Gerd Lüdemann's Homepage
Zur Person
In eigener Sache
Der hannoversche Landesbischof zum Streit um den Göttinger
Theologieprofessor Gerd Lüdemann: "Der Mann möchte geschlagen
werden"
Der Göttinger Professor für Neues Testament, Gerd Lüdemann, darf
vorerst nicht mehr beim ersten theologischen Examen der Kirche prüfen.
Das haben die in der Konföderation zusammengeschlossenen evangelischen
Landeskirchen Niedersachsens beschlossen. Damit reagieren sie auf ein
Interview, in dem Lüdemann gesagt hat, es sei eine
"Schizophrenie" und "Scheinheiligkeit", daß
evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer bei der Ordination auf die
Bekenntnisschriften der Kirche aus dem 16. Jahrhundert verpflichtet
werden, auf etwas, das sie nach Lüdemann "gar nicht mehr glauben
können".
* Herr Hirschler, halten Sie als Bischof der hannoverschen
Landeskirche, der größten in Niedersachsen, es für gerechtfertigt,
Herrn Lüdemann die Prüfungsberechtigung zu entziehen?
Horst Hirschler: Diese Entscheidung zielt darauf, daß ein
klärendes Gespräch stattfinden soll, bevor Herr Lüdemann wieder als
Prüfer eingeladen wird.
* Geht es der Kirche denn nur um die Form der Äußerungen von Herrn
Lüdemann, also um den Vorwurf der "Schizophrenie" und der
"Scheinheiligkeit", oder geht es auch um die Inhalte dessen,
was er als Professor lehrt?
Hirschler: Es ist für uns ganz selbstverständlich, daß
der Theologe, der forscht und lehrt, auch Waghalsiges denken muß und
Dinge ausprobieren und sagen darf, die die Kirche unter Umständen
ärgern. Doch es wird schwierig, wenn die Grundlage der Kirche für
obsolet erklärt wird, zum Beispiel die Verpflichtung der Pfarrer auf
die Heilige Schrift und die Bekenntnisschriften, die mit der
Ordination verbunden ist. Ich möchte unterstreichen, daß Dr. Günter
Linnenbrink, der Vorsitzende des Prüfungsamtes der niedersächsischen
evangelischen Kirchen, gegenüber Herrn Professor Lüdemann ausdrücklich
erklärt hat, daß er, "um Mißverständnisse hinsichtlich der
Freiheit von Forschung und Lehre gerade auch in der Theologie erst gar
nicht aufkommen zu lassen", keinen Anstoß nehmen wolle an
Lüdemanns Forschungsmethoden und -ergebnissen. Linnenbrink schrieb
ihm: "Anstoß nehme ich nur an Ihrer pauschalen Behauptung von
Scheinheiligkeit und Schizophrenie bei der Kirche und Pfarrerschaft,
wenn zum Pfarramt ordiniert wird."
* Wenn Professor Lüdemann an seinen Aiffassungen festhält, wird
dann die Kirche einen Schritt weitergehen und ihm die kirchliche
Lehrerlaubnis entziehen?
Hirschler: Das Problem von Herrn Lüdemann ist, er tut
alles, damit er geschlagen wird. Er sagt fortwährend Dinge in der
Hoffnung, daß wir uns so verhalten, wie er es gerne hätte, zum
Beispiel, daß wir ihn mit einem Verfahren überziehen. Doch wir werden
ihm diesen Gefallen nicht tun. Wir tun nur eines, wir laden ihn bis
auf weiteres nicht mehr zu unseren Prüfungen ein. Erst muß in einem
Gespräch geklärt werden, ob Professor Lüdemann die Unterstellung
zurücknimmt, daß die Ordination und die damit verbundene Verpflichtung
auf die Heilige Schrift und die Bekenntnisschriften eine objektive
Schizophrenie und Scheinheiligkeit ist. Lüdemann will uns ja
unterstellen, wir würden die Bibel und die Bekenntnisschriften
fundamentalistisch verstehen.
* Haben Sie den Eindruck, daß Lüdemann nur einen Popanz aufbaut,
um auf ihn einzuschlagen?
Hirschler: Das kann man so sagen.
* Warum werden Pfarrer des 20. Jahrhunderts nach wie vor auf die
Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts verpflichtet? Es gab ja nicht
wenige Theologen, die sagten: Die Heilige Schrift genügt.
Hirschler: Unsere Kirche ist eine
Verabredungsgemeinschaft. Was 1530 formuliert wurde, verweist so
treffend auf die Heilige Schrift und in ihr auf Christus, daß wir
selbstverständlich daran festhalten.
* Ist es noch sinnvoll, das Apostolische Glaubensbekenntnis mit
seinen schwierigen Formulierungen Sonntag für Sonntag im Gottesdienst
zu beten?
Hirschler: Ja. Ich halte das jedoch nur für sinnvoll,
wenn regelmäßig auch über dieses Glaubensbekenntnis gesprochen und
gepredigt wird. Vergessen Sie nicht: Es enthält eine Sammlung von
Überschriften, gebündelten Glaubenserfahrungen der Menschen.
Interpretationen sind unbedingt nötig, um die Inhalte hinter den
Formulierungen zu erschließen.
* Die Kirche bekennt, daß Jesus Christus "wahrer Mensch und
wahrer Gott" ist. Für Professor Lüdemann ist diese Formel
"antiquiert". Brauchen wir denn diese alten
Bekenntnisformeln noch, oder sollten sich Theologen nicht darum
bemühen, neue Formeln zu entwickeln?
Hirschler: Die Formel "wahrer Mensch und wahrer
Gott" ist das bis heute Genialste, was theologisch formuliert
wurde. Es muß natürlich interpretiert werden. Das Problem Lüdemanns
ist, daß er ein sehr eingeschränktes Verständnis der Wirklichkeit hat.
So sagt er, die Bibel sei nicht Gottes Wort, sondern nur Menschenwort.
Jeder Theologe lernt doch zu Beginn seines Studiums, daß in der Bibel
Gottes Wort als Menschenwort enthalten ist. Wie das zusammengeht,
darüber muß man genauso nachdenken wie darüber, daß Gott uns in einer
Welt begegnet, die ich mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen und
berechnen kann.
* Befürchten Sie denn, daß Lüdemanns radikale Bibelkritik, wenn
sie öffentlich geäußert wird, der Kirche schadet?
Hirschler: Das ist keine radikale Bibelkritik. Vieles,
was Lüdemann sagt, verbreite ich bei jeder passenden Gelegenheit - und
zwar als Bischof. Es sieht doch zum Beispiel jeder, daß die beiden
Schöpfungsgeschichten am Anfang der Bibel sich widersprechen. Das
Interessante aber ist doch, daß Gott gerade durch solche
widersprüchlichen Geschichten zu uns spricht. Das begreift Lüdemann
nicht.
* Gerhard Lüdemann hält es für verhängnisvoll, daß die
blutrünstige "Offenbarung des Johannes" bis heute Teil des
Neuen Testaments ist, und zwar, weil sie die Ängste der Menschen
anheizt und weil sie die Sekten bedient. Ist es erlaubt, die Bibel je
nach den psychologischen und seelsorgerlichen Bedürfnissen der
Menschen von Zeit zu Zeit zu überarbeiten?
Hirschler: Die Bilder müssen nicht redigiert, sondern
interpretiert werden. Dieses biblische Buch besagt ja, daß unter all
den Schrecken der Welt stets der geheime Wille Gottes gegenwärtig
bleibt. Deshalb ist dieses Buch in Verfolgungszeiten immer eine Hilfe
gewesen. Wenn es jedoch benutzt wird, wie ich höre, angesichts der
Jahrtausendwende Weltuntergangsängste zu erzeugen, ist das
mittelmäßiger Schwachsinn.
* An welchen Aussagen Lüdemanns nehmen Sie besonders Anstoß?
Hirschler: Lüdemanns Wirklichkeitsverständnis endet,
bildlich gesprochen, beim Spatenstich, bei den Grabungsarbeiten. Was
er nicht auszugraben vermag, existiert für ihn nicht. Seine
exegetischen Forschungsergebnisse sind zum Teil sehr wissenswert, doch
taugen sie nicht als Maßstab für eine sachgemäße Interpretation. Die
biblischen Texte müssen doch hauptsächlich daraufhin befragt werden,
was sie für die Existenzerfahrungen des Menschen bedeuten sollen. Das
fällt bei Lüdemann faktisch weg.
* Haben Sie ein Beispiel?
Hirschler: Nehmen Sie seinen Satz: "Die
Jungfrauengeburt hat nachweislich nicht stattgefunden!" Wenn das
alles ist, dann wird überhaupt nicht deutlich, daß die Glaubenden mit
solch einer Erzählung das Geheimnis aufzuzeigen versuchen, daß sie
diesen Jesus einerseits als wirklichen Menschen und zugleich als Wort
Gottes in Person erfahren haben.
* Im Konflikt um Lüdemann wird auch ein Sprachproblem der
Theologen deutlich. Die Frage ist: Wie vermitteln wir heute
Glaubenserfahrungen von gestern? Sollte die Kirche die Theologen nicht
vielmehr zu neuen Übersetzungsversuchen motivieren, statt sie
zurückzupfeifen?
Hirschler: Wir pfeifen Lüdemann nicht zurück, sondern
wollen mit ihm sprechen, bevor wir ihn wieder zu Prüfungen einladen
können. Richtig ist: Wenn Theologen nicht waghalsig dächten, hätte ich
Sorge um unsere Kirche. Wir müssen immer wieder neu erproben, wie man
richtig von Christus spricht. Genau deshalb wäre ich froh, wenn
Lüdemann häufiger den Versuch unternähme, über den Christus seines
Glaubens zu sprechen. Übrigens halte ich die Kirche heute nicht für
sprachlos - wir können sicher manches besser machen. Das Hauptübel ist
jedoch, daß wir fast nur eine Sprache für das Machen haben. Die Frage
nach Gott, nach dem Geheimnis unseres Lebens, hat in unserer
Gesellschaft kein Gewicht.
* Lüdemann sieht sich selbst als einen radikal historisch
denkenden Menschen. Zum Teil erwecken seine Aussagen aber den
gegenteiligen Eindruck: Geschichte wird als Last gesehen. Was meinen
Sie: Ist die Kirche in ihrer eigenen Geschichte und Tradition
gefangen? Schleppen wir zu viel historisches Gepäck mit uns herum?
Hirschler: Nein. Luther hat zum Beispiel eindrucksvoll
versucht, mit der Bibel "gleichzeitig" zu werden.
Dementsprechend ist unsere Aufgabe heute, uns hineinzuversetzen in
das, was die frühen Christen mit dem predigenden, gekreuzigten, ihnen
als lebendig vor Augen gestellten Jesus erfahren haben. Mit Lüdemann
muß im Gespräch geklärt werden: Hat er überhaupt das richtige
Instrumentarium, um die religiösen Inhalte zu erreichen, die über das
"Zersägbare" der historischen Ereignisse hinausgehen?
Bislang sehe ich nur: Lüdemann ist ein Historiker mit eingeschränktem
Wirklichkeitsverständnis. Er vertritt eine platte
Aufklärungstheologie. Er hat die letzten 70 Jahre Theologie nicht zur
Kenntnis genommen, soweit sie die Verknüpfung und Gegenüberstellung
des historischen Jesus und des verkündigten Christus betreffen.
Darüber habe ich mit ihm schon ausführlich gesprochen. Das wird wieder
geschehen müssen.
* Lüdemann behauptet ja, die Theologie sei keine kirchliche,
sondern eine freie Wissenschaft, sie sei nur der Wahrheit
verpflichtet, sie "kann überhaupt kein Resultat
voraussetzen". Wie sehen Sie das? Gibt es eine Theologie ohne
Bezug zum Glauben?
Hirschler: Nein. Sonst verliert die Theologie ihren
Realitätsgrund. Wer Theologie lehrt, versucht, in kritischer Reflexion
die christliche Wahrheit verständlich zu machen. Theologie ist etwas
anderes als Religionswissenschaft.
Die Fragen stellten Eduard Kopp und Jürgen Wandel
Wenn Sie mehr erfahren wollen, DS - Das Sonntagsblatt - Nr. 8
MNDesign 23. Februar 1995