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Paulus, der Gründer des Christentums
Das Leben Paulus
Von Gerhard Besier
in: Die Welt vom 6. April 2002
Der Neutestamentler Gerd Lüdemann hat aufgrund seiner
Veröffentlichungen und der darauf folgenden Diskussionen seinen
neutestamentlichen Lehrstuhl an der evangelisch-theologischen Fakultät
in Göttingen verloren. Doch unverdrossen forscht er weiter und legt in
dichter Folge ein Buch nach dem anderen vor. Nicht wenige seiner
Gegner haben dagegen seit Jahrzehnten keine Monographie mehr
veröffentlicht. Lüdemanns neue Arbeit gibt Aufschluss über Paulus.
Nicht das Haupt der sich auf ihn berufenden "Jesus-Sekte"
innerhalb des Judentums, noch ein Jünger aus Jesu unmittelbarer
Umgebung - Petrus etwa - könnten aus historischer Perspektive als
"Eckstein" der christlichen Kirche gelten, sondern ein Mann,
der Jesus zu dessen Lebzeiten nie gesehen hat - eben Paulus. Er
"veränderte die Religion Jesu in einem erheblichen Umfang",
schreibt Lüdemann, "ohne ihn und seine Schüler hätten wir wohl
nie etwas von Jesus gehört." Die christliche Kirche verdanke
"diesem jüdischen Mann aus Tarsus fast alles."
Vor dem Hintergrund gründlicher Textinterpretationen, die freilich
auf affirmative Glaubenssätze keine Rücksicht nehmen, stellt Lüdemann
uns den historischen Paulus vor Augen. Gegen die Paulus-Bilder
berühmter Neutestamentler wie Albert Schweitzer und Rudolf Bultmann
wendet er mit textkritischen und methodologischen Argumenten ein, sie
hätten den Historisierungs- bzw. Entmythologisierungsprozess nur
halbherzig vollzogen, um ihrer Kirche einen "Paulus des
Glauben" zu erhalten. Mehr noch: Sie hätten mit Hilfe moderner
philosophischer Gedanken und mit Frageverboten die Kritik an
theologischen Basissätzen wie dem der Auferstehung Jesu Christi
immunisiert.
In einem "Nachruf" schildert Lüdemann ganz nüchtern, was
historisch von Paulus bleibt, wenn man ihn aus der kerygmatischen
Schale pellt. Und das ist wenig: Paulus war zwar ein Altersgenosse
Jesu, sonst aber gab es kaum biographische Gemeinsamkeiten. Der
Großstädter, Diasporajude und römische Staatsbürger schlug die
Laufbahn eines jüdischen Gelehrten ein. Anders als die meisten seiner
Kollegen und in richtiger Einschätzung der Bedrohung des Judentums
durch die radikale "Jesus-Sekte" entschloss er sich zur
blutigen Verfolgung dieser häretischen Gruppe. Doch plötzlich - durch
das emotionale Erlebnis einer Vision des Verfolgten - erlebte er eine
grundstürzende Konversion. In kühnen Gedankenkonstruktionen sah er
sich vom Herrn selbst zum Apostel berufen, was zu heftigen
Kontroversen mit jenen in Jerusalem führte, die mit empirischem Recht
von sich sagen konnten, die eigentlichen Apostel Jesu zu sein. Doch
nicht sie, sondern Paulus machte die Jesus-Bewegung aus einer
Provinz-Sekte zu einer erfolgreichen Religion im Römischen Reich. Die
oft aus Juden und Heiden gemischten Paulus-Gemeinden waren es auch,
die sich vom jüdischen Profil und von der jüdischen Ethik der
Jesus-Bewegung verabschiedeten.
Aus einer jüdischen Sekte wurde eine gegenüber den Juden
indifferente oder gar kritische Bewegung, was zwangsläufig zu neuen
Konflikten mit den Traditionsbewahrern der Jesus-Gemeinde in Jerusalem
führen musste. "Der jüdische Theologe Paulus war den Heiden ein
Heide geworden, den Juden ein Jude geblieben und war selbst weder
Heide noch Jude." Doch Paulus' Biegsamkeit und Flexibilität
gehörten wesentlich zum Geheimnis seines Erfolges, zumal sich seine
mystische Religion der intellektuellen Herausforderung Griechenlands
"nicht gewachsen" zeigte. Dass er trotz der gedanklichen
Defizite mit seiner Religion so erfolgreich sein konnte, führt
Lüdemann in erster Linie auf den Geist der Zeit zurück: "Die Welt
war des Denkens müde geworden. Auf bequemerem Wege, durch Einweihung
in Mysterien, von denen Taufe und Herrenmahl die christliche Spielart
waren, suchte man sich der Unsterblichkeiten zu versichern. Während
der rationale menschliche Geist an Geltung verlor, war ein immer
größerer Teil des Volkes glaubensbereit geworden und nahm gierig jede
höhere Weisheit auf." Auf gute Zeiten folgten auch schlechte
Zeiten für das paulinische Christentum. Bekanntlich hat es alle
überstanden - bis heute.
Gerd Lüdemann:
Paulus, der Gründer des Christentums
Zu Klampen, Lüneburg.
272 S., 19 E
© Gerhard Besier, online unter www.welt.de