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Die Universität - eine Indoktrinationsmühle?

Göttinger Tageblatt vom 9. März 2002

In Göttingen ist es ruhig geworden um Gerd Lüdemann. Nicht so in den USA, wo der streitbare Professor, der sich vom Christentum lossagte und seitdem um seinen Platz an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität kämpft. Dort ist die Debatte um den Fall Lüdemann, dem die evangelischen Kirchen in Niedersachsen wegen kritischer Publikationen die Prüfungserlaubnis entzogen haben, voll entbrannt. Die Freiheit der Wissenschaft ist auch dort das bestimmende Thema. "Wenn Schlussfolgerungen durch den Druck der Institution nicht gezogen werden dürfen", kritisiert Professor Jacob Neusner, Theologieprofessor am Bard College in New York, das Vorgehen gegen Lüdemann, "dann gibt es keine akademische Freiheit, und das Fach, in dem gearbeitet wird, gehört nicht an eine Universität."

"Das Problem ist, dass es sich dabei um eine staatliche Universität handelt", zitiert die Zeitung Nashville Scene Douglas A. Knight, Professor an der Vanderbilt Divinity School in Nashville, Tennessee, wo Lüdemann einen festen Wohnsitz hat: "Wenn sie will, kann die Kirche eine Million konfessionell gebundene Bildungseinrichtungen haben, in denen ein Glaubensbekenntnis unumgänglich ist. Was denn ist akademische Freiheit, wenn sie nicht für alle gilt?"

"Wenn die Wahrheit nicht ergebnisoffen bleibt", assistiert Robert Price, Professor am Center for Inquiry Institute in Amherst, New York, "ist es scheinheilig, so zu tun, als suche man sie. Große Universitäten wie Göttingen scheinen sich darin zu gefallen, Indoktrinationsmühlen zu werden."

Andere US-Wissenschaftler äußern hingegen Verständnis für das Vorgehen gegen den Göttinger Theologen. "Professor Lüdemanns Recht auf akademische Freiheit sollte nicht als mehr als eine Garantie auf eine Position in der Universität, nicht aber an der Theologischen Fakultät verstanden werden", sagt Stephen B. Presser, Professor für Rechtsgeschichte und Wirtschaftsrecht an der Northwestern University. "Man sagt nicht Goodbye zum Christentum und erwartet dann Applaus von christlicher Seite", assistiert William Shea, Professor für Amerikanisches Christentum an der Universität von St. Louis. "Mitleid vielleicht, aber keinen Applaus." Allzu verwundert über das Vorgehen in Deutschland gegen Lüdemann ist Shea nicht: "Die Universität ist schließlich der Bastard der Kirche und der Aufklärung. Weder die eine noch die andere haben sich jemals als besonders aufgeschlossen gegenüber Kritik an ihren eigenen Voraussetzungen erwiesen."

Für Knight hat der Fall Lüdemann noch eine andere, eine mehr US-amerikanische Bedeutung. "Hier hat es viele Fälle in konfessionellen Schulen gegeben", sagt der Professor aus Nashville, "in denen eine konservative Kirche darauf aus war, Lehrende, die die Parteilinie nicht einhielten, zu feuern. Das ist hier in den vergangenen zwei Jahrzehnten viel zu oft passiert, als dass wir gleichgültig bleiben könnten gegenüber dem, was derzeit an einer bedeutenden europäischen Universität geschieht."

"Faith, Truth, and Freedom" ("Glaube, Wahrheit und Freiheit") wird das Buch heißen, das sich mit der von der Kirche betriebenen, vom Staat unterstützten und von der Göttinger Universität vollzogenen Reglementierung des streitbaren und umstrittenen Theologie-Professors befassen wird. Das Werk, herausgegeben von Neusner, der dem historischen Ansatz Lüdemanns durchaus kritisch gegenübersteht, soll den Stand der mittlerweile auf internationaler Ebene geführten Diskussion um die Freiheit der Forschung auch im Bereich Theologie am Beispiel Lüdemann dokumentieren. Neben einer Reihe von US-Theologen kommt mit Professor Reinhard G. Kratz auch ein Vertreter der Universität Göttingen zu Wort. Ein Vorabdruck des Buches wird voraussichtlich in der April-Ausgabe der Zeitschrift "Religion", die das dem Buch zu Grunde liegende Symposium organisiert, erscheinen.

Matthias Heinzel


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Letzte Aktualisierung am 22. April 2020
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