd Lüdemann. Die Amtskirche will ihm
wegen seiner kirchenkritischen Thesen seinen Lehrstuhl in Göttingen am
liebsten wegnehmen. Lüdemann, der von sich selbst sagt, er sei kein
Christ mehr, begründet, warum er bleiben will.
Anfang März habe ich als Professor für Neues Testament, der an
einer staatlichen Fakultät lehrt, öffentlich erklärt, ich sei kein
Christ mehr. Kirchliche, aber auch kirchenferne Kreise haben mir
daraufhin nahegelegt, in die philosophische Fakultät zu wechseln und
so Platz für einen gläubigen Nachfolger zu machen. Ich habe mich
geweigert, dies zu tun, weil meine Analyse des Neuen Testaments nach
wie vor denselben wissenschaftlichen Maßstäben folgt und weil in
Deutschland die theologischen Fakultäten herkömmlich Orte der
wissenschaftlichen Erforschung des Christentums sind. Seit dieser
Weigerung bin ich zunehmend zur Zielscheibe von kirchlichen Sanktionen
geworden. Aber nicht nur die Kirche, sondern auch meine eigenen
Kollegen fordern einmütig meine Versetzung in eine andere Fakultät,
und selbst die Errichtung einer zusätzlichen Parallelprofessur für
Neues Testament durch den Staat änderte daran nichts. Inzwischen liegt
die Entscheidung beim Präsidenten der Universität Göttingen.
Die genannten Vorgänge sind im deutschen Protestantismus einmalig.
Sie nähren den Verdacht, daß die in Deutschland betriebene Theologie
gar keine Wissenschaft ist. Dies kann sie schon deswegen nicht sein,
weil sie konfessionell bestimmt ist. Angesichts dessen verwundert es
um so mehr, daß die theologischen Fakultäten, getrennt in eine
evangelische und katholische Sparte, ein offenbar nach wie vor nicht
wegzudenkender Bestandteil der deutschen Universität sind - trotz
dramatisch nachlassenden Kirchenbesuchs, trotz des Auszugs des
Christentums aus Kultur und Bildung, trotz anhaltend schwindender
Studentenzahlen und trotz des exotisch anmutenden zentralen
Glaubensinhalts, daß Gottes Sohn in der Gestalt Jesu für die Sünden
dieser Welt büßte, um anschließend unverweslich aufzuerstehen.
Die deutsche Wiedervereinigung hat nicht etwa zu tiefgreifenden
Änderungen dieses unhaltbaren Zustands geführt, der auf Verträgen
zwischen den beiden großen Kirchen und dem Staat basiert. Nein, die
jeweiligen Landesregierungen haben wie vorher die DDR-Regierung die
grundsätzliche Existenz von staatlichen theologischen Fakultäten
respektiert und neuerdings sogar großzügige Verträge mit den Kirchen
geschlossen - dies, obwohl in den neuen Bundesländern nur etwa jeder
Dritte einer Kirche angehört. Diese im internationalen Vergleich auch
finanziell beispiellose Förderung der theologischen Wissenschaft läßt
sich eigentlich nur durch die seit langem einflußreiche Stellung der
Kirche erklären. Aber es hilft nichts: Die heutige akademische
Theologie ist von ihren Grundlagen her brüchig, wie folgende
Überlegungen zeigen mögen:
Die meisten wissenschaftlichen Theologen gehen von zwei
Voraussetzungen aus. Erstens: Die Theologie ist eine auf die Bibel als
Wort Gottes bezogene Wissenschaft. Zweitens: Die Theologie setzt den
Wahrheitsanspruch der christlichen Rede von Gott voraus. Verdient die
Theologie unter diesen Voraussetzungen den Namen Wissenschaft?
Die Frage ist entschieden zu verneinen. Denn beide Voraussetzungen
sind Glaubensartikel, die sich bei kritischer Nachfrage als leer
erweisen. Denn erstens ist die Bibel Menschenwort, und zweitens
enthält sie eine Unzahl von verschiedenen Gottesbildern. Auf welchen
Gott - rein wissenschaftlich gesehen - will man sich denn einigen,
wenn es um Wahrheitsansprüche geht? Der Theologe mag hier mit Glauben
und mit einer höheren Einsicht argumentieren. Mit Wissenschaft hat das
dann aber nichts zu tun, sondern es liegt schlicht eine Verwechslung
von Katheder und Kanzel vor.
Weiteres kommt hinzu: An den deutschen theologischen Fakultäten
kann niemand ohne Taufschein und ohne Zustimmung der jeweiligen
Kirchen eine Professur erhalten; ein Jude darf weder auf einen
Lehrstuhl der theologischen Fakultäten berufen werden noch die dafür
notwendige Qualifikation anstreben; er kann sich ungetauft weder zum
Examen melden noch mit einer Arbeit über den Juden Jesus promovieren.
Juristisch ist der Status der Fakultäten zwar abgesichert. Doch früher
oder später verlangt die Sache selbst nach Veränderungen juristischer
Klauseln und wird eine radikale Umgestaltung der bisherigen
theologischen Fakultät geradezu erzwingen. Und zwar aus zwei Gründen:
Der erste Grund ist rein wissenschaftlicher Natur: Theologen der
beiden christlichen Konfessionen bearbeiten Texte in derselben Art und
Weise: philologisch, historisch-kritisch und religionsvergleichend.
Der andere Grund ist ein gesellschaftspolitischer: Deutschland
wird in den nächsten Jahren zunehmend zur Heimat von Angehörigen
anderer Religionen werden. Folgt man der Logik der Juristerei, müßten
die Mitglieder dieser Religionsgemeinschaften als Körperschaften
öffentlichen Rechts ebenfalls eigene theologische Fakultäten erhalten.
Dann hätten wir in der Zukunft also nicht nur evangelische und
katholische, sondern auch muslimische, jüdische und buddhistische
Fakultäten - vielleicht sogar solche der Zeugen Jehovas und der
Mormonen. Daß diese finanziell nicht zu realisieren sind, dürfte
allgemein einleuchten. Und wissenschaftlich wären sie aus denselben
Gründen überholt wie die heutigen christlichen Fakultäten. Denn die
Wissenschaft vom christlichen, muslimischen oder buddhistischen
Glauben kann genauso wenig christlich, muslimisch oder buddhistisch
sein, wie die Wissenschaft vom Verbrechen verbrecherisch ist. Denn
Wissenschaft strebt Voraussetzungslosigkeit an und ist absoluter
Wahrhaftigkeit verpflichtet.
Mit letzterer steht es innerhalb der deutschen Theologie schon aus
juristischen Gründen nicht gut. Die römisch-katholische Kirche hat die
rechtlich verbriefte Möglichkeit, unbequeme Dozenten zu verhindern und
mißliebige angehende Kandidaten gar nicht erst zuzulassen. Die
evangelische Kirche hat in meinem Fall dasselbe Recht auch für sich in
Anspruch genommen.
Die Notwendigkeit, die theologischen Fakultäten umzugestalten,
ergibt sich auch aus dem Zusammenwachsen Europas. Der deutsche Zustand
ist ein Unikum und läßt sich auf Dauer keinesfalls in die europäische
Gemeinschaft hinüberretten. In anderen europäischen Ländern, aber auch
in Nordamerika verfolgt man die Diskussion in Deutschland - einst das
Mekka der wissenschaftlichen Theologie - mit Staunen. Die Remedur
steht vor der Tür und verlangt nach weitsichtigen Politikern, die in
klarer Voraussicht den alten Zopf abschneiden und der Wissenschaft zum
Zuge verhelfen.
Die Forderung der Stunde ist daher eine neue theologische oder
religionswissenschaftliche Fakultät, in der alle Religionen der
Vergangenheit und Gegenwart erforscht werden. Diese Fakultät würde
sich zusammensetzen aus den Mitgliedern der herkömmlichen
evangelischen und katholischen Fakultäten - allerdings in erheblich
reduzierter Zahl - sowie aus Inhabern religionsgeschichtlicher,
religionswissenschaftlicher und philosophischer Lehrstühle, sofern
letztere die Religion zum Thema haben. Demgegenüber gehört die
praktische Ausbildung der Geistlichen zur Aufgabe der christlichen
Kirchen und der anderen Religionsgemeinschaften. Sie ist nicht Aufgabe
der Universität.
Gerd Lüdemann ist Theologieprofessor an der Universität Göttingen
Copyright © Frankfurter Rundschau 1998
Dokument erstellt am 03.12.1998 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 04.12.1998