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Aktuelle Interviews und Presseberichte
Veröffentlichungen 2004
von Gerd Lüdemann
Der Film spielt die letzten Stunden im Leben von Jesus von
Nazareth nach - von der Verhaftung im Garten Gethsemane bis hin zur
Abnahme seines Leichnams vom Kreuz - und prägt visuell eindrücklich
die äußerste Brutalität seines Leidens und Sterbens ein. Gibson, ein
gläubiger katholischer Christ, setzt in der Zeichnung der gegen das
Opfer Jesus ausgeübten Gewalt historisch zutreffend um, welchen Qualen
ein von den Römern zum Kreuzestod Verurteilter ausgesetzt war. Die so
inszenierte Orgie von gezielter Misshandlung, die an politischen
Aufrührern und Sklaven geübt wurde, war im römischen Imperium
zehntausendfach blutige Realität. Gibsons Film bietet daher ein
heilsames Korrektiv gegen alte und neue Verzärtelungen des Heilandes,
welche die Grausamkeit seiner Hinrichtung vergessen machen, und eine
Erinnerung daran, dass der "Herr" der zahlenmäßig größten
Religion auf dieser Erde vor 2000 Jahren den Verbrechertod am Kreuze
starb.
Historische Grundlagen für den Film sind vor allem die
Leidensgeschichten der vier Evangelien aus dem Neuen Testament. All
das, was sie über die Umstände des Prozesses gegen Jesus sagen -
angefangen vom Hass der jüdischen Führer und des jüdischen Volkes
gegen Jesus bis zu dessen Unschuldserklärung durch Pilatus - ist im
Film geschickt inszeniert. Mel Gibson setzt also nichts anderes in
Handlung um als den Inhalt der biblischen Berichte. Und hier beginnt
das Problem. Es ist seit langem bekannt, dass die frühen Christen zu
Unrecht den "ungläubigen" Juden die Schuld an Jesu Tod in
die Schuhe geschoben haben. Indem Gibson diese theologische Deutung in
mächtigen Bildern filmisch umsetzt, fördert er, gewollt oder
ungewollt, Antisemitismus.
Die Diskussion um den Film sollte dreierlei berücksichtigen: a)
Die Leidensgeschichten des Neuen Testaments haben in ihrer
Spitzenaussage von der jüdischen Schuld am Tode Jesu keine historische
Grundlage, sondern wurzeln in christlicher Propaganda. b) Die meisten
Einzelheiten der Passionserzählungen gehen auf nachträgliche
"theologische" Deutungen zurück und sind an der historischen
Wahrheit nicht interessiert. c) Jesus wollte gar nicht für die Sünden
der Welt sterben. Er hat das Reich Gottes erwartet, gekommen ist die
Kirche.
Göttingen, den 02. 03. 2004.
Siehe auch: Workshop: Wer war schuld an Jesu Tod?
Dr. Gerd Lüdemann, Georg-August-University Göttingen, Germany
Some Critical Comments on Mel Gibson's movie The Passion of Christ in the Light of Historical Criticism
In memoriam Paul Winter
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