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Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 2003
- die Verhältnisse in Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen Staaten
von Gerd Lüdemann
Vorbemerkung
Zu Beginn sei meine nur eingeschränkte Kompetenz hinsichtlich
dieses Themas genannt, denn eigentlich brauchte man dafür einen
Juristen, der sich zudem noch gut im Kirchenrecht auskennt. Ich betone
das auch deswegen, weil die mangelnde Kompetenz der meisten Theologen,
sich zu diesem Thema zu äußern, auch mit der Grund dafür ist, dass die
großen Kirchen von der gegenwärtigen Lage profitieren. Das sage ich
als jemand, der als Theologieprofessor in den letzten Jahren Objekt
von Zwangsmaßnahmen seiner eigenen Universität infolge der
Beanstandung seiner Lehre durch die Konföderation evangelischer
Kirchen in Niedersachsen geworden ist. Ich habe mir daher selbst erst
den Weg durch die Literatur zum Kirchenrecht bahnen müssen.
Im Blick auf die Informationen, die ich meinem Vortrag zugrunde
lege, sind das für die Lage in Deutschland die einschlägigen
Lehrbücher von MARTIN HECKEL und AXEL VON CAMPENHAUSEN und
hinsichtlich des europäischen Auslands Auskünfte von den zuständigen
Fakultäten. Außerdem ziehe ich einzelne Dokumente aus meinem eigenen
Gerichtsprozess heran. Auf die neuere Spezialliteratur, die sich
teilweise ausdrücklich mit meinem "Fall" befasst, konnte ich
aus Zeitgründen nicht eingehen. Auf sie sei aber ausdrücklich
verwiesen.
Ich beginne also mit einer Darstellung der Lage in Deutschland,
unternehme dann mehrere Exkurse in Nachbarländer und schließe mit
einigen grundsätzlichen Erwägungen.
I. Die Verhältnisse in Deutschland
I.1 Zum Staatskirchenrecht in der Weimarer Republik
Das landesherrliche Kirchenregiment hatte mit der Abschaffung der
Monarchie im Jahre 1918 ein Ende gefunden. Zugleich nahm der Staat nun
auch seine kirchenhoheitlichen Ansprüche zurück, womit eine Trennung
von Staat und Kirche einherzugehen schien.
Folgende Artikel der Weimarer Reichsverfassung weisen in diese
Richtung: das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit in
Verbindung mit der Kultus- und Religionsfreiheit (WRV Art. 135; 137
II), die Unabhängigkeit der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte
von der Religionszugehörigkeit (Art. 136), das Staatskirchenverbot
(WRV Art. 137 I) und die Autonomie der Kirchen im Rahmen der für alle
geltenden Gesetze (WRV Art. 137 III). Zudem wurden die Kirchen als
"Religionsgesellschaften" grundsätzlich auf dieselbe Ebene
versetzt wie andere religiöse und weltanschauliche Vereinigungen
unterhalb der Staatsebene (WRV Art. 137 VII).
Indes wurde die Trennung von Staat und Kirche nicht konsequent
durchgeführt. Denn diejenigen Religionsgesellschaften, die schon
bislang im Besitz der Korporationsrechte waren - im wesentlichen die
beiden großen Kirchen - erhielten weiterhin den Status der
Körperschaften des öffentlichen Rechts und durften deswegen
Kirchensteuern mit Hilfe der staatlichen Steuerlisten erheben (WRV
Art. 137 VI).
Außerdem erhielt der konfessionelle Religionsunterricht als
ordentliches Lehrfach in den Lehrplänen der Schulen ebenso eine feste
Verankerung (WRV Art. 149 I) wie die theologischen Fakultäten an den
staatlichen Hochschulen (WRV Art. 149 III).
Nicht allein die Weimarer Reichsverfassung bestimmte das
Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Dies taten ferner
Staatskirchenverträge zwischen den Ländern Bayern (1924), Preußen
(1931) und Baden (1932) mit den evangelischen Landeskirchen in diesen
Ländern, die in der Regel die Existenz theologischer Fakultäten und
den konfessionellen Religionsunterricht garantierten.
Zum Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland
Für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland regelte das
Grundgesetz aus dem Jahre 1949 das rechtliche Verhältnis von Staat und
Kirche. Seine Väter knüpften ausdrücklich an das Staatskirchenrecht
der Weimarer Reichsverfassung an. Art. 140 GG nahm die Art. 136 - 139
und 141 WRV in die neue Verfassung auf, während Art. 4 GG mit der
Garantie der Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit dem Art. 135
WRV eine prominente Stellung unter den Grundrechten sicherte.
Außerdem legte Art. 5 III GG als Grundrecht die Freiheit von
Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre fest sowie Art. 7 III GG den
Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen als ordentliches
Lehrfach, "der in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der
Religionsgemeinschaften" zu erteilen sei. Indes enthält das
Grundgesetz im Gegensatz zur Weimarer Verfassung (Art. 149 III) keine
Bestandsschutzklausel für die theologischen Fakultäten.
Eine große Bedeutung für das Verhältnis von Staat und Kirche kommt
dem Niedersächsischen Kirchenvertrag (Loccumer Vertrag) von 1955 und
dem Ergänzungsvertrag von 1966 zu, umso mehr als alle darauf folgenden
Verträge (Schleswig-Holstein [1957], Hessen [1960], Rheinland-Pfalz
[1962] und Nordrhein-Westfalen [1984]) sich am Loccumer Vertrag
orientieren. Dem Loccumer Vertrag kommt daher ein Modellcharakter zu.
Der Loccumer Vertrag sichert die Fortexistenz der theologischen
Fakultät in Göttingen für die Vorbildung der Geistlichen zu. Die
Kirchen erhalten das Recht einer gutachterlichen Stellungnahme vor der
Anstellung eines ordentlichen oder außerordentlichen Professors
zugesichert (Art. 3 Nds.KV).
Eine den Staat bindende Wirkung der kirchlichen Stellungnahme und
ein nachträgliches Beanstandungsrecht der evangelischen Kirchen gegen
einen Lehrstuhlinhaber wurden jedoch nicht vereinbart. Aus den
Protokollen der Hannoverschen Landessynode geht eindeutig hervor, dass
auf ein nachträgliches Beanstandungsrecht mit Absicht verzichtet
wurde. Der Loccumer Vertrag knüpft im übrigen an die Bestimmungen der
älteren Kirchenverträge an, insbesondere an die des preußischen
Kirchenvertrages von 1931.
Zum Neuabschluß von Staatskirchenverträgen in den neuen
Bundesländern als Folge der deutschen Einheit
Sachsen-Anhalt im September 1993, Mecklenburg-Vorpommern im Januar
1994, der Freistaat Thüringen im März 1994 und der Freistaat Sachsen
im April 1994 schlossen Kirchenverträge mit den zuständigen
evangelischen Landeskirchen ab. Diese knüpfen ausdrücklich an das
Vertragsrecht der Weimarer Zeit an, sofern Kirchenverträge in diesen
Ländern zu jener Zeit bestanden haben. Inhaltlich ist auch für diese
Verträge der Loccumer Vertrag von 1955 das Vorbild.
Indes sind auch einige Abweichungen festzustellen. Sie finden sich
insbesondere in den Präambeln und in den Bestimmungen über die
theologischen Fakultäten.
Bei den Regelungen zum Mitwirkungsrecht der Kirche in den
theologischen Fakultäten dürften heute herrschende Rechtsauffassungen
eingeflossen sein.
In allen Verträgen haben Kirchen nicht nur ein unverbindliches
Recht der gutachterlichen Äußerung, sondern ein bindendes
Mitbestimmungsrecht bei der Anstellung von Professoren und Dozenten
hinsichtlich ihres Bekenntnisses und ihrer Lehre. Die
Mitbestimmungsbefugnis bezieht sich auf Professoren und
Hochschuldozenten an theologischen Fakultäten sowie auf Inhaber
theologischer bzw. religionspädagogischer Lehrstühle außerhalb
theologischer Fakultäten in den Lehramtsstudiengängen. Ebenso bedürfen
die Prüfungs-, Promotions- und Habilitationsordnungen der Zustimmung
der Kirchen.
Die erweiterten Rechte der Kirchenleitungen zur Einflussnahme bei
Berufungen zeigen deutlich die Handschrift der Vertreter der heute
herrschenden Rechtsauffassung. Sie haben offenbar den Neuabschluss von
Staatskirchenverträgen als Chance genutzt, ihre
Verfassungsinterpretation in positives Recht umzusetzen.
Der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD, Axel von
Campenhausen, hat auf Anfrage wie folgt zu diesem Problem Stellung
genommen.
"Nunmehr ist es undenkbar, daß das Urteil der Kirche über die
Eignung oder Nichteignung einer Person, im Namen der Kirche
Religionsunterricht zu erteilen oder Theologie zu lehren, für den
Staat unverbindlich sei. Er hat darüber nicht nur kein Urteil, sondern
vor allem kein besseres Urteil. Insofern herrscht bereits heute ...
die Meinung vor, daß die Gutachterliche Äußerung einer Landeskirche
den Staat bindet ... die neue Regelung (entspricht) der Rechtslage ...
Der Vertragsabschluß war zugleich die Gelegenheit, dies eindeutiger in
positives Recht umzusetzen. Besondere ostdeutsche Befindlichkeiten
sind für die Formulierung in den neuen Verträgen nicht maßgeblich
gewesen."
Hans-Georg Babke, der Autor der gerade erschienenen Studie zur
Stellung der Theologie an der Universität, bemerkt hierzu:
"Diese Antwort läßt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen
übrig. Auffällig ist dann aber der Tatbestand, daß die weitergehenden
rechtspolitischen Forderungen der herrschenden Rechtsauffassung, wie
die Forderung nach einem nachträglichen Beanstandungsrecht, nach
Entfernung eines beanstandeten Universitätstheologen und nach einer
staatlichen Ersatzgestellungspflicht, nicht durchgesetzt wurden."
Ein Blick hinüber zu den Europäischen Nachbarn
Österreich
Die Existenz der staatlichen katholischen Fakultäten ist durch
Konkordat gesichert. Daneben gibt es eine Reihe kirchlicher
Hochschulen (z.B. in Heiligenkreuz oder St. Gabriel in Mödling). Die
direkt dem Vatikan unterstellte Theologische Hochschule Linz (nicht
mit der Uni zu verwechseln!) ist vom Staat gerade als
Privatuniversität anerkannt worden.
Die Belange der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität
Wien – der einzigen evangelischen Fakultät in Österreich –
werden durch das sog. "Protestantengesetz" von 1961
geregelt, dessen Bestimmungen auch in neuere Gesetze
(Universitätsstudiengesetz und Universitätsorganisationsgesetz von
1993) Eingang gefunden haben. Einschlägig ist § 15 des
"Bundesgesetzes über die äußeren Rechtsverhältnisse der
Evangelischen Kirche". Er legt in Abs. 1 die Mindestzahl der
Professuren fest, die Konfessionsbindung der beiden
Systematisch-Theologischen Lehrstühle (einer für Augsburgisches
Bekenntnis, einer für Helvetisches Bekenntnis). Abs. 2 bestimmt, daß
die Mitglieder des Lehrkörpers der Evangelischen Kirche angehören
müssen. Gastprofessoren, Gastdozenten sowie das wissenschaftliche
Personal können gemäß Abs. 3 "anderen Kirchen oder
Religionsgemeinschaften, insbesondere Mitgliedskirchen des
ökumenischen Rates der Kirchen, angehören". Abs. 4 legt fest, daß
bei Berufung eines Professors vor Einreichung der Liste be im
Wissenschaftsministerium "mit der Evangelischen Kirche in
Fühlungnahme über die in Aussicht genommenen Personen zu treten"
ist.
Die Einzelheiten des Theologiestudium werden jeweils durch ein
Studienrichtungsgesetz geregelt. Derzeit ist für die Evangelische
Theologie noch das Studienrichtungsgesetz von 1993 in Geltung
(einschließlich Studienordnung und Studienplan für die
fachtheologische sowie für die kombinierte religionspädagogische
Studienrichtung und für das Doktoratsstudium). Voraussichtlich mit 1.
Oktober 2001 tritt eine neue Studienordnung auf der Basis des neuen
Universitätsstudiengesetzes in Kraft. Die in Deutschland sog. Erste
Theologische Prüfung wird in Österreich obligatorisch an der
Universität abgelegt. Die Absolventen erhalten ein Diplom. Lediglich
das 2. Examen am Ende des Vikariats wird von der Kirche abgenommen.
Tschechien
Nach der Wende im Jahre 1990 wurden die drei theologischen
Fakultäten wieder in die Universität eingegliedert. Es handelt sich um
die evangelische, die hussitische und die römisch-katholische
Fakultät. Letztere ist sehr konservativ und direkt Rom unterstellt.
Die beiden protestantischen Fakultäten sind einander ähnlich. Zwar
bestehen enge Beziehungen zu den entsprechenden Kirchen. Indes sind
beide unabhängig und haben etwa den gleichen Status wie den der
evangelischen Fakultäten in den skandinavischen Ländern.
Dänemark
Um Pfarrer in der Volkskirche zu werden ist es normalerweise eine
Bedingung, dass man die theologische Examen einer der zwei
theologischen Fakultäten in Kopenhagen oder Aarhus bestanden hat.
Trotzdem haben die Fakultäten generell keine kirchlichen Bindungen,
sondern sind als Teile der Universitäten von dem Unterrichts- und dem
Forschungsministerium gesteuert. Es gibt also keine konfessionelle
Bindungen für den Lehrer. Gegenwärtig lehrt z. B. ein Katholik Altes
Testament an der theologischen Fakultät der Universität Kopenhagen.
Und es gibt keine konfessionelle oder weltanschauliche Beschränkungen
für die Studierenden. Nur sollen sie die notwendigen sprachlichen
Voraussetzungen besitzen. Die Kirche hat so weder Einfluss auf
Berufungen noch kann sie Beanstandungen aussprechen. Nach dem
Kandidatenexamen an der Fakultät müssen dann die Theologiestudenten
unter der Leitung des Kirchenministerium ein halbes Jahr praktische
Fächer absolvieren und dann in Verbindung mit dem Amtsantritt ein
sogenanntes Bischofsexamen ablegen, was aber eher eine Formalität ist.
Finnland
(1) Theologische Fakultät und Kirche sind in Finnland nicht in
ähnlicher Weise miteinander verbunden wie in Deutschland.
Die theologischen Fakultäten in Helsinki und übo sind
grundsätzlich nicht "konfessionsgebunden"; dies wird auch
von der neuen theologischen Fakultät gelten, die demnächst in Joensuu
eingerichtet wird.
Die Theologieprofessoren werden in der Universität ausgewählt,
ohne dass die Kirche ein Votum bzw. ein Gutachten zum Kandidaten
abgeben darf.
Es gibt kein kirchliches Examen für die Studierenden in der
theologischen Fakultät, sondern alle Examen und Prüfungen werden
innerhalb der Universität absolviert. Das heißt auch, dass die
Professoren als Prüfer nicht von der Kirche akzeptiert werden müssen.
Sie brauchen auch nicht Mitglieder der (ev.-luth.) Kirche von Finnland
zu sein (obwohl die meisten solche sind).
(2) Abgesehen von der grundsätzlicher Selbständigkeit der
theologischen Fakultät, gibt es zwischen ihr und der Kirche einige
administrative Berührungspunkte:
Die Kirche anerkennt grundsätzlich das staatliche theologische
Examen. Dessen Absolventen werden, wenn Stellen offen sind, gleich
nach dem Abschluss ihrer Studien in der Universität ordiniert. Es gibt
kein Vikariat, sondern nur eine kirchliche, lediglich formale
"Ordinationsausbildung", die normalerweise ein bis zwei
Wochen dauert.
Die Kirche setzt allerdings bei Studierenden, die ordiniert werden
wollen, eine bestimmte Anzahl von Scheinen in "klassischen
theologischen Fächern" (Exegese des Alten und Neuen Testaments,
Kirchengeschichte, Systematische Theologie, Praktische Theologie)
voraus. Wer beispielsweise Religionswissenschaft als Hauptfach wählt
und die Ordination anstrebt, muss seine Studien in "klassischen
Fächern" über das hinaus vervollständigen, was der von
Universität regulierte Studiengang verlangt.
Ein Vikariat gibt es in der Kirche deswegen nicht, weil die
Studierenden sog. praktische Übungen schon innerhalb ihrer
Universitätsausbildung absolvieren müssen. Normalerweise gehören zu
diesen Studien Übungen in Predigt, Liturgie, Religionsunterricht und
Seelsorge.
Die praktischen Übungen sind in der Praxis oft nach Konfessionen
orientiert. Da die meisten Studierenden Lutheraner sind, ist z.B. die
eingeübte Liturgie meistens die der ev.-luth. Kirche. Die für die
Übungen Verantwortlichen sind allerdings gehalten, Alternativen für
diejenigen anzubieten, die nicht Lutheraner sind. Zu betonen ist auch,
dass statt der "kirchlichen" praktischen Übungen die
Studierenden auch "nicht-kirchliche" Übungen (z. B.
unterschiedliche schriftliche Übungen) wählen.
Seinerzeit gab es zwischen dem Neutestamentler Heikki Räisänen und
der finnischen lutherischen Kirche Spannungen. Das hatte aber keine
Folgen für seinen Status an der theologischen Fakultät, eine
Vorstellung, die aufgrund der grundsätzlichen Unabhängigkeit der
theologischen Fakultät von der Kirche ohnehin absurd gewesen wäre. Die
Kirche gibt nur ziemlich allgemeinen Richtlinien vor, welche und
wieviel Scheine, und in welchen Fachgebiete, die Studierenden
absolvieren müssen, wenn sie die Ordination zum Pfarramt anstreben.
Auch kann die Kirche kein Veto gegen einen an der Fakultät
lehrenden Professor einlegen. Wenn die Vertreter der Kirche mit der
Universitätsausbildung unzufrieden sind, müssten sie ein alternatives
Ausbildungssystem entwickeln; dies scheint allerdings eine nur sehr
entfernte Möglichkeit zu sein
Schweden und Norwegen
Die Universitätstheologie in Schweden und Norwegen hat eine
ähnliche akademische Freiheit wie in Finnland hat. Der größte
Unterschied ist, dass die Vikariatszeit sowohl in Norwegen als auch in
Schweden erheblich länger ist als in Finnland.
England
Die Kirchen haben keinen Einfluss auf die theologischen
Fakultäten, außer wenn diese eine kirchliche Trägerschaft haben. Hier
kommt es vor, dass wie im Falle des katholischen Heythrop College in
London Teile der Fakultät "ausgewechselt" wurden. Das ist
aber eine große Ausnahme und hat in der Öffentlichkeit starke Kritik
hervorgerufen.
Thesen zum Abschluss
a) Deutschlands theologische Fakultäten sind eine Insel inmitten
Europas.
b) Theologie in Deutschland genügt nicht den Mindestanforderungen
der Wissenschaftlichkeit.
c) Den Kirchenrechtlern um Heckel u.a. ist es gelungen, die
Existenz der theologischen Fakultäten sturmfest zu machen, z.T. auch
mit abenteuerlichen Spekulationen zum Pluralismus der Wissenschaft. So
schreibt Heckel:
"Der moderne freiheitliche Kulturstaat fördert die
verschiedenen Wissenschaften, Kunstrichtungen, sonstigen
Kulturphänomene pluralistisch und frei jeweils in der Verschiedenheit
und Vielfalt ihres geistigen - auch religiösen und weltanschaulichen
– Profils. Er hat sich verfassungsrechtlich versagt, sie auf den
nivellierenden Leisten eines autoritativen Wissenschafts- bzw.
Kunstbegriffs zu schlagen. Die Garantie der Wissenschaftsfreiheit in
Art. 5 III GG ist nach so gut wie unbestrittener Auffassung i.(m)
S.(inne) pluralistischer Offenheit und Enthaltsamkeit des Staates von
einer materialen Selektion und Präklusion des Wissenschaftsbegriffs
der Verfassung zu verstehen ... So schützt sie auch die Theologie als
eigenen überkommenen Wissenschaftszweig von kaum bestreitbarem, in der
Breite anerkanntem Rang in der deutschen Wissenschaftstradition ...
Als eigene Wissenschaft wurde die Theologie faktisch wie rechtlich von
den Verfassungen vorgefunden und normativ weiter anerkannt und
garantiert."
Das Motto der juristischen und heute geltenden Ausführungen
Heckels ist: Weil es immer so war, muß es weiter so bleiben. Auf die
Idee, daß die Existenz verschiedener theologischer Fakultäten ein
gewichtiges Argument gegen die Theologie als wissenschaftliche
Disziplin ist, scheint Heckel nicht zu kommen. Vielmehr entkräftet er
dies mit dem Argument, dass der Staat in Sachen Wissenschaft
pluralistisch denke. Merkt er nicht, daß damit der Beliebigkeit
innerhalb der Universität Tür und Tor geöffnet wird? Die
Wissenschaften außerhalb der Theologie werden sich solche
Beliebigkeiten verbieten, falls sie die Theologie überhaupt noch ernst
nehmen.
Außerdem hat Heckel, ebenso wie seine juristischen Kollegen, die
neueste Epoche historisch-kritischer Wissenschaft nicht wahrgenommen
und versteht unter Theologie immer die dogmatische Theologie. Für ihn
ist das Evangelium nicht nur unverkürzt in den Worten und Taten Jesu
sowie seiner Auferstehung enthalten, es ist gleichzeitig,
reformatorisch geurteilt, die Wahrheit und das Erlösungshandeln
Gottes, welches "aus dem sola scriptura, sola gratia, sola fide
erwächst und von Sünde, Irrtum und vom Zorne Gottes zum Glauben und
Heil befreit."
Am Schluss noch etwas Persönliches:
Ich nenne es Unaufrichtigkeit, ja, Unterdrückung der historischen
Wahrheit hinsichtlich der Ursprünge des Christentums, wenn im Streit
um meinen Lehrstuhl an der theologischen Fakultät sich
wissenschaftliche Theologen des Votums von Heckel bedienen, um meine
Entfernung aus der theologischen Fakultät zu empfehlen. Es entspricht
theologischem Analphabetentum, wenn die Richter des OVG Lüneburg mit
folgenden Argumenten die Sanktionen gegen meine Person begründen:
Lüdemann habe sich öffentlich vom Christentum losgesagt und erklärt,
er sei nicht mehr Christ, "er glaube nicht mehr an Christus.
Dieser sei nicht ohne Sünde gewesen und nicht Gottes Sohn. Er habe das
Sakrament des Abendmahls nicht eingesetzt, sei nicht den Sühnetod
gestorben, nicht auferstanden und werde nicht zum Jüngsten Gericht
wiederkommen."
Diese von der Kirchenbehörde sachlich vorformulierten und vom OVG
Lüneburg übernommenen Sätze stammen von staatlichen Juristen. Sie
nehmen offenbar die überlieferten zentralen Glaubenssätze für bare
Münze und wissen nicht bzw. haben niemals Unterricht darüber erhalten,
daß die moderne Bibelwissenschaft alle angeführten Aussagen als
unhistorisch erwiesen hat.
Nun – da man einen Abweichler loswerden will, ist offenbar
jegliches juristisches Mittel recht. Die gegenwärtige Lage erinnert
mich daran, dass kein evangelischer Theologieprofessor unter Hinweis
auf das wissenschaftlich abgesicherte Wissen protestierte, als der
Erzbischof von Paderborn, Degenhardt, Eugen Drewermann u.a. wegen
dessen symbolischem Verständnis der Jungfrauengeburt vor einem
Jahrzehnt die Lehrerlaubnis entzog.
Offenbar geht es in diesen Auseinandersetzungen gar nicht mehr um
die Wissenschaftlichkeit der Theologie, sondern darum, ihren Platz
innerhalb der Universität zu erhalten, zu der sie wegen ihrer
kirchlichen Bindung eigentlich nicht mehr gehört. Denn wer behauptet,
Wissenschaft zu betreiben, und bei seiner Arbeit die Wahrheit des
kirchlichen Bekenntnisses nicht antasten darf und will, schlägt der
Wissenschaft ins Gesicht. Wie er es auch immer drehen mag, er ist
unter diesen Voraussetzungen ein Diener der Kirche und nicht der
Wissenschaft.
Dieses harte Urteil ist umso bedauerlicher, als viele der
konfessionellen Theologen philologisch und historisch Hervorragendes
leisten und geleistet haben. Aus der Bindung an die Kirche kommen sie
aber nicht heraus, da diese das Recht hat bzw. sich das Recht dazu
herausnehmen kann, ihre Lehre zu beanstanden. Unter diesem Vorzeichen
wird eine wirklich freie Wissenschaft nicht entstehen oder gar
gedeihen. Konfessionelle Theologie als Wissenschaft entspricht demnach
der Quadratur des Kreises. Wer als konfessioneller Theologe trotzdem
die Wissenschaftlichkeit für seine gesamte Arbeit in Anspruch nimmt,
sagt nicht die Wahrheit.
Vielmehr begegnen wir in der akademischen Theologie dem Spiel mit
einer doppelten Wahrheit: der Wissenschaftlichkeit einerseits und der
kirchlichen Bindung andererseits. Und das Eigentliche der
konfessionellen Theologie wird neuerdings immer klarer in ihrer
kirchlichen Funktion gesehen. Ich würde meinen: Wenn letzteres
allgemein bekannt würde, wären die Stunden der Theologie an der
deutschen Universität gezählt. Denn warum sollten dann die Kirchen für
die Ausbildung ihres theologischen Nachwuchses nicht auch die Finanzen
aufbringen?
Indes ist der heutige gesellschaftliche Trend, Wissenschaft nur
noch im Hinblick auf ihre Relevanz und nicht mehr im Hinblick auf die
von ihr erreichten Erkenntnisse zu beurteilen, günstig für die
gegenwärtigen theologischen Fakultäten. Denn von einem funktionalem
Ansatz her hat ein Dissident keinen Raum mehr in einer theologischen
Fakultät, die Pastoren ausbildet. Doch täusche man sich nicht. Unter
solchen Bedingungen gedeiht Wissenschaft langfristig auf keinen Fall.
Und nur wegen der großen historischen Leistungen der deutschen
protestantischen Fakultäten, wurde nach langem Hin und Her überhaupt
eine Bestandsschutzgarantie für sie in die Weimarer Reichsverfassung
aufgenommen.