Die Arthropoda (Gliederfüßer) sind der bei weitem
artenreichste Stamm der Metazoa. Bislang wurden bereits über 1
Million Arten wissenschaftlich beschrieben, Schätzungen gehen
aber davon aus, dass dies nur einen verschwindend kleinen Teil
der tatsächlich existierenden Arten darstellt. Nach den
jüngsten Schätzungen sind über 80% der Arthropoden-Arten noch
unentdeckt!
Zu den Arthropoden gehören neben den Insekten auch noch die
verschiedenen Gruppen der Krebstiere, die Spinnentiere und
ihre Verwandten (Chelicerata), und die Tausendfüßer
(Myriapoda), wobei die Insekten die bei weitem artenreichste
Gruppe bilden (Abb. 1).
Es fällt natürlich schwer, für eine so artenreiche und
vielgestaltige Tiergruppe eine allgemeine Beschreibung zu
geben. Tatsächlich gibt es auch nicht besonders viele
Merkmale, die den Grundbauplan der Arthropoda kennzeichnen.
Viele Eigenschaften, die wir unmittelbar mit den Arthropoden
verbinden, sind in Wirklichkeit urtümliche Merkmale
(Plesiomorphien), die die Arthropoden mit anderen Tierstämmen
teilen. Die Körpersegmentierung beispielsweise ist ein sehr
altes Merkmal, wir finden es in homologer Form z. B. bei
Wirbeltieren und Gliederwürmern. Bei den Arthropoden sind die
einzelnen Körpersegmente gepanzert, die Cuticula bildet ein
gegliedertes Exoskelett. Dabei handelt es sich aber sehr
wahrscheinlich um ein Merkmal, das schon früh bei den
Häutungstieren (Ecdysozoa) entstanden ist, denn wir finden
ähnliche gegliederte Exoskelette bei den Hakenrüsslern
(Kinorhyncha) und bei den Bärtierchen (Tardigrada). Die
Körpersegmente sind nicht alle gleichartig gestaltet, sondern
unterscheiden sich oft erheblich in ihrer Morphologie
(heteronome Segmentierung) und treten zu funktionalen
Einheiten (Tagmata) zusammen. Diese sogenannte Tagmosis des
Körpers ist uns z. B. bei den Insekten besonders gut vertraut,
bei denen die Körpersegmente in 3 "Paketen" zusammengefasst
sind, die man als Caput (Kopf), Thorax (Brust) und Abdomen
(Hinterleib) bezeichnet. Die genaue Ausprägung der Tagmosis
kennzeichnet zwar einzelne Arthropoden-Gruppen: so sind
Insekten grundsätzlich in Caput-Thorax-Abdomen gegliedert.
Aber das Phänomen der Tagmosis an sich, ist kein alleiniges
Merkmal der Arthropoda, sondern findet sich bei allen
segmentierten Tiergruppen, unter anderem besonders gut
ausgeprägt bei vielen Gruppen der Gliederwürmer (Annelida). In
allen Fällen von Tagmosis scheinen die Hox-Gene eine wichtige
Rolle bei der Ausbildung der Tagmosis zu spielen: durch
Hox-Gene gesteuerte Tagmosis ist also erneut ein sehr altes
Merkmal, dessen Vorkommen bei den Arthropoden damit ziemlich
sicher eine Plesiomorphie darstellt.
Die Arthropoden stammen also nach derzeitigem Wissensstand
bereits von heteronom segmentierten und tagmatisierten
Vorfahren mit segmental gegliedertem Außenskelett ab. Welche
Merkmale können dann als "typisch für die Arthropoda" (d. h.
als Apomorphien) angeführt werden? Ein Merkmal, das für die
Arthropoda typisch ist, ist die sogenannte Cephalisation
(Kopfbildung), womit vor allem die Verschmelzung der vorderen
Ganglien des Strickleiternervensystems zu einem Komplexgehirn
(Syncerebrum) gemeint ist. Verschmelzungen von Einzelganglien
zu komplexen Ganglien gibt es zwar häufig im Tierreich, aber
die Verschmelzung der vordersten drei Ganglien zum
dreiteiligen Syncerebrum (aus Protocerebrum, Deutocerebrum und
Tritocerebrum) ist tatsächlich einzigartig und eine
zweifelsfreie Apomorphie der Arthropoda. Vorläufer dieses
speziellen Arthropoden-Syncerebrums kann man bei den bei den
Stummelfüßern (Onychophora) sehen: hier sind schon die
vorderen zwei Ganglien zu einem zweiteiligen Syncerebrum
verschmolzen, aber das dritte Ganglion (also das Homolog des
Tritocerebrums) ist noch völlig frei (Mayer et al. 2010).
Ein weiteres Merkmal, das für die Arthropoden typisch ist,
sind die als Komplexaugen ausgebildeten Lateralaugen. Solche
"Facettenaugen" gibt es zwar auch in anderen Tiergruppen,
diese sind jedoch morphologisch deutlich anders gebaut und
damit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
unabhängig entstanden (Homoplasie). Außer den Arthropoda
besitzen alle übrigen Ecdysozoa keine Komplexaugen, was
deutlich dafür spricht, dass die Komplexaugen eine Neuerung
(Apomorphie) der Arthropoda sind.
Das namensgebende Merkmal der Arthropoden, ihre gegliederten
Beine (Arthropodien), sind schließlich die dritte
zweifelsfreie Apomorphie der Arthropoda. Gliedmaßen kommen
zwar überall im Tierreich vor, und ihre Entwicklung wird
offenbar durch die gleichen genetischen Prozesse gesteuert
(Prpic 2019). Allerdings sind die Beine der Arthropoda,
ähnlich wie ihr Körper, in gepanzerte Segmente (Podomere)
unterteilt. Die entwicklungsgenetischen Mechanismen, die diese
Unterteilung während der Gliedmaßenentwicklung vornehmen, sind
in allen Arthropodengruppen sehr ähnlich, was deutlich für
eine Homologie der Beinsegmentierung der Arthropoda spricht
(Prpic & Damen 2009).