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Forschung

Die Abteilung für Medizinische Soziologie hat seit ihrer Gründung im Jahre 1975 unter der Leitung von Prof. Dr. phil. Hannes Friedrich neben ihrer universitätsfinanzierten Forschungsarbeit eine Vielzahl von drittmittelgeförderten Studien durchgeführt, deren Ergebnisse in Abschlussberichten, Zeitschriftenartikeln und Büchern publiziert wurden. Nachfolgend findet sich eine Aufstellung der verschiedenen Forschungsschwerpunkte und jeweils Kurzbeschreibungen der in den letzten Jahren abgeschlossenen bzw. gegenwärtig noch laufenden Forschungsprojekte.


Schwerpunkt 1

Bewältigungsforschung bei chronisch Kranken und ihren Familien

Projekt: Formen psychosozialer Bewältigung der Multiplen Sklerose. (H. Friedrich, G. Ziegeler.)

Nach verschiedenen Studien über das Leben mit chronischen Krankheiten wurde im Jahr 1999 eine Langzeitstudie abgeschlossen, die über einen Zeitraum von 10 Jahren 60 MS-Kranke und ihre Angehörigen vom Zeitpunkt der Diagnose an begleitete. Erkenntnisleitende Fragestellung war die nach der Ausgestaltung der sozialen Wirklichkeit "Krankheit" und damit nach den Determinanten des Bewältigungsprozesses. Ausgehend von dem entwickelten Muster sozialer Identität auf seiten der Kranken wurden solche Determinanten wie Arbeits- und Lebenssituation, Qualität familialer Beziehungen, Erfahrungen im Medizinsystem bzw. die Rolle der behandelnden Ärzte in die Untersuchung einbezogen, um Macht oder Ohnmacht der Betroffenen im alltäglichen Umgang mit ihrer Krankheit verstehen zu können.

Wichtige Publikationen:

  1. Ziegeler, G.; Friedrich, H.: Multiple Sklerose - Das einzig Sichere an ihr ist ihre Unzuverlässigkeit! Eine Langzeitstudie über Formen der psychosozialen Bewältigung einer chronischen Krankheit. Frankfurt/M. 2002.

  2. Ziegeler, G.: "Mein Partner hat MS." Zur Frage alltäglicher Belastungen für Angehörige von MS-Kranken. In: DMSG-Aktiv 3/2000, 5-14.

  3. Ziegeler, G.: Leben mit einer Multiplen Sklerose. Zur Rolle und Funktion von Ärzten bei der psychosozialen Bewältigung. In: DMSG (Hrsg.), Tagungsband Patientenforum. Düsseldorf 1999, 20-35.

  4. Ziegeler, G.: "Das einzig Sichere an dieser Krankheit ist ihre Unzuverlässigkeit." Formen psychosozialer Bewältigung einer Multiplen Sklerose. In: A. Stark (Hrsg.), Leben mit chronischer Erkrankung des Zentralnervensystems. Tübingen 1998, 173-191.

  5. FRIEDRICH, H., P. DENECKE, G. ZIEGELER: Faire Face a une Maladie Chronique: Conditions Psychosociales et familiales. In: Sciences Sociales Et Santé, Vol. V, No.2, érès, Paris 1987 FRIEDRICH, H. et al: Gruppenpsychotherapie mit Multiple-Sklerose-Kranken. In: Schüffel, Deter: Gruppen mit körperlich Kranken - eine Therapie auf verschiedenen Ebenen. Springer Verlag. Berlin, Heidelberg, New York 1988

  6. FRIEDRICH, H., S. POSER: Psychiatrisch-psychotherapeutische Erfahrungen bei schweren neurologischen Erkrankungen am Beispiel der Multiplen Sklerose. In: E. Bönisch, J.E. Meyer: Psychosomatik in der klinischen Medizin. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, Stuttgart, 1983, S. 39-54

  7. FRIEDRICH, H., H. BELAND, P. DENECKE: Krankheitsverläufe bei Multiple-Sklerose-Kranken in Abhängigkeit von Determinanten des Krankheitsverhaltens und der psychosozialen Umwelt. Eine empirische Untersuchung. Forschungsbericht. Band 1 und 2, Göttingen 1982

Schwerpunkt 2

Technikfolgenabschätzung in der Medizin

1. Projekt: Medizintechnologie und ihre sozialen Folgen - dargestellt am Beispiel der Pränataldiagnostik. (H. Friedrich, K.-H. Henze, S. Stemann-Acheampong.)

Im Vordergrund stand die Abschätzung der psychosozialen Auswirkung von Pränataldiagnostik und ihrer gesellschaftlichen Funktion. Die mittels qualitativer, retrospektiver Befragung von Frauen mit ihren Partnern, einer Longitudinalbefragung und Gesprächen mit Ärzten erhobenen Daten wurden mit hermeneutischen Methoden analysiert. Es wurde herausgearbeitet, dass die Untersuchungsverfahren ungeachtet ihrer medizinischen Bedeutung einen verborgenen rituellen Sinn haben, der ihre Anwendung stärker prägt, als den Beteiligten bewusst ist. Pränataldiagnostik fügt sich so als Angebot zur Angstbewältigung in den Rahmen eines Übergangsritus ein, der zwischen der Schwangeren und dem betreuenden Arzt abläuft.

Wichtige Publikationen:

  1. Henze, K.-H. Stemann-Acheampong, S.: Psychosoziale Voraussetzungen und Folgen der Pränataldiagnostik. In: Ev. Konferenz für Familien- und Lebensberatung e.V. (Hrsg.): Beratung und Begleitung für Frauen und Paare im Zusammenhang mit vorgeburtlicher Diagnostik - im interdisziplinären Dialog. Materialien zur Beratungsarbeit. Berlin 2000, Nr. 15, 24-44.

  2. Friedrich, H.; Henze, K.-H.; Stemann-Acheampong, S.: Der Entscheidungsprozeß der Pränataldiagnostik und seine Rahmenbedingungen. Psychomed 11 (1999), 95-101.

  3. Henze, K.-H.; Stemann-Acheampong, S.: Medizintechnologie und ihre sozialen Folgen, dargestellt am Beispiel "Pränataldiagnostik": Ergebnisse und Folgerungen. In: Arbeitsgemeinschaft sozialwissenschaftliche Technik und Forschung Niedersachsen (Hrsg.): Die Ergebnisse im Überblick. Göttingen, 1999.

  4. Friedrich, H.; Henze, K.-H.; Stemann-Acheampong, S.: Eine unmögliche Entscheidung. Pränataldiagnostik: Ihre psychosozialen Voraussetzungen und Folgen. Berlin 1998.

2. Projekt: Stellenwert, Einfluß und Bedeutung der Medizintechnik in der Onkologie. (H. Friedrich, A. Osterland, M. Röslen, S. Stemann-Acheampong.)

Medizintechnische Verfahren werden in der Onkologie zur ätiologischen Forschung, Diagnose und Therapie in großem Umfang eingesetzt. Die Erfolge der Onkologie sind auf den genannten Gebieten jedoch relativ - wurden und werden doch in sie die größten Hoffnungen hinsichtlich eines eindeutigen medizinischen Erfolges gesetzt. Das Projekt wird daher untersuchen, welchen Stellenwert die Medizintechnik in den verschiedenen Praxisfeldern der Onkologie hat, wie dadurch deren Krankheitsauffassung, Behandlungskonzepte, Handlungsmöglichkeiten, Versionen des Selbstverständnisses und der Arzt-Patient-Beziehung beeinflusst werden und welche Bedeutung sie dabei erhält. Eng damit verknüpft ist damit auch die Frage nach Schlussfolgerungen für mögliche künftige Entwicklungen in der Onkologie. Von Interesse ist die interdependente Beeinflussung von Medizintechnik und Onkologie gerade auch dort, wo sich Krebserkrankungen als relativ "technikresistent" erweisen, denn gerade dann wird ein medizintechnisches Orientierungsprimat in Frage gestellt. In diesem Zusammenhang sollen neben den offiziellen und manifesten Bedeutungen der Medizintechnik im "Kampf gegen den Krebs" auch ihre latenten Bedeutungs- und Zuschreibungsinhalte untersucht und herausgearbeitet werden.

Wichtige Publikationen:

  1. H. Friedrich, Stemann-Acheampong, A. Osterland, M. Röslen :Stellenwert, Einfluss und Bedeutungen Medizintechnik in der Onkologie. Göttingen 2005

Schwerpunkt 3

Psychotherapieforschung

1. Projekt: Vergleichende Analyse der ambulanten psychotherapeutischen Versorgungssituation für Erwachsene und Kinder/Jugendliche in den KV-Bezirken Göttingen und Kassel. (H. Friedrich, I. Schütte, O. Peschken.)

Vor dem Hintergrund einer Diskussion über die im Gefolge des 1999 in Kraft getretenen Psychotherapeutengesetzes veränderten Kriterien der Bedarfsplanung und der Zulassungs- und Honorierungspraxis versucht das Vorhaben, einen differenzierten Aufschluß über den tatsächlichen Versorgungsbedarf an ambulanter Psychotherapie zu ermitteln. Neben die systematische Erfassung von Störungsbildern, Therapieverfahren, von Prävalenzraten in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und von Finanzierungsformen der Therapien wird auch versucht, die Spezifik und Heterogenität der Arbeitssituation niedergelassener Psychotherapeuten zu berücksichtigen.

Wichtige Publikationen:

  1. Schütte, Ilse; Peschken, Okka; Friedrich, Hannes: Zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgungssituation für Erwachsene und Kinder/Jugendliche in den KV- Bezirken Göttingen und Kassel. Göttingen, 2003

2. Projekt: Das psychosomatische Konsilium im allgemeinen Akutkrankenhaus. (H. Friedrich, C. Bork, G. Lücke.)

Ziel des Vorhabens ist, einen in die Klinik integrierten psychotherapeutischen Konsiliar- und Liaison-Dienst wissenschaftlich zu begleiten. Erkenntnisabsicht ist, die Qualität dieses Dienstes zu evaluieren im Hinblick auf die Förderung der Kommunikation zwischen Patienten, Ärzten und Pflegepersonal. Dabei werden sowohl die Interaktionsprozesse zwischen Patienten und Professionellen als auch Themen und Interaktion der therapeutischen Prozesse im besonderen in die Analyse einbezogen.

Wichtige Publikationen:

  1. Friedrich, H.: "Psychotherapie als soziale Institution und ihre gesellschaftliche Funktion." In: Strauß, B.; Geyer, M. (hrsg.): Psychotherapie in Zeiten der Veränderung. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden (S. 194-209), 2000.

  2. Friedrich, H.: Sterben und Sterbewirklichkeit auf einer pädiatrisch-onkologischen Station im Spiegel medizinsoziologischer Supervision. In: Kaupen-Haas, Heidrun, Rothmaler, Christiane (Hg.): Strategien der Gesundheitsökonomie. Reihe Sozialhygiene und Public Health. Band 4. Frankfurt 1998.S.25-42

  3. Friedrich, H: Chancen und Gefahren zunehmender Spezialisierung in der Krankenversorgung am Beispiel der Psychoonkologie. In: Schwarz, R.; Zettl, S. (Hg.): Psychosoziale Krebsnachsorge in Deutschland: eine Standortbestimmung. Verlag für Medizin Dr. Ewald Fischer, Heidelberg 1991. (Nachtrag)

  4. FRIEDRICH, H.: Soziologische Bemerkungen zur Liaison-Psychotherapie. In: W. Bräutigam (Hg.): Kooperationsformen somatischer und psychosomatischer Medizin. Springer Verlag Berlin, Heidelberg, New York 1988

  5. FRIEDRICH, H., E. NAGEL-STUDER, K. HELD: Das psychosomatische Konsilium im Allgemeinen Akutkrankenhaus. Sonderdruck Deutsches Ärzteblatt - Ärztliche Mitteilungen, Heft 22, 83. Jg., 1986, S. 1607-1610

Schwerpunkt 4

Ethische Grundfragen in der Hochleistungsmedizin

Projekt: Sterben im Hospiz und auf der Palliativstation. Ein empirischer Vergleich zwischen Formen stationärer Betreuung schwerkranker sterbender Menschen. (H. Friedrich, K.-H. Henze.)

Im Bereich der stationären Betreuung schwerstkranker bzw. sterbender Menschen bestehen zwei modellhafte Konzepte (Hospiz versus Palliativstation). Das Hauptziel der empirischen Analyse ist der Vergleich der beiden - nicht-disjunkten Konzepte einschließlich ihres theoretischen Selbstverständnisses bzw. der ihnen zugrunde liegenden (latenten) ideologischen Verortung, der alltäglichen Arbeitspraxis und ihrem Kontext sowie ihres Beitrags zum Wandel der gesellschaftlichen Einstellung zum Tod. Damit handelt es sich bei dem Vorhaben um eine erste vergleichende empirische Arbeit in diesem Bereich innerhalb der Medizinsoziologie.


Schwerpunkt 5

Prozesse beruflicher Sozialisation in der Medizin

Projekt: Prozesse der Herausbildung des medizinischen Habitus bei Studenten der Vorklinik in den ersten zwei Studienjahren. (H. Friedrich, G. Ziegeler, N.N.)

Die erkenntnisleitende Absicht dieses Vorhabens zielt auf die Rekonstruktion und Ausdifferenzierung der sozialisatorischen Prozesse in den ersten vier Semestern an der Hochschule. Dabei gilt es zu untersuchen, welche als notwendig erachteten Einstellungen, Qualifikationen und Verhaltensweisen von Beginn an entwickelt bzw. erworben werden, um sich als Mitglied einer medizinischen Fakultät verhalten zu können. Damit gemeint ist im Grunde die Frage nach den Bedingungen und dem prozesshaften Verlauf des Erwerbs eines medizinischen Habitus, im Sinne fachkultureller Denk-, Wahrnehmungs-, Wertungs- und Handlungsschemata, nach denen künftige Situationen wahrgenommen und klassifiziert werden und so, in Lebensstil, Handlung und Denkweisen zum Ausdruck kommen, die Fachkultur Medizin reproduzieren helfen. Unterhalb dieser Ebene einer fachkulturellen Passung ist auch zu fragen, welches die spezifischen Bewältigungs- und Anpassungsstrategien auf seiten der Studierenden sind in der Auseinandersetzung mit sowie der Aneignung von Kenntnissen und Methoden des Fachs ebenso wie von deren Entscheidungsstrukturen, deren Konfliktbehandlung, Problemdefinition und -lösungsmuster. Da die Studenten zudem nicht unsozialisiert in die Hochschule eintreten, wird im Rahmen eines Studiums nicht nur eine (möglicherweise konflikthafte) Abgleichung zwischen präformierten Bildern, Vorstellungen und Erwartungen bezüglich der Medizin und ihres Studiums im besonderen erfolgen, sondern die Ausbildung des Habitus ist auch zu denken vor dem Hintergrund akkumulierten sozialen und kulturellen Kapitals der Studenten.