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Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 2003
Kritik des neuen Lutherfilms
(Göttinger Tageblatt vom 1. November 2003, Seite 24)
Martin Luther als Mensch steht im Mittelpunkt dieses hochkarätig
besetzten Films. Er schildert in eindrucksvollen Szenen, wie der
Theologe am unbarmherzigen Gott fast irre geworden den Weg zum
gnädigen Gott in der Person Jesu Christi findet. Trotz aller
lebensbedrohenden Anfeindung durch die Papstkirche trägt Luther diese
Neuentdeckung zu seinen Mitmenschen. Damit wird er zum Gründer der
protestantischen Kirche, deren Anhänger auf dem Reichstag von Augsburg
1530 sich vor dem Kaiser unerschrocken zum neuen Glauben bekennen.
Populäres Wissen über Luther vom Thesenanschlag über den Auftritt auf
dem Reichtag in Worms ("hier stehe ich, ich kann nicht
anders") bis zur Bibelübersetzung auf der Wartburg wird nicht
ungeschickt in Szene gesetzt. So entsteht ein besseres Verständnis des
Reformators und seiner Zeit, das zur Weiterbeschäftigung anreizt.
Diese könnte dann aber auch zu einer Neubesinnung darauf führen,
dass Luther an der Niedermetzelung Zehntausender von Bauern nicht
unschuldig war ("steche, schlage, würge hier, wer kann").
Der Film hingegen zeigt lediglich seine Trauer über die Toten. Luthers
dunkle Seiten sind dort nie seine eigenen, sondern die des Teufels.
Diese Schönfärberei führt ferner zu einer Fehleinschätzung, wenn es im
Abspann des Filmes heißt: "Was in Augsburg (im Jahre 1530)
geschah, öffnete das Tor zur Religionsfreiheit." Denn Toleranz
lag außerhalb des Blickwinkels der Reformation. Für Abweichler auch
aus den eigenen Reihen wie die Täufer und für Juden hatte Luther sich
ganz auf Seiten seines gnädigen Gottes wähnend kein Verständnis und
forderte die weltlichen Herren zum Einsatz von Gewalt auf. Die Folgen
sind bekannt.
Gerd Lüdemann
(Göttinger Tageblatt vom 1. November 2003, Seite 24)