Durchschaubare Naivität
Unter der Anhängerschaft der rot-grünen Bundesregierung
in Deutschland findet sich in den heutigen Tagen immer häufiger das
Argument, die Mitglieder von Kabinett und Fraktionen, die dem NATO-Einsatz
zugestimmt haben, hätten tatsächlich geglaubt, man würde
durch die Bombenangriffe das Morden im Kosovo beenden. Deshalb könnte
man ihnen höchstens „Fehlentscheidungen" vorwerfen. Obwohl viele Menschen
in Deutschland diesen Glauben hatten, stellte sich doch für die politisch
Verantwortlichen schon zu Beginn eine Situation dar, die mehr Bedenken
erfordert hätte.
Rolle der OSZE-Beobachter
So sollte die Rolle der unabhängigen OSZE-Beobachter
im Kosovo nicht unterschätzt werden, deren Anwesenheit vielleicht
eine stärkere Behinderung des Völkermordes darstellte als die
jetzigen Bombardements, da die Beobachter natürlich im Vorfeld der
Intervention den Kosovo verlassen mußten. Die NATO ist für die
serbische Bevölkerung durch den Angriff zum klaren, physisch spürbaren
Feind geworden, was die Solidarität der Serben mit ihrem Führer
verstärkt hat – dies hatte, nebenbei bemerkt, auch das Ende der oppositionellen
Bewegung in Serbien zur Folge.
Sogar die NATO-Militärführung hatte die politisch
Verantwortlichen gewarnt, der Krieg würde lange dauern und aufgrund
der geographischen Gegebenheiten im Kosovo nicht ohne Bodentruppen erfolgreich
sein. Diese Einsicht zeigt sich jetzt täglich bestätigt, da der
Völkermord der serbischen Soldaten kaum durch das Bombardement gebremst
wird. Dies zusammen mit dem Abzug aller unabhängigen Beobachter erleichtert
es Milosevic geradezu, sein Ziel zu erreichen – der Kosovo wird in Kürze
menschenleer sein.
All diese Punkte waren den politisch Verantwortlichen
in Deutschland und den anderen NATO-Ländern bewußt oder hätten
ihnen bewußt sein können, sie werden daher damit leben müssen,
daß sie im Kosovo die Demonstration militärischer Stärke
dem Einsatz ökonomischer Zwangsmittel vorgezogen haben – der Krieg
ist nicht von der NATO begonnen worden, aber bis jetzt zeigt sie sich auch
nicht fähig, ihn zu bremsen oder gar zu beenden. |
Folge verfehlter Politik
In der Diskussion um den Militäreinsatz der NATO
in der Bundesrepublik Jugoslawien sind zwei Fragen zu problematisieren,
die im Übrigen auch streng getrennt werden sollten. Zum einen die
Frage, ob man durch frühzeitige, konsequente politische Bemühungen
eine Lösung des Kosovo-Konflikts hätte erreichen können,
so daß der Militäreinsatz überhaupt nicht hätte stattfinden
müssen. Zum anderen, ob man sich derzeit nicht vielleicht an einem
Punkt befindet, an dem ein Militäreinsatz unumgänglich ist. Um
eine Beantwortung der ersten Frage soll es hier gehen.
System Miloševic
1989 hob Slobodan Miloševic den autonomen Status des Kosovo
auf, den dieser innerhalb der Teilrepublik Serbien der Sozialistischen
Föderativen Republik Jugoslawien besessen hatte. Ab 1991 überzog
er erst Slowenien und Kroatien, die sich aus der SFR Jugoslawien lösen
wollten (und dies auch schafften), mit Krieg, später dann Bosnien-Herzegowina,
das ebenfalls Jugoslawien verließ. Sein erklärtes Ziel war,
diejenigen Gebiete dieser Staaten, die mehrheitlich serbisch besiedelt
waren, mit Serbien zu vereinigen, um ein Großserbien zu schaffen.
Damals wurde im Hinblick auf eine politische Lösung des Konflikts
um Kroatien und Bosnien-Herzegowina ein Embargo über das Gebiet des
ehemaligen Jugoslawien verhängt, das vornehmlich dazu dienen sollte,
Waffenlieferungen an die Krieg führenden Parteien zu unterbinden.
Dieses Embargo wurde aber nicht konsequent durchgesetzt. Hätte die
internationale Gemeinschaft damals den politischen Willen gehabt, das Embargo
konsequent durchzusetzen und die demokratische kroatische und serbische
Opposition politisch zu stützen, wären die ihre Länder autoritär-faschistisch
regierenden Kriegshetzer Franjo Tudjman (Kroatien) und Slobodan Miloševic
längst am Ende gewesen. Das Drama um Srebrenica in Bosnien-Herzegowina
wäre zu vermeiden gewesen ebenso wie der jetzige Militäreinsatz
der NATO.
Es bleibt zu hoffen, daß die politisch Verantwortlichen
für die Zukunft daraus lernen werden. Die Erfahrung dieses Krieges
sollte lehren, daß in Zukunft wirklich sämtliche politischen
Maßnahmen ausgeschöpft werden müssen, bevor dann zu einem
Militäreinsatz als ultima ratio gegriffen wird. |
"Gerechter Krieg?"
Deutschland ist im Krieg. Die für fünfzig Jahre
Bundesrepublik konstituierende Parole "Nie wieder Krieg", nie wieder Krieg
unter Beteiligung Deutschlands, ist ohne öffentliche Diskussion Geschichte
geworden. Einstige Friedenskämpfer und Vordenker der Friedensbewegung
sprechen sich offen für die Notwendigkeit des Krieges im Kosovo aus,
während sich nicht nur unter den Linken der Protest regt und die Ostermärsche
seit langer Zeit wieder verstärkten Zulauf erhalten haben. Insgesamt
verwundert es, wie scheinbar unkritisch die NATO-Aktion von der deutschen
Öffentlichkeit größtenteils aufgenommen worden ist.
Genau die Reaktion der Öffentlichkeit aber, diese
überall mit Händen zu greifende Unsicherheit, ist Ausdruck für
die Tragik dieses Krieges. Es gibt Situationen, in denen man sich schuldig
macht, ganz gleich, wie man sich verhält, ob man handelt oder zuschaut.
Bislang hat der Luftkrieg der NATO kaum Nutzen im Kampf gegen die vom Gewaltregime
Milosevics verübten Verbrechen gezeitigt, schlimmer noch, sie hat
zu einem Massenexodus von BewohnerInnen des Kosovo geführt, die Belgrader
Opposition mundtot gemacht und die jugoslawische Armee zu neuen, unbeschreiblichen
Gewalttaten angestachelt.
Trotz dieser Entwicklung gibt es aber nach wie vor Gründe
zutiefst moralischer Natur, die Menschen diesen Krieg für gerecht
und notwendig halten ließen und immer noch lassen. Innenpolitik kann
nie mehr als rein innerstaatliches Problem verstanden werden. Wenn eine
Regierung einen Teil der Bevölkerung unterdrückt, knechtet und
ermordet, ist das ein Problem der Staatengemeinschaft.
Für viele BeobachterInnen hatte sich die Situation
im Kosovo derart zugespitzt, daß die Notwendigkeit des "gerechten
Krieges" gegeben war. Humanitäre Ziele haben die meisten der BefürworterInnen
dieses Krieges geleitet. Welche imperialistischen Ziele sollte die NATO
im Kosovo verfolgen, wo doch die dortigen Kohlegruben keineswegs einen
neuen "Krieg für Öl" lohnend machen. Und ist es nicht blauäugig,
der NATO vorzuwerfen, die UNO übergangen zu haben? Gewiß, es
wäre wünschenswert, wenn die UNO die Funktion einnehmen könnte,
welche die KriegsgegnerInnen ihr zugedacht haben. Doch die Hauptaufgabe
der UNO über 40 Jahre hinweg war die Verhinderung eines Atomkrieges.
Zu eben dieser Aufgabe wurden ihr unzählige (und glücklicherweise
erfolgreiche) Instrumente eingebaut, die sicherstellen sollten, daß
nichts passieren, sich nichts bewegen kann. Von ihr aber nun im Interessenstreit
der Nationen die notwendige Beweglichkeit, die krönende Vermittlerrolle
zu erwarten, ist leider noch Wunschdenken. War und ist der Krieg gerechtfertigt
oder nicht? Auch aus diesem Artikel spricht Unsicherheit. |