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Anisopodidae
Familia Anisopodidae
Fenstermücken 
 
Artenliste
Überblick

Die Fenstermücken sind eine weltweit verbreitete, aber artenarme Familie, die weniger als 200 rezente Arten umfasst. In Deutschland ist die Familie lediglich mit einer Handvoll Arten vertreten. Manche Arten der Gattung Sylvicola sind aber überall häufig, so dass die Fenstermücken trotz der geringen Artenzahl hierzulande zu den vertrauten Insektengruppen gehören. Auch im Fossilbericht sind die Fenstermücken reich vertreten: etwa 50 Arten sind in dieser Familie (inklusive der umstrittenen, nur fossil bekannten Familien, z. B. Protorhyphidae, Oligophrynidae etc.) beschrieben worden, vor allem als Bernstein-Inklusien. Der Fossilbericht der Familie reicht zurück bis in den unteren Jura vor etwa 200 Millionen Jahren.

Die Imagines ernähren sich von Nektar und anderen Flüssigkeiten (die Aufnahme von Baumsäften an Stammwunden wird vermutet). Die Larven der Fenstermücken sind weißlich oder gelblich und erinnern mit ihrem langgestreckten, dünnen Körper an Würmer. Sie leben in verrottendem Pflanzen- und Pilzmaterial, im Dung von Weidetieren, und vor allem auch in gärenden Pflanzensäften (z. B. im Schleim- und Saftfluss an Stammwunden von Bäumen). Die selteneren Arten sind an Wälder gebunden, wo die Larven neben ihrem Vorkommen in Totholz und Stammausflüssen, auch in der Laubschicht des Bodens oder in Pilzen leben. Die häufigen Arten sind jedoch weit verbreitet und sind quasi zu Kulturfolgern des Menschen geworden. Ihre Larven findet man z. B. in Rüben- und Kartoffelkellern und anderen Obst- und Gemüselagern (wo die Larven in überreifem Obst oder Gemüse mit fauligen Stellen leben) und auch in Komposthaufen und Biomülltonnen. Zusätzlich werden die Imagines dieser Arten vom Licht und im Herbst/Winter auch von der Wärme angelockt und sind deshalb häufig in menschlichen Behausungen anzutreffen. Daher rührt auch ihr Name "Fenstermücken", denn den meisten Menschen fallen die Tiere dann dadurch auf, dass sie tagsüber an den Scheiben der Fenster ruhen.

Die Systematik und phylogenetischen Verwandtschaftsverhältnisse der Fenstermücken sind derzeit noch unklar. Vielfach werden die Schleimflussmücken (in Deutschland die Gattungen Mycetobia und Trichomycetobia) als eigene Familie Mycetobiidae abgetrennt. Die phylogenetische Analyse von Sevcik et al. (2016) zeigt jedoch, dass die Abtrennung der Schleimflussmücken als eigene Familie den "Rest" der Fenstermücken zu einer paraphyletischen Gruppe macht, so dass ich hier in der Zoographia Germaniae die Schleimflussmücken nicht als separate Familie anerkenne (Abb. 1).

Abb. 1: Phylogenetische Verwandtschaftverhältnisse der Fenstermücken nach Sevcik et al (2016). Die Schleimflussmücken (Gattungen Mycetobia, Mesochria und verwandte Gattungen) bilden zwar eine monophyletische Gruppe. Erkennt man diese jedoch als eigene Familie Mycetobiidae (braun) an, so bilden die übrigen Fenstermücken (Gattungen Olbiogaster, Sylvicola und verwandte Gattungen) eine paraphyletische Gruppe ("Anisopodidae" sensu stricto; grün). Erst die Zusammenfassung der Schleimflussmücken und der übrigen Fenstermücken ergibt ein monophyletisches Taxon (Anisopodidae sensu lato; blau).


Auch die Nomenklatur der Familie ist stark verworren. Der älteste Name für die Familie ist Rhyphidae Newman, 1834 (als gerechtfertigte Emendation von "Rhyphites", wenn man davon ausgeht, dass dieser Gruppenname als family-group-name, und nicht als genus-group-name publiziert wurde). Der nächst jüngere Name ist Mycetobiidae Winnertz, 1863 (der zwar für eine Unterfamilie geprägt wurde, dadurch jedoch klar ein family-group-name ist). Danach folgt dann ein Name, Protorhyphidae Handlirsch, 1906, der für fossile Vertreter geprägt wurde, deren phylogenetische Zugehörigkeit jedoch umstritten ist. Erst dann folgt die Beschreibung des Namens Anisopidae Knab, 1912. Dieser Name ist in der Folge dann noch zu Anisopodidae emendiert worden, also diejenige Form, die heute überwiegend in der Literatur genutzt wird. Es gibt also einige Namen, die auf Grund der Prioritätsregel Vorrang vor dem Namen Anisopodidae haben müssten. Der International Code of Zoological Nomenclature enthält jedoch einige Regelungen zur Umkehr der Präzedenz, so dass für jeden Namen geprüft werden müsste, ob die Präzedenz umgekehrt werden kann. Dies ist zwar in der Vergangenheit bereits versucht worden (Michelsen 1999), jedoch sind die Regelungen im Code in Bezug auf Familiennamen (also auf family-group-names) teilweise widersprüchlich (hier vor allem der sehr merkwürdige Article 29.5., der quasi alle Präzedenzregelungen für family-group-names außer Kraft setzt und sich bei der Definition von "prevailing usage" offenbar auch über den eigentlich dafür vorgesehenen Article 23.9. hinwegsetzt), so dass ich derzeit nicht überzeugt bin, dass die Argumentation von Michelsen (1999) tatsächlich stichhaltig ist. Außerdem bezieht sich diese Argumentation lediglich auf die Umkehr der Präzedenz zwischen Rhyphidae und Anisopodidae, aber der Name Mycetobiidae hätte dann immer noch Präzedenz vor dem Namen Anisopodidae. Schließlich enthält der Code auch einige schwer umzusetzende Regelungen zur Emendation speziell von family-group-names (hier vor allem das sog. "elide" (Article 29.3.1.1.), also das "wahlweise Auslassen" bestimmter Teile des Wortstammes bei der Namensbildung), so dass ich derzeit ebenfalls nicht überzeugt bin, dass die Schreibweise Anisopodidae tatsächlich eine gerechtfertigte Emendation (justified emendation) des ursprünglichen Namens Anisopidae ist. Zusammengefasst befürchte ich deshalb, dass der Name Anisopodidae für die Familie nicht zu halten ist, wenn die Nomenklaturregeln konsequent angewendet werden. Um den Namen Anisopodidae als gültigen Namen für die Familie zu behalten (was ich hier in der Zoographia Germaniae provisorisch tue), ist deshalb höchstwahrscheinlich ein Antrag an die International Commission on Zoological Nomenclature der einzige Weg.


Quellen und Einzelnachweise
Haupt J, Haupt H. 1998. Fliegen und Mücken. Beobachtung, Lebensweise. Naturbuch Verlag, Weltbild Verlag Augsburg.

International Commission on Zoological Nomenclature. 1999. International Code of Zoological Nomenclature. Fourth Edition. The International Trust for Zoological Nomenclature, London.

Sauer F. 1998. Fliegen und Mücken nach Farbfotos erkannt. Sauers Naturführer. 2. Auflage. Fauna Verlag, Nottuln.

Sevcik J, Kasprak D, Mantic M, Fitzgerald S, Sevcikova T, Tothova A, Jaschof M. 2016. Molecular phylogeny of the megadiverse infraorder Bibionomorpha sensu lato (Diptera). PeerJ 4, e2563.


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Zoographia Germaniae wird verfasst und herausgegeben von Niko Prpic-Schäper.
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