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Einwände gegen die Schrift "Der Krieg als geistige Leistung" von Hanns Lilje

Die Evangelisch-lutherische Kirche Hannovers und Hanns Lilje. Einwände gegen dessen Schrift "Der Krieg als geistige Leistung" aus dem Jahre 1941 (mit Auszügen und Referaten)

von Gerd Lüdemann

Hanns Lilje kannte ich bis vor kurzem nur als ehemaligen Hannoverschen Landesbischof und als Lutherforscher. Im Rahmen einer Beschäftigung mit dem Krieg als Mittel der Politik stieß ich auf seinen Traktat "Der Krieg als geistige Leistung" (Furche-Schriften Nr. 26) aus dem Jahre 1941, der zugleich als Aufsatz in der Zeitschrift Furche 26 (1941), S. 81-88, erschienen war. Sein Inhalt hat mich schockiert. Und genauso bestürzend ist es, dass Hanns Lilje als eine der herausragenden Persönlichkeiten des Protestantismus des 20. Jahrhundert gilt und zum "Kirchenvater" der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers avanciert ist.

Die folgende Zusammenfassung mit Zitaten aus Liljes Schrift soll eine Diskussion darüber einleiten, ob sich diese Einschätzung Hanns Liljes weiter halten lässt. Sie ist auch deswegen nötig, weil Lilje auch in späteren Jahren an seiner Position von 1941 ausdrücklich festgehalten hat. Offenbar besteht eine innere Einheit zwischen Liljes Stellungnahme von 1941 und seiner späteren Theologie. (Vgl. zu den Einzelheiten Harry Oelke: Hanns Lilje. Ein Lutheraner in der Weimarer Republik und im Kirchenkampf, 1999.) Bei der Diskussion um Hanns Lilje geht es daher um die Glaubwürdigkeit der evangelischen Kirche.

Aus Gründen der Fairness möchte ich eingangs die Worte wiedergeben, mit denen Lilje später selbst die Schrift von 1941 gegenüber scharfen Kritiken verteidigt hat. Er schreibt:

Es "ging selbstverständlich nicht um eine Verherrlichung des Krieges und schon gar nicht des von den Nationalsozialisten entfesselten Krieges, sondern die Absicht in beiden Veröffentlichungen war die, dem Mann, der schicksalshaft in das Kriegsgeschehen verwickelt war, geistige Hilfestellung zum Bestehen dieser Situation anzubieten. Daß meine gesamte übrige Tätigkeit, einschließlich der Tatsache, daß ich in Gestapohaft war, diese böswillige Interpretation widerlegte, blieb unberücksichtigt" (Hanns Lilje: Memorabilia. Schwerpunkte eines Lebens, 1973, S. 190).

Nun kann die Verurteilung zu einer vierjährigen Haftstrafe durch die Gestapo Mitte Januar 1945 (Festnahme am 19. August 1944), von der Liljes Schrift "Im finstern Tal" (1947) einen Bericht gibt, kein Interpretationsmaßstab für den Inhalt des Traktats von 1941 sein. Hier hilft nur eine genaue Lektüre weiter. Sie führt mich zum Urteil, dass Lilje, trotz späterer Beteuerungen des Gegenteils, den von Hitler angezettelten Krieg verherrlicht hat - dies, obwohl er mit Christen aus Frankreich, England, den Benelux-Staaten und anderen zu Kriegsfeinden erklärten Ländern in der ökumenischen Arbeit verbunden war.

Im folgenden orientiere ich mich an der Fassung, die separat als Furche-Schrift Nr. 26 im Jahre 1941 veröffentlicht und mit insgesamt 10 000 Exemplaren weit verbreitet wurde. Ich zeichne den Gedankengang in Zusammenfassungen nach und gebe Zitate jeweils kursiv wieder.

Furche-Schriften Nr. 26
Der Krieg als geistige Leistung
von Dr. Hanns Lilje
1.

Die Schrift Liljes beginnt folgendermaßen:

"Es soll hier nicht von den Fragen die Rede sein, die der Krieg dem Geschichtsphilosophen stellt. Er kann freilich nicht an ihnen vorüber; denn wo enthüllte sich deutlicher sein Gesamtverständnis vom Geschehen als angesichts des Krieges! Der Krieg deckt mit einer brutalen Plötzlichkeit und grellen Deutlichkeit die verborgenen Quellen und Gründe des geschichtlichen Lebens auf; er legt jene Triebkräfte bloß, die das geschichtliche Schicksal der Völker formen und die, solange die Zeit im friedlichen Gleichmaß geht, so leicht mit allerlei Hüllen der verschiedenartigsten weltanschaulichen Herkunft zugedeckt werden" (S. 3).

Lilje zufolge ist der Krieg keineswegs das Prinzip der Geschichte schlechthin, und Heraklits Satz vom Krieg als dem Vater aller Dinge habe fast nur eine ästhetische Bedeutung. Für Luther sei die Geschichte Gottes Werk. Dies komme unserem heutigen realistischen Geschichtsdenken näher. "Erst auf dem Hintergrunde dieser realistischen Erkenntnis vom Wesen des Krieges kann man zu positiveren Gedanken weiter schreiten" (S. 5). Als Teil von Gottes Wirken sei der Krieg schöpferisch. "Darin, daß der Krieg dem Werden einer neuen geschichtlichen Ordnung dient, besteht seine Würde" (S. 5). Diese Erkenntnis erreiche Heraklit überhaupt nicht, denn er spreche nur von der Ordnung eines in sich ruhenden Geschehens, das abgeschlossen sei. Lilje setzt seine Überlegungen fort:

"Aus diesen großangelegten, tiefverstandenen Einsichten der Reformatoren in das Wesen des Krieges und seinen Zusammenhang mit Gottes Wirken in der Geschichte kann denn auch tatsächlich so etwas wie eine Würde des Krieges begriffen werden. Aber nur hier. Wenn der Krieg nicht in der strengsten möglichen Weise an diesen hintergründigen, metaphysischen Zusammenhang mit Gottes Wirken gebunden bleibt, kann er chaotisch wirken" (S. 5).

Die großen geistigen Väter des Preußentums wie Clausewitz seien den Reformatoren in der Unterscheidung zwischen der im Krieg ausgeübten Gewalt und den ihm zugrunde liegenden geistigen und moralischen Bindungen gefolgt (vgl. S. 5-6). Sie hätten den Krieg geradezu als eine geistige Leistung verstanden und weder einfach als schöpferisches Prinzip in der Geschichte noch als eine über ein Volk hereinbrechende Katastrophe (vgl. S. 6).

2.

Im Gegenüber zur Tendenz des Krieges, die "Vermassung" zu begünstigen, betont Lilje eingangs das Schicksal des einzelnen und erläutert dies an Begegnungen mit Offizieren nach dem Sieg über Frankreich. Er schreibt darüber:

"Wer das Glück gehabt hat, mit geistig hochgebildeten Offizieren unmittelbar nach dem Frankreich-Feldzug des Jahres 1940 Vergleiche über den Unterschied zwischen dem Material- und Stellungskrieg der letzten Weltkriegsjahre anzustellen, die bekanntlich den moralischen Mut auf eine fast übermenschlich schwere Belastungsprobe gestellt haben, der weiß, mit welcher Bewußtheit unsere besten jungen Offiziere in den führenden Stellungen gerade diesen Unterschied begriffen haben; bei aller hochentwickelten Technik des modernes Krieges hat die Einsatzbereitschaft des einzelnen und persönliche Einsatzfähigkeit eine noch wesentlich erhöhte Bedeutung gewonnen. Damit ist aber auch die persönliche geistige Leistung des einzelnen Mannes und Offiziers für die moderne Kriegsführung grundsätzlich wieder höchst bedeutsam geworden" (S. 7 Anm. 9)

Das eigentliche Fronterlebnis - das Bewusstsein, fortwährend "eine Handbreit vom Tode" zu leben -, habe ihm selbst als einzelnem bereits im Ersten Weltkrieg die Perspektiven zurechtgerückt und gelehrt, "nur was noch im Angesichte des Todes Bestand hat, ist wert, Inhalt des Lebens zu sein" (S. 8). Das Leben im Frieden verhülle dem Menschen diese Erkenntnis fortwährend. Im Anschluss an Hans Carossa heißt es, "welche Rettung war es für manchen, aus abstumpfender Häuslichkeit in heilsame Todesnähe entrückt zu werden!" (S. 9 Anm. 10). Indes sei eine Glorifizierung der kriegerischen Situation abzulehnen. "Im persönlichen wie im geistigen Leben des einzelnen ist der Krieg fast niemals schlechthin schöpferisches Prinzip. Hier heißt seine entscheidende Bedeutung vielmehr: Bewährung" (S. 10). Für den einzelnen sei "die Bewährung im Kriege eine geistige Leistung von höchstem Range" (S. 10). Um den Tod im Kriege zu bewältigen, bedürfe der Soldat der Gnade Jesu Christi, und es sei gerade nicht rückständig, "wenn fast alle geistigen Väter des Preußentums von dem Soldatenkönig an sehr deutlich ausgesprochen haben, daß sie sich dieser Gnade Christi bedürftig wußten" (S. 11) und dies freiwillig bekannt hätten.

Lilje schließt den zweiten Teil seiner Schrift mit dem Satz ab:

"Die geistige Leistung, die der Krieg von dem einzelnen fordert, besteht darin, daß er mit allen geistigen und sittlichen Mitteln, die ihm Gott an die Hand gibt, sich seinem Schicksal zu stellen trachtet, jenem großen einmaligen Schicksal seines Lebens, das ihm im Kriege mit einer Deutlichkeit und Dringlichkeit gegenübertritt, der er nicht ausweichen kann" (S. 12).

3.

Der nun folgende Schlussabschnitt verbindet eine Kritik am bürgerlichen Leben im Frieden mit einer Verherrlichung des Kriegseinsatzes. Man vgl. folgende Ausführungen:

"Wo weiß man mehr, wie köstlich das Leben ist als im Kriege? Wann ist das Atmen in Gottes Luft reiner und der Blick auf das Himmelsblau und das Licht des Tages schöner als da, wo man weiß, daß die nächste Minute das alles enden kann, und man darum diese alltäglichste und größte Gabe - anders als im bürgerlichen Dasein - wieder bewußt aus den Händen des Schöpfers entgegennehmen kann?" (S. 13).

"Wer weiß besser, wie wertvoll das Leben ist, als der Mann, der mit anderen Männern des Stoßtrupps gedrängt am Sappenausgang steht und auf das Zeichen zum Vorgehen wartet und nun gleichsam in einen Handgriff sein ganzes Leben zusammenfaßt und an einen Einsatz wagt?" (S. 13).

Man könne das Leben - und das gelte sowohl für den einzelnen wie für das Volk - nur haben, wenn man zur Verteidigung "gegen Tod und Grauen" bereit sei. Der theoretisch und praktisch nur am Lebensgenuss interessierte satte Bürger am Tisch in friedlichen Zeiten sei außerstande, dazu etwas beizutragen. Indes bestehe der größte Adel des Lebens in der Erkenntnis, dass es nicht uns selber gehört - weder im Frieden noch im Krieg - und "daß wir bereit sein müssen, es zu opfern" (S. 13). Zu diesem Opfer sind die Soldaten gerufen. In den darauf folgenden Ausführungen, die auf mich wie eine Gotteslästerung wirken, schreibt Lilje:

"Es muß nicht nur auf den Koppelschlössern der Soldaten, sondern in Herz und Gewissen stehen: Mit Gott! Nur im Namen Gottes kann man dies Opfer legitimieren" (S. 14).

Abschließend begründet Lilje sogar noch unter Berufung auf Jesus - Joh 12,25a - den Einsatz des Soldaten im Kriege und schreibt: "In viel tieferem Sinne, als die bürgerliche Alltagsweisheit jemals wissen kann, gilt das Jesuswort: Wer sein Leben liebhat, wird es verlieren" (S. 14). Indes kann man dieses aus dem Kontext der Nachfolge Jesu stammende Wort in keinem Fall auf den Dienst mit der Waffe beziehen. Exegetisch ist dieses Vorgehen reiner Schwindel, denn als studierter Theologe müsste Lilje gewusst haben, dass es so nicht geht. Wenn er es trotzdem tut - und dies im Jahr 1941 -, so wird klar: Der spätere Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers setzt die aktive Teilnahme am verbrecherischen Krieg Nazi-Deutschlands mit der Nachfolge Jesu gleich.


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Letzte Aktualisierung am 22. April 2020
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