Gerd Lüdemann's Homepage
Bibliography of all scientific publications
Paulus, der Gründer des Christentums
Zu Klampen, Lüneburg 2001, 270 S. (engl. Amherst, N.Y 2002)
Auch nach dem Verlust seines neutestamentlichen Lehrstuhls forscht
der umstrittene Göttingerger Theologieprofessor Gerd Lüdemann, der
sich der Religionsgeschichtlichen Schule verpflichtet weiß,
unverdrossen weiter und legt in rascher Folge ein Buch nach dem
anderen vor. In seinem neusten Werk, in dem er ebenfalls seinem von
der Kirche unabhängigen Wissenschaftsverständnis treu bleibt, nähert
er sich dem historischen Paulus. Mittels historischer Rekonstruktion
und eingehender Kommentare zu wichtigen Briefstellen arbeitet er ihn
als den eigentlichen Gründer des Christentums heraus, womit er sich
freilich durchaus im Rahmen der neutestamentlichen Forschung befindet.
Ausgestattet mit einem übersteigerten Selbstbewusstsein habe sich
Paulus als "Agent Gottes" und Christi und damit als
"Teil eines Erlösungsdramas von kosmischem Ausmaß" gefühlt
(S. 237). Zwischen ihm, dem gebildeten Städter, und dem Dorfmenschen
Jesus von Nazareth bestehe eine große Kluft (vgl. S. 177-198): Er habe
dessen Religion, die innerhalb des Judentums blieb, missverstanden und
sie auf heidnisches Territorium versetzt und damit ungewollt die
"andauernde Trennung zwischen Kirche und Israel" bewirkt (S.
244). Der daraus entstandene christliche Antijudaismus, der ja auch
von ihm unmittelbare Anstöße empfing (vgl. 1. Thess. 2,14-16) und
bekanntlich verheerende Wirkungen zeitigte, bilde die tragische Seite
seines Wirkens, die Lüdemann die Frage aufdrängt, ob es "Paulus
besser nicht gegeben hätte" (S. 244).
Damit einhergehend sieht der humanistisch gesinnte Lüdemann in der
paulinischen Theologie fanatische Züge und "gefährliche
Tollheiten", die ins "Museum gehören" (S. 245, 221).
Damit habe der Apostel (den Albert Schweitzer in seiner berühmten
Paulus-Studie von 1930 (S.366) kurioserweise als "Schutzheiligen
des Denkens im Christentum" bezeichnet) die Vernunft auf dem
Altar blinden Glaubens geopfert (vgl. 1. Kor. 1,18).
Deutlich wird dies besonders in den mythischen Vorstellungen von
leibhaftiger Auferstehung und Wiederkunft Jesu wie der Sühnetheologie
und dem Gottesbild, das dazu anstifte "'Ungläubige' zu
diskriminieren", womit auch bei Paulus der Monotheismus letztlich
zum Totalitarismus werde (S. 222, 245). Seine auch vorhandenen humanen
Züge seien somit "immer durch den höheren Dienst an Gott gebunden
und richten sich im Konfliktfall unweigerlich gegen den Menschen"
(S. 245).
Wenngleich Lüdemann die politischen und soziokulturellen Umstände
der frühchristlichen Zeit etwas vernachlässigt, so hat er dennoch mit
seinem herausfordernden Buch, das auf den ersten Blick wohl etwas
radikal erscheinen mag, ein zuverlässiges Kompendium vorgelegt. Es
ermöglicht auch dem interessierten Laien, sich jenseits der
kirchlichen Bevormundung über die Anfänge der christlichen Religion zu
vergewissern. Bleibt zu wünschen, dass sein Anliegen der
kirchenabhängigen Theologenschaft, die noch immer die einer
versunkenen Welt angehörende paulinische Mythologie propagiert, zu
einem Anstoß werde: zu einer von der Humanitas getragenen Theologie.
Erschienen, in:
- Quäker. Zeitschrift der deutschen Freunde 77 (2003), Nr. 1,
S.41-42
- Schweizerisches Reformiertes Volksblatt 137 (2003), Nr. 1,
S.13-14
- Pfortzheimer Zeitung, 14.02.2003