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Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 2004
Die Evangelisch-lutherische Kirche Hannovers und Hanns Lilje.
Einwände gegen dessen Schrift "Der Krieg als geistige
Leistung" aus dem Jahre 1941 (mit Auszügen und Referaten)
von Gerd Lüdemann
Hanns Lilje kannte ich bis vor kurzem nur als ehemaligen
Hannoverschen Landesbischof und als Lutherforscher. Im Rahmen einer
Beschäftigung mit dem Krieg als Mittel der Politik stieß ich auf
seinen Traktat "Der Krieg als geistige Leistung"
(Furche-Schriften Nr. 26) aus dem Jahre 1941, der zugleich als Aufsatz
in der Zeitschrift Furche 26 (1941), S. 81-88, erschienen war. Sein
Inhalt hat mich schockiert. Und genauso bestürzend ist es, dass Hanns
Lilje als eine der herausragenden Persönlichkeiten des Protestantismus
des 20. Jahrhundert gilt und zum "Kirchenvater" der
Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers avanciert ist.
Die folgende Zusammenfassung mit Zitaten aus Liljes Schrift soll
eine Diskussion darüber einleiten, ob sich diese Einschätzung Hanns
Liljes weiter halten lässt. Sie ist auch deswegen nötig, weil Lilje
auch in späteren Jahren an seiner Position von 1941 ausdrücklich
festgehalten hat. Offenbar besteht eine innere Einheit zwischen Liljes
Stellungnahme von 1941 und seiner späteren Theologie. (Vgl. zu den
Einzelheiten Harry Oelke: Hanns Lilje. Ein Lutheraner in der Weimarer
Republik und im Kirchenkampf, 1999.) Bei der Diskussion um Hanns Lilje
geht es daher um die Glaubwürdigkeit der evangelischen Kirche.
Aus Gründen der Fairness möchte ich eingangs die Worte
wiedergeben, mit denen Lilje später selbst die Schrift von 1941
gegenüber scharfen Kritiken verteidigt hat. Er schreibt:
Es "ging selbstverständlich nicht um eine Verherrlichung des
Krieges und schon gar nicht des von den Nationalsozialisten
entfesselten Krieges, sondern die Absicht in beiden Veröffentlichungen
war die, dem Mann, der schicksalshaft in das Kriegsgeschehen
verwickelt war, geistige Hilfestellung zum Bestehen dieser Situation
anzubieten. Daß meine gesamte übrige Tätigkeit, einschließlich der
Tatsache, daß ich in Gestapohaft war, diese böswillige Interpretation
widerlegte, blieb unberücksichtigt" (Hanns Lilje: Memorabilia.
Schwerpunkte eines Lebens, 1973, S. 190).
Nun kann die Verurteilung zu einer vierjährigen Haftstrafe durch
die Gestapo Mitte Januar 1945 (Festnahme am 19. August 1944), von der
Liljes Schrift "Im finstern Tal" (1947) einen Bericht gibt,
kein Interpretationsmaßstab für den Inhalt des Traktats von 1941 sein.
Hier hilft nur eine genaue Lektüre weiter. Sie führt mich zum Urteil,
dass Lilje, trotz späterer Beteuerungen des Gegenteils, den von Hitler
angezettelten Krieg verherrlicht hat - dies, obwohl er mit Christen
aus Frankreich, England, den Benelux-Staaten und anderen zu
Kriegsfeinden erklärten Ländern in der ökumenischen Arbeit verbunden
war.
Im folgenden orientiere ich mich an der Fassung, die separat als
Furche-Schrift Nr. 26 im Jahre 1941 veröffentlicht und mit insgesamt
10 000 Exemplaren weit verbreitet wurde. Ich zeichne den Gedankengang
in Zusammenfassungen nach und gebe Zitate jeweils kursiv wieder.
Furche-Schriften Nr. 26
Der Krieg als geistige Leistung
von Dr. Hanns Lilje
1.
Die Schrift Liljes beginnt folgendermaßen:
"Es soll hier nicht von den Fragen die Rede sein, die der
Krieg dem Geschichtsphilosophen stellt. Er kann freilich nicht an
ihnen vorüber; denn wo enthüllte sich deutlicher sein
Gesamtverständnis vom Geschehen als angesichts des Krieges! Der Krieg
deckt mit einer brutalen Plötzlichkeit und grellen Deutlichkeit die
verborgenen Quellen und Gründe des geschichtlichen Lebens auf; er legt
jene Triebkräfte bloß, die das geschichtliche Schicksal der Völker
formen und die, solange die Zeit im friedlichen Gleichmaß geht, so
leicht mit allerlei Hüllen der verschiedenartigsten weltanschaulichen
Herkunft zugedeckt werden" (S. 3).
Lilje zufolge ist der Krieg keineswegs das Prinzip der Geschichte
schlechthin, und Heraklits Satz vom Krieg als dem Vater aller Dinge
habe fast nur eine ästhetische Bedeutung. Für Luther sei die
Geschichte Gottes Werk. Dies komme unserem heutigen realistischen
Geschichtsdenken näher. "Erst auf dem Hintergrunde dieser
realistischen Erkenntnis vom Wesen des Krieges kann man zu positiveren
Gedanken weiter schreiten" (S. 5). Als Teil von Gottes
Wirken sei der Krieg schöpferisch. "Darin, daß der Krieg dem
Werden einer neuen geschichtlichen Ordnung dient, besteht seine
Würde" (S. 5). Diese Erkenntnis erreiche Heraklit überhaupt
nicht, denn er spreche nur von der Ordnung eines in sich ruhenden
Geschehens, das abgeschlossen sei. Lilje setzt seine Überlegungen
fort:
"Aus diesen großangelegten, tiefverstandenen Einsichten
der Reformatoren in das Wesen des Krieges und seinen Zusammenhang mit
Gottes Wirken in der Geschichte kann denn auch tatsächlich so etwas
wie eine Würde des Krieges begriffen werden. Aber nur hier. Wenn der
Krieg nicht in der strengsten möglichen Weise an diesen
hintergründigen, metaphysischen Zusammenhang mit Gottes Wirken
gebunden bleibt, kann er chaotisch wirken" (S. 5).
Die großen geistigen Väter des Preußentums wie Clausewitz seien
den Reformatoren in der Unterscheidung zwischen der im Krieg
ausgeübten Gewalt und den ihm zugrunde liegenden geistigen und
moralischen Bindungen gefolgt (vgl. S. 5-6). Sie hätten den Krieg
geradezu als eine geistige Leistung verstanden und weder einfach als
schöpferisches Prinzip in der Geschichte noch als eine über ein Volk
hereinbrechende Katastrophe (vgl. S. 6).
2.
Im Gegenüber zur Tendenz des Krieges, die "Vermassung"
zu begünstigen, betont Lilje eingangs das Schicksal des einzelnen und
erläutert dies an Begegnungen mit Offizieren nach dem Sieg über
Frankreich. Er schreibt darüber:
"Wer das Glück gehabt hat, mit geistig hochgebildeten
Offizieren unmittelbar nach dem Frankreich-Feldzug des Jahres 1940
Vergleiche über den Unterschied zwischen dem Material- und
Stellungskrieg der letzten Weltkriegsjahre anzustellen, die
bekanntlich den moralischen Mut auf eine fast übermenschlich schwere
Belastungsprobe gestellt haben, der weiß, mit welcher Bewußtheit
unsere besten jungen Offiziere in den führenden Stellungen gerade
diesen Unterschied begriffen haben; bei aller hochentwickelten Technik
des modernes Krieges hat die Einsatzbereitschaft des einzelnen und
persönliche Einsatzfähigkeit eine noch wesentlich erhöhte Bedeutung
gewonnen. Damit ist aber auch die persönliche geistige Leistung des
einzelnen Mannes und Offiziers für die moderne Kriegsführung
grundsätzlich wieder höchst bedeutsam geworden" (S. 7 Anm.
9)
Das eigentliche Fronterlebnis - das Bewusstsein, fortwährend
"eine Handbreit vom Tode" zu leben -, habe ihm selbst als
einzelnem bereits im Ersten Weltkrieg die Perspektiven zurechtgerückt
und gelehrt, "nur was noch im Angesichte des Todes Bestand
hat, ist wert, Inhalt des Lebens zu sein" (S. 8). Das Leben
im Frieden verhülle dem Menschen diese Erkenntnis fortwährend. Im
Anschluss an Hans Carossa heißt es, "welche Rettung war es
für manchen, aus abstumpfender Häuslichkeit in heilsame Todesnähe
entrückt zu werden!" (S. 9 Anm. 10). Indes sei eine
Glorifizierung der kriegerischen Situation abzulehnen. "Im
persönlichen wie im geistigen Leben des einzelnen ist der Krieg fast
niemals schlechthin schöpferisches Prinzip. Hier heißt seine
entscheidende Bedeutung vielmehr: Bewährung" (S. 10). Für
den einzelnen sei "die Bewährung im Kriege eine geistige
Leistung von höchstem Range" (S. 10). Um den Tod im Kriege
zu bewältigen, bedürfe der Soldat der Gnade Jesu Christi, und es sei
gerade nicht rückständig, "wenn fast alle geistigen Väter
des Preußentums von dem Soldatenkönig an sehr deutlich ausgesprochen
haben, daß sie sich dieser Gnade Christi bedürftig wußten"
(S. 11) und dies freiwillig bekannt hätten.
Lilje schließt den zweiten Teil seiner Schrift mit dem Satz ab:
"Die geistige Leistung, die der Krieg von dem einzelnen
fordert, besteht darin, daß er mit allen geistigen und sittlichen
Mitteln, die ihm Gott an die Hand gibt, sich seinem Schicksal zu
stellen trachtet, jenem großen einmaligen Schicksal seines Lebens, das
ihm im Kriege mit einer Deutlichkeit und Dringlichkeit gegenübertritt,
der er nicht ausweichen kann" (S. 12).
3.
Der nun folgende Schlussabschnitt verbindet eine Kritik am
bürgerlichen Leben im Frieden mit einer Verherrlichung des
Kriegseinsatzes. Man vgl. folgende Ausführungen:
"Wo weiß man mehr, wie köstlich das Leben ist als im
Kriege? Wann ist das Atmen in Gottes Luft reiner und der Blick auf das
Himmelsblau und das Licht des Tages schöner als da, wo man weiß, daß
die nächste Minute das alles enden kann, und man darum diese
alltäglichste und größte Gabe - anders als im bürgerlichen Dasein -
wieder bewußt aus den Händen des Schöpfers entgegennehmen kann?"
(S. 13).
"Wer weiß besser, wie wertvoll das Leben ist, als der
Mann, der mit anderen Männern des Stoßtrupps gedrängt am Sappenausgang
steht und auf das Zeichen zum Vorgehen wartet und nun gleichsam in
einen Handgriff sein ganzes Leben zusammenfaßt und an einen Einsatz
wagt?" (S. 13).
Man könne das Leben - und das gelte sowohl für den einzelnen wie
für das Volk - nur haben, wenn man zur Verteidigung "gegen
Tod und Grauen" bereit sei. Der theoretisch und praktisch
nur am Lebensgenuss interessierte satte Bürger am Tisch in friedlichen
Zeiten sei außerstande, dazu etwas beizutragen. Indes bestehe der
größte Adel des Lebens in der Erkenntnis, dass es nicht uns selber
gehört - weder im Frieden noch im Krieg - und "daß wir
bereit sein müssen, es zu opfern" (S. 13). Zu diesem Opfer
sind die Soldaten gerufen. In den darauf folgenden Ausführungen, die
auf mich wie eine Gotteslästerung wirken, schreibt Lilje:
"Es muß nicht nur auf den Koppelschlössern der Soldaten,
sondern in Herz und Gewissen stehen: Mit Gott! Nur im Namen Gottes
kann man dies Opfer legitimieren" (S. 14).
Abschließend begründet Lilje sogar noch unter Berufung auf Jesus -
Joh 12,25a - den Einsatz des Soldaten im Kriege und schreibt:
"In viel tieferem Sinne, als die bürgerliche Alltagsweisheit
jemals wissen kann, gilt das Jesuswort: Wer sein Leben liebhat, wird
es verlieren" (S. 14). Indes kann man dieses aus dem Kontext
der Nachfolge Jesu stammende Wort in keinem Fall auf den Dienst mit
der Waffe beziehen. Exegetisch ist dieses Vorgehen reiner Schwindel,
denn als studierter Theologe müsste Lilje gewusst haben, dass es so
nicht geht. Wenn er es trotzdem tut - und dies im Jahr 1941 -, so wird
klar: Der spätere Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche
Hannovers setzt die aktive Teilnahme am verbrecherischen Krieg
Nazi-Deutschlands mit der Nachfolge Jesu gleich.