Krieg auf dem Balkan
Einige differierende Anmerkungen zum Krieg, seinen Wurzeln und seinen Konsequenzen

Hans Magnus Enzensberger schrieb in der FAZ vom 14. April von einem seltsamen Krieg. Die klassischen Kriegsgründe wie Eroberung oder geostrategische Interessen spielten in diesem "keine Rolle". Kein Satz erhielt auf dem Parteitag der SPD so viel Zustimmung wie der von Erhard Eppler, einstmals Vordenker der Friedensbewegung, daß jede Raktion des Westens auf die Situation im Kosovo den Westen selbst schuldig mache. Blitzlichter aus der öffentlichen Debatte, die zeigen, daß klare, auf pazifistischen Grundideen basierende Positionen nur schwer zu finden sind. So auch bei uns Jusos, wo sich viele Meinungen und kein Konsens finden. Deshalb haben wir uns entschlossen, hier drei differierende Stellungnahmen zu veröffentlichen.
 
 
Durchschaubare Naivität

Unter der Anhängerschaft der rot-grünen Bundesregierung in Deutschland findet sich in den heutigen Tagen immer häufiger das Argument, die Mitglieder von Kabinett und Fraktionen, die dem NATO-Einsatz zugestimmt haben, hätten tatsächlich geglaubt, man würde durch die Bombenangriffe das Morden im Kosovo beenden. Deshalb könnte man ihnen höchstens „Fehlentscheidungen" vorwerfen. Obwohl viele Menschen in Deutschland diesen Glauben hatten, stellte sich doch für die politisch Verantwortlichen schon zu Beginn eine Situation dar, die mehr Bedenken erfordert hätte. 

Rolle der OSZE-Beobachter

So sollte die Rolle der unabhängigen OSZE-Beobachter im Kosovo nicht unterschätzt werden, deren Anwesenheit vielleicht eine stärkere Behinderung des Völkermordes darstellte als die jetzigen Bombardements, da die Beobachter natürlich im Vorfeld der Intervention den Kosovo verlassen mußten. Die NATO ist für die serbische Bevölkerung durch den Angriff zum klaren, physisch spürbaren Feind geworden, was die Solidarität der Serben mit ihrem Führer verstärkt hat – dies hatte, nebenbei bemerkt, auch das Ende der oppositionellen Bewegung in Serbien zur Folge.
Sogar die NATO-Militärführung hatte die politisch Verantwortlichen gewarnt, der Krieg würde lange dauern und aufgrund der geographischen Gegebenheiten im Kosovo nicht ohne Bodentruppen erfolgreich sein. Diese Einsicht zeigt sich jetzt täglich bestätigt, da der Völkermord der serbischen Soldaten kaum durch das Bombardement gebremst wird. Dies zusammen mit dem Abzug aller unabhängigen Beobachter erleichtert es Milosevic geradezu, sein Ziel zu erreichen – der Kosovo wird in Kürze menschenleer sein.
All diese Punkte waren den politisch Verantwortlichen in Deutschland und den anderen NATO-Ländern bewußt oder hätten ihnen bewußt sein können, sie werden daher damit leben müssen, daß sie im Kosovo die Demonstration militärischer Stärke dem Einsatz ökonomischer Zwangsmittel vorgezogen haben – der Krieg ist nicht von der NATO begonnen worden, aber bis jetzt zeigt sie sich auch nicht fähig, ihn zu bremsen oder gar zu beenden. 

Folge verfehlter Politik

In der Diskussion um den Militäreinsatz der NATO in der Bundesrepublik Jugoslawien sind zwei Fragen zu problematisieren, die im Übrigen auch streng getrennt werden sollten. Zum einen die Frage, ob man durch frühzeitige, konsequente politische Bemühungen eine Lösung des Kosovo-Konflikts hätte erreichen können, so daß der Militäreinsatz überhaupt nicht hätte stattfinden müssen. Zum anderen, ob man sich derzeit nicht vielleicht an einem Punkt befindet, an dem ein Militäreinsatz unumgänglich ist. Um eine Beantwortung der ersten Frage soll es hier gehen.

System Miloševic

1989 hob Slobodan Miloševic den autonomen Status des Kosovo auf, den dieser innerhalb der Teilrepublik Serbien der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien besessen hatte. Ab 1991 überzog er erst Slowenien und Kroatien, die sich aus der SFR Jugoslawien lösen wollten (und dies auch schafften), mit Krieg, später dann Bosnien-Herzegowina, das ebenfalls Jugoslawien verließ. Sein erklärtes Ziel war, diejenigen Gebiete dieser Staaten, die mehrheitlich serbisch besiedelt waren, mit Serbien zu vereinigen, um ein Großserbien zu schaffen. Damals wurde im Hinblick auf eine politische Lösung des Konflikts um Kroatien und Bosnien-Herzegowina ein Embargo über das Gebiet des ehemaligen Jugoslawien verhängt, das vornehmlich dazu dienen sollte, Waffenlieferungen an die Krieg führenden Parteien zu unterbinden. Dieses Embargo wurde aber nicht konsequent durchgesetzt. Hätte die internationale Gemeinschaft damals den politischen Willen gehabt, das Embargo konsequent durchzusetzen und die demokratische kroatische und serbische Opposition politisch zu stützen, wären die ihre Länder autoritär-faschistisch regierenden Kriegshetzer Franjo Tudjman (Kroatien) und Slobodan Miloševic längst am Ende gewesen. Das Drama um Srebrenica in Bosnien-Herzegowina wäre zu vermeiden gewesen ebenso wie der jetzige Militäreinsatz der NATO.
Es bleibt zu hoffen, daß die politisch Verantwortlichen für die Zukunft daraus lernen werden. Die Erfahrung dieses Krieges sollte lehren, daß in Zukunft wirklich sämtliche politischen Maßnahmen ausgeschöpft werden müssen, bevor dann zu einem Militäreinsatz als ultima ratio gegriffen wird. 

"Gerechter Krieg?"

Deutschland ist im Krieg. Die für fünfzig Jahre Bundesrepublik konstituierende Parole "Nie wieder Krieg", nie wieder Krieg unter Beteiligung Deutschlands, ist ohne öffentliche Diskussion Geschichte geworden. Einstige Friedenskämpfer und Vordenker der Friedensbewegung sprechen sich offen für die Notwendigkeit des Krieges im Kosovo aus, während sich nicht nur unter den Linken der Protest regt und die Ostermärsche seit langer Zeit wieder verstärkten Zulauf erhalten haben. Insgesamt verwundert es, wie scheinbar unkritisch die NATO-Aktion von der deutschen Öffentlichkeit größtenteils aufgenommen worden ist.
Genau die Reaktion der Öffentlichkeit aber, diese überall mit Händen zu greifende Unsicherheit, ist Ausdruck für die Tragik dieses Krieges. Es gibt Situationen, in denen man sich schuldig macht, ganz gleich, wie man sich verhält, ob man handelt oder zuschaut. Bislang hat der Luftkrieg der NATO kaum Nutzen im Kampf gegen die vom Gewaltregime Milosevics verübten Verbrechen gezeitigt, schlimmer noch, sie hat zu einem Massenexodus von BewohnerInnen des Kosovo geführt, die Belgrader Opposition mundtot gemacht und die jugoslawische Armee zu neuen, unbeschreiblichen Gewalttaten angestachelt. 
Trotz dieser Entwicklung gibt es aber nach wie vor Gründe zutiefst moralischer Natur, die Menschen diesen Krieg für gerecht und notwendig halten ließen und immer noch lassen. Innenpolitik kann nie mehr als rein innerstaatliches Problem verstanden werden. Wenn eine Regierung einen Teil der Bevölkerung unterdrückt, knechtet und ermordet, ist das ein Problem der Staatengemeinschaft.
Für viele BeobachterInnen hatte sich die Situation im Kosovo derart zugespitzt, daß die Notwendigkeit des "gerechten Krieges" gegeben war. Humanitäre Ziele haben die meisten der BefürworterInnen dieses Krieges geleitet. Welche imperialistischen Ziele sollte die NATO im Kosovo verfolgen, wo doch die dortigen Kohlegruben keineswegs einen neuen "Krieg für Öl" lohnend machen. Und ist es nicht blauäugig, der NATO vorzuwerfen, die UNO übergangen zu haben? Gewiß, es wäre wünschenswert, wenn die UNO die Funktion einnehmen könnte, welche die KriegsgegnerInnen ihr zugedacht haben. Doch die Hauptaufgabe der UNO über 40 Jahre hinweg war die Verhinderung eines Atomkrieges. Zu eben dieser Aufgabe wurden ihr unzählige (und glücklicherweise erfolgreiche) Instrumente eingebaut, die sicherstellen sollten, daß nichts passieren, sich nichts bewegen kann. Von ihr aber nun im Interessenstreit der Nationen die notwendige Beweglichkeit, die krönende Vermittlerrolle zu erwarten, ist leider noch Wunschdenken. War und ist der Krieg gerechtfertigt oder nicht? Auch aus diesem Artikel spricht Unsicherheit. 


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