Gerd Lüdemann's Homepage
Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 2003
Plädoyer für die Abschaffung der theologischen Fakultäten
von Prof. Dr. Günter Kehrer (Tübingen)
Um die These "Theologie ist unwissenschaftlich"
beurteilen zu können, benötigen wir erstens ein (uns) ausreichendes
Kriterium für Wissenschaftlichkeit und zweitens eine detaillierte
Information über das, was in den theologischen Fakultäten inhaltlich
getrieben wird.
Zum Wissenschaftsbegriff
Ohne eine letztlich nicht entscheidbare Diskussion über den
Wissenschaftsbegriff zu führen, muß es für unseren politischen Zweck
genügen, einen Minimalkonsens zu formulieren, wie er sich in den
letzten Jahrhunderten zur Frage der Wissenschaftlichkeit von
Vorgehensweisen herausgebildet hat. Dabei haben sich folgende
Gesichtspunkte als relevant erwiesen und werden von praktisch keiner
Seite bestritten:
a) Freiheit des wissenschaftlichen Forschens von
institutionalisiertem Zwang und anderen wissenschaftsfremden
Einflüssen.
b) Prinzipielle Kritikoffenheit und Kritikbereitschaft. Das
bedeutet, daß Methoden und Ergebnisse wissenschaftlichen Arbeitens
ihrer Intention nach auf Kritik angelegt sein müssen und damit jede
Geheimniskrämerei und esoterisches Wissen als wissenschaftsfeindlich
gelten: Nur offengelegte Ergebnisse zählen. Es gibt keinen Bereich
wissenschaftlichen Arbeitens, der der Kritik prinzipiell entzogen ist.
Dies gilt auch für die Vorraussetzungen des Forschens selbst.
c) Prinzipielle Zugänglichkeit der Wissenschaft für jedermann:
Jeder, der sich entsprechend bemüht, kann die Voraussetzung zum
Wissenschaftsbetreiben erwerben. Es gibt keine Voraussetzungen, die
nicht erwerbbar sind.
d) Wissenschaftliche Sätze sind entweder auf eine außerhalb des
Denkens existierende Wirklichkeit bezogen, die zu erfahren jedem
vernunftbegabten Wesen möglich ist oder sie beziehen sich auf
Bedingungen, Formen und Weisen des Denkens selbst (reine
Geisteswissenschaften) und sind aber auch dann, da sie den Gesetzen
der Logik entsprechen, jedermann (nach entsprechendem Training)
einsichtig.
Der gegenwärtige Stand in den theologischen Fakultäten
Tätigkeiten in den theologischen Fakultäten: Der gegenwärtige
Stand in den theologischen Fakultäten stellt sich so dar, daß folgende
Disziplinen prinzipiell immer vertreten sind: Alttestamentliche
Wissenschaft, Neutestamentliche Wissenschaft, Kirchengeschichte,
Systematische Theologie (Dogmatik und Ethik) und Praktische Theologie.
Neben diesen fünf Disziplinen gibt es gelegentlich (aber nicht
überall) sogenannte theologische Randfächer: Biblische Archäologie,
philosophische Grundfragen der Theologie, Missionswissenschaft,
Ökumenische Theologie, Religionsgeschichte usw. Lassen wir diese
Randfächer beiseite, so lassen sich die Hauptdisziplinen in drei
Gruppen teilen: a) Historische Disziplinen (Altes Testament, Neues
Testament, Kirchengeschichte); b) Systematische Disziplinen (Dogmatik,
Ethik); c) Praktische Theologie (Homiletik, Katechetik,
Seelsorgelehre). Es müssen nun diese drei Gruppen daraufhin untersucht
werden, ob sie den Kriterien für Wissenschaftlichkeit genügen.
Kriterien für Wissenschaftlichkeit
a) Kriterium der Freiheit von institutionalisiertem Zwang und
wissenschaftsfremden Einflüssen: Hier lässt sich die Lage recht
einfach kennzeichnen. In allen Theologischen Fakultäten haben die
Kirchen ein Mitspracherecht, sei es in Form der Erteilung oder
Entziehung der missio canonica (katholische Theologie) oder durch
Anfrage bei kirchlichen Instanzen, ob gegen in Aussicht genommene
Bewerber Bedenken bestehen (evangelische Theologie). Kirchenaustritt
kann (auf kirchliches Verlangen) einen Professor aus dem Amt
befördern. Diese Einflüsse sind institutionalisiert, also mehr als
purer faktischer Natur und bezeichnen damit schon die Sonderstellung
der Theologie, das heißt ihre Unwissenschaftlichkeit in Bezug auf
dieses Kriterium.
b) Kriterium der Kritikoffenheit und Kritikbereitschaft: Hier gilt
es, zwischen den einzelnen Disziplinen zu unterscheiden. Die Lage ist
praktisch so, daß im Rahmen der historischen Disziplinen
Kirchengeschichte und (teilweise) auch alttestamentliche Wissenschaft
diesem Kriterium entsprechen können und in einigen Fällen auch tun.
Für die neutestamentliche Wissenschaft gilt dies faktisch nicht. Die
systematischen Disziplinen und ebenso die praktische Theologie gehen
von Voraussetzungen aus, die den Forscher - so er sie in prinzipiellen
Zweifel zieht - außerhalb der theologischen Wissenschaft stellt:
Gottesexistenz, Gottesoffenbarung, Versöhnung u. a. sind vorgegebene
"Tatsachen", die lediglich in ihrer Bedeutung für der
Menschen erhellt werden müssen und zu "durchdenken" sind.
c) Kriterium der prinzipiellen Zugänglichkeit: Dies wird von den
meisten theologischen Wissenschaften letztlich abgelehnt. Sie
erklären, daß ohne entsprechende Glaubenserfahrung theologische
Wissenschaft nicht sachgemäß betrieben werden könne. Glaubenserfahrung
ist aber nach christlicher Auffassung nichts durch eigene Anstrengung
zu Erwerbendes, sondern in letztlicher Hinsicht das Werk Gottes
selbst, also Gnade. Allerdings ist zu betonen, daß in der
Forschungspraxis diese Voraussetzungen nicht in allen Disziplinen der
Theologie zum Tragen kommen. In der Kirchengeschichte und (teilweise)
in der Wissenschaft vom Alten Testament sind durchaus Möglichkeiten
völlig glaubensfreier Forschung (und Kooperation mit
Geschichtswissenschaften und Altorientalistik) erkennbar.
d) Kriterium des Bezugs auf Wirklichkeit bzw. auf Bedingungen des
Denkens selbst: Dieses Kriterium ist notorisch nur bei den
historischen Disziplinen gegeben, denn sowohl Altes als auch Neues
Testament sowie die Taten und Untaten der Kirchen und ihre Gedanken
sind unabhängig vom Forscher vorhanden. Sofern die praktische
Theologie die seelsorgerlichen, homiletischen und katechetischen
Handlungen der Kirchen untersuchen würde, könnte es sich auch um
Wissenschaft handeln; in der Realität vermittelt sie aber
Handlungsanweisungen und hat schon von daher einen prekären Stand in
der Universität. Die systematischen Disziplinen scheitern, ohne daß
dies ausführlich gezeigt werden müßte, an diesem Kriterium.
Fazit
Weil Theologie stets kirchlich und religiös gebunden ist, ist sie
grundsätzlich unwissenschaftlich. Einigen theologischen Disziplinen
gelang es, in dem wissenschaftlichen Prozeß eine relativ autonome
Stellung zu erlangen. Ist es dem Forscher erst einmal gelungen, eine
bestimmte Position zu erreichen, reicht schweigende Mitgliedschaft in
der Kirche aus, um in Ruhe wissenschaftlich arbeiten zu können. Dies
gilt für die Kirchengeschichte und (teilweise) für die
alttestamentliche Wissenschaft. Die Abschaffung der theologischen
Fakultäten ist geboten. Die teilweise wertvolle Arbeit einiger
Disziplinen (Kirchengeschichte, Wissenschaft vom Alten und Neuen
Testament - die letzten jedoch mit Einschränkung) kann und soll von
anderen Fakultäten übernommen werden, Geschichtswissenschaft,
Kulturwissenschaft usw.
Was die Abschaffung der theologischen Fakultäten betrifft, so
begründen wir sie folgendermaßen: Die kirchliche Bindung der Theologie
widerspricht dem Postulat der Freiheit der Wissenschaft. Indem die
sogenannte theologische Wissenschaft Glaubenserfahrung voraussetzt und
zugleich die Existenz Gottes, Gotteserfahrung u. ä. als nicht
hinterfragbar postuliert, stellt sie sich außerhalb des neuzeitlichen
Wissenschaftsverständnisses. Dies bedeutet jedoch nicht, daß aufgrund
günstiger Umstände nicht doch in Einzelfällen durchaus
wissenschaftlichen Standards entsprechende Forschung in den
theologischen Fakultäten geleistet wurde und wird. Um diese Forschung
zu bewahren, ist es notwendig, daß die Geschichte der
jüdisch-christlichen Religion in Zukunft in kirchlich ungebundenen
Disziplinen (Geschichtswissenschaft, Kulturwissenschaft,
Religionswissenschaft usw.) erforscht wird.