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Paulus, der Gründer des Christentums
Neues Buch des umstrittenen Göttinger Theologen greift Kirche und Theologie an
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Westdeutsche Allgemeinen Zeitung, 2. Oktober 2001
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Von Lothar Simmank
Göttingen (epd). Nicht Jesus, sondern Paulus hat das Christentum
begründet. Das behauptet der Göttinger Professor Gerd Lüdemann in
seinem neuesten Buch, mit dem der umstrittene Theologe seine
zahlreichen publizistischen Angriffe auf Kirche und
Universitätstheologie fortsetzt. Nach Lüdemanns Abrechnung mit Jesus
in dem 1998 erschienenen Buch "Der große Betrug",
unterstellt er in seiner jüngsten Veröffentlichung, der
Heidenmissionar Paulus habe die Religion Jesu missverstanden und
dadurch - ohne es zu wollen - eine andauernde Trennung zwischen Kirche
und Israel bewirkt. Lüdemann wirft in dem am 1. Oktober auf den Markt
kommenden Titel "Paulus, der Gründer des Christentums" die
Frage auf, "ob es Paulus besser nicht gegeben hätte". Sein
Gottesbild stifte dazu an, die Ungläubigen nicht zu respektieren.
Monotheismus werde bei Paulus letztlich zum Totalitarismus, der sich,
wie die Geschichte gezeigt habe, unweigerlich gegen den Menschen
richte. Dass christliche Kirchen und akademische Theologen noch heute
die "Tollheiten" des Paulus vertreten, hält Lüdemann für
gefährlich. Der 55-Jährige evangelische Neutestamentler, der sich vor
drei Jahren offiziell vom christlichen Glauben losgesagt hat und nun
eine Professur für Geschichte und Literatur des frühen Christentums an
der theologischen Fakultät Göttingen innehat, darf nach einem
jahrelangen Rechtsstreit keine Theologiestudenten mehr prüfen. Seine
Entlassung aus dem Staatsdienst hat die Konföderation der
Evangelischen Kirche in Niedersachsen gefordert, doch diese Sanktion
lehnte die Hochschulleitung ab. Seitdem führt der Lehrstuhlinhaber als
Wisseschaftler ein eher isoliertes Dasein. Dass der Streit um den
ungläubigen Theologen, der fundamentale Glaubenssätze nicht mehr für
wahr halten kann, ein großes Medienecho fand, liegt nicht zuletzt an
Lüdemanns Schreibstil. Was in theologischen Werken anderer Autoren für
Laien oft unverständlich formuliert ist, bringt der Professor volksnah
und nicht selten polemisch auf den Punkt.
So auch in seinem neuen Paulus-Buch: Den Lesern bietet Lüdemann im
Epilog unter der Überschrift "Nachruf auf Paulus" raschen
Einblick in seine 25-jährige Forschungsarbeit und findet dabei für
sein kritisches Urteil über den Apostel starke Worte: "Paulus
fühlte sich als Agent Gottes und des Herrn Jesus Christus. Zusammen
mit diesem war er Teil eines Erlösungsdramas von kosmischem
Ausmaß", schreibt er. Dass die weltweite christliche Gemeinde von
einem Mann ins Lebens gerufen wurde, der Jesus nur von Hörensagen
kannte, wertet Lüdemann als "Anmaßung". Nicht in Zweifel
zieht der kritische Theologe, der sich selbst als "mystischen
Menschen" bezeichnet hat, das Damaskuserlebnis im Jahre 32, das
den fanatischen Christenverfolger Saulus zum Apostel Paulus bekehrte.
Sein religiöser Eifer aber, so Lüdemann, bleibe "in verdächtiger
Nähe zu einem Fanatikertum".
Lüdemanns Thesen dürften in Theologenkreise nicht für den gleichen
Aufruhr sorgen wie sein Jesus-Buch: Dass nicht alle der
neutestamentlichen Paulusbriefe von Paulus selbst geschrieben wurden,
ist für die historisch-kritische Forschung längst keine Sensation
mehr. Weder eine überraschende Erkenntnis und auch nicht ketzerisch
ist die Lüdemann'sche Darlegung, erst Paulus habe die Bildung einer
christlichen Kirche jenseits von Judentum und Heidentum erkämpft. Auch
dass die Auslegung der paulinischen Rechtfertigungslehre die
Christenheit in zwei Blöcke spaltete, ist seit der Reformation
geschichtlicher Fakt. Lüdemanns Anspruch zu zeigen, "was Paulus
wirklich dachte, wollte und tat" bleibt so ein eher
unspektakulärer Versuch. (Gerd Lüdemann: Paulus, der Gründer des
Christentums. zu Klampen Verlag, Lüneburg 2001, 19,– Euro).
Dieser epd-Artikel erschien in der Westdeutschen Allgemeinen
Zeitung vom 2. Oktober 2001. Nachdruck nur mit Genehmigung des Autors.
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