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angels in america II

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Halleluja im Land der Hoffnungslosigkeit
von Christina Rademacher, Göttinger Tageblatt, 24. November 1997

Sie sind wieder da. Sie leiden immer noch an Aids, Valiumsucht und Liebeskummer. Sie kämpfen immer noch mit denselben alten Vorurteilen. Sie warten immer noch auf den Eintritt ins nächste Jahrtausend: die Männer und Frauen aus Tony Kushners erstem Teil des Zyklus "Angels in America". Im Januar 1996 hat Regisseur Sascha Erdmann Joe, Roy, Harper und all die anderen am Abgrund erstmals ins Göttinger Theater im OP eingelassen. Im zweiten Teil von Kushners großangelegtem Sitten- und Gesellschaftsbild, den Erdmann jetzt für die Reihe "Gewalt im Spiel" inszeniert hat, plagen die Menschheit immer noch dieselben Probleme. Und doch zeichnet sich am Ende so etwas wie ein Hoffnungsschimmer am Horizont ab.
"Diese Krankheit wird für viele das Ende bedeuten", sagt der aidskranke Prior, "aber nicht für alle." Mit dem neu entwickelten Aids-Medikament AZT ist die Hoffnung wieder eingekehrt ins Land der Hoffnungslosigkeit. Halleluja. Nur Regisseur Erdmann scheint dem positiven Denken nicht zu trauen. Den Schlußpunkt unter seine Inszenierung läßt er Roy (Lars Wätzold) setzen. Roy, jener jüdische, schwule, aidskranke Anwalt, der noch im Rollstuhl Gift und Galle spuckt und sich die Beteiligung am AZT-Programm über Beziehungen erkauft hat. Nützt ihm nichts mehr - Roy gehört nicht zu jenen, die überleben. Aber weil sich die wirkliche Welt nicht mehr sehr von der Hölle unterscheidet, kann Roy dort seine schmierigen Geschäfte unverändert fortführen.
Wie schon im ersten Teil des "Angels"-Zyklus hat Erdmann bei der Ausstattung gespart. Lediglich in meterlange Stoffbahnen hat er investiert, die zugleich verhüllen und enthüllen. Was der coole Louis (Sven Abatzis) mit dem verklemmten Joseph (Alexis Karageorgiou als Meister des Mienenspiels) unter der Bettdecke anstellt, darüber gibt nur ein Zucken von Josephs Gesichtsmuskulatur Aufschluß. Und auch das Ergebnis von Priors erotischen Träumen erfahren wir nur via Handy. Priors Lebensabschnittspartner Belize (Tobias Nikolajewski und Dirk Böther parodieren in bester Spiellaune schwule Klischees) mag die Geschichte von dem Engel aber nicht so recht glauben. Gut, daß es Joes Mutter (Renate Nordmann) gibt. Die hat Verständnis für Priors himmlische Phantasien. Und Schwiegertochter Harper (Irene Michaelis) weilt valiumabhängig ohnehin längst in anderen Sphären.
In einer Szenencollage, die unentschlossen zwischen Realität und Traum wechselt, sollen ausgeklügelte Licht- und Toneffekte atmosphärische Dichte erzeugen. Ein hoher Dauerton, wie er in keinem Thriller fehlen darf, begleitet die meisten Szenen, die Stoffbahnen bauschen sich im Luftstrom einer Windmaschine, eine Nebelkanone verstärkt den Hitchcock-Effekt, der sich im Verlauf der knapp dreistündigen Inszenierung allerdings spürbar abnutzt. Was bleibt, sind vor allem die Szenen, in denen nichts die Aufmerksamkeit von den durchweg versierten Darstellern ablenkt. Und die Erkenntnis, daß Engel ein wahrhaft teuflisches Team bilden können.


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