Gerd Lüdemann's Homepage
Recent Interviews/Press Releases
Veröffentlichungen 1996
Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Peter
Beier, hat Äußerungen des Göttinger Theologen Gerd Lüdemann (Foto)
über die Auferstehung, die Abfassung der Evangelien und zu den
altkirchlichen Bekenntnissen scharf zurückgewiesen. Die EZ berichtete
darüber in der Ausgabe Nr. 31, Seite 3. Inzwischen hat Gerd Lüdemann
aktuell auf Beiers Kritik geantwortet. Wir drucken hier den
vollständigen Wortlaut dieses Briefes ab. Das von Lüdemann
vorgeschlagene öffentliche Streitgespräch wird stattfinden. Am 11.
November werden Beier und Lüdemann im Düsseldorfer Fernsehstudio des
Westdeutscben Rundfunks (WDR) die aufgeworfenen Fragen diskutieren.
Das Streitgespräch wird am 16. November, 18.15 Uhr, in WDR 3 gesendet.
Sehr geehrter Herr Präses!
Sie haben in Beantwortung der Anfragen des Presbyteriums der
Kirchengemeinde in Wiehl und der Frauenhilfe in Bonn-Holzlar eine
Stellungnahme zu meinen Thesen zur Auferstehung Jesu (a), zur
Authentizitat der Evangelien (b) und zu den altkirchlichen
Bekenntnissen (c) verfaßt und veröffentlicht.
Gestatten Sie mir, Ihnen darauf im Interesse der Wahrheit und in
Verantwortung gegenüber den fragenden Menschen öffentlich zu
antworten. Ich gehe die von Ihnen angesprochenen Punkte der Reihe nach
durch:
a) Sie lehnen meine These ab, Jesu Leichnam sei verwest, und
behaupten statt dessen, die Auferstehung sei "ein Ereignis in der
Geschichte Gottes mit seinem Volk und seiner Welt". Um was für
ein Ereignis handelt es sich hier? Sie blieben mit Ihrer Aussage den
Leuten die Antwort darauf schuldig, ob Ihrer Meinung nach das Grab
leer oder voll war.
Ich kann in Ihrer Antwort daher nur ein Ausweichmanöver sehen, das
sich gegen jegliche Kritik abschottet, und werde gleichzeitig in
meinem Verdacht bestätigt: Der auferstandene Jesus ist die Leiche im
Keller der evangelischen Kirche. Gleichzeitg erlaube ich mir den
Hinweis darauf, daß die meisten Neutestamentler bezüglich des leeren
oder vollen Grabes im Gefolge Rudolf Bultmanns ähnlich wie ich
urteilen würden.
Ich verstehe daher Ihre im Eingang Ihrer Ausführungen gemachte
Bemerkung nicht, meine Thesen fielen auch im Bereich der
Universitätswissenschaften aus dem Rahmen.
Richtig ist: Ich bewege mich in der Auferstehungsthematik und auch
in den beiden im folgenden zu besprechenden Fragen ganz im Konsens der
neutestamentlichen Wissenschaft, ziehe aber realistischere
Konsequenzen daraus als andere Kollegen und Kolleginnen.
b) Sie behaupten, daß historisch die Tradition des Lebens Jesu,
seines Todes und seiner Auferstehung verläßlich sei, denn
"Jahrzehnte vor der schriftlichen Fassung der Evangelien durch
die Evangelisten - etwa im Jahr 70 n. Chr. - lagen die wesentlichen
Erzählstücke, Reden und Sprüche Jesu vor". Warum informieren Sie
die Menschen gezielt falsch?
Sie überspringen hier das Problem des Verhältnisses der drei
ersten Evangelien zueinander und erwecken den ganz und gar
unzutreffenden Eindruck, die Evangelien hätten unabhängig voneinander
im Jahr 70 vorgelegen. Nein, nach dem Konsens der Wissenschaft lag
Markus im Jahr 70 vor und Matthäus und Lukas haben auf der Basis (!)
des Markus und unter Hinzuziehung weiterer Quellen ihre Evangelien
15-20 Jahre danach verfaßt.
Schon diese Tatsache sollte zu einer methodischen Skepsis im
Umgang mit vielen Jesusworten und der historischen Zuverlässigkeit der
Evangelisten führen. Das gilt nicht nur fir die zu negative Zeichnung
der Pharisäer, wie Sie selbst einräumen, sondern etwa auch für die
Frage der Schuld am Tode Jesu.
Man lese doch nur die Passionsgeschichte und man wird erkennen,
wie sämtliche Evangelien die historische Wahrheft brutal umgefälscht
haben.
So zeichnen sie den Römer Pilatus als Werkzeug der Juden, bürden
diesen die Schuld am Tode Jesu voll auf und werden so mitschuldig am
Antisemitismus der Folgezeit bis in die Gegenwart hinein.
An diesen und anderen Stellen hilft nur Aufklärung über den wahren
Sachverhalt, nicht aber eine globale Verteidigung der Verläßlichkeit
der neutestamentlichen Evangelien.
c) Sie sagen, am Anfang habe das aktive und persönliche Bekennen
vieler Christen gestanden, die notfalls in den Arenen des damaligen
Römischen Reiches "auf ihr Bekenntnis hin gestorben sind, in der
Hoffnung auf die Auferstehung". Aber folgt daraus denn die
Notwendigkeit, das Apostolische Glaubensbekenntnis heute zu sprechen?
Ich verweise auf eine Fülle unglaubwürdiger Aussagen dort,
angefangen von der Jungfräulichkeit der Maria bis zur Auferstehung des
Fleisches. Glauen Sie das wirklich? Für mich ist all das nur das
Murmeln einer antiken Religion.
Insgesamt gesehen kann ich in Ihrem Antwortbrief nichts Neues über
das hinaus lesen, was von Apologeten alter und neuer Zeit immer schon
gegen die historische Kritik vorgebracht wurde.
Aber die Gemeinden und die Öffentlichkeit haben ein Recht, über
den gegenwärtigen Forschungsstand auch in der Theologie orientiert zu
werden.
Zwecks Klärung der uns allen auf den Nägeln brennenden Frage der
Zuverlässigkeit der Bibel fordere ich Sie hiermit zu einem
öffentlichen Streitgespräch heraus, dessen Ort und Zeit Sie selbst
bestimmen mögen.
Mit freundlichen Grüßen Prof Dr. Gerd Lüdemann
(Evangelische Zeitung, 15.9.1996)