Einige Verwirrung herrscht bei der Nomenklatur dieser Art.
Die meisten Autoren gehen davon aus, dass diese Art zuerst von
Panzer (1801) als "Mellinus dissectus" beschrieben wurde. Dies
ist jedoch problematisch, weil der gleiche Name von Panzer
(1800) bereits benutzt wurde, allerdings für eine ganz andere
Art. Aus diesem Grund gilt "Mellinus dissectus" als jüngeres
Homonym und wird stets in die Synonymie der vorliegenden Art
gestellt. Der Sachverhalt ist jedoch noch etwas komplexer.
Bei seiner Erstbeschreibung von "Mellinus dissectus" zweifelt
Panzer (1800) bereits, ob er hier wirklich eine neue Art vor
sich hat. Er schreibt: "Ob sie von Crabronus trimaculatus
Rossi verschieden ist, wage ich nicht zu behaupten". Später
scheint Panzer dann zu der Überzeugung gelangt zu sein, dass
es sich bei seiner "Mellinus dissectus" tatsächlich um
"Crabronus trimaculatus Rossi" handelt. Er hat also aus seiner
Sicht, den Namen "Mellinus dissectus" völlig "umsonst"
vergeben und benutzt ihn deswegen einfach erneut: für eine
ganz andere Wespenart (Panzer 1801; die Datierung der Hefte
von Panzer folgt der Untersuchung von Alonso-Zarazaga und
Evenhuis (2017)). Diese Vorgehensweise mag Panzer sinnvoll
vorgekommen sein, nach den heutigen Nomenklaturregeln hat er
jedoch tatsächlich zwei primäre Homonyme geschaffen, von denen
das jüngere ungültig ist. Der ältere "Mellinus dissectus"
gehört zur Gattung Nysson, ist jedoch kein jüngeres Syonym von
Nysson trimaculatus, wie Panzer vermutet hat, sondern ein
jüngeres Synonym der sehr ähnlichen Art Nysson maculosus. Der
jüngere "Mellinus dissectus" wird heutzutage allgemein als
ältester verfügbarer Name der vorliegenden Art zugeordnet, der
jedoch wegen der primären Homonymie ungültig ist; dies ist
nach den Nomenklaturregeln auch korrekt.
Es muss also das nächstjüngere Synonym als valider Name
eintreten. Die Homonymie als erster bemerkt hat Blüthgen
(1949) und hat als nächstjüngeren Namen "Euspongus albilabris"
im Werk von Lepeletier (1845) identifiziert und eingesetzt
(n.b. in der Titelzeile zur Art gibt Blüthgen die Referenz
korrekt als "(LEP.) (1845)" an, im Text zur Art unterläuft ihm
jedoch ein Fehler und er bezieht sich auf "LEPELETIER
(´41H)"). Das Werk von Lepeletier (1845) enthält zwar nicht
die Originalbeschreibung von "Euspongus albilabris", weist
jedoch mit dem Hinweis ""De St-Farg. Ann. Soc. Entom. Franc.
1re ann. 1er cah. p. 70, n° 3. V." eindeutig auf die
Originalbeschreibung in Lepeletier (1832) hin. Damit hat
Blüthgen (1949) einen sog. "nomenclatural act" im Sinne des
Codes of Zoological Nomenclature durchgeführt, wodurch der
valide Name als "Euspongus albilabris" (aktuelle Kombination
dann: Gorytes albilabris) festgelegt wurde. Allerdings wäre
das nicht der einzig mögliche Name gewesen, denn schon
Handlirsch (1888) hat darauf hingewiesen, dass sich gleich
zwei Namen in der Publikation von Lepeletier (1832)
höchstwahrscheinlich auf die vorliegende Art beziehen, nämlich
neben "Euspongus albilabris" auch noch "Hoplisus albidulus".
Weil der letztere Name in der Publikation von Lepeletier
(1832) ein paar Seiten vor "Euspongus albilabris" steht, nutzt
De Beaumont (1951) diesen vermeintlich "priorisierten" Namen
für die Art, und auch später diskutiert er den Fall erneut und
bleibt bei der Wahl von "Gorytes albidulus" (De Beaumont
1953). Allerdings gibt es in den Nomenklaturregeln keine
"Seiten-Priorität" ("page priority") und auch das Prinzip des
"First Reviser" kommt hier nicht zum tragen, denn zum
Zeitpunkt der Auswahl durch De Beaumont (1951) zwischen
"Euspongus albilabris" und "Hoplisus albidulus", war durch
Blüthgen (1949) bereits einer der beiden (im Sinne des Codes
exakt gleich alten) Namen als valider Name bestimmt worden.
Der valide Name für die vorliegende Art ist somit Gorytes
albilabris. Alle aktuellen Werke über Grabwespen folgen jedoch
der nach den Nomenklaturregeln nicht richtigen Wahl von De
Beaumont (1951), mit Ausnahme der Datenbank der Fauna Europaea
(www.fauna-eu.org) wo die Art unter ihrem korrekten Namen
gelistet wird. Ich verwende hier in der Zoographia Germaniae
ebenfalls den nach den Nomenklaturregeln validen Namen Gorytes
albilabris.