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Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 2003
Konkordate und Kirchenverträge schützen Fakultäten, denen
zunehmend die Studenten weglaufen
Artikel erschienen am 16. Jul 2003, www.welt.de
Während die staatlichen Hochschulen dabei sind, sich von Grund auf
zu erneuern, sind ihnen im Falle ihrer theologischen Fakultäten die
Hände gebunden. In den Länderverfassungen ist ihre Gewährleistung
ausgesprochen, Konkordate und Kirchenverträge sichern ihren Bestand
auf Bundes- und Landesebene. Durch ihren Sonderstatus als staatliche
Ausbildungsstätten für den kirchlichen Nachwuchs können sie nicht
einfach nach den gegenwärtigen Erfordernissen umstrukturiert,
reduziert oder eingegliedert werden. Die an staatlichen theologischen
Fakultäten lehrenden Professoren sind Staatsbeamte, aber sie müssen
der betreffenden Konfession angehören und von ihrer Kirche im Lehramt
akzeptiert werden.
Deswegen ist es auch ausgeschlossen, katholische und evangelische
Fakultäten zusammenzulegen, obwohl sich das Lehrangebot in den
historischen Fächern kaum mehr unterscheidet. Völlig unmöglich
erscheint eine Öffnung in Richtung auf die Religionswissenschaften wie
in Großbritannien und Schweden. Dort tragen einige theologische
Fakultäten den Zusatz "and religious studies", ihr
Lehrkörper ist konfessionell gemischt besetzt, und jedermann kann dort
Examina ablegen. An einer deutschen theologischen Fakultät zu einer
Abschlussprüfung zugelassen zu werden, wenn man nicht der
"richtigen" Konfession angehört, ist dagegen nur in seltenen
Ausnahmefällen möglich.
Der "Doppelcharakter" der staatlichen theologischen
Fakultäten in Deutschland hat immer wieder zu kritischen Rückfragen
vor allem im Blick auf die Wissenschaftsfreiheit der dort Lehrenden
geführt. Die "Fälle" der Theologieprofessoren Hans Küng
(Tübingen) und Gerd Lüdemann (Göttingen) illustrieren die Grenzen
akademischer Freiheit im "konfessionsgebundenen Staatsamt"
und markieren zugleich die Differenz zu den anderen akademischen
Studienfächern. Da während der beiden deutschen Diktaturen die
staatlichen theologischen Fakultäten zeitweise unter der Drohung
standen, aufgelöst zu werden, erhielt die historisch bedingte
Konstruktion im demokratischen Verfassungsstaat einen zusätzliche
moralische Legitimation. Obwohl der Widerspruch, insbesondere seitens
der Liberalen, gegen die theologischen Fakultäten innerhalb der
staatlichen Universitäten nie ganz verstummt ist, war ihr Bestand in
der Bundesrepublik bisher nicht ernstlich gefährdet. Nach der
Wiedervereinigung entschlossen sich die evangelischen Kirchen -
vornehmlich aus Geldmangel - sogar dazu, drei ihrer sechs
kircheneigenen "Kirchlichen Hochschulen" zu schließen und
damit verstärkt auf staatliche Fakultäten zu setzen. Doch aufgrund der
dramatisch zurückgehenden Studierendenzahlen mussten sich die
Kultusministerien seit Mitte der 90er Jahre mit dem Problem der
theologischen Fakultäten befassen. Diese spiegeln insofern die
Situation in den Amtskirchen wider, als hier wie dort die üppig
ausgestatteten Apparate auch ohne eine entsprechende Nachfrage einfach
weiterlaufen. Aber anders als bei den großen Religionsgesellschaften,
die sich kaum selbst in Frage stellen dürften, schlagen im Falle der
staatlichen theologischen Fakultäten inzwischen die obersten
Rechnungshöfe der Länder Alarm. Als Reaktion darauf legte das
Bayerische Staatsinstitut für Hochschulforschung schon vor fünf Jahren
einen Entwicklungsplan vor, der die Verringerung des Personalbestandes
an den sechs katholischen Fakultäten des Landes um annähernd ein
Drittel vorsah und darüber hinaus die Schließung von drei Fakultäten
empfahl. Nach Lage der Dinge hält auch die Freisinger
Bischofskonferenz Einschnitte für unvermeidlich, beharrt aber auf
einem ausdifferenzierten Lehrkörper mit einem Kanon von 13 Fächern.
Unter diesen ist auch die Philosophie, obwohl das Fach Philosophie
ohnedies an den staatlichen Universitäten vertreten ist. Derlei
Doppelungen sind auch an den evangelisch-theologischen Fakultäten
üblich, wo eigene Lehrstühle für Philosophie wie solche für
Religionsgeschichte bestehen, obwohl Entsprechendes auch an anderen
Fakultäten derselben Universität vorhanden ist. Die
evangelisch-theologischen Fakultäten in München und Erlangen, deren
Studierendenzahlen zwischen 1992 und 2002 um 69,5 bzw. 67,3 Prozent
gesunken sind, haben darüber hinaus ein weiteres Problem. Sie ächzen
unter der Konkurrenz der Kirchlichen Hochschule in Neuendettelsau, die
sich nicht über einen ähnlichen Studierendenschwund beklagen kann und
deren Absolventen, wie es heißt, von der bayerischen Landeskirche
bevorzugt eingestellt werden. Sollte die Landeskirche tatsächlich
entsprechende Akzente gesetzt und auch dafür gesorgt haben, dass ihre
Kirchliche Hochschule höhere Staatsleistungen erhielt als die beiden
staatlichen theologischen Fakultäten, dann wäre die
"Doppelstatus"-Theorie dieser Fakultäten von kirchlicher
Seite in Frage gestellt.
Dafür könnte es inhaltliche Gründe geben. Denn zahlreiche
Theologieprofessoren an staatlichen Fakultäten verstehen sich mehr als
Religionswissenschaftler, denn als konfessionsgebundene Lehrer. In
ihrer Not, an den Universitäten Anerkennung zu finden, und auch, um
mit sich selbst ins Reine zu kommen, interpretieren sie ihr Fach eher
konfessionsdistanziert als unverzichtbaren Teil der religiösen Kultur
Europas und widersprechen mit diesem Selbstverständnis der
staatskirchenrechtlichen Konstruktion, die eben nicht auf Religion,
sondern auf Konfession abstellt.
Vor diesem Hintergrund wäre das Verhalten der bayerischen
Landeskirche verständlich. Denn wer wollte es den Kirchen in ihrer
verzweifelten Situation verargen, wenn sie lieber mit glaubens- und
bekenntniszentrierten Ausbildungsstätten arbeiteten und den
selbsternannten religiösen Kulturfakultäten eine Absage erteilten?
Gerhard Besier
Gerhard Besier lehrte bis zu seiner Berufung als Direktor des
Dresdner Hannah-Arendt-Instituts Kirchengeschichte an der Universität
Heidelberg.
Artikel erschienen am 16. Jul 2003, www.welt.de