Gerd Lüdemann's Homepage
Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 2004
taz Nord Nr. 7381 vom 12.6.2004, Seite 32, (TAZ-Bericht)
Der Göttinger Theologieprofessor Gerd Lüdemann glaubt nicht
mehr an die Bibel. Deshalb verlor er seinen Lehrstuhl, seine Studenten
- und jetzt wieder mal einen Prozess. Lüdemanns Kreuzzug gegen die
Lügen der Kirche aber geht weiter aus Göttingen Kai Schöneberg
Als junger Mann pilgerte er nach TaizÇ. Er wollte Mönch werden.
Schon "der Geruch der Bibel hat mich in eine heilige
Atmosphäre" versetzt, sagt er heute. Dann hat er das Buch der
Bücher genau geprüft, ganz genau, bis "von den Visionen nichts
übrig blieb". Gerd Lüdemann hat gehandelt. Weil "die Mirakel
nicht stattgefunden haben", weil "der Glaube zum Aberglaube
führt", der die Menschen "abhängig und krank" macht,
rebellierte der Göttinger Theologieprofessor gegen alle Dogmen, gegen
die Bischöfe, gegen seine Universität, gegen die "Verfilzung von
Staat und Kirche" - und steckte gerade wieder eine bittere
Niederlage ein.
An diesem Tag nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg
sitzt der Professor ermattet auf der abgewetzten Couch seiner
Doppelhaushälfte in Göttingen und muss erst mal "ein bisschen
Trauerarbeit leisten". Das OVG hatte am Dienstag in einer
Berufungsverhandlung entschieden, dass Lüdemann nicht auf seinen alten
Lehrstuhl "Neues Testament" an der Theologischen Fakultät
der Göttinger Uni zurückkehren darf. Die Hochschule habe dem Professor
1998 zu Recht den "konfessionsgebundenen" Lehrauftrag
entzogen, den er vor 15 Jahren angetreten hatte. Jetzt will Lüdemann
das Urteil prüfen - bevor er in seinem Kreuzzug gegen das Heucheln
weiter zieht, vor das Bundesverwaltungsgericht. "Es gibt doch ein
intellektuelles Gewissen", sagt Lüdemann beschwörend wie ein
Prediger. Der Streit hat tiefe Furchen in sein Gesicht gegraben.
Lüdemann hat nicht nur den Glauben an Gott verloren, sondern mit den
Jahren auch 10 Kilo Gewicht.
Die Jungfrauengeburt ist ein Weihnachtsmärchen, die Auferstehung
hat es nie gegeben, nicht Jesus, sondern Paulus gründete das
Christentum - das sind Lüdemanns neue Dogmen. Spätestens mit seinem
Buch "Der große Betrug. Und was Jesus wirklich sagte und
tat" schrieb sich der Theologe vom Christentum los. Nicht nur die
Feuilletons diskutieren den Fall seit Jahren, weltweit. Plötzlich
hatten auch die Protestanten ihren "Küng". Dem Tübinger
Theologen war die kirchliche Lehrbefugnis entzogen worden, weil er die
Unfehlbarkeit des Papstes angezweifelt hatte. Natürlich wollten auch
die oberen Evangelen keinen "Märtyrer" entstehen lassen,
weil Lüdemann sagte, was viele denken. Dennoch hat er "viele
Briefe von Pfarrern bekommen, die schrieben, sie wären längst
ausgetreten, wenn sie nicht noch Geld verdienen müssten."
Das Neue Testament ist für ihn keine Glaubensgrundlage mehr. 90
Prozent aller Jesusworte seien "unecht". Spätere Interpreten
hätten kräftig dazugedichtet. Lüdemann sagt, "manipuliert".
Nicht mal die Nächstenliebe ist für ihn noch christlichen Ursprungs,
sondern eine altjüdische Weißheit. Gerade schreibt er ein Buch über
die "Intoleranz des Evangeliums". Für viele ist das harter
Tobak.
Auch, dass Jesus nicht der Messias ist, findet nicht überall
Zuspruch. Fast 2.000 Jahre nach seinem Tod sei der Heiland schließlich
immer noch nicht auf die Erde zurückgekommen, meint Lüdemann. "Er
war ein symphatischer Naturbursche aus Galiläa, ein Magier, der
Dämonen ausgetrieben hat. Und", sagt der Forscher mit großem
Bedacht, "das füge ich hinzu: Dämonen gibt es nicht."
Im Grundgesetz gibt es hingegen die Glaubensfreiheit - an der
Universität gilt sie offensichtlich nicht überall. Was passiert also
mit den Ketzern des 21. Jahrhunderts, wie geht die Kirche mit
Ungläubigen in den eigenen Reihen um? Die Professoren-Kollegen gaben
vor, Lüdemanns Schritt zu "respektieren", sie geben ihm auch
heute noch die Hand. Mehr aber auch nicht. Das Kollegium distanzierte
sich öffentlich von Lüdemann. Die "Kirche" habe
"Spitzel" in seine Veranstaltungen geschickt, sie betreibe
"Mobbing", meint der Professor.
Auf Druck der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen
und mit Genehmigung der Landesregierung wurde dem Mann, dessen Name
oft um das Wort "streitbar" ergänzt wird, schließlich ein
neuer Lehrstuhl für "Geschichte und Literatur des frühen
Christentums" eingerichtet. Weil ein Theologieprofessor die
Bibelworte nur ungefiltert an seine Schüler - angehende Pfarrer oder
Religionslehrer - weitergeben darf, verschob ihn die Uni aufs
Abstellgleis. Sein Fach gibt es nirgendwo sonst, er hat kaum noch
Studenten, weil er keine theologischen Prüfungen mehr abnehmen darf.
Lüdemann sagt, dass "Marxismus doch auch am besten ein
Nicht-Marxist" unterrichte. Und, dass die Kirche ihn ja
eigentlich auch bekämpfen muss. Ohne Wunder "würde ihnen ja das
Fussvolk weglaufen".
Lüdemann ist jetzt 57 Jahre alt. "Die Nüchternheit sagt mir,
dass es zu Ende geht", erzählt er. Dann ist da gar nichts mehr,
kein Trost, keine Erlösung. Erst durch seine Forschung ist der Tod für
ihn "zum größten Feind" geworden. Vorher hat Lüdemann noch
ein Ziel: Recht bekommen. Auch das Bundesverfassungsgericht prüft
gerade eine Klage wegen der ihm entzogenen C1-Professur. Lüdemann
glaubt wohl nur noch an eins: Seinen Sieg. "Ich will erreichen,
dass der rechtliche Status der theologischen Fakultäten in Deutschland
auf den Prüfstand kommt".
taz Nord Nr. 7381 vom 12.6.2004, Seite 32, (TAZ-Bericht), Kai
Schöneberg