Über Gattungszugehörigkeit und das valide Artepithet bestehen
in der Literatur Uneinigkeit. Die Art ist erstmals von Esper
(1785) beschrieben und abgebildet worden. Allerdings ist das
Werk von Esper objektiv betrachtet nicht nach den
Gesichtspunkten der binominalen Nomenklatur aufgebaut.
Stattdessen benutzt Esper ein eigenes System, in dem er die
folgenden enkaptischen Hauptkategorien verwendet: Geschlecht,
Horde, Familie, Linie. Darüber hinaus fügt er an manchen
Stellen auch zusätzliche Kategorien ein, z.B. die Parthie.
Welche dieser vielen Kategorien ungefähr dem entspricht, was
in der binominalen Nomenklatur der Gattungsname ist, kann aus
dem Werk Espers nicht direkt herausgelesen werden. Zum einen
verwendet Esper die Kategorie Gattung nicht, sondern nutzt den
Begriff "Gattung" weitgehend Synonym mit dem Begriff "Art".
Zum anderen beschreibt er neue "Arten" nicht nach einem
binominalen Prinzip, sondern vergibt durchweg Einzelnamen, die
er dann mit verschiedenen Namen aus seiner Systematik
kombiniert, allerdings leider uneinheitlich: meist zählt er
vor seinem uninominalen "Artnamen" seine komplette Systematik
auf, manchmal beschränkt er sich auf eine Auswahl der
Kategorien, und manchmal fügt er Kategorien ein, die laut
seiner Systematik tatsächlich zu anderen Gruppen/Ebenen
gehören (so zum Beispiel das Taxon "Attacus", das zum einen
der Name seiner ersten Horde ist, später aber auch auf der
Ebene der Linie auftauchen kann). Die vorliegende Art
beschreibt Esper (1785) als "PH. BOMB. EL. AL. DEPRESS. DORSO
LAEVI. CASTA". Wenn man diese Reihung an Namen nach Espers
System aufschlüsselt, dann steht "PH." für das Geschlecht
"Phalaenae, Nachtschmetterlinge", "BOMB." steht für die Horde
"Bombyces, Seidenspinner", "EL." steht für die Familie
"Bombyces elingues, ohnzünglichte Spinner", "AL. DEPRESS"
steht nach den Worten Espers (1785) für die "zweyte Linie der
ersten Familie der Spinner, von der zweiten Horde der
Phalenen. Bombyces elingues, alis depressis. Ohnzünglichte
Spinner, mit dachichten Flügeln". Dies ist schon eine
Abweichung von seinem am Beginn des Bandes eingeführten
System, denn hier heißt die zweite Linie nicht "Bombyces
elingues, alis depressis" sondern "Bombyces elingues, alis
deflexis". Zusätzlich führt Esper (1785) aber bei seiner
"CASTA" noch eine weitere systematische Kategorie ein, "DORSO
LAEVI.", die er zuvor jedoch nicht ausdrücklich einführt oder
erläutert; es handelt sich dabei um eine seiner "Parthien",
die er zuvor zwar beschreibt (nämlich die Dorsalseite von
Thorax und Abdomen entweder glatt oder beschuppt), aber nicht
benennt und gleichzeitig schreibt, dass diese noch zu wenig
greifbar seien, weswegen er sie nur sporadisch nutzt. Erst der
Name "CASTA" bezieht sich auf die neue "Art", die Esper (1785)
jedoch als neue "Gattung" bezeichnet: "Auch diese hier in der
Ordnung eingeschaltete Gattung, ist eine der neuesten
Entdeckungen. Wir haben sie dem Herrn Rummel zu danken, der
nach dem rühmlichen Fleiß im Aufsuchen der Neuigkeiten, sie in
einer Gegend bey Preßburg in Ungarn fand". Es gibt nur einen
indirekten Hinweis, welche seiner Kategorien Esper selbst als
Entsprechung zu den Gattungen der binominalen Nomina
betrachtete: immer wenn er im Fließtext eine Art erwähnt
schreibt er den Namen formell binominal und nutzt dabei als
Gattungsnamen die Abkürzung "Ph.", also beispielsweise "Ph.
Villica" oder "Ph. Hebe". Die Mehrzahl der aktuellen Autoren
betrachtet deshalb die Espersche Kategorie "Geschlecht" als
Gattungsnamen, wodurch die Originalkombination der
Erstbeschreibung der vorliegenden Art also "Phalaena casta"
ist. Allerdings hat Pallas (1767) bereits eine andere Art mit
dem Namen "Phalaena casta" beschrieben, so dass der Espersche
Name ein jüngeres primäres Homonym ist und solche Homonyme
sind dauerhaft ungültig (Artikel 57.2. des International Code
of Zoological Nomenclature). Es gibt hierzu zwar definierte
Ausnahmen, die hier jedoch nicht zutreffen; die Entdecker der
primären Homonymie (De Freina & Witt 1984) hätten
zusätzlich nach Artikel 23.9.5. die Möglichkeit gehabt, den
Fall an die International Commission on Zoological
Nomenclature zu geben, stattdessen haben sich diese Autoren
aber für die (ebenfalls den Nomenklaturregeln entsprechende!)
Alternative entschieden: sie haben den nächstjüngeren
verfügbaren Artepithet-Namen als validen Namen ausgewählt,
nämlich "deserta". Die Invalidierung des bis 1984 fast
ausschließlich verwendeten und eigentlich älteren Artepithets
"casta" wäre auch weiterhin durch eine Anrufung der Commission
rückgängig zu machen, jedoch hat sich inzwischen der Gebrauch
des jüngeren Artepithets "deserta" weitgehend eingebürgert, so
dass mir eine erneute Änderung nicht sinnvoll erscheint. Etwas
anders sieht es bei der Einführung des neuen Gattungsnamens
Watsonarctia durch De Freina & Witt (1984) aus. Diese
Autoren diskutieren die Gattungszugehörigkeit der Art und
stellen fest, dass die Art weder zur Gattung Bombyx gehört,
noch zur Gattung Eucharia gehört (in der sie 1984 geführt
wurde). Des weiteren schreiben die Autoren, dass die Art auch
nicht zur Gattung Arctia gehört. Aus diesen drei
Feststellungen schlussfolgern die Autoren, dass für die Art in
eine neue Gattung aufgestellt werden muss. Diese
Schlussfolgerung folgt selbstverständlich nicht aus den drei
Feststellungen: nur weil eine Art nicht in drei willkürlich
gewählte Gattungen gehört, muss nicht zwingend eine neue
Gattung für sie geschaffen werden. Die Gattungszugehörigkeit
fußt immer auf einer Verwandtschaftsanalyse, die im Fall der
vorliegenden Art noch nicht im Detail durchgeführt wurde.
Allerdings ist die Art anhand äußerlicher Merkmale sehr
ähnlich zu Artimelia latreillii (die nicht in Deutschland
vorkommt) und beide Arten könnten enger miteinander verwandt
und eventuell kongenerisch sein. In diesem Fall hätte
Artimelia Godart, 1823 Priorität gegenüber Watsonarctia De
Freina et Witt, 1984 und die vorliegende Art hieße dann
Artimelia deserta.