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Veröffentlichungen 1996
Gerd Lüdemann über sein Verhältnis zur Kirche
GOSLAR. Gerd Lüdemann wirft der Kirche vor, Forschungsergebnisse
zu verschleiern. Mit ihm sprach GZ-Redakteurin Dr. Christiane
Schlüter.
GZ: Was raten Sie einem Pfarrer, der sich ihrer Kritik anschlieÝt,
aber aus materiellen Gründen gezwungen ist, weiterhin sonntags
"antike Texte zu murmeln", wie Sie es nennen?
Lüdemann: Ich kenne Pfarrer, die laden mich regelmäÝig ein, ohne
selbst offen hervorzutreten. Der konkret betroffene Pastor ist in
einer schwierigen Situation. Da ist Zivilcourage gefordert. Er sollte
etwa die Versetzung in ein Schulpfarramt beantragen. Das würde das
Landeskirchenamt wohl auch machen. Man würde es nicht verzeihen, wenn
er an die Öffentlichkeit ginge. Aber das ist auch nicht nötig. Das tue
ich ja quasi stellvertretend.
GZ: Zugespitzt: Glauben Sie, daÝ Sie für die evangelische Kirche
einmal eine Bedeutung haben könnten, wie Luther sie für seine Kirche
hatte?
Lüdemann: Das weiÝ man nie. Luther hatte von sich ja auch nicht
gedacht, eine Reformation zu machen. Aber ich verstehe mich im Rahmen
der Universität und der Moderne, und die hat jeden Anspruch auf
Erkenntnisprivilegien hoffentlich ad absurdum geführt. Ich arbeite mit
Argumenten, nicht mit dem heiligen Geist.
GZ: Sind die Studentenzahlen in Ihren Veranstaltungen gesunken?
Lüdemann: Sie sind konstant geblieben, was angesichts der
Halbierung der Studentenzahlen eine Zunahme bedeutet. Ich habe von
einer Gruppe Studierender groÝen Zuspruch. Die Frommen kommen sowieso
nicht zu mir. Und eine ganze Menge sind verlängstigt, weil heute der
Druck der Kirchen auf die Studenten enorm ist: Die meisten bekommen
keine Stelle mehr.
GZ: Predigen Sie, und besuchen Sie noch Gottesdienste?
Lüdemann: Derzeit besuche ich nur Gottesdienste in den USA, aber
auch nur wenige. Bis auf weiteres predige ich nicht, weil da zuviel
Neugierige kommen würden und weil ich dafür zuviel über das
Glaubensbekenntnis und gegen die Kirche gesagt habe und mich das sehr
belasten würde.
GZ: Würden die Kirchenaustritte merklich abnehmen, wenn sich die
Kirche auf den von Ihnen gedanklich vorgezeichneten Weg begäbe?
Lüdemann: Nein. Dazu trägt die Kirche zu sehr die Last, eine
Institution des Staates geworden zu sein, und die Autorität des
Staates bröckelt ab. Ich weiÝ auch nicht, ob eine herkömmliche Form
von Kirche nach meiner Kritik möglich ist. So halte ich von
Predigtgottesdiensten für die nächste Zeit gar nichts. Für mich wären
Gottesdienste reine Kultgottesdienste, mit den Gleichnissen Jesu und
mit Musik, die die Menschen zusammenführen kann - also das, was die
emotionale Seite unseres Daseins ausdrückt.
(Dr. Christiane Schlüter, Goslarer Zeitung, 4.12.1996)